Nicht nur Arbeit, aber auch
In Erwerbsnischen im Internet wächst eine andere Arbeitskultur - eine Reportage von Gundula Englisch.
Folge 6 der changeX-Serie über die neue Arbeitswelt.
Für Tausende Deutsche ist das Internet die Haupterwerbsquelle geworden. Nicht angestellt bei einem großen Web-Unternehmen. Sondern mit eigenen Online-Shops. Ulrike Kalb zum Beispiel, die ihren uk-Werkzeugshop zu einem veritablen Familienbetrieb ausgebaut hat. Oder Oma Schmidt, die mit ihrem Enkel einen Online-Laden für Häkelwaren unterhält. Oder Johann Ehmann, der künstlerisch gestaltete Ultraschallaufnahmen werdender Kinder vertreibt. Ihre Nischengeschäfte sind Erwerbsarbeit: dazu da, Umsatz und Einkommen zu erbringen. Aber eben nicht nur und nicht ausschließlich. Dahinter steht der Wunsch nach Selbständigkeit, Selbstentfaltung und Selbstbestätigung. / 13.12.07
"Das bin ich. Besuchen Sie uns auf unserer Seite!" So wirbt Ulrike Kalb für ihren Onlineshop. Die eBay-Unternehmerin des Jahres 2006 hält die Spitzenposition unter den deutschen Powersellern.
Power ist das passende Attribut für eine wie Ulrike Kalb. Nicht nur, dass die 26-Jährige als eBay-Unternehmerin des Jahres die Spitzenposition der deutschen Powerseller hält. Auch die Laufbahn der jungen Frau aus Dingolfing zeugt von Energie pur. Nach drei abgeschlossenen Lehren - Kosmetikerin, Hotelberufsfachschule und Steuerfachgehilfin - stellt sie vor vier Jahren nebenher ein paar kleine Lkw-Sammler-Modelle ins Netz und merkt schnell, dass da was geht. Es folgen einige erfolgreiche Auktionen mit Ladenhütern aus dem väterlichen Werkzeug-Großhandel, und rasch läuft das Geschäft so gut, dass Ulrike Kalb Waren nachkaufen muss. Nach nur drei Monaten gibt die eBay-Einsteigerin ihren festen Job auf, weil sie von den Einnahmen aus ihrem uk-Werkzeugshop leben kann. Heute erwirtschaftet ihr Online-Handel mit Kettensägen, Bohrhämmern und Luftentfeuchtern Monatsumsätze im oberen fünfstelligen Bereich, ernährt neben ihr und ihrer Familie weitere vier Mitarbeiter - und beschert der Powersellerin eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 60 Stunden. "Kein Problem, ich bin nicht der Typ für Urlaub", meint Ulrike Kalb. "Die Freiheit, mein eigener Chef zu sein, ist mir wichtiger. Außerdem liegt mir das Unternehmertum wohl irgendwie im Blut, schließlich bin ich als Kind von Geschäftsleuten aufgewachsen." Solide Kaufmannsprinzipien sind für die Jungunternehmerin denn auch oberstes Gebot. Von Anfang an hat sie ihre Gewinne konsequent ins Geschäft zurückinvestiert, und etwas auf Pump zu kaufen kommt für sie nicht in Frage. Um die Spielregeln des Online-Handels besser zu verstehen und ihre Geschäftspartner besser kennenzulernen, besucht Ulrike Kalb regelmäßig Workshops für eBay-Verkäufer. Um über die Technik ihrer Produkte besser Bescheid zu wissen, lässt sie sich intensiv von den Herstellern schulen. Und um ihre Kunden besser bedienen zu können, kümmert sie sich persönlich um deren Wünsche und Anfragen. Ulrike Kalb ist ein virtueller Entrepreneur par excellence, passt aber dennoch nicht ins Bild der klassischen Existenzgründerin: Ihr Online-Shop entstand ohne Startkapital, ohne angemietete Büroräume, ohne Marktanalyse und ohne Businessplan. Und überhaupt kam ihre Selbständigkeit völlig ungeplant, sagt sie: "Ich bin da einfach reingerutscht."

Zwischen Privatvergnügen und Erwerbsarbeit.


Nicht jeder rutscht so erfolgreich wie Ulrike Kalb in den Online-Handel, aber für immer mehr Menschen sind virtuelle Marktplätze wie eBay ein Sprungbrett in die Selbständigkeit. Schätzungen zufolge leben mittlerweile etwa 64.000 Deutsche hauptberuflich von und mit eBay, in Europa sollen es 170.000 sein, in den USA sogar mehr als 700.000. Zuzüglich der Online-Händler, die sich mit ihren Auktionen ein zweites Einkommensstandbein geschaffen haben, dürften sich diese Zahlen noch mal verdoppeln. Dass die Erwerbsquelle Online-Handel so beliebt ist, wundert nicht, denn in kaum einem Business sind die Eintrittsbarrieren niedriger. Jeder, der einen Computer mit Netzzugang und etwas zu verticken hat, kann mitmachen, und nicht wenige eBay-Karrieren starten mit ein paar Sachen aus der Kruschelkiste. Ob aus den Auktionen dann auch wirklich ein existenzsicherndes Geschäft wird, ergibt sich - wie bei Ulrike Kalb - dann oft eher zufällig. Aber gerade diese Unverbindlichkeit, diese fließenden Übergänge zwischen Privatvergnügen und Erwerbsarbeit scheinen den besonderen Reiz des Online-Handels auszumachen. Im Gegensatz zu fast allen anderen Existenzgründungsarten kostet Ausprobieren dort so gut wie nichts. Und lästige Formalitäten wie Gewerbeanmeldung, Geschäftskontoeröffnung oder Buchführung fallen erst an, wenn sich das spielerische Verkaufsexperiment zur ernsthaften Einkommensquelle mausert. Dazu kommt, dass rund um die virtuellen Marktplätze mittlerweile ein weit verzweigtes Dienstleistungsnetzwerk entstanden ist, das den Online-Verkäufern kostengünstig und maßgeschneidert Rat und Hilfe anbietet - von der Schulung über Versanddienste oder Rechtsberatung bis hin zu spezialisierten Marketingagenturen. Auch dieses neue Service-Biotop ist fruchtbarer Nährboden für allerlei Existenzgründungen und Zusatzverdienste. Während sich immer mehr Menschen ihre Arbeitsplätze auf den virtuellen Marktplätzen selbst schaffen, ist der Hype um eBay längst verebbt.
Die Zahl der Nutzer ist ebenso gesunken wie der Aktienkurs, das charmante Flohmarktimage der Gründertage ist einer Armada von Profi-Händlern gewichen, und die Tage des Monopols sind für immer vorbei. Wer keine Lust mehr auf "drei, zwei, eins - meins" hat, kann mit seiner Handelsware auf andere Internet-Marktplätze wie Amazon, Hood oder Auvito überwechseln - oder gleich einen eigenen Online-Shop aufmachen. Die softwaretechnischen Lösungen dafür sind heute für jedermann erschwinglich, außerdem steigt durch die blühende Empfehlungs- und Community-Kultur die Chance, dass Käufer und Verkäufer im Dickicht des Webs zueinanderfinden. Noch werden hierzulande etwa 35 Prozent des Online-Handels über eBay abgewickelt. Offenbar ist das astronomische Käuferpotenzial von weltweit über 200 Millionen Nutzern nach wie vor ein guter Grund, dort zu bleiben - erst recht, wenn man sich über Monate oder Jahre harter Arbeit ein lupenreines Bewertungsprofil zugelegt hat. Trotzdem stehen die Zeichen in der Welt des Online-Handels auf Veränderung. Denn auch hier gilt, was seit einiger Zeit überall im Web zu beobachten ist: Weniger die großen Firmen prägen das Geschehen als vielmehr die vielfältigen Bedürfnisse und Vorlieben der Nutzer.

Maschen-Plattform der Häkel-Omas.


Die Oma strickt, der Enkel betreibt den Webshop: Als intergenerationelle Entrepreneure betreiben Manfred Schmidt und Theresia Schmidt Online-Shop OmaSchmidtsMasche.de.
Kann sich irgendjemand vorstellen, dass es einen signifikanten Markt für gehäkelte Klopapierhüte oder gestrickte Brezeltaschen gibt? Nein? Irrtum! Solche skurrilen Handarbeiten finden bei OmaSchmidtsMasche.de so viele Abnehmer, dass nicht nur Theresia Schmidt, sondern bis zu 20 weitere Seniorinnen die Nadeln für ihre Kunden fliegen lassen. "Eigentlich wollte ich nur die unkontrollierte Häkelei meiner Oma in geordnete kreative Bahnen lenken", meint Enkel Manfred Schmidt, der den Webshop Anfang 2006 ins Leben gerufen hat. "Mir ging es von Anfang an nicht darum, irgendetwas zu verschachern, sondern eher um den Spaß und das Gefühl, mit Herz dabei zu sein." Der Wunsch, sich gegenseitig zu helfen und das Miteinander zu pflegen, hat auch das Konzept der Maschen-Plattform geprägt: Der 34-jährige Stuttgarter kümmert sich um Internetseite, Marketing und Vertrieb, die 79-jährige Großmama fertigt ihre Maschen-Unikate nach eigenem Entwurf oder im Kundenauftrag, und jede ambitionierte Häkel-Oma ist eingeladen, mitzumachen und sich die Rente aufzubessern. Großmütterlich kommen die Wollsachen von Oma Schmidts Masche indessen nicht daher: Silberne Handytäschchen, apfelbestickte Strickhüllen für den iPod, Digicam-Taschen in Trendfarben, maßgestrickte Golfschlägermützen mit Bommel, und selbst die Klopapierrollen (im Preis inklusive!) tragen flippige Outfits. "Das Besondere an unserer Maschenware ist, dass sie keine Massenware ist", meint Manfred Schmidt, der hauptberuflich als Architekt arbeitet. "Ins Sortiment kommen nur Einzelstücke, die mit Liebe und Herzblut hergestellt werden. Und gerade dieser persönliche Aspekt kommt bei den Kunden gut an."
Maschen-Unikate in Trendfarben gibt es in Oma Schmidts Maschen-Shop.
Die Melange aus modernem Design, originellen Ideen und alten Handarbeitstechniken macht nicht nur den speziellen Charme von Oma Schmidts Sortiment aus, sondern liegt auch noch voll im Trend. Während in der realen Warenwelt immer mehr vom immer Gleichen angeboten wird, boomt in den virtuellen Shops das Individuelle, Handgemachte, Einzigartige. Als erste Plattform für kreative Heimwerker ging die amerikanische Self-made-Website Etsy.com vor zwei Jahren online, mittlerweile vereint sie die Shops von mehr als 100.000 kreativen Handwerkern unter einem Dach. Das deutsche Pendant dazu, Dawanda.de, steht seit Ende 2006 im Netz und zählt inzwischen 6.000 registrierte Nutzer und 60.000 Artikel: Geschneidertes, Gefilztes, Gestricktes, Geschreinertes, Gemeißeltes, Gemaltes - eine bizarre Mischung aus Kuriositäten, Kunst und Kitsch, jedes Stück anders und alles von Hand gemacht. Bei diesen sogenannten Social-Commerce-Angeboten wie Etsy oder Dawanda geht es aber nicht nur um originelle Handarbeit jenseits der grauen Masse, sondern auch um Gemeinschaftsgefühl und Austausch. Es ist zum Beispiel üblich, dass die Verkäufer sich und ihr Talent persönlich vorstellen. So ist jedes Produkt nicht nur mit einem Preis und einer Beschreibung etikettiert, sondern auch mit einem Gesicht und einer Geschichte. Zum Beispiel die Story von Ultraschall-Babys.de.

Ultraschall-Babys boomen im Netz.


Kurz vor Weihnachten 2004 sucht Johann Ehmann verzweifelt ein Geschenk für seine Frau, die mit Zwillingen schwanger ist. Er bittet einen befreundeten Künstler, sich etwas Tolles, Buntes einfallen zu lassen und das Kunstwerk ist pünktlich zum Fest fertig: Ein Ultraschallbild der Zwillinge - nach Andy-Warhol-Manier farbig verfremdet und auf großformatige Leinwände gedruckt. Ehmanns Frau ist anfangs nicht so recht begeistert, wohl aber einige Kunden, die zufällig im Atelier des Künstlers auf die Probedrucke aufmerksam werden. Also beschließt Ehmann, das Kunstkonzept auf Dawanda.de zu stellen. Parallel dazu entwickelt er einen eigenen Webshop, bei dem werdende Eltern ihr persönliches Ultraschall-Baby-Kunstwerk ordern können - je nach Große für 29 bis 59 Euro. Inzwischen wird das Angebot so gut angenommen, dass Ehmann eine Mitarbeiterin eingestellt hat. "Wir hätten nicht gedacht, dass daraus mal ein eigenes Unternehmen wird", meint der Münchner, der nun drei berufliche Standbeine hat. Hauptberuflich arbeitet er bei einer Agentur für Handels- und Eventmarketing, daneben verkauft er ein selbst entworfenes Designer-Regalsystem. Und nun auch noch das Geschäft mit den Ultraschallbildern, für das er 30 Prozent seiner Arbeitszeit abzweigt. Von der Idee, den Bilderservice auch im stationären Handel anzubieten, ist Ehmann indes schnell wieder abgekommen: "Zu zeitintensiv und zu geringe Gewinnmargen. Dann müssten wir teuerer werden und das wollen wir nicht." Besonders aber schätzt der junge Vater die zeitliche und räumliche Unabhängigkeit des Online-Handels, dank der es ihm einigermaßen gut gelingt, seine drei Jobs unter einen Hut zu bringen und mit dem Familienleben auszubalancieren.

Vater der Ultraschall-Babys: Johann Ehmann vertreibt in seinem Web-Shop künstlerisch gestaltete Ultraschallaufnahmen werdender Kinder.
Diese Freiheit, jederzeit zwischen Arbeit und Privatem, zwischen Selbstverwirklichung und geschäftlichen Notwendigkeiten, zwischen Spaß und Ernst hin und her zu pendeln, ist einer der großen Vorteile des virtuellen Händler-Daseins, zugleich aber auch eine echte Herausforderung. Auf der einen Seite kann man sich die Arbeit selbst einteilen, auf der anderen Seite ist aber auch immer Arbeit da. Mit einer originellen Idee und Webzugang alleine ist es eben nicht getan - besonders wenn aus dem Geschäft eine tragfähige Existenz werden soll. Neben den üblichen Aufgaben wie Verkaufsabwicklung und Versand müssen Online-Händler ihre Waren ansprechend präsentieren, die gängigen Bezahlsysteme beherrschen, mit Herstellern oder Zulieferern verhandeln, sich um logistische Angelegenheiten kümmern, mit ihren Kunden im Gespräch bleiben und neue Kunden akquirieren, Entscheidungen zur Preispolitik treffen, Marketingmaßnahmen entwickeln und Trends aufspüren. Dazu kommt, dass der virtuelle Marktplatz rund um die Uhr und sieben Tage in der Woche geöffnet ist. Und dass die Käufer im Web noch größeren Wert auf Schnelligkeit, Zuverlässigkeit, Kulanz und Vertrauen legen als im realen Handel.

Nicht ohne meine Familie.


"Ohne meine Familie wäre dieser Job nicht zu bewältigen", sagt dann auch die Powersellerin Ulrike Kalb und bringt auf den Punkt, was für viele Webhändler gilt: Sie sind keine Einzelkämpfer, sondern arbeiten eng mit vertrauten Mithelfern zusammen - Partner, Eltern, Kinder, Verwandte, Kollegen, Freunde. Dabei ist dieses unterstützende Netzwerk oft auch räumlich weit verzweigt. Ulrike Kalb etwa arbeitet im bayerischen Dingolfing, die Lagerhalle für ihre Baumaschinen befindet sich auf dem Hof des Bruders in der Nähe von Bad Hersfeld und ihre mithelfenden Eltern leben ebenfalls in Hessen. Dass hinter ihrem Online-Werkzeugshop ein eingespielter Familienbetrieb wirkt, betrachtet die Jungunternehmerin übrigens als Hauptgrund für ihren außergewöhnlichen Erfolg: "Wir können schnell reagieren, sind immer einsatzbereit und halten zusammen. Mein Vater ist der große Berater im Hintergrund, der sich in der Werkzeugbranche auskennt. Und meine Mutter ist das fleißige Bienchen, das überall hilft, wo Arbeit anfällt." Als Ulrike Kalb mit dem Online-Handel angefangen hat, wussten ihre Eltern "noch nicht einmal, wie man einen Computer startet". Mittlerweile aber hat sich ihre Mutter alles rund um PC, Internet und eBay selbst beigebracht - mit Ende 40 und aus dem Stand heraus.
Ganz so weit ist Häkel-Oma Schmidt noch nicht, aber ihr Enkel will sie bald am Rechner einweisen. "Da geht es weniger darum, dass sie den Online-Handel versteht - das tut sie ohnehin bereits -, sondern eher darum, dass sie sich mit den anderen austauschen kann", meint Manfred Schmidt. Er selbst betrachtet seine virtuelle Geschäftstätigkeit als permanentes Learning by Doing. Das Betriebswirtschaftliche hat er sich angeeignet, das Gespür für die richtigen Marketingideen kam mit der Zeit und die Präsentation der Handarbeiten wird laufend optimiert. Minutiöse Planung oder strenge Konzepte allerdings sind Schmidts Sache nicht. Lieber experimentiert er mit verschiedenen Ideen und Aktionen und schärft seinen Blick für den Bedarf durch Beobachtungen und Begegnungen: "Seit ich mit diesem Webshop begonnen habe, gehe ich mit anderen Augen durch die Welt - nicht nur was den Markt, sondern auch was den Austausch zwischen Jung und Alt betrifft." Deshalb hat Schmidt kurz nach der Gründung von Oma Schmidts Masche begonnen, aktiv in einem Stuttgarter Mehr-Generationenhaus mitzuarbeiten, demnächst will er dort Computerkurse für Senioren anbieten. Die Begegnung von Alt und Jung betrachtet er auch als den tieferen Sinn seines Unternehmens: "Ich möchte damit bewirken, dass die Senioren die junge Welt kennenlernen, und umgekehrt, dass sich die Generationen wieder mehr verbinden und dass das gesellschaftliche Leben wieder mehr ins Gleichgewicht rückt."

Entwicklungslabor für Talente, Ideen und Beziehungen.


Dieser Wunsch, mit dem eigenen Business mehr zu bewegen als einfach nur Waren gegen Geld, schwingt auch bei Johann Ehmann mit. Seit der Gründung von Ultraschall-Babys.de spendet er einen Teil der Einnahmen für karitative Zwecke: "Ich finde es wichtig, etwas Gutes zu tun. Dieses Geschäft rein kommerziell zu betreiben ist mir einfach zu kalt. Schließlich bieten wir ein sehr persönliches und liebevoll gemachtes Produkt an." Das ist auch der Grund, warum er dem Wachstum seines Unternehmens mit gemischten Gefühlen gegenübersteht. Auf der einen Seite, so Ehmann, würde er sich über den richtig großen Erfolg freuen. Auf der anderen Seite aber würde es gar nicht zum familiären Flair von Ultraschall-Babys.de passen, wenn sich das Geschäft zum Big Business entwickeln sollte.
Ähnlich vorsichtig betrachtet Ulrike Kalb die Expansion ihres Webshops: "Mehr Wachstum, das bedeutet mehr Artikel, mehr Angestellte und weniger Beweglichkeit." Statt einfach nur größer zu werden, möchte sie ihren Markt lieber geschickt verbreitern, etwa indem sie sich stärker auf das Auktionsgeschäft konzentriert und den Warenversand auslagert. Ihr wichtigstes Wachstumsziel betrifft ohnehin weniger den eigenen Umsatz als vielmehr die Zufriedenheit ihrer Kunden. "35.000 positive Bewertungspunkte bei eBay - das ist es, worauf ich hinarbeite."
Auch Manfred Schmidts Wachstumsvisionen zielen eher auf den immateriellen Zugewinn. Demnächst will er zwar einen Laden in Stuttgart eröffnen, gleichzeitig aber schiebt er weitere Generationenprojekte an und baut den Online-Shop weiter aus. Neben den Häkel-Omas können künftig auch Werkel-Opas mitmachen und irgendwann in der Zukunft soll OmaSchmidtsMasche.de der zentrale Marktplatz im Web sein, wo Senioren ihre Kreativtalente anbieten - "aber nicht als reiner Online-Handelsplatz, sondern auch als Kommunikationsplattform. Die Senioren sollen erfahren, dass ihre Arbeit einen Wert hat, dass ihre Fähigkeiten gefragt sind und dass sie darüber generationenübergreifend ins Gespräch kommen können."
Vielleicht ist genau das die Quintessenz der neuen Qualität des Online-Handels: Der virtuelle Marktplatz ist ein ideales Entwicklungslabor für Talente, Ideen und Beziehungen - offen für jedermann, für jedes Produkt, für jedes Geschäftsmodell, für jeden Geldbeutel, jeden Bildungsstand und jede Lebenslage. Innerhalb weniger Jahre hat sich im Internet ein Handelsplatz etabliert, der anders tickt als die Massenwarenwelt - vielfältiger, lockerer, persönlicher, menschlicher. Nicht immer, aber immer öfter betrachten Gründer ihren Webshop nicht als seelenlosen Vertriebskanal, sondern als lebendigen Tausch- und Umschlagplatz für Fähigkeiten und Fertigkeiten, Kommunikation und Kreativität, Leidenschaften und Wertvorstellungen. Nicht immer, aber immer öfter geht es nicht einfach nur darum, etwas über das Internet zu verkaufen, sondern es anders zu verkaufen: vertrauensvoll, glaubwürdig, warm und individuell. Und nicht immer, aber immer öfter spielt auf dem virtuellen Marktplatz neben dem materiellen auch der immaterielle Zugewinn eine gewichtige Rolle, ganz gleich, ob er sich in Form von Selbstentfaltung, Selbstbestätigung, Dienst an der Gemeinschaft oder schlicht nur als Spaß an der Freud auszahlt. Dennoch ist das, was Web-Shop-Betreiber wie Ulrike Kalb, Johann Ehmann oder Manfred Schmidt tun, Geschäft. Es ist Erwerbsarbeit, die dazu da ist, Umsatz und Einkommen zu erbringen - aber eben nicht nur und nicht ausschließlich. An diesen Nischengeschäften zeigt sich der Charakter der gewandelten Erwerbsarbeit besonders klar: Sie ist vielfältig, selbstbestimmt und alles andere als eindimensional. Nicht nur Arbeit, aber auch.

Gundula Englisch, Journalistin, Autorin und Filmemacherin, arbeitet als freie Redakteurin für changeX.

http://stores.ebay.de/UK-Werkzeugshop
www.omaschmidtsmasche.de
www.ultraschall-babys.de

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