Entrepreneurship ahoy
Im Berliner Labor für Entrepreneurship wächst eine offene Kultur des Unternehmerischen � eine Reportage von Anja Dilk.
Folge 7 der changeX-Serie über die neue Arbeitswelt.
Kein Bunsenbrenner, keine Reagenzgläser. In diesem Labor brodelt keine Chemie. Hier entstehen innovative Geschäftskonzepte und neue Unternehmenswelten. Vor 20 Jahren hat Günter Faltin die Teekampagne gegründet. Heute leitet der Berliner Professor das Labor für Entrepreneurship. Das Ziel: Er will eine offene Kultur des Unternehmerischen etablieren. Will weg vom überkommenen Klischee des klassischen Unternehmertums. Will Menschen auf dem Weg in eine andere Arbeitswelt voranbringen, sie damit vertraut machen, unternehmerisch zu denken und zu handeln. Denn die Arbeitswelt der Zukunft gehört den Entrepreneuren. / 09.01.08
Will in Deutschland eine offene Kultur des Unternehmerischen etablieren: Günter Faltin, Professor für Wirtschaftspädagogik und Entrepreneurship an der Freien Universität Berlin.
Hier kommt nicht jeder rein. Voranmeldung ist Pflicht. Stattlich streckt sich der weiße Altbau in den Berliner Frühabendhimmel. Der Abendwind streift durch die Äste der Bäume an der Niedstraße. Ein schmiedeeisernes Tor, einige Schritte bis zum Eingang, roter Sisal führt über die weißen Marmorstufen bis zur Flügeltür. Am Türstock drei Pfeile auf hellem Grund: "Labor für Entrepreneurship".
Psst, gleich geht's los. "Noch eine Minute", ruft die Frau am Koordinationspult. Husten, Räuspern, noch schnell ein Schluck Wasser. Die Zuschauer lehnen sich zurück. "Go". Günter Faltin drückt das Kreuz durch und lächelt in die Webcam. "Herzlich willkommen beim Labor für Entrepreneurship. Heute stellen wir drei Gründungsprojekte vor: Podcast.de, die Musikphilosophen und Schaltzeit." Fabio Bacigalupo ist zuerst dran. Der lang gestreckte Mittzwanziger räuspert sich. Die Scheinwerfer treiben ihm den Schweiß auf die Stirn. Hinter ihm poppt eine orange-graue Oberfläche auf. Community, Produzieren, Informieren, Software. Das sind die Kerngeschäfte von Bacigalupos Firma Podcast.de. Claim: "Jeder kann sein eigener Sender werden." "Aha", sagt Günter Faltin, "wenn wir also eine Entrepreneurshipsendung machen wollen, basteln Sie uns die mit Ihrer Technik?" Bacigalupo schüttelt den Kopf. "Nein, zwar finden Sie auf unserer Seite Tipps für die Produktion, aber herstellen müssen Sie sie selbst. Wir sind vor allem ein Forum, ein Dienst, um seine selbst produzierten Radio- und Fernsehsendungen zielgerichtet unter die Leute bringen zu können."
Donnerstagabend, 18 Uhr. Im Gründungslabor von Günter Faltin, Professor für Wirtschaftspädagogik und Entrepreneurship an der Freien Universität Berlin (FU), drängen sich die Besucher. Weingläser stehen in langen Reihen auf hölzernen Übersee-Teekisten. Sonnenblumen leuchten auf einem Korbtisch. Die Regale mit Darjeelingtee aus Faltins Teekampagne reichen bis zum Stuck. Wie immer seit Gründung des Labors in den 90er-Jahren haben sich auch heute ausgewählte Gäste versammelt. Menschen, die bereits an eigenen Gründungsideen basteln. Wie der junge Mann mit dem zeitgenössischen Spitzbart, der an einer, wie er sagt, "technischen Weltinnovation" arbeitet, aber mehr noch nicht verraten will. Menschen, die Gründergeist schnuppern wollen, um ihrer Arbeitsbiografie eine neue Richtung zu geben. Wie der Mittfünfziger, der nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit auf eigenen Füßen stehen möchte. Menschen, die jene puschen wollen, die sich hier auf den Weg in eine andere Arbeitswelt begeben. Wie die Dame von der Gründungsförderung der FU. Die sich heute ein Bild von innovativen Geschäftskonzepten und neuen Unternehmenswelten machen will.

Offene Kultur des Unternehmerischen.


Denn darum geht es hier: Um eine offenere Kultur des Unternehmerischen, fernab vom konventionellen Klischee des Unternehmertums. Eine Kultur, die auf "vorhandene Probleme mit konsequenter und fantasievoller Ökonomie antworten kann, aber auch soziale und künstlerische Möglichkeiten einbezieht". Faltin will auch solche Menschen für Entrepreneurship begeistern, die bisher vor dem Gedanken zurückschreckten. Auf seiner Website schreibt er: "Leider ist der Bereich des Unternehmerischen den meisten Menschen nach wie vor fremd und scheint ihnen unzugänglich. Dabei wird immer deutlicher, dass unsere Gesellschaft mehr Gründer, mehr Ideen und Initiativen braucht, auch aus Bereichen, die bisher nicht der Wirtschaft zugerechnet wurden."
Zum Beispiel einen Professor und einen Pianisten. Musikphilosophen nennt sich das Team, das nun unruhig vor dem Publikum steht, um seine Idee zu präsentieren. Links der Musiker, modische Kurzhaarfrisur, schwarze Brille. Rechts der Philosoph, weißes Haarkleid, silberne Brille. Die beiden haben sich zusammengetan, um eine Synergie aus ihren Leidenschaften zu bilden, die andere Menschen mitreißen soll: denken und musizieren. Das Verbindungsglied: Essen. Wie Sokrates einst auf dem Marktplatz seine Zuschauer mit seinen Gedanken faszinierte, sollen sich die Gäste des musischen Diners in hauptstädtischer Loft-Atmosphäre für Philosophie begeistern, über ihre Wahrnehmung reflektieren, den Hummer auf der Zunge, die romantischen Klaviersentenzen im Ohr. Ist die Gabel bloß ein Werkzeug oder eine Leibverlängerung? Ist das wirklich Johannisbeersuppe oder nur meine Interpretation der Wirklichkeit? Ein "Dialog der Sinne", nennen die Herren das, und man merkt ihnen an, wie sehr sie sich an ihrer eigenen Idee freuen. Bis Faltin einhakt. "Das ist erst mal ein nettes Projekt. Entrepreneurship ist es noch nicht. Wo ist die Skalierbarkeit? Wie kalkulieren Sie Ihren Gewinn? Ökonomisch stehen der Caterer, der Sommelier, der Raumvermieter gut da. Wie aber kalkulieren Sie?" Die Herren ziehen die Brauen hoch. "Das ist ja erst mal ein Experiment." "Nun, dann öffnen wir Ihr Projekt mal für die Runde", sagt Faltin.
"Wie wär's, wenn man das philosophische Diner als Geschenkangebot anbietet? Inklusive CD und Kochbuch?", ruft eine Frau. "Ja, und servieren, was die Menschen zur Zeit von Sokrates gegessen haben", ergänzt eine andere. "Wenn das Essen so teuer ist, wieso lassen Sie nicht die Gäste kochen?", ruft ein Mann. Oder wie wär's mit einer Präsentation auf Second Life? Und natürlich mit einem knackigeren Namen. "Das Festmahl", "Das dialektische Diner", "Köstliche Philosophie", "Sokrates' Flügel". Der Professor und der Musiker hören aufmerksam zu. Ja, so könnte man ihre Idee weiterentwickeln - neue Sichtweisen einführen, einen anderen Rahmen erdenken, eine Idee so lange systematisch weiterentwickeln, daran feilen, bis sie klare Wettbewerbsvorteile bringt, einzigartig ist. Das ist Faltins Ansatz. Denn wenn er von einer Kultur des Unternehmerischen spricht, die ein Ideenpotenzial zulässt, legt er ein knallhartes betriebswirtschaftliches Maß an, damit ein ausgereiftes Businessmodell entstehen kann. "Wie wichtig ein trägfähiges Geschäftsmodell ist, hat nicht zuletzt die New Economy gezeigt", sagt Faltin. "Taugt die Idee nicht viel oder ist sie nicht ausgereift, dann helfen auch Förderprogramme nicht. Im Gegenteil. Es könnte auch sein, dass man eine Idee passend für ein Förderprogramm zusammenschustert, statt eine selbst geschneiderte Idee zu erarbeiten."

Dann haben wir alle das Zeug zum Unternehmer.


Faltin weiß, dass dies ein langer Weg ist. Mehrere Hundert Gründungswillige hat er mittlerweile begleitet. Viele Ideen hat er entstehen und sterben sehen. "Die Arbeit an den Konzepten ist eine Tüftelarbeit wie an einem Puzzle. Und sie kommt fast immer zu kurz." Das hat einen Grund, der tief in das Unternehmerbild unserer Gesellschaft reicht: Der Unternehmer als Alleskönner, der ebenso auf der Klaviatur von BWL und Businessplänen, Marketing und Arbeitsrecht spielen, wie kreativ Innovationen entwickeln können muss. Unternehmer als Ausbrüter von Ideen, denen mit einer kleinen Nachhilfe in BWL und Buchhaltung schon auf die Sprünge zu helfen ist. Nicht zufällig boomen seit Jahren Angebote à la "Businesspläne schreiben leicht gemacht" oder "Buchhaltung für Einsteiger". Laut Faltin steckt dahinter ein grundlegendes Missverständnis: Der Unternehmer als Allrounder gehört ins Museum. Nicht nur, weil die Verfahren vom Rechnungswesen bis zum Steuerrecht viel komplizierter geworden sind. Sondern auch, weil der Zweiklang die meisten Menschen überfordert. Denn es stehen zwei unterschiedliche Denkweisen dahinter, die sich oft beißen: Ordnung halten und kreativ sein. Faltin: "Beides ist wichtig. Doch beides muss nicht in den Händen einer Person liegen." Sein Ansatz: Business Administration und Entrepreneurship trennen, Arbeitsteilung einführen. Indem sich ein Gründer mit einem Kopf voller kreativer Innovationen beispielsweise einen Wirtschafter zur Seite holt. Oder Büroorganisation als Komplettdienstleistung anmietet. "Wenn wir genau schauen: Was kann wer und mit wem kann ich mich zusammentun, dann haben wir alle das Zeug zum Unternehmer. Wir müssen nur aufhören, uns gegenseitig umerziehen zu wollen."
Faltin rückt die Person in den Mittelpunkt. Wie damals bei dem Studenten, der unbedingt ein ägyptisches Restaurant eröffnen wollte. In einer Standardberatung wäre etwa gefragt worden: Gibt es so etwas schon auf dem Markt? Woher bekommen Sie einen guten Koch? Welche Bank gibt Geld? "Das ist vorschnell", sagt Faltin. Denn zunächst gelte es herauszufinden, warum ein Gründer diese Idee hat. Was verbindet er mit Ägypten, spricht er gerne mit den Leuten? Hat er überhaupt einen Draht zum Kochen oder wäre nicht vielleicht ein auf Ägyptenreisen spezialisiertes Reisebüro eine bessere Option? "Es geht darum, eine Person und ihre Motive besser zu verstehen, ihre Potenziale zu entwickeln und ihre Idee weiterzudrehen." Um zu verhindern, dass ein Gründer bei der erstbesten, vielleicht nahe liegenden Idee stehen bleibt, anstatt weiterzudenken.

Innovativer Saftladen.


Mittlerweile hat Faltin selbst reichlich Erfahrungen mit Gründungsideen gesammelt. Wie als Ko-Gründer der RatioDrink AG, die reines Apfel- oder Birnensaftkonzentrat beispielsweise in Bag-in-Box-Packungen verkauft. Ein Teil zapfen, sieben Teile Leitungswasser dazu - fertig ist der Saft ist bester Qualität. Und das biologisch, leichter zu transportieren, länger haltbar und preiswerter als im Supermarkt oder Bioladen. Denn die Order geht via Web, Zwischenhandelsstufen entfallen. Natürlich arbeitsteilig hergestellt, kombiniert der Saft aus der Big Box Komponenten, die von jenen hergestellt werden, die es am besten können: Die Gründer lassen extern abfüllen, sie versenden und verpacken, die grafische Gestaltung ist zugeliefert, die Buchhaltung outgesourct. Die RatioDrink AG fügt die verschiedenen Komponenten zu einem Produkt zusammen.
Es geht dem Entrepreneurexperten um mehr als die Förderung von Gründungskultur. Dahinter steht auch eine andere Vorstellung von unternehmerischen Modellen, von Marktwirtschaft generell. Eine Marktwirtschaft, die auf Marketing und Zwischenhandel so weit wie möglich verzichtet, und daher ökonomischer und ökologischer ticken kann. Faltin hat es mit seiner Teekampagne, die er vor 20 Jahren ins Leben rief, vorgemacht: Er beschränkt sich auf eine einzige Teesorte, den Darjeeling von den Steilhängen des Himalajas. Er setzt auf den Direkteinkauf großer Mengen und auf den Verkauf in Großpackungen. Der Käufer weiß, von welchem Hang der Tee kommt. Das Projekt hat sich zum größten Versandteehaus der Republik entwickelt, die 15 Mitarbeiter haben allein im vergangenen Jahr 420.000 Kilo Tee verkauft.

Man freut sich, dass es auch anders geht.


Pause. Nach den ersten beiden Projekten schreiten die Gäste im Labor für Entrepreneurship zu Wein und Salzstangen, Tomaten und Mozzarella, Salami und Weißbrot. Der Podcast-Gründer, der Professor und der Musiker debattieren über die Anregungen aus der Diskussionsrunde. Die FU-Gründungsförderin tauscht sich mit einem Junggründer aus. André Winzer ist ein wenig aufgedreht. Seit zwei Jahren ist er Unternehmer, seine Firma Schaltzeit setzt auf Technologiescouting. Winzer und seine Mannen stöbern Trends und vielversprechenden technischen Neuerungen nach, aus denen Großunternehmen wie die Telekom neue Projekte stricken könnten. Gleich wird er im Labor sein Geschäftsmodell vorstellen. Und sein neues Projekt, ein virtuelles Konferenzzentrum.
Seit einem Jahr ist Schaltzeit profitabel. Ein schöner Erfolg. Und doch ist Winzer gespannt auf die Anregungen der Zuschauer im Labor. "Das bringt immer etwas", sagt der 28-Jährige, auch wenn er in puncto Marketing beispielsweise die Dinge etwas anders sieht als Günter Faltin. "Das ist für uns ebenso unverzichtbar, um bekannt zu werden, wie Networking." Winzer ist Entrepreneur mit Leib und Seele. Er liebt es, selbständig zu arbeiten. Am Frühstückstisch sitzen bleiben zu können, wenn er Lust dazu hat. "Permanent befruchtet" zu werden in einem Umfeld, das pulsiert vor Innovation. Ob es um die Gründung einer neuen Kneipe geht oder um ein Gesellschaftsspiel über Afrika, das er mit Kumpels gerade entwickelt hat, ob es um das Non-Profit-Projekt Deutschlandpuls.de geht, einen Blog zum Thema Wandel in der Republik, oder um den verrenteten Deutschlektor aus Studienzeiten, dem er jüngst einen Arbeitsplatz in seiner Firma angeboten hat, um andere Gedanken in sein Unternehmen zu holen. Er liebt es, seine Arbeitsumgebung selbst gestalten zu können. Letztes Jahr gab es einen Kicker, dieses Jahr wird er einen Schlaf- und Entspannungsraum einrichten. So lässt es sich leben. Und arbeiten. "Man freut sich täglich, dass es auch anders geht", sagt André Winzer, stellt seinen Rotwein ab, grinst und schreitet zu Günter Faltin ins Scheinwerferlicht.

Anja Dilk ist Autorin und Korrespondentin für changeX.

© changeX [09.01.2008] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Anja Dilk
Dilk

Anja Dilk ist Berliner Korrespondentin, Autorin und Redakteurin bei changeX.

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