Gefühlsformeln
Viele unserer Lebenssituationen könnten wir besser meistern, wären wir uns der mitschwingenden Emotionen besser bewusst. Ein Ansatz zur Selbsterkenntnis ist, diese Gefühlszustände mithilfe mathematischer Formeln darzustellen. Banal? Mitnichten!
Sie färben unsere Sicht der Dinge, sie beeinflussen unsere Entscheidungen - und manche Menschen fühlen sich permanent von ihnen überschwemmt: Gefühle. Schön wär’s manchmal, wenn wir sie besser verstehen würden. Und die gewonnenen Erkenntnisse klug nutzen könnten. Doch was Gefühle sind, wie man sie zerlegt und darstellt, darüber streitet sich die gebildete Menschheit seit Jahrtausenden. Immer wieder gab es dabei Versuche, emotionaler Gemengelage mithilfe der Mathematik Herr zu werden. So seltsam das klingt - der schlechteste Ansatz ist das nicht. Man muss sich allerdings drauf einlassen.
Dürfte zumindest so mancher Leser nach der Lektüre von Chip Conleys Buch finden. 36 Formeln, die Ihr Leben vereinfachen, lautet der Titel. Und im Untertitel geht es zielgerichtet zur Sache: Wie Sie Ihre Emotionen erfolgreich nutzen. Nun wird es vor allem deutschen Lesern schwerfallen, Emotionen mit schnöden Formeln beizukommen. "Enttäuschung = Erwartungen - Realität"? "Berufung = Vergnügen/Schmerz"? Wer wird sich denn so oberflächlich, pragmatisch und instrumentell mit diesem Urgrund des raunenden Seins auseinandersetzen?
Gefühle mithilfe von Formeln erklären
Zugegeben: Der Gedanke, existenzielle Gefühlssituationen - und Conley macht es nicht unter wirklich fundamentalen Gefühlen - mit einer Formel darstellen zu wollen, ruft zunächst Stirnrunzeln hervor. Wer sich die Mühe macht, Conleys Beweggründe nachzulesen, zieht jedoch Gewinn aus seinem Buch.
Conley beschreibt sich recht schonungslos als Menschen, der jahrelang vor allem von seiner Karriere angetrieben wurde. Als Mensch, der mit seinen Gefühlen nie viel anfangen konnte. Er verstand sie nicht. Das Bankkonto war wichtiger. Doch dann kam die Krise, die uns alle immer noch im Bann hält. 2008 jedenfalls stand Conleys amerikanisches Hotel-Imperium vor dem Zusammenbruch, Bekannte begingen Selbstmord, seine Beziehung war im Eimer, und nichts deutete darauf hin, dass sich irgendetwas noch einmal zum Besseren wenden würde. Conley zog sich zurück und suhlte sich im Elend. Wo ihn die Hoffnung in Gestalt Viktor Frankls Buch Der Mensch auf der Suche nach Sinn ereilte.
Dass ein Holocaust-Überlebender im Grauen des Konzentrationslagers dem Leben einen Sinn - und damit einen Überlebensgrund - abringen konnte, wurde für Conley zum Rettungsanker. Er versuchte, Frankls Grundaussage auf den Punkt zu bringen: "Das Ergebnis war eine einfache Gleichung: Verzweiflung = Leiden - Sinn." Will heißen: Noch die schlimmste Lage ist zu ertragen, wenn wir die Krise in irgendeiner Weise als Chance begreifen, die uns weiterbringt. Und sei es, indem sie alles Gewesene aufbricht und umwirft. In jedem Fall tun wir etwas Urmenschliches: Wir verleihen unserem Dasein selbst einen Sinn. Conley fand über das Format der mathematischen Formel zu dieser universellen Einsicht.
Und zu so viel Trost, dass er anfing, sich auch andere schwierige Gefühlslagen mithilfe von Formeln zu erklären und ihrer so Herr zu werden. Letztendlich ist das nichts anderes als ein bewusster Umgang mit Emotionen. Sie verlieren ihren (potenziellen) Schrecken, zumindest ihr Potenzial, zu verwirren, wenn man sie erkennt und einordnet: "Ich habe gelernt, dass ich meine Emotionen kanalisieren und in meinen Dienst stellen kann."
Neugier = Verwunderung + Ehrfurcht
Nein, naiv ist das nicht. "Selbstverständlich gibt es keine ideale Formel für die Lösung des Rätsels des Lebens", sagt Conley, und: "Die Geheimnisse unseres Daseins können nicht auf eine Tabellenkalkulation reduziert werden, aber in der Welt und in unserem emotionalen Leben wimmelt es von sinnvollen Formeln." Was er mit seinem Ansatz bietet, ist eine Art, sich über sich selbst klar zu werden. Durchaus provokativ. Alleine die Betrachtung so einer Formel wirft sofort den Gedankenmotor an. Seine 36 Formeln unterteilt er in vier große Bereiche, und schon das Studium des Inhaltsverzeichnisses entführt in intelligente Selbstreflexion. Voilà:
"Wie man schwierige Zeiten bewältigt" führt etwa das schon bekannte "Verzweiflung = Leiden - Sinn" an, aber auch "Angst = Ungewissheit x Machtlosigkeit". "Wie Sie das Beste aus Ihrem Arbeitsleben herausholen" wartet unter anderem mit "Berufung = Vergnügen/Schmerz" oder "Neugier = Verwunderung + Ehrfurcht" auf. "Finden Sie heraus, wer Sie wirklich sind" bietet zum Beispiel "Authentizität = Selbsterkenntnis x Mut", "Das Streben nach Genügsamkeit" neben anderem "Freude = Liebe - Furcht" oder "Glaube = Überzeugung/Intellekt".
"Berufung = Vergnügen/Schmerz" zum Beispiel. Wie in überhaupt allen Kapiteln - die er übrigens empfiehlt, Schritt für Schritt durchzuarbeiten, am besten eines pro Woche - erspart uns Conley nicht einige ziemlich tief gehende Fallstudien, hier zum Thema Berufung oder der Frage, wann Arbeit aufhört, wehzutun, und nur noch Freude macht. In diesem Fall unter anderen: Mutter Teresa und ein Hochleistungssportler. Berufung gibt es im Job wie im Privaten; Menschen, die ihrer Berufung folgen (manche sprechen davon, ihre Aufgabe im Leben gefunden zu haben), strahlen Energie aus und reißen andere mit, werden oft noch wie nebenbei reich damit; - ja, das haben wir schon gehört.
Trivial? Nein. Grundlegend
Doch dass wir uns auf diese Abhandlung einlassen, liegt auch daran, wie unser Lesergehirn aufnahmebereit gemacht wurde durch die Zumutung der nur scheinbar so simplen Formel. Und dann kommt die Frage: "Gibt Ihnen die Arbeit Kraft, oder kostet sie Kraft?" Trivial? Nein. Grundlegend. Und zu Überlegungen führend, die wir uns alle ab und zu stellen sollten.
Im allerletzten Kapitel sollen wir lernen, wie wir unsere eigenen Formeln zusammenstellen. Das könnte ein großartiger Spaß werden. Und zu Einsichten führen darüber, wie bestimmte Grundemotionen in uns eigentlich wirken. Dafür reichen allerdings auch schon die 36 vorgefertigten Formeln. Lassen Sie sich drauf ein!
changeX 23.03.2012. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch auf der Verlagsseitewww.ullsteinbuchverlage.de/econ/...
Zum Buch
Chip Conley: 36 Formeln, die Ihr Leben vereinfachen. Wie Sie Ihre Emotionen erfolgreich nutzen. Econ Verlag, Berlin 2012, 304 Seiten, 16.99 Euro, ISBN 978-3-430201179
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Autor
Jost BurgerJost Burger ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Mitarbeiter für changeX.