Folge 7 der changeX-Serie über die neue Arbeitswelt.
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Psst, gleich geht's los. "Noch eine Minute", ruft die Frau am Koordinationspult. Husten, Räuspern, noch schnell ein Schluck Wasser. Die Zuschauer lehnen sich zurück. "Go". Günter Faltin drückt das Kreuz durch und lächelt in die Webcam. "Herzlich willkommen beim Labor für Entrepreneurship. Heute stellen wir drei Gründungsprojekte vor: Podcast.de, die Musikphilosophen und Schaltzeit." Fabio Bacigalupo ist zuerst dran. Der lang gestreckte Mittzwanziger räuspert sich. Die Scheinwerfer treiben ihm den Schweiß auf die Stirn. Hinter ihm poppt eine orange-graue Oberfläche auf. Community, Produzieren, Informieren, Software. Das sind die Kerngeschäfte von Bacigalupos Firma Podcast.de. Claim: "Jeder kann sein eigener Sender werden." "Aha", sagt Günter Faltin, "wenn wir also eine Entrepreneurshipsendung machen wollen, basteln Sie uns die mit Ihrer Technik?" Bacigalupo schüttelt den Kopf. "Nein, zwar finden Sie auf unserer Seite Tipps für die Produktion, aber herstellen müssen Sie sie selbst. Wir sind vor allem ein Forum, ein Dienst, um seine selbst produzierten Radio- und Fernsehsendungen zielgerichtet unter die Leute bringen zu können."
Donnerstagabend, 18 Uhr. Im Gründungslabor von Günter Faltin, Professor für Wirtschaftspädagogik und Entrepreneurship an der Freien Universität Berlin (FU), drängen sich die Besucher. Weingläser stehen in langen Reihen auf hölzernen Übersee-Teekisten. Sonnenblumen leuchten auf einem Korbtisch. Die Regale mit Darjeelingtee aus Faltins Teekampagne reichen bis zum Stuck. Wie immer seit Gründung des Labors in den 90er-Jahren haben sich auch heute ausgewählte Gäste versammelt. Menschen, die bereits an eigenen Gründungsideen basteln. Wie der junge Mann mit dem zeitgenössischen Spitzbart, der an einer, wie er sagt, "technischen Weltinnovation" arbeitet, aber mehr noch nicht verraten will. Menschen, die Gründergeist schnuppern wollen, um ihrer Arbeitsbiografie eine neue Richtung zu geben. Wie der Mittfünfziger, der nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit auf eigenen Füßen stehen möchte. Menschen, die jene puschen wollen, die sich hier auf den Weg in eine andere Arbeitswelt begeben. Wie die Dame von der Gründungsförderung der FU. Die sich heute ein Bild von innovativen Geschäftskonzepten und neuen Unternehmenswelten machen will.
Offene Kultur des Unternehmerischen.
Denn darum geht es hier: Um eine
offenere Kultur des Unternehmerischen, fernab vom konventionellen
Klischee des Unternehmertums. Eine Kultur, die auf "vorhandene
Probleme mit konsequenter und fantasievoller Ökonomie antworten
kann, aber auch soziale und künstlerische Möglichkeiten
einbezieht". Faltin will auch solche Menschen für
Entrepreneurship begeistern, die bisher vor dem Gedanken
zurückschreckten. Auf seiner Website schreibt er: "Leider ist der
Bereich des Unternehmerischen den meisten Menschen nach wie vor
fremd und scheint ihnen unzugänglich. Dabei wird immer
deutlicher, dass unsere Gesellschaft mehr Gründer, mehr Ideen und
Initiativen braucht, auch aus Bereichen, die bisher nicht der
Wirtschaft zugerechnet wurden."
Zum Beispiel einen Professor und einen Pianisten.
Musikphilosophen nennt sich das Team, das nun unruhig vor dem
Publikum steht, um seine Idee zu präsentieren. Links der Musiker,
modische Kurzhaarfrisur, schwarze Brille. Rechts der Philosoph,
weißes Haarkleid, silberne Brille. Die beiden haben sich
zusammengetan, um eine Synergie aus ihren Leidenschaften zu
bilden, die andere Menschen mitreißen soll: denken und
musizieren. Das Verbindungsglied: Essen. Wie Sokrates einst auf
dem Marktplatz seine Zuschauer mit seinen Gedanken faszinierte,
sollen sich die Gäste des musischen Diners in hauptstädtischer
Loft-Atmosphäre für Philosophie begeistern, über ihre Wahrnehmung
reflektieren, den Hummer auf der Zunge, die romantischen
Klaviersentenzen im Ohr. Ist die Gabel bloß ein Werkzeug oder
eine Leibverlängerung? Ist das wirklich Johannisbeersuppe oder
nur meine Interpretation der Wirklichkeit? Ein "Dialog der
Sinne", nennen die Herren das, und man merkt ihnen an, wie sehr
sie sich an ihrer eigenen Idee freuen. Bis Faltin einhakt. "Das
ist erst mal ein nettes Projekt. Entrepreneurship ist es noch
nicht. Wo ist die Skalierbarkeit? Wie kalkulieren Sie Ihren
Gewinn? Ökonomisch stehen der Caterer, der Sommelier, der
Raumvermieter gut da. Wie aber kalkulieren Sie?" Die Herren
ziehen die Brauen hoch. "Das ist ja erst mal ein Experiment."
"Nun, dann öffnen wir Ihr Projekt mal für die Runde", sagt
Faltin.
"Wie wär's, wenn man das philosophische Diner als
Geschenkangebot anbietet? Inklusive CD und Kochbuch?", ruft eine
Frau. "Ja, und servieren, was die Menschen zur Zeit von Sokrates
gegessen haben", ergänzt eine andere. "Wenn das Essen so teuer
ist, wieso lassen Sie nicht die Gäste kochen?", ruft ein Mann.
Oder wie wär's mit einer Präsentation auf Second Life? Und
natürlich mit einem knackigeren Namen. "Das Festmahl", "Das
dialektische Diner", "Köstliche Philosophie", "Sokrates' Flügel".
Der Professor und der Musiker hören aufmerksam zu. Ja, so könnte
man ihre Idee weiterentwickeln - neue Sichtweisen einführen,
einen anderen Rahmen erdenken, eine Idee so lange systematisch
weiterentwickeln, daran feilen, bis sie klare Wettbewerbsvorteile
bringt, einzigartig ist. Das ist Faltins Ansatz. Denn wenn er von
einer Kultur des Unternehmerischen spricht, die ein
Ideenpotenzial zulässt, legt er ein knallhartes
betriebswirtschaftliches Maß an, damit ein ausgereiftes
Businessmodell entstehen kann. "Wie wichtig ein trägfähiges
Geschäftsmodell ist, hat nicht zuletzt die New Economy gezeigt",
sagt Faltin. "Taugt die Idee nicht viel oder ist sie nicht
ausgereift, dann helfen auch Förderprogramme nicht. Im Gegenteil.
Es könnte auch sein, dass man eine Idee passend für ein
Förderprogramm zusammenschustert, statt eine selbst geschneiderte
Idee zu erarbeiten."
Dann haben wir alle das Zeug zum Unternehmer.
Faltin weiß, dass dies ein langer
Weg ist. Mehrere Hundert Gründungswillige hat er mittlerweile
begleitet. Viele Ideen hat er entstehen und sterben sehen. "Die
Arbeit an den Konzepten ist eine Tüftelarbeit wie an einem
Puzzle. Und sie kommt fast immer zu kurz." Das hat einen Grund,
der tief in das Unternehmerbild unserer Gesellschaft reicht: Der
Unternehmer als Alleskönner, der ebenso auf der Klaviatur von BWL
und Businessplänen, Marketing und Arbeitsrecht spielen, wie
kreativ Innovationen entwickeln können muss. Unternehmer als
Ausbrüter von Ideen, denen mit einer kleinen Nachhilfe in BWL und
Buchhaltung schon auf die Sprünge zu helfen ist. Nicht zufällig
boomen seit Jahren Angebote à la "Businesspläne schreiben leicht
gemacht" oder "Buchhaltung für Einsteiger". Laut Faltin steckt
dahinter ein grundlegendes Missverständnis: Der Unternehmer als
Allrounder gehört ins Museum. Nicht nur, weil die Verfahren vom
Rechnungswesen bis zum Steuerrecht viel komplizierter geworden
sind. Sondern auch, weil der Zweiklang die meisten Menschen
überfordert. Denn es stehen zwei unterschiedliche Denkweisen
dahinter, die sich oft beißen: Ordnung halten und kreativ sein.
Faltin: "Beides ist wichtig. Doch beides muss nicht in den Händen
einer Person liegen." Sein Ansatz: Business Administration und
Entrepreneurship trennen, Arbeitsteilung einführen. Indem sich
ein Gründer mit einem Kopf voller kreativer Innovationen
beispielsweise einen Wirtschafter zur Seite holt. Oder
Büroorganisation als Komplettdienstleistung anmietet. "Wenn wir
genau schauen: Was kann wer und mit wem kann ich mich
zusammentun, dann haben wir alle das Zeug zum Unternehmer. Wir
müssen nur aufhören, uns gegenseitig umerziehen zu wollen."
Faltin rückt die Person in den Mittelpunkt. Wie damals bei
dem Studenten, der unbedingt ein ägyptisches Restaurant eröffnen
wollte. In einer Standardberatung wäre etwa gefragt worden: Gibt
es so etwas schon auf dem Markt? Woher bekommen Sie einen guten
Koch? Welche Bank gibt Geld? "Das ist vorschnell", sagt Faltin.
Denn zunächst gelte es herauszufinden, warum ein Gründer diese
Idee hat. Was verbindet er mit Ägypten, spricht er gerne mit den
Leuten? Hat er überhaupt einen Draht zum Kochen oder wäre nicht
vielleicht ein auf Ägyptenreisen spezialisiertes Reisebüro eine
bessere Option? "Es geht darum, eine Person und ihre Motive
besser zu verstehen, ihre Potenziale zu entwickeln und ihre Idee
weiterzudrehen." Um zu verhindern, dass ein Gründer bei der
erstbesten, vielleicht nahe liegenden Idee stehen bleibt, anstatt
weiterzudenken.
Innovativer Saftladen.
Mittlerweile hat Faltin selbst
reichlich Erfahrungen mit Gründungsideen gesammelt. Wie als
Ko-Gründer der RatioDrink AG, die reines Apfel- oder
Birnensaftkonzentrat beispielsweise in Bag-in-Box-Packungen
verkauft. Ein Teil zapfen, sieben Teile Leitungswasser dazu -
fertig ist der Saft ist bester Qualität. Und das biologisch,
leichter zu transportieren, länger haltbar und preiswerter als im
Supermarkt oder Bioladen. Denn die Order geht via Web,
Zwischenhandelsstufen entfallen. Natürlich arbeitsteilig
hergestellt, kombiniert der Saft aus der Big Box Komponenten, die
von jenen hergestellt werden, die es am besten können: Die
Gründer lassen extern abfüllen, sie versenden und verpacken, die
grafische Gestaltung ist zugeliefert, die Buchhaltung
outgesourct. Die RatioDrink AG fügt die verschiedenen Komponenten
zu einem Produkt zusammen.
Es geht dem Entrepreneurexperten um mehr als die Förderung
von Gründungskultur. Dahinter steht auch eine andere Vorstellung
von unternehmerischen Modellen, von Marktwirtschaft generell.
Eine Marktwirtschaft, die auf Marketing und Zwischenhandel so
weit wie möglich verzichtet, und daher ökonomischer und
ökologischer ticken kann. Faltin hat es mit seiner Teekampagne,
die er vor 20 Jahren ins Leben rief, vorgemacht: Er beschränkt
sich auf eine einzige Teesorte, den Darjeeling von den
Steilhängen des Himalajas. Er setzt auf den Direkteinkauf großer
Mengen und auf den Verkauf in Großpackungen. Der Käufer weiß, von
welchem Hang der Tee kommt. Das Projekt hat sich zum größten
Versandteehaus der Republik entwickelt, die 15 Mitarbeiter haben
allein im vergangenen Jahr 420.000 Kilo Tee verkauft.
Man freut sich, dass es auch anders geht.
Pause. Nach den ersten beiden
Projekten schreiten die Gäste im Labor für Entrepreneurship zu
Wein und Salzstangen, Tomaten und Mozzarella, Salami und
Weißbrot. Der Podcast-Gründer, der Professor und der Musiker
debattieren über die Anregungen aus der Diskussionsrunde. Die
FU-Gründungsförderin tauscht sich mit einem Junggründer aus.
André Winzer ist ein wenig aufgedreht. Seit zwei Jahren ist er
Unternehmer, seine Firma Schaltzeit setzt auf
Technologiescouting. Winzer und seine Mannen stöbern Trends und
vielversprechenden technischen Neuerungen nach, aus denen
Großunternehmen wie die Telekom neue Projekte stricken könnten.
Gleich wird er im Labor sein Geschäftsmodell vorstellen. Und sein
neues Projekt, ein virtuelles Konferenzzentrum.
Seit einem Jahr ist Schaltzeit profitabel. Ein schöner
Erfolg. Und doch ist Winzer gespannt auf die Anregungen der
Zuschauer im Labor. "Das bringt immer etwas", sagt der
28-Jährige, auch wenn er in puncto Marketing beispielsweise die
Dinge etwas anders sieht als Günter Faltin. "Das ist für uns
ebenso unverzichtbar, um bekannt zu werden, wie Networking."
Winzer ist Entrepreneur mit Leib und Seele. Er liebt es,
selbständig zu arbeiten. Am Frühstückstisch sitzen bleiben zu
können, wenn er Lust dazu hat. "Permanent befruchtet" zu werden
in einem Umfeld, das pulsiert vor Innovation. Ob es um die
Gründung einer neuen Kneipe geht oder um ein Gesellschaftsspiel
über Afrika, das er mit Kumpels gerade entwickelt hat, ob es um
das Non-Profit-Projekt Deutschlandpuls.de geht, einen Blog zum
Thema Wandel in der Republik, oder um den verrenteten
Deutschlektor aus Studienzeiten, dem er jüngst einen Arbeitsplatz
in seiner Firma angeboten hat, um andere Gedanken in sein
Unternehmen zu holen. Er liebt es, seine Arbeitsumgebung selbst
gestalten zu können. Letztes Jahr gab es einen Kicker, dieses
Jahr wird er einen Schlaf- und Entspannungsraum einrichten. So
lässt es sich leben. Und arbeiten. "Man freut sich täglich, dass
es auch anders geht", sagt André Winzer, stellt seinen Rotwein
ab, grinst und schreitet zu Günter Faltin ins
Scheinwerferlicht.
Anja Dilk ist Autorin und Korrespondentin für changeX.
© changeX [09.01.2008] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Anja DilkAnja Dilk ist Berliner Korrespondentin, Autorin und Redakteurin bei changeX.
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