Folge 5 der changeX-Serie über die neue Arbeitswelt.
Ein kurzer Rückblick: Damals, 1997, erkundeten Tsugio Makimoto und David Manners in ihrem Buch Digital Nomad die Potenziale des modernen Nomadentums. Der Siegeszug des Mobiltelefons, so die Autoren, sei nur der Anfang einer technischen Revolution, die den Menschen von den Fesseln des Standorts befreien und ihm erlauben würde, mit dem Büro in der Westentasche auf globale Wanderschaft zu gehen. "Das 21. Jahrhundert", so die beiden Technikvisionäre, "wird ein Zeitalter, in dem sich die Menschen aus ihrem 10.000 Jahre alten Dilemma lösen und sich frei zwischen Sesshaftigkeit und Nomadentum entscheiden können."
In den darauffolgenden Jahren sollte sich - zumindest auf technischer Ebene - bestätigen, was Makimoto und Manners vorausgesagt hatten. Handy und Computer schrumpften in Größe und Preis auf Mitnahmeformat, die Kommunikationskosten bewegten sich dank Flatrate und Skype gegen null, und bald gab es einen Großteil der Software als Open-Source-Angebot umsonst. Parallel dazu wurde die elektronische Infrastruktur immer leistungsfähiger, grenzenloser und vielfältiger. Nach der ersten großen Dotcom-Welle, die Firmen wie eBay, Google oder Amazon hervorgebracht hat, sind die Eintrittsbarrieren ins globale Netz so niedrig wie nie zuvor. Durch Web-2.0-Technologien wie Wikis oder Weblogs ist es mittlerweile kinderleicht und kostenlos, online zusammenzuarbeiten oder eigene Inhalte, Produkte und Services ins Netz zu stellen. Nach kaum einem Jahrzehnt digitaler Mobilmachung hat sich die technische Infrastruktur so entwickelt, wie es die Vordenker antizipiert haben: Jedermann kann mitmachen, jederzeit und von jedem Ort.
Massenhafter Aufbruch in Richtung Mobilität.
Allerdings sind globale Wanderer
wie Anthony Page bis heute noch exotische Ausnahmen - auch wenn
bislang niemand gezählt hat, wie groß der Clan der
Digital-Nomaden heute wirklich ist. Sollte das Nomadentum für die
meisten Menschen doch keine erstrebenswerte Option sein? Die
Antwort lautet ja und nein zugleich. Was nicht eingetroffen ist,
sind die ideologischen Cyber-Utopien der Techno-Anarchisten, die
den virtuellen Nomaden als Bezwinger des Kapitalismus verklärten.
Und ebenso wenig eingetroffen sind die Befürchtungen der
Apokalyptiker, eine kleine Elite bindungs- und skrupelloser High
Potentials auf der Suche nach Absahnmöglichkeiten würde das
Erdenrund durchstreifen, während der mittelmäßige Rest der Welt
an den Standort gefesselt, in Armut und Abhängigkeit vor sich
hindümpelt.
Was aber tatsächlich geschehen ist, gleicht sehr wohl einem
massenhaften Aufbruch in Richtung Mobilität. Auch wenn die
meisten Menschen physisch immer noch sesshaft sind, so hat sich
doch eine mentale und soziale Kultur der Beweglichkeit etabliert,
die bislang fest verankerte Strukturen heftig
durcheinanderwirbelt. Auf dem Nährboden der schwerelosen und
grenzenlosen Technologie ist eine neue Idee von Arbeit und Leben
gewachsen, die von ihrem Wesen her nomadisch ist: Sie ignoriert
die starren Begrenzungen des industriellen Denkens und Handelns,
befreit sich von den engen Rastern des herkömmlichen
Erwerbslebens und verzichtet auf die brüchigen Sicherheiten des
Normalarbeitsbürgers. Am deutlichsten verkörpert sich diese neue
Arbeitskultur in jener Generation, die im anbrechenden
Digitalzeitalter aufgewachsen ist und die der amerikanische
Internetvordenker Don Tapscott als Net Generation bezeichnet. Im
Gegensatz zu ihren Eltern, die als passive Medienkonsumenten groß
geworden sind, verstehen sich diese 20- bis 30-Jährigen als
aktive Mediengestalter. Das Web ist für sie ein natürlicher Ort
der Kommunikation und Interaktion, des Erforschens und des
Bewertens, der Zusammenarbeit und der Selbstpräsentation.
Entsprechend ihrer digitalen Sozialisation gründet die Net
Generation auch ihren Begriff von Arbeit auf Werte wie Freiheit,
Offenheit, Beweglichkeit, Gemeinschaft, Spiel und Authentizität.
Diese Altersgruppe, so Tapscott, will im Job vor allem neue Dinge
lernen, Spaß haben und etwas Bedeutsames tun, Verdienst kommt
erst an vierter Stelle. Loyal sind die Net Gens gegenüber ihren
Arbeitsinhalten und Teamkollegen, nicht aber gegenüber ihren
Arbeitgebern. Die dauerhafte Sesshaftigkeit in einer Firma ist
für sie offenbar nicht mehr erstrebenswert - im Durchschnitt hat
ein 27-jähriger Amerikaner bereits dreimal den Job gewechselt.
Statt geduldig auf ihre Beförderung zu warten, nehmen diese
jungen Leute ihre Laufbahn selbst in die Hand. Treibende Kräfte
dabei sind die persönliche Weiterentwicklung, die Entdeckung und
Ausbildung von unterschiedlichen Talenten und das Knüpfen
vielfältiger Beziehungsnetze. Diese nomadischen Laufbahnen
unterscheiden sich fundamental von den "Kaminkarrieren" der
Vergangenheit. Während die sesshafte Arbeitskultur Aufstieg als
Besetzen von immer höheren Posten definiert, erläuft sich der
Jobnomade immer neue Horizonte querfeldein und sieht sich dabei
weniger als einsamer Kämpfer um die raren Spitzenplätze, sondern
vielmehr als Teilhaber eines grenzenlosen Territoriums von
Möglichkeiten.
Jeder Dritte findet seinen Job furchtbar.
Nomadische Arbeitskultur ist aber
keineswegs nur ein Phänomen der Net Generation. Inzwischen haben
sich quer durch alle Alters-, Einkommens- und Bildungsschichten
Bewegungen formiert, die mobilmachen gegen den überkommenen
Arbeitsbegriff, gegen die betonierten Strukturen der Arbeitswelt,
gegen die starren Werte der Arbeitsgesellschaft und gegen die
fest gefügten Machtverhältnisse der alten Ökonomie, die für die
Mehrzahl der Menschen nur eine passive Statistenrolle vorgesehen
haben. Dass der typische Arbeitsplatz des Industriezeitalters -
das reguläre, abhängige und vollzeitige Anstellungsverhältnis -
im Schwinden begriffen ist, hat eben nicht nur damit zu tun, dass
Firmen Stellen abbauen oder verlagern. Sondern auch damit, dass
diese Stellen für immer weniger Menschen begehrenswert sind.
"Jeder Dritte findet seinen Job furchtbar", lautete das Ergebnis
einer aktuellen Umfrage des DGB, als Hauptgründe für die
Unzufriedenheit wurden fehlende Einfluss-, Qualifizierungs- und
Entwicklungsmöglichkeiten genannt. Andere Studien kommen zu
ähnlichen Ergebnissen, etwa die europaweite Befragung einer
Internet-Jobbörse, die feststellt, dass sich jeder Zweite
beruflich neu orientieren will - "je eher, desto besser". Und
auch der Gallup Engagement Index ergibt alle Jahre wieder das
gleiche Bild: Über 80 Prozent der Arbeitnehmer haben null Bock
auf ihren Job, "weil die Förderung der individuellen Entwicklung
zu kurz komme, es an Anerkennung und Lob für gute Arbeit mangele,
sie eine Tätigkeit ausübten, die ihnen nicht wirklich liege, sich
niemand im Unternehmen für sie als Mensch interessiere und ihre
Meinung kaum Gewicht habe".
Die Botschaft könnte klarer nicht sein: Arbeit bedeutet für
die meisten Menschen heute weitaus mehr als Broterwerb - wer
seine Arbeitskraft einbringt, verlangt im Gegenzug nicht nur
Geld, sondern Sinn, Respekt, Vertrauen, Herausforderung,
Mitsprache und Entfaltungsfreiräume. Dass es an diesen
immateriellen Vergütungen hinter den Bürofassaden gewaltig
mangelt, liegt offenbar daran, dass die Führungsriege nicht von
ihrem hoffnungslos verstaubten Arbeitnehmerbild lassen kann, das
Menschen zu Rädchen im Getriebe degradiert, die nur dann korrekt
laufen, wenn sie permanent kontrolliert, bevormundet und unter
Druck gesetzt werden. "Deutsche Unternehmen sind nach wie vor
sehr hierarchisch strukturiert, überbürokratisiert und die Arbeit
ist überreguliert", meinen auch die Forscher von Gallup. Umso
perfider, dass ausgerechnet diese sklerotischen und betonierten
Unternehmen ihren Mitarbeitern genau das abfordern, was sie
selbst so schmerzlich missen lassen: Beweglichkeit,
Veränderungswillen und Lernbereitschaft. Kein Wunder also, dass
immer mehr Menschen die unternehmerische Verantwortung für ihre
Arbeitskraft in die eigenen Hände nehmen und die Flucht aus dem
trostlosen Hamsterrad der Festanstellung antreten - viele bislang
nur in Gedanken, aber immer mehr auch in der Tat.
Biotop mit unzähligen Nischen.
Während die freie Wildbahn des
Erwerbslebens immer mehr Zulauf findet, wird nach wie vor heftig
darüber lamentiert, dass das abhängige, reguläre
Anstellungsverhältnis auf der Liste der aussterbenden Arten
steht. Und es wird viel zu selten gefragt, ob dieses Fossil aus
der fernen Epoche des Industriezeitalters überhaupt noch
erhaltenswert ist. Es wird auch nahezu ungefragt hingenommen,
dass das längst brüchige Modell der Vollzeit-Erwerbsarbeit nach
wie vor das Fundament unseres Sozial- und Besteuerungssystems,
unserer ökonomischen Gesamtrechnung und unserer Bildungspolitik
ist. Dabei hat Arbeit heute kaum mehr mit messbaren und
kontrollierbaren Leistungen zu tun, sie entzieht sich zunehmend
der Regulierung und Verwaltung, und sie ist längst nicht mehr das
Synonym für lebenslange materielle Absicherung. Dennoch zeigen
die Machtzentralen wenig Bereitschaft, ihre sesshafte Beziehung
zur Arbeit grundsätzlich zu überdenken: Immer noch wird
selbstverständlich davon ausgegangen, dass Arbeit festgehalten,
dirigiert und kontrolliert werden muss. Immer noch herrscht die
Überzeugung, dass Arbeit ohne Zwang und Abhängigkeiten nicht
freizusetzen ist und dass sie nur geleistet wird, wenn im
Gegenzug materielle Sicherheit versprochen wird. Immer noch
vereinnahmen Apparate wie Staat, Verbände, Organisationen alles,
was mit Arbeit zu tun hat - unter der selbstherrlichen Prämisse,
dass es ohne sie keine Arbeit gäbe.
Die Realität des digitalen Zeitalters sieht anders aus:
Niemals waren die Möglichkeiten für jeden Einzelnen, sich seine
Arbeit selbst zu schaffen und zu vermarkten, so groß wie heute.
Und auch die Bereitschaft dazu ist größer denn je. Weil immer
mehr Menschen die Schnauze voll von Dienst nach Vorschrift haben.
Weil sie erkennen, dass der Arbeitsmarkt keine mechanistische
Verteilerstation mehr ist, sondern ein lebendiges Biotop mit
unzähligen Nischen, die es zu entdecken gibt. Weil sie verstanden
haben, dass sie selbst die Eigentümer des wichtigsten
Produktionskapitals sind: ihres Wissens, ihrer Talente, ihrer
Ideen und ihrer Netzwerke. Und weil ihnen die neue, bewegliche
Idee von Arbeit viel besser passt als das starre Korsett des
sesshaften Arbeitsbegriffs.
Probieren, scheitern, wieder anfangen.
Nomadische Arbeit verwischt die
scharfen Grenzen der Erwerbsarbeit und umfasst die ganze Fülle
produktiver Tätigkeiten. Sie mischt aus Gestaltungslust,
Unternehmergeist, Lernen, Selbstentfaltung und Existenzsicherung
ein individuelles Geschäftsmodell, das je nach Bedarf neu
zusammengesetzt wird. Probieren, scheitern, wieder anfangen - die
neue Arbeitskultur setzt auf Improvisation und Spontaneität und
befreit vom Zwang der linearen Lebensplanung. Nomadische Arbeit
ist auch nicht das, wo man hingeht, sondern das, was man ist. Und
das, was man tut - aus sich selbst heraus. Diese Tätigkeit setzt
sich von allein frei, sie braucht weder Zuckerbrot noch Peitsche.
Und meistens macht sie sogar richtig Spaß. Nomadische Arbeit ist
authentisch, sie verschmilzt die Antagonisten des
Industriezeitalters, Leben und Arbeiten, zu einer untrennbaren
Einheit. Und sie ersetzt das ultimative Entweder-oder durch ein
offenes Sowohl-als-auch. Der nomadischen Idee von Arbeit ist
Gleichzeitigkeit vertrauter als Ausschluss, Beweglichkeit
vertrauter als Stabilität, Vielfalt vertrauter als Uniformität.
Damit erweist sie sich als adäquate Lebensausstattung für eine
Zeit der permanenten Veränderungen, der ständigen Ungewissheiten
und der unendlichen Wahlmöglichkeiten.
Wohl wahr, dass die nomadische Arbeitskultur unbequemer,
riskanter und abenteuerlicher ist als die sesshafte. Dafür birgt
sie aber die immense Chance, jeden, der willens ist, aktiv und
nach eigenen Spielregeln am Marktgeschehen teilhaben zu lassen.
Von dort ist es dann nicht mehr weit zu der längst anstehenden
Transformation der Arbeitswelt: weg von der quantitativen,
normativen und formalen Logik des Industriezeitalters und hin zu
einer lockeren, individuellen, fantasievollen
Tätigkeitslandschaft, in der die Menschen wieder Hauptakteure
sind. Die Anziehungskraft dieser nomadischen Arbeitswelt ist
stark, ihre technische Infrastruktur steht bereit und ihre
Fundamente können Zukunft tragen.
Gundula Englisch, Journalistin und Filmemacherin, arbeitet als freie Redakteurin für changeX.
Mit einer Illustration von Limo Lechner.
© changeX [29.11.2007] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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