Mein Telefon. Vom Marktführer.
So ähnlich geht es mir mit meinem Telefon. Schnurlos, ISDN, mit allen Schikanen. Vom Marktführer. Doch "Schikanen" muss man leider wörtlich nehmen: So empfinde ich jedenfalls die Benutzung meines Telefons. Längst ist ja die Telefontechnik so weit, dass all das, was man vom Mobiltelefon gewohnt ist, auch im Festnetz funktioniert: Rufnummernanzeige, Ruflisten, SMS und so weiter. Nur - warum ist bei meinem Festnetztelefon so kompliziert, was beim Handy mit weniger (und vor allem schon wieder mal anderen) Tastenklicks funktioniert? Zum Beispiel die Liste der entgangenen Anrufe. Um die einzusehen, muss man bei meinem Telefon das Hauptmenü aufrufen. Sechs Mal klicken, dann steht ganz unten "Basis einstellen". Das muss ich wählen, obwohl ich gar nicht die Basis einstellen, sondern die Nummernliste sehen will. Trotzdem, dort steht es dann: "Entgang. Anrufe". Ich bin jedes Mal beeindruckt, wie man auf so etwas kommen kann!
"Systemfkt. aktiv".
Ich frage mich zum Beispiel auch,
warum die Tasten bei Festnetz- und Mobiltelefonen desselben
Herstellers unterschiedlich belegt sind. Wenn man beim Handy die
Taste mit dem grünen Hörer drückt, bekommt man die Liste der
zuletzt gewählten Rufnummern angezeigt. Das ist auch sinnvoll und
logisch! Bei meinem Telefon hingegen erscheint beim Drücken
dieser Taste die Anzeige "Systemfkt. aktiv / Bitte wählen" auf
dem Display. Ich habe keine Ahnung, was das bedeutet, aber ich
habe mir angewöhnt, die grüne Taste zu drücken, wenn ich in
irgendeiner Sache nicht weiter weiß. Wenn ich dann lese
"Systemfkt. aktiv", dann erscheinen mir meine Probleme lächerlich
und klein.
Es ist ein anderes Beispiel, aber dasselbe Problem, das wir
schon im ersten Einspruch angesprochen hatten: das Fehlen von
Ergonomie und Usability bei technischen Geräten. Wie dem
Fahrkartenautomaten der Bahn oder meinem Telefon. Wir produzieren
High-Tech, aber niemand kann oder will damit umgehen. Oder
zumindest ohne größere Probleme - oder größeren Ärger. Es fragt
sich, warum das so ist! Und: Muss das denn sein? Dass es nicht
sein muss, zeigen Geräte und Programme, die wunderbar
funktionieren und einfach zu bedienen sind. Der iPod war ein
Beispiel. Der Webbrowser Firefox wäre ein anderes - funktioniert
einfach. Deshalb zur Frage, warum es so oft nicht funktioniert,
bei meinem ganz normalen Telefon zum Beispiel.
Vielleicht kann man es so erklären: Die Techniker der
Entwicklungsabteilung hatten die Funktionen des Telefons
definiert und dann musste sie irgendjemand in eine Menüstruktur
einpassen. Dieser Jemand, ein Programmierer, saß vielleicht sogar
in einer anderen Abteilung. Jedenfalls gab es niemanden, der
zwischen beiden vermittelt, und vor allem: der die Sicht des
Benutzers eingebracht hätte. Beide denken in ihrer Sichtweise
vernünftig und logisch, der eine im Sinne seiner Maschinen, der
andere im Sinne seiner Programme. Dinge wie Ergonomie und
Usability kommen dabei zu kurz. Was dabei herauskommt, wenn
Technikerlogik und Programmiererlogik miteinander ins Gehege
kommen, das sieht man an meinem Telefon. "Systemfkt. aktiv"
klingt wie "Vorsicht Kinder". Es ist dieselbe Logik: Kinder und
Benutzer stören das System.
Schnittstelle Mensch-Maschine.
Und damit zum Kern: Das Wissen, wie
es anders zu machen wäre, ist potentiell längst vorhanden. Das
führt uns zum Beispiel auf das Feld der angewandten Psychologie,
die übrigens genau solchen Fragen ihr Entstehen verdankt.
Entstanden ist sie im Zweiten Weltkrieg, als man Psychologen zu
Rate zog, weil sich die Probleme mit neuen technischen Geräten
häuften, zum Beispiel mit neuen, schnellen Flugzeugen oder dem
neu eingeführten Radar der alliierten Streitkräfte. Obwohl das
Personal bestens ausgebildet und hoch motiviert war, stürzten
immer wieder Flugzeuge ab oder verfehlten Beobachter auf dem
Radarschirm Feindkontakte. Die Psychologen untersuchten, warum
das so war. Hieraus entwickelte sich das Konzept der
Mensch-Maschine-Systeme. Oder, anders gesagt, der Schnittstelle
Mensch-Maschine.
Obwohl diese Erkenntnisse nun schon 50 Jahre alt sind,
werden sie nicht angewendet, wenn es um den Entwurf neuer
Interfaces geht. Dann heißt es: "Wir haben keine Zeit!" "Wir
haben jetzt Wichtigeres zu tun!" "Nächsten Monat vielleicht!"
Ausflüchte der Mitarbeiter, die ihre Dominanz verteidigen wollen
oder ihre Disziplin deswegen abschotten, weil sie verunsichert
sind, was nach der nächsten Restrukturierung kommt: Kündigung,
Prozess-Effizienz, Sparmaßnahmen? Es hängt somit nur
vordergründig an der Technik. Vielmehr sind interdisziplinäres
Arbeiten und eine Menge Wissen aus unterschiedlichen Bereichen
erforderlich, um solche Bruchstellen zusammenzufügen. Dieses
Erfahrungswissen existiert in überwiegend jungen Branchen wie der
Informatik oft gar nicht. In der Ausbildung kommt es nicht vor,
und die 55-Jährigen, die es einbringen könnten, sind schon in der
Frühpensionierung.
Die Benutzer fragen!
Die Lösung kann nur sein, die
Entwicklung technischer Produkte anders anzulegen:
interdisziplinär und nicht nur technisch. Es müssen Ergonomen und
Organisationspsychologen an der Entwicklung von Soft- oder
Hardware beteiligt werden! Es braucht Übersetzer, die zwischen
unterschiedlichen Logiken vermitteln! Man muss unterschiedliche
Wissensbereiche zusammenbringen! Und die Mitarbeiter einbeziehen,
die Kontakt zu den Kunden haben: Marketing und Verkauf wissen,
was die Leute wollen (oder sollten es wissen). Die Serviceleute
wissen, wo die Probleme der Benutzer liegen. Qualifizierte
Sozialforscher können Benutzer fragen oder sich ernsthaft um
Kunden-Feedback kümmern. Und dieses Wissen gilt es dann in die
Gestaltung der Schnittstellen einfließen zu lassen. Und die klar
und einfach zu gestalten. Dann geht es auch!
Im nächsten Einspruch geht es um den Benutzer und wie er
reagiert, wenn Technik nicht funktioniert.
Weitere Informationen:
www.iiQii.de
© changeX Partnerforum [31.03.2005] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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