Zukunftsbücher 2018

Top Ten der Zukunftsliteratur 2018, zusammengestellt von changeX und der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen

 

Es ist schon Tradition bei changeX, im Dezember die inspirierendsten Bücher des zurückliegenden Jahres vorzustellen. In diesem Jahr in neuer Form: als Top Ten der Zukunftsliteratur, gemeinsam ausgewählt mit den Autoren der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg. Ziel: Heterogenität und Perspektivenreichtum. Hier ist unsere Auswahl der Toptitel der Zukunftsliteratur im Jahr 2018. Sachbücher, die gesellschaftliche Entwicklungen kritisch reflektieren und neue Zukunftsperspektiven eröffnen. Kurzrezensionen: Birgit Bahtić-Kunrath (bbk), Hans Holzinger (hh), Stefan Wally (sw), Winfried Kretschmer (wk)

4.0 Das große Bild

Dirk Baecker: 4.0. oder Die Lücke die der Rechner lässt. Merve Verlag, Leipzig 2018, 240 Seiten, 18 Euro (D), ISBN 978-3-96273-012-3

4.0? Hält jetzt auch auf dem Feld der Gesellschaftstheorie die simplifizierende Zählweise in Versionsnummern Einzug? Nein, was nach Industrie 4.0 oder Arbeit 4.0 (also nach einer Etappe der industriellen Entwicklung) klingt, ist der theoretisch ambitionierte Versuch, den historischen Umbruch, der mit der Einführung der elektronischen und digitalen Medien verbunden ist, als Beginn einer neuen Epoche der Menschheitsgeschichte zu begreifen: als die vierte Medienepoche. Drei gingen ihr voraus: 1.0 Mündlichkeit, 2.0 Schriftlichkeit, 3.0 Buchdruck. Entsprechend den Gesellschaftsformen Stammesgesellschaft, antike Gesellschaft, moderne Gesellschaft. Und nun die nächste Gesellschaft. Mit digitalen Medien als Epoche vier. Das stellt die digitale Transformation in einen größeren, weiteren Rahmen. Holt sie raus aus der beschränkten Weltsicht der How-to-Konzepte. Dirk Baecker dekliniert durch, welche Bedeutung der Digitalisierung in einzelnen gesellschaftlichen Feldern zukommt. Und er macht deutlich, dass Digitalisierung viel weiter geht, etwas viel Größeres ist, als ihre Thematisierung gemeinhin vermuten lässt. Ihm geht es um das große Bild, um die ganze Gesellschaft. Das ist anspruchsvoll und nicht leicht zu lesen. "Aber es steht auch viel auf dem Spiel", sagt Baecker, "eine ganze Gesellschaft, letztlich."
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Ich und die Anderen Keine selbstverständliche Zugehörigkeit mehr

Isolde Charim: Ich und die Anderen. Wie die neue Pluralisierung uns alle verändert. Zsolnay Verlag, Wien 2018, 223 Seiten, 22 Euro (D), ISBN 978-3-553-05666-0

Die Wiener Philosophin Isolde Charim macht sich in ihrem klugen und wichtigen Buch Gedanken über das Leben in einer pluralisierten Gesellschaft: Waren die alten Nationalstaaten relativ homogen, leben wir nun in einer zunehmend pluralisierten Gesellschaft, die unser "Ich" für immer verändert: "Es gibt keine selbstverständliche Kultur, keine selbstverständliche Zugehörigkeit mehr. Und das ist eine wirklich einschneidende Veränderung." Denn diese Pluralisierung verändert unsere Identität, indem wir keine klar definierten Gestalten in Gemeinschaften mehr sind, Staatsbürgerin etwa. Die Konsequenzen zeigen sich vor allem in neu definierten Rollen von Religion, Kultur und Politik. So gebe es sowohl eine Rückkehr wie ein neues Verständnis der Religion. Im Bereich Kultur eine Rückkehr der Tradition als Form der Abwehr gegenüber der pluralisierten Gesellschaft. Und in der Politik ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Institutionen und Parteien, während politisches Handeln zunehmend von Emotionen getrieben - und so dem Populismus der Weg bereitet wird. "Was tun?", fragt die Autorin am Schluss - um festzustellen, dass man nichts tun kann. Und verweigert sich so einfachen Rezepten. (bbk)
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Das hässliche Universum Auf der Suche nach Schönheit

Sabine Hossenfelder: Das hässliche Universum. Warum unsere Suche nach Schönheit die Physik in die Sackgasse führt. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2018, 368 Seiten, 22 Euro (D), ISBN 978-3-103972467

Was hat die Grundlagenphysik nicht alles an aufsehenerregenden Theorien erdacht: Supersymmetrie, Dunkle Materie, Superstringtheorie, Multiversum. Und was ist herausgekommen? Nichts. "Seit nunmehr über dreißig Jahren sind keine Fortschritte mehr in der Grundlagenphysik zu verzeichnen", resümiert Sabine Hossenfelder, selbst theoretische Physikerin und in der Grundlagenforschung tätig. Aber sie plagen Zweifel, "ob das, was wir in der Grundlagenphysik machen, Wissenschaft ist". Und so spürt sie den wissenschaftstheoretischen Implikationen der physikalischen Theoriebildung nach. Frech, forsch und mutig hinterfragt sie ihre Disziplin und legt mit klarem Blick die "verborgenen Prinzipien" bloß, die die Forschung leiten, das Prinzip der Schönheit vor allem: die Annahme, dass die Naturgesetze schön seien und demzufolge auch die Theorien schön zu sein hätten, einfach und elegant. Auch die Wissenschaften sind von kognitiven Verzerrungen betroffen, sagt die Autorin, und rührt damit an ein Problem von großer gesellschaftlicher Relevanz. Ein wichtiges Buch, informativ, pointiert, und mit Gewinn zu lesen. (wk)
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Wie Demokratien sterben Der Demokratie das Überleben sichern

Steven Levitsky, Daniel Ziblatt: Wie Demokratien sterben. Und was wir dagegen tun können. DVA, München 2018, 320 Seiten, 22 Euro (D), ISBN 978-3-421-04810-3

Dieses Buch ist ein Augenöffner für alle, die mit Unbehagen auf aktuelle Entwicklungen in Europa und den USA blicken: In klarer, prägnanter Sprache gelingt es den beiden Autoren, antidemokratische Tendenzen im historischen Vergleich einzuordnen und gleichzeitig ein Analyseraster zu entwerfen, anhand dessen man autoritäre Tendenzen erkennen kann. Demokratien erodieren langsam, verursacht durch gewählte Regierungen mit autoritären Ambitionen. Die Autoren betonen, dass eine stabile Demokratie "Leitplanken" jenseits der Verfassung braucht - informelle Regeln, die von allen akzeptiert werden: gegenseitige Achtung, also den politischen Gegner prinzipiell als legitim zu akzeptieren, und institutionelles Zurückhalten, also legistische Möglichkeiten nicht bis ins Letzte auszureizen. Wie kann man die Demokratie in Zeiten der Krise retten? Demokraten müssen von radikalen Maßnahmen Abstand halten. Sie müssen Gräben überwinden. Und Gegnern die gleiche Legitimität zusprechen, die sie für sich selbst in Anspruch nehmen. Ein wichtiges Buch in schwierigen Zeiten. (bbk)
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Innovation Innovation und Eigensinn

Wolf Lotter: Innovation. Streitschrift für barrierefreies Denken. Edition Körber, Hamburg 2018, 224 Seiten, 18 Euro (D), ISBN 978-3-89684-262-6

Innovation, Innovation, Innovation. Atemlosigkeit prägt den Umgang mit diesem Thema. Weiter, schneller, voran. Ohne nachzudenken. Nachdenken aber lohnt. "Wir leben in Zeiten der Innovationsinflation", sagt Wolf Lotter, der großartige Erklärer des Wandels von der Industrie- zur Wissensgesellschaft. In seinem Buch Innovation, das sich als "Streitschrift für barrierefreies Denken" versteht (so der Untertitel), holt er das Thema raus aus dem Verwertungsverdikt, unter das es in wirtschaftlichem Interesse zu gerne gestellt wird. Doch Innovation ist mehr. Und ist breiter zu denken. "Innovation heißt Differenz, Unterscheidung", betont Lotter. "Innovation ist die Störung der herrschenden Verhältnisse zugunsten einer neuen Idee." Oder: Wahre Innovation beginnt, "wo Menschen weiter denken, als ihnen zugestanden wird". Das Buch macht deutlich: Innovation entzieht sich der Verwertungslogik. So wie gute Ideen kaum durch verbissenes Nachdenken entstehen, braucht Innovation eine offene, freie Gesellschaft. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Eines der wichtigsten Bücher des Jahres.
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Digitaler Humanismus Ein Humanismus für das digitale Zeitalter

Julian Nida-Rümelin, Nathalie Weidenfeld: Digitaler Humanismus. Eine Ethik für das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz. Piper Verlag, München 2018, 224 Seiten, 24 Euro (D), ISBN 978-3492058377

Kann eine künstliche Intelligenz denken, fühlen, urteilen wie ein Mensch? Vielleicht nicht gleich heute, aber in der Zukunft? Oder gibt es eine grundsätzliche, eine kategoriale Grenze zwischen Mensch und Maschine? Das ist das zentrale Thema des Buches Digitaler Humanismus, in dem die Kulturwissenschaftlerin Nathalie Weidenfeld und der Philosoph Julian Nida-Rümelin eine Ethik für das Zeitalter der künstlichen Intelligenz entwerfen. Ihr Buch ist eine klare Absage an die Verklärung künstlicher Intelligenz. Und ein ebenso entschiedenes Eintreten für einen Humanismus, adaptiert für das digitale Zeitalter: "Der digitale Humanismus transformiert den Menschen nicht in eine Maschine und interpretiert Maschinen nicht als Menschen. Er hält an der Besonderheit des Menschen und seiner Fähigkeiten fest und bedient sich der digitalen Technologien, um diese zu erweitern, nicht um diese zu beschränken." Ein ungemein wichtiges Buch für die Debatte über die digitale Automation. Ein Buch, das den Technooptimismus aus dem Silicon Valley in die Schranken weist: "Die Frage ist nicht so sehr, was möglich ist, sondern was wir wollen." (wk)
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Aufklärung jetzt Plädoyer für Vernunft, Wissenschaft, Fortschritt

Steven Pinker: Aufklärung jetzt. Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt. Eine Verteidigung. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2018, 736 Seiten, 26 Euro (D), ISBN 978-3-10-002205-9

Steven Pinker sorgt für Aufsehen. Zunächst in der englischsprachigen Welt. Und nun löst sein Buch auch im deutschsprachigen Raum wichtige Debatten aus. Pinker setzt Zustände in Perspektive, sieht langfristige Entwicklungen und urteilt auf der Basis der erkennbaren Dynamik. Und diese Entwicklungen sind für ihn gut. Vernunft, Wissenschaft, Humanismus, Fortschritt und Marktwirtschaft bringen die Menschheit voran. Pinker sieht in Fragen der Gleichheit, der Umwelt, der Gesundheit, der Ernährung, des Wohlstandes, des Friedens, der Sicherheit, der Demokratie und des Glücks viel Fortschritt. Und um die Probleme der Welt auch weiterhin lösen zu können, sagt er, braucht man einen starken Humanismus. Dieser werde von Religion, Nationalismus und romantischem Heroismus herausgefordert, die um die Herzen der Menschen werben. Deshalb beharrt er: "In unserem Plädoyer für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt dürfen wir niemals nachlassen." Ein Plädoyer für Aufklärung, aber nicht für eine neue Aufklärung. (sw)
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Die Donut-Ökonomie Eine Wirtschaftsform für das 21. Jahrhundert

Kate Raworth: Die Donut-Ökonomie. Endlich ein Wirtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört, aus dem Englischen von Hans Freundl und Sigrid Schmid. Hanser Verlag, München 2018, 416 Seiten, 24 Euro (D), ISBN 978-3-446-25845-7

"Die Revolution der Wirtschaftswissenschaften hat tatsächlich begonnen", schreibt die junge Ökonomin Kate Raworth (Jahrgang 1970). Und sie stellt sich dieser Herausforderung. Ihr Anspruch ist es, die Ökonomie "vom Kopf auf die Füße zu stellen". Raworths Buch Die Donut-Ökonomie will die alten Ideen der ökonomischen Lehre durch neue ersetzen. Es will zeigen, "wie wir lernen können, wie Ökonomen des 21. Jahrhunderts zu denken". Ziel ist es, ein neues ökonomisches Narrativ zu entwerfen, in dessen Mittelpunkt die langfristigen Ziele der Menschheit stehen. Diese Ziele hat Raworth in einem Bild ausgedrückt: Es ist der titelgebende Donut, ein Paar konzentrischer Ringe, die den Raum der Ökonomie abbilden. Innerhalb des inneren Rings - Raworth nennt es das gesellschaftliche Fundament - liegen die großen Geißeln und Nöte der Menschheit wie Hunger und Analphabetentum. Außerhalb des äußeren Rings - der ökologischen Decke - liegen die gravierenden planetaren Probleme wie der Klimawandel und der Verlust der Biodiversität. Zwischen den beiden Ringen entfaltet sich dann "jener Raum, in dem wir die Bedürfnisse aller mit den Mitteln des Planeten befriedigen können" - eine regenerative und distributive Ökonomie. Ein Durchbruch zu dieser neuen ökonomischen Lehre könne aber nur gelingen, wenn die unterschiedlichen kritischen Denkschulen ihre Ansätze miteinander verbinden, sagt Raworth. Und geht das auch gleich an. Ihr Buch versucht eine Synthese von Komplexitätsökonomik, ökologischer und feministischer Ökonomie, Institutionenökonomik und Verhaltensökonomie. Ein furioses Buch, das die Entwicklung eines radikal anderen Denkens über die Wirtschaftsform für das 21. Jahrhundert beherzt angeht. (wk)
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Die Große Transformation Den Kapitalismus transformieren

Uwe Schneidewind (Hg.): Die Große Transformation. Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2018, 520 Seiten, 12 Euro (D), ISBN 978-3-596-70259-6

Mit Zukunftsfähiges Deutschland hat das Wuppertal Institut 1996 erstmals konkrete Pfade eines Kurswechsels in Richtung Nachhaltigkeit beschrieben. Die Große Transformation kann nun als eine Art Nachfolgewerk gesehen werden. Mit einem Unterschied: Es werden nicht nur Herausforderungen benannt und Zukunftspfade skizziert, sondern auch Fragen nach dem Wie des Wandels gestellt. Das "Wuppertaler Transformationsmodell" verbindet dabei technologische und institutionelle Innovationen mit einer "kulturellen Revolution". Der so autoren- wie umfangreiche Band versammelt das gesamte Know-how der Wuppertaler Nachhaltigkeitsdenkschmiede. Geboten wird eine Fülle an Anregungen und Konzepten aus der Wissenschaft, wie eine Transformation in nachhaltige Gesellschaften in einem Mehrebenensystem angegangen werden kann. Neu ist - und manche mögen das kritisieren -, dass nicht mehr von Bekämpfung oder gar Abschaffung des Kapitalismus gesprochen wird, sondern von seiner Transformation. (hh)
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Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus Das Beispiellose benennen

Shoshana Zuboff: Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2018, 727 Seiten, 29.95 Euro (D), ISBN 978-3-593509303

Begonnen hat alles mit einer Suchmaschine. Bloß wie mit einer Suchmaschine Geld verdienen? Auf der Suche nach einem Geschäftsmodell entdeckte Google, dass die Nutzerdaten, die bei jeder Sucheingabe anfallen, wertvolle Informationen über die Nutzer selbst, ihre Gedanken, Gefühle und Interessen enthalten. Und die ließen sich nutzen, um Aussagen über das künftige Verhalten der Nutzer zu gewinnen und zu verkaufen. Das war der entscheidende Schritt in den Überwachungskapitalismus, so die emeritierte Harvard-Ökonomin Shoshana Zuboff: hin zu einer beispiellosen neuen Verwertungslogik, nämlich von der Vorhersage zur Steuerung von Verhalten zu kommen. "Verhalten zu produzieren, das zuverlässig und definitiv zu erwünschten kommerziellen Ergebnissen führt." Für Zuboff ist dies eine neue Form von Macht: eine wahrnehmungsfähige, rechnergestützte und vernetzte Macht, "die das menschliche Verhalten rendert, überwacht, berechnet und modifiziert". So entstünde eine neue kollektive Ordnung, die Demokratie und Menschenrechte aushebelt. Und die soziale Beziehungen durch Maschinen und "Gesellschaft durch Gewissheit" ersetzt, warnt die Autorin. Und sie appelliert: "Seid Sand im Getriebe." (wk)
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