Verborgen blieb ihm jedoch ein anderer Zusammenhang: Es waren gerade die durchsetzungsfähigen, energischen Mütter, die den Weg in seine Praxis fanden und dafür lange und beschwerliche Reisen oftmals quer durch die USA auf sich nahmen - nicht die Hausmütter, die ihre seltsamen Kinder vor den Nachbarn versteckten. Diese kamen nicht in die Praxis und fielen demzufolge durch das Raster. Ein klassisches Beispiel für eine wissenschaftliche Fehlinterpretation - aber auch dafür, wie Vorurteile Forschungsergebnisse beeinflussen können. Und nicht zuletzt ein Beispiel für ein hartnäckiges Vorurteil, mit dem sich berufstätige Mütter immer noch konfrontiert sehen: eine Rabenmutter zu sein.
Erfreulich klare Absage.
Dieses Beispiel erzählen Barbara
Bierach und Heiner Thorborg in ihrem neuen Buch, das scheinbar
einem ganz anderen Thema gewidmet ist: dem Mangel an weiblichen
Führungskräften in den Vorstandsetagen deutscher
Wirtschaftsunternehmen. "Von den deutschen Frauen ist in den
Schaltzentralen der Wirtschaft nach wie vor nicht viel zu sehen",
lautet das ernüchternde Fazit der Autoren.
Oben ohne lautet der Titel, und der zeigt an, dass dieses
Thema eine gewisse Mehrdeutigkeit besitzt.
Fakt ist: Unter den Vorständen der 30 im DAX notierten
Unternehmen ist nur eine einzige Frau zu finden. Und nur jeder
zehnte Chef im mittleren Management ist eine Frau. Obwohl
mittlerweile 47 Prozent der abhängig Beschäftigten in Deutschland
weiblich sind, gehören die Entscheidungsträger "in einer
erdrückenden Mehrheit" dem anderen Geschlecht an. Die Frage ist
nur, wie diese erdrückende Bilanz zu interpretieren und wie sie
zu werten ist. Im öffentlichen Interpretationsbemühen ist die
Diskriminierungsthese schnell bei der Hand: Weil Frauen nicht die
gleichen Chancen haben wie ihre männlichen Kollegen, schaffen sie
nicht den Aufstieg in die Toppositionen, lautet das
Standardargument.
Die Frage der Wertung führt mitten in die aktuelle Debatte:
Denn seit sich mit Heim-an-den-Herd-Phrasen Auflagenrenner
produzieren lassen, steht die Berufstätigkeit von Frauen
gesellschaftlich wieder zur Disposition. Und mit der beginnenden
Renaissance des Glaubens könnte sich das Dreigestirn Kinder,
Küche, Kirche wieder in den Zenit der weiblichen Lebensbestimmung
schieben. Beidem, der herrschenden Interpretation des weiblichen
Führungskräftemangels wie dem wertkonservativen Versuch, die
Emanzipationsschraube zurückzudrehen, erteilen Bierach und
Thorborg eine erfreulich klare Absage.
Unternehmen suchen händeringend nach Frauen.
Auf die Eva-Frage, warum Frauen
denn überhaupt arbeiten respektive in Führungspositionen
aufsteigen sollten, geben die Autoren eine eindeutige,
ökonomische Antwort: Weil es wirtschaftlich notwendig ist. Wer
die weibliche Hälfte der Kunden ansprechen will, braucht
weiblichen Esprit in den Führungspositionen. Zweitens stellen
Frauen die Hälfte des Kompetenzpools gut ausgebildeter
Nachwuchskräfte, aus dem die Wirtschaft schöpfen kann.
Unternehmen können es sich schlichtweg nicht leisten, dieses
Potenzial zu ignorieren. Und deshalb suchen sie bereits heute
"händeringend nach Frauen", wie der Personalberater und Co-Autor
Heiner Thorborg in seinem Vorwort schreibt.
Fragt sich nur, warum sich dann so wenige Frauen in
Toppositionen finden? Das wiederum ist ein deutsches Phänomen -
überall im Ausland gibt es mehr weibliche Führungskräfte als
hierzulande. Während in Deutschland der Frauenanteil im mittleren
Management gerade mal zehn Prozent beträgt, sind es bei unseren
europäischen Nachbarn 30 und in den USA sogar 50 Prozent - zu
allem Überfluss bei höheren Geburtenraten! Die Frage ist also
anders zu stellen: "Warum gibt es inzwischen sogar hinter dem
Ural mehr weibliche Chefs als bei uns?" Wenn Deutschland in
Männerhand verharrt, dann liegt das offensichtlich nicht so sehr
an der ungleichen Chancenverteilung, sondern in erster Linie am
tradierten Frauenbild. "Überall da, wo Frauen keinen Widerspruch
zwischen ihrem Geschlecht und Topkarrieren sehen, finden diese
auch statt."
Mütterkult als Wachstumsbremse.
Verantwortlich für den deutschen
Sonderweg ist ein kulturelles Phänomen: "Es geht um das ganz tief
in der deutschen Volksseele verankerte Bild, was im Leben einer
Frau wichtig ist, was in ihrem Dasein Glück bedeutet, und vor
allem geht es um die 'adäquate' Rolle der Frau." Immer noch ist
eine Mehrheit der Bevölkerung der Meinung, dass Karriere und
Kinder nicht zusammenpassten, dass eine Fremdbetreuung den
Kinderseelen schade und Ganztagsschulen die Familien zerstörten.
Dass Frauen eigentlich zu Heim, Herd und Kindern gehörten.
Verantwortlich ist jener von den Nationalsozialisten nicht
erfundene, aber ebenso erfolg- wie folgenreich okkupierte
Muttermythos, der im kulturellen Substrat der Gesellschaft
hartnäckig weiterlebt. Jenes archaische Frauenbild, das als
"Eva-Prinzip" gerade Verkaufserfolge feiert. Bierach und Thorborg
analysieren den Mütterkult und seine Folgen ebenso klar wie den
verbreiteten Karriereunwillen vieler Frauen, die sich nach dem
ersten Kind lieber dem Rollenklischee ergeben, als sich eine
Rabenmutter schimpfen zu lassen.
Ihr Argument ist glasklar: Der Mütterkult wird zur
Wachstumsbremse. Denn dieses kulturell verankerte Rollenbild
spiegelt sich in dem Angebot an Betreuungseinrichtungen und
Hilfestellungen, die Staat und Wirtschaft Frauen anbieten, die
Beruf und Kinder unter einen Hut bringen möchten: Das Angebot ist
mau, eben weil das tradierte Rollenbild Kinder und Haushalt als
primären Frauenjob definiert. Und weil es mau ist, bleibt
rollenkonformes Verhalten der einfachere, der bequemere Weg. Wer
das ändern will, der muss an beiden Seiten anpacken: an den
Angeboten und Rahmenbedingungen wie am Rollenbild.
Zwei Seiten der Spirale.
Die "notwendige Spirale", die nicht
nur Frauen berufliche Chancen verschafft, sondern auch der
Gesellschaft Kinder, sieht so aus: "Erst wenn die
Betreuungseinrichtungen (und später auch die Ganztagsschulen)
flächendeckend so gut sind, dass die Mütter sich nicht zu sorgen
brauchen, bleibt eine kritische Masse auch nach der Geburt des
ersten Kindes berufstätig. Erst wenn eine kritische Masse
berufstätig bleibt, ändert sich das Klima in der Gesellschaft und
in den Unternehmen. Erst wenn sich das Klima ändert, wird es
vielen Frauen leichter fallen, im Unternehmen zu bleiben. Erst
wenn mehr Frauen trotz Kindern im Betrieb bleiben, wird der Pool
an vorhandenem Talent größer, aus dem Personalchefs
Führungskräfte rekrutieren." Und dann werden sich auch Frauen
entscheiden, mitzureden und mitzugestalten. "So entstehen am Ende
weibliche Chefs und auch die bislang so vermissten weiblichen
Rollenmodelle."
Betreuungsstätten und Ganztagsschulen sind nur zwei von
mehreren Stellhebeln, mit denen sich die Situation berufstätiger
Mütter entscheidend verbessern lässt - unsere europäischen
Nachbarländer beweisen es. Neben die politisch anzustoßenden
Veränderungen tritt ein Wandel in den Unternehmen - und den
anzustoßen ist Sache des Topmanagements, so Bierach und Thorborg:
Den Unternehmensführern muss klar werden, dass auf die Wirtschaft
dramatische Probleme zukommen, wenn es nicht gelingt, Frauen in
Toppositionen zu bringen. "Die Unternehmen müssen begreifen, was
ihnen blüht, wenn sie weiterhin auf die Hälfte des
Führungspotenzials verzichten." Der Weg dahin führt letztlich
über eine Veränderung der Arbeitskultur in den Unternehmen.
Prägnant zeigt das Buch auf, wie sich für Frauen der Weg in die
Toppositionen der Wirtschaft ebnen lässt.
Wer Veränderungen will, muss sie selbst vorantreiben.
Dennoch funktioniert die Spirale auch vom anderen Ende her: Indem Frauen sich für Karriere und Kinder entscheiden, bringen sie Veränderungen selbst voran, anstatt nur darauf zu warten. Dass es funktioniert, dafür sind die 18 Topmanagerinnen, die im Buch vorgestellt werden, lebender Beweis. "Wer Veränderungen will, muss sie selbst vorantreiben", schreibt das Autorenduo am Ende. "Denn mal im Ernst: Wer soll die Frauen in Wirtschaft und Gesellschaft repräsentieren, wenn nicht die Frauen selbst?"
Barbara Bierach / Heiner Thorborg:
Oben ohne.
Warum es keine Frauen in unseren Chefetagen gibt,
Econ Verlag, Berlin 2006,
251 Seiten, 18 Euro,
ISBN 3-430-30002-9
www.econ.de
Winfried Kretschmer ist leitender Redakteur und Co-Geschäftsführer bei changeX.
© changeX Partnerforum [05.10.2006] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
changeX 05.10.2006. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Barbara Bierach / Heiner Thorborg: Oben ohne. . Warum es keine Frauen in unseren Chefetagen gibt. . Econ Verlag, Berlin 1900, 251 Seiten, ISBN 3-430-30002-9
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Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.