So auch neulich. Doch plötzlich - ein gellender Schrei, gefolgt von einem wütenden Fauchen. Unsere Katze, tiefschwarz, lag mitten im Weg. Und steht nun wohl mit gesträubten Fell, gerecktem Schwanz und gekrümmtem Rücken irgendwo in der Dunkelheit.
Getrennte Welten, entkoppelte Systeme.
Wie konnte das geschehen?
Perspektive eins: Die Katze sieht mich anschlurfen und geht
selbstverständlich davon aus, dass ich sie genauso sehe wie sie
mich. In ihren Augen bin ich der Verrückte, der sie rücksichtslos
niedertrampelt.
Perspektive zwei: In meinen Augen hat natürlich die Katze
ein verschobenes Weltbild. Wie kann man sich nur mitten in den
Weg legen und dann auch noch liegen bleiben, obwohl man den Alten
kommen sieht?
Letztlich ist aber nichts passiert. Mir tut die Katze leid.
Und die hat den Vorfall schnell vergessen. Doch anderswo können
solche kognitiven Differenzen teuer kommen.
Nehmen wir doch ein vergleichbares Beispiel aus einem
anderen Bereich: In einer mittelständischen Firma soll ein
IT-Projekt starten. Die Anwender haben eine bestimmte Vorstellung
davon, die IT-Leute haben
ihr Fachwissen, der Controller hat
sein Kosten-Nutzen-Rechnungs-System, die Geschäftsführung
ihre Berater. Mitarbeiter im Labor oder in der Produktion und
auch in der Vertriebs-, Kundendienst- oder Marketing-Abteilung
sind davon betroffen. Und alle sollen und wollen mitreden.
Gemeinhin fällt dann das Zauberwort: Kommunikation! Die aber
hilft nur weiter, wenn Vertrauen - oder zumindest eine
einigermaßen entspannte Unternehmenskultur - vorhanden ist.
Wenn es da schon hakt, dann beginnen die quälenden
Teamsitzungen zur besten Arbeitszeit. Dann beginnt die Zeit des
endlosen Redens; dann werden PowerPoint-Präsentationen und
Power-Protokolle erstellt, vorgeführt und den anderen in die
Mailboxen und Datenfriedhöfe gesandt. Und auf einmal wird
Arbeitseffektivität, die durch das IT-Projekt eigentlich steigen
sollte, im Mannjahr-Maßstab vernichtet. Das steigert zwar das
Bruttosozialprodukt, erzeugt aber keinen Mehrwert für das
Unternehmen. Nur, warum das alles?
Das Innovationsparadoxon.
Eine Erklärung bietet das
Innovationsparadoxon. Dieses besagt: Anwender wissen nichts von
den Segnungen der schönen neuen Welt der IT, Controller nichts
von den tollen Labor- und Produktionsmaschinen, Ingenieure halten
nichts von den Beschränkungen (Fesseln!) des Ingenieurgeistes und
keine(r) möchte sich überhaupt von - Achtung: Schlüsselwort -
anderen etwas vorschreiben oder sich gar besserwisserisch
bevormunden und dreinreden lassen. Das Problem fängt schon auf
einer ganz einfachen Ebene an und setzt sich bis in die letzten
organisatorischen Verästelungen fort. Oder anders gesagt: Niemand
ist bereit oder in der Lage, die Wahrnehmung des und der anderen
zu verstehen, geschweige denn sie mit seiner eigenen Wahrnehmung
abzugleichen. Aber genau darauf käme es an.
Letztlich bestimmen die durchsetzungsfähigsten
Teilwahrnehmungen aus der Organisation die Weltsicht der
Organisation. Dies könnte man wieder mit einem Zitat unseres
Lieblings-Management-Gurus Peter F. Drucker untermalen:
"Unternehmungen scheitern besonders häufig daran, dass wir von
falschen Voraussetzungen ausgehen. Wir sind so naiv zu glauben,
dass die Bedingungen tatsächlich so sind, wie wir glauben, dass
sie sein müssen. Oder wenigstens so, wie wir glauben, dass sie
sein sollten."
Und wissen nicht warum.
Die theoretische
Problembeschreibung akzeptiert fast jeder. Warum ist es dann so
schwer, die Konsequenzen für eine vernünftige Lösung zu erkennen,
abzustimmen, mitzutragen und konsequent umzusetzen? Der gesunde
Menschenverstand des Einzelnen spiegelt sich nicht im gesunden
Menschenverstand der Organisation wider. (1) Unsere Katze wird
nicht verstehen, warum wir ihr im Dunklen auf den Schwanz treten
- sie wird höchstens Plätze meiden, wo das passiert. Wir aber
können begreifen, warum die Katze liegen bleibt, wo sie liegt.
Und genauso können wir vergleichbare kognitive Differenzen auf
der Ebene von Organisationen identifizieren, analysieren und
letztlich auch lösen. Nur passiert das zu selten. Es gilt immer
noch - um nochmals Drucker zu zitieren: "Viele Unternehmen nutzen
Informationen auch dann nicht, wenn sie zur freien Verfügung
stehen."
Der Märchenonkel traut sich das kaum mehr zu wiederholen:
Dies gilt in besonderem Maße für die praktische Umsetzung. (2)
Und dummerweise sind viele Unternehmen - um im Bild zu bleiben -
in der Situation unserer Katze: So wie der jemand auf den Schwanz
tritt und sie nicht begreift warum, so zahlen Unternehmen die
Kosten ihrer Fehleinschätzungen. Und wissen nicht warum.
Erich Feldmeier ist Dozent am Fachbereich Gesundheit der HAW Hamburg.
Anmerkungen:
- "... calling something 'common sense' is a compliment rather than an insult..." www.winstonbrill.com/bril001/html/article_index/articles/451-500/article489_body.html
- www.iiQii.de/gallery/Die-iiQii-Philosophie/JeffreyPfeffer_globalequity_org
In den nächsten Einsprüchen: Die kognitiven Differenzen löst man durch Kommunikation. Diese hat eine technische und eine menschliche Seite.
Weitere Informationen:
www.iiQii.de
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