Innovation durch Motivation.
Bei Naturwissenschaftlern und
Ingenieuren stellt sich hier eine gewisse Fassungslosigkeit ein.
(1) Denn das Wesen der Naturwissenschaft ist ja der
Erkenntnisgewinn. Und der speist sich aus dem Drang und der
Leidenschaft zum Forschen. Und wenn dieses Feuer ausgebrannt ist,
dann herrscht Stillstand. Dann erlischt auch die Motivation. Und
dann kann man den Gewinn aus milliardenschweren
Forschungsinvestitionen, also die Arbeit von Jahren und
Jahrzehnten, abschreiben.
Überhaupt, nachdem Leistung auch bei Fußballtrainern keine
Rolle mehr spielt (2), fragen wir uns, wie Menschen motiviert
bleiben können, wenn ihr unmittelbarer individueller
Leistungsbeitrag praktisch keine Rolle mehr spielt. Das ist auf
dem Fußballplatz nicht anders als in Wirtschaft und Gesellschaft:
Erst der unmittelbare Bezug, das sofortige Feedback schafft
Motivation. Menschen denken und empfinden eben ausschließlich in
individuellen, zeit- und ortsnahen Zusammenhängen - was sonst?
Nur: Der Beitrag zur Binnenkonjunktur ist eh für die Katz,
weil seit mehr als 30 Jahren nur noch die Hälfte an Konsumenten
nachwächst. (3) Der Katzenjammer zeigt sich praktisch in allen
Branchen und bei allen Produkten, am Bau und im Handwerk, bei
Kühlschränken, Autos, CD-Verkäufen, Kino- und Theaterkarten. Und:
In globalisierten Märkten entsteht das Gefühl, dass es letztlich
egal sei, ob man etwas tut oder ob man nichts tut. Die Menschen
verstehen nicht, was sie wofür tun, und die Entscheidungen werden
woanders getroffen: in der Führungsetage, "hinten, weit in der
Türkei" oder sonst wo. Innovationen werden gefordert und
proklamiert, faktisch besteht aber keine Nachfrage danach - das
könnte man das erste Innovationsparadoxon nennen.
Innovation durch Personalarbeit.
Denn die Wertschätzung und damit
die Motivation der Mitarbeiter sind in höchstem Maße davon
abhängig, wie viel Zeit die Vorgesetzten mit persönlicher
Kommunikation mit ihren Mitarbeitern verbringen. Dabei wachsen
Verständnis und Vertrauen und somit die reibungslose
Zusammenarbeit bereits mit der Häufigkeit der Kommunikation.
Fehlt diese Zuwendung, stellt sich Gleichgültigkeit ein. Doch
welche Führungskraft hat Zeit?
Mit dem inhaltlichen Feedback ist es nicht besser. Jeder
weiß, dass das "betriebliche Vorschlagswesen" meist ein
kümmerliches Dasein fristet. Dies gilt trotz oder wegen der
erheblich ausgeweiteten Praxis der - anonym - auszufüllenden
Qualitätsmanagement-Fragebögen. Die Ironie dabei: Es wird
schlichtweg übersehen, zeitnahes Feedback an den Vorschlagenden
respektive Kritiker zurückzugeben. Aber nur wenn dieses
individualisierte und zeitnahe Feedback erfolgt, kann die gesamte
Prozedur überhaupt erfolgreich sein. Und genau deswegen ist
Toyota zum führenden Autobauer aufgestiegen. Wenn bei Toyota
heute ein Mitarbeiter einen Missstand benennt, ist
morgen ein Manager zur Stelle und kümmert sich um das
Problem. Kein Vorschlag wird ignoriert, keine Kritik bestraft.
Hierzulande riskiert man in manchen Firmen Abmahnung oder
Rausschmiss.
"Loyalität geht vor Kompetenz."
"Loyalität geht vor Kompetenz", hat
Bundeskanzlerin Angela Merkel einmal gesagt und damit
Unverständnis provoziert. (4) Doch weil der Mensch sich
menschlich verhält, riskiert
jede Chefin die Regierbarkeit, wenn sie sich anders
verhalten würde, insofern ist diese Aussage politisch und
menschlich
natürlich logisch und nachvollziehbar. Doch das Wesen der
Innovation, inklusive des Dilemmas der möglichen Führungskrise
(!), beruht genau darauf, abweichende Meinungen zu fördern und
konstruktiv zu nutzen, in der Politik wie in den Unternehmen. (5)
Der Glücksfall Querdenkertum entwickelt sich zum ungelösten,
sprich auszusitzenden Problemfall, obwohl Problemstellung und
-lösung hinlänglich bekannt sind.
Und weil diese Wesenszüge zutiefst im Menschen und der
Evolution verwurzelt sind, ist es unwahrscheinlich, dass sich
diese Probleme von selber lösen. In der Bildungsdiskussion müssen
genau diese menschlichen Aspekte zuvorderst gefordert werden.
Weil es ungelöste Probleme mit Personalführung, Autorität und
Hierarchiegockeleien gibt, beinhaltet das zweite
Innovationsparadoxon somit: Gut 300.000 gut ausgebildete
Ü-40-Ingenieure und -Wissenschaftler drehen Däumchen, obwohl
"händeringend" Ingenieure gesucht werden, um das Innovations
angebot im Hochlohnland vorantreiben zu können, so dass
die Anderen - Marketing, Vertrieb und Controlling -
überhaupt etwas haben, was sie verkaufen und verwalten können.
Außer Grafiken, Tabellen und warmen Worten.
Der Schweinsteiger-Effekt oder neue Besen kehren gut.
Im Fußball wie in den Firmen sind
es die Jungen, die mit großem Elan zur Sache gehen - neue Besen
kehren gut, heißt es. Deshalb sind wir wie selbstverständlich
geneigt, die Besen-Idol-Geschichten aus Sport und Pop auf
wirtschaftliche Leistungen anzuwenden, selbst wenn zahlreiche
negative Erfahrungen und Bankrotte dem widersprechen. Das
Zeit-Dilemma von jung-dynamischen Führungskräften haben wir in
Einspruch 7 ausführlich diskutiert. Daneben gibt es - seit
jeher - ein Generationsproblem zwischen Jung und Alt. Die auf dem
Arbeitsmarkt überflüssigen über 40-Jährigen verhalten sich
natürlich strikt logisch, indem sie an Pfründen fest-,
beziehungsweise Wissen zurückhalten. Wie sollten sie sich auch
sonst verhalten? Sich selbst schädigen?
Ein klassisches Beispiel: Frau Meier verärgert Herrn
Müller, was Herrn Müller nicht zwingt, die nächsten 20 Jahre
konstruktiv mit Frau Meier zusammenzuarbeiten - sondern immer
recht freundlich Verständnis signalisieren, die Kollegin mit
E-Mails zumüllen (Stichwort "Datenfriedhof") und die eigentlich
wichtigen und entscheidenden Informationen für sich behalten. Und
niemand wird dies je kritisieren können. Dies genau ist die Crux
und der Knackpunkt jeglichen Wissensmanagements.
Die Älteren lassen in bester, erlernter Familientradition
die Jüngeren ihre Macht spüren, die Jüngeren hingegen fühlen sich
gegängelt und können ihrer Doppelrolle als fachlicher Entwickler
und Führungskraft nicht gerecht werden. Die Konsequenz: Die
"jungen Wilden" stoßen sich die Hörner ab, wie es so schön heißt.
Die Folge ist wiederum Frustration. Die ersten zwei Jahre steht
die fachliche Arbeit im Vordergrund, danach für den Rest des
Arbeitslebens - 30 Jahre lang! - Nebenkriegsschauplätze,
Beziehungsgeschichten, also Dinge, die mit dem eigentlichen
Geschäftsbetrieb nichts zu tun haben.
Dieser Konflikt führt zu der hinlänglich bekannten
"Ist-mir-egal-" und "Hauptsache-nicht-auffallen"-Mentalität.
Schleift sich diese über Jahre hinweg ein, ist Alterszynismus mit
logisch sich anschließender Frühpensionierung die notwendige
Folge.
Innovation, Autorität und Altersstarrsinn.
Eine Vorkehrung gegen
Alterszynismus wäre ein entscheidender Beitrag zur Steigerung der
Produktivität. Doch warum gilt der als nicht behandelbar, wenn
stets nach Produktivitätszuwachs gelechzt wird und
Unternehmensberater Prozessoptimierungen stets im zweistelligen
Prozentbereich ansiedeln? Und warum wird gebetsmühlenhaft, mit
quasi-religiösem Gestus die Wichtigkeit von lebenslanger
beruflicher Weiterbildung und Qualifizierung betont - also
fachlicher Qualifizierung und deren logischer Fortsetzung,
sprich:
Leistung - wenn zugleich jede Innovation am
Altersstarrsinn scheitert? Denn der ist der Zwillingsbruder des
Alterszynismus!
Es ist kaum nachzuvollziehen, dass in einer Zeit, in der
Aus-, Fort- und Weiterbildung - also: Wissen = Information +
Erfahrung + Bewertung - in immer größerem Maße den geschäftlichen
Erfolg von Unternehmen bedingen, es immer noch im großen Maßstab
Frühpensionierung gibt! Kapitalvernichtung wäre treffender. (6)
Die Gründe hierfür müssen also jenseits von Wissen, Erfahrung,
Leistung angesiedelt sein. Lapidar heißt es meist: Wir haben kein
Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Das besteht offenbar
darin, dass niemand die Erkenntnisse zur Umsetzbarkeit umsetzt.
Aus volkswirtschaftlicher Sicht hat dieses Durchwursteln
auch einen positiven Aspekt, weil die Ineffektivität - als heiße
Luft in Worthülsen-Ballons abgefüllt - einen deutlichen
Beschäftigungseffekt zeitigt und somit das Bruttoinlandsprodukt
erhöht. Gewissermaßen als "Kollateral-Schaden" werden nicht nur
Kreativität, Motivation und Innovation, sondern vernünftiges
Arbeiten insgesamt systematisch verhindert. (7) Evolutionär
bewegen wir uns nicht, sondern verharren in der Steinzeit! Von
Fortschritt und Innovation ist gerade im menschlichen Umgang
überhaupt nichts zu erkennen. Um Missverständnissen vorzubeugen:
Dies gilt - nicht erst seit Machiavelli - auch für das
"gutnachbarschaftliche" private Umfeld.
Aus betriebswirtschaftlicher Sicht muss man sich hingegen
fragen, warum es sich Unternehmen - zum chronischen Leidwesen des
Humankapitals - leisten wollen, die tägliche Ineffektivität im
menschlichen Umgang in Kauf zu nehmen und Mitarbeiterführung so
unprofessionell zu gestalten - obwohl jahrein, jahraus die
immergleichen milliardenschweren Erkenntnisse in der
Managementforschung und -beratung immer wieder und immer noch
publiziert, aber nicht umgesetzt werden. (8)
Dabei bestehen keine ernsthaften Zweifel, dass Menschen
sich für Aspekte der Evolution, Verhaltensbiologie, Arbeits- und
Sozialpsychologie, für das Verhalten von Menschen in Gruppen
sensibilisieren lassen. Es gilt, die zum Teil jahrtausendealten
Erfahrungen mithilfe angewandter Philosophie in die Praxis
umzusetzen, statt systemimmanente Lösungen von gestern für
Probleme von morgen zu propagieren.
Innovation durch Verhaltensänderungen.
Die entscheidend wichtigen Erkenntnisse für die Akzeptanz und Machbarkeit von Verhaltensänderungen sind bekannt und benannt:
- echte (selbsterklärende) Bedienerfreundlichkeit aller technischen Innovationen,
- direktes und kontinuierliches Feedback für alle individuellen Leistungsbeiträge,
- ein Sinn für die psychologische Wahrnehmung von den Anderen, ihren Bedürfnissen, Interessen und Sichtweisen, Individuen im Licht der Evolution (9), Stichwort: Spieltheorie,
- ein Sinn für die vergleichende Gerechtigkeit in unmittelbarer - jeweils individueller zeitlicher, räumlicher und organisatorischer - Umgebung und insbesondere auch ein Bewusstsein für die Bedeutung sozialer Zugehörigkeit (Gruppe, "Heimat", Wohlfühlrahmen) und das sich daraus ergebende Gruppendenken,
- Etablierung von transdisziplinären Ausbildungs- und Studiengängen und Arbeitsplätzen statt Zeitverplempern beim "Spezialisten-Schaulauf" in Meetings,
- fachliche Laufbahn statt fachlichen Aufstiegs,
- Etablierung von hauptamtlichen Querdenkern jenseits von Abteilungen und Hierarchien,
- gesunder Menschenverstand und Pragmatismus.
Sie müssen "nur" umgesetzt werden!
Die Einspruch!-Serie endet mit diesem Beitrag - Feedback ist herzlich willkommen!
Anmerkungen:
- Hans-Peter Beck-Bornholdt/Hans-Hermann Dubben: Der Hund, der Eier legt. Erkennen von Fehlinformationen durch Querdenken, Rowohlt Verlag, Reinbek 2001.
- In dem Beitrag "Allmählich zermürbt" zitiert die Süddeutsche Zeitung den Trainer Ralf Rangnick: "'Ich bin die politischen Possenspiele leid', sagte er so verbittert wie sichtlich bewegt, 'darauf habe ich keinen Bock mehr.'" Süddeutsche Zeitung vom 10. 12. 2005.
- "30 Jahre nach 12", Süddeutsche Zeitung vom 10. 12. 2005.
- Zitiert nach Süddeutsche Zeitung vom 17. 8. 2005.
- www.iiQii.de/gallery/Die-iiQii-Philosophie/ChesterBarnard_onepine_info
- "Schlankheitskur auf Staatskosten", Süddeutsche Zeitung vom 28. 11. 2005; vergleiche auch den Spruch von Henry Ford: "Nimm die Erfahrung und die Urteilskraft der Menschen über 50 heraus aus der Welt, und es wird nicht genug übrig bleiben, um ihren Bestand zu sichern."
- Corinne Maier: Bonjour Paresse; vergleiche auch: www.iiQii.de/gallery/Die-iiQii-Philosophie/PrimoLevi_inch_com
- Jeffrey Pfeffer: The Knowing-Doing Gap, www.changex.de/d_a00327.html
- Ernst Fehr: "The nature of human altruism", www.iew.unizh.ch; www.iiQii.de/gallery/VictimsOfGroupThink/RichardLayard_cep_lse_ac_uk
Weitere Informationen:
www.iiQii.de
© changeX Partnerforum [28.03.2006] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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