Die Unberührbaren
Einspruch 1: Neulich, am nullarmigen Banditen.
Erich Feldmeier gerät an einen nullarmigen Banditen und fragt, warum vieles immer so nerven muss. Einspruch! heißt seine monatliche Kolumne - ein konstruktiv-kritisches Format, das die oft unreflektierten, scheinbar unabänderlichen Selbstverständlichkeiten humorvoll und ketzerisch-herausfordernd in Frage stellt.
Erich FeldmeierNeulich geriet ich an einen nullarmigen Banditen. Blau mit Touchscreen. Dreimal dürfen Sie raten, wer gewonnen hat. Nach wahrscheinlich 40 Drück-, Tipp- und Hieb-Versuchen gab ich entnervt auf. Ach ja, der Automat stand an einem Provinzbahnhof und ich wollte eigentlich eine Fahrkarte in die übernächste Stadt.
Es war einer der neuen Fahrkartenautomaten, mit denen die Deutsche Bahn AG ihr Schalterpersonal verringern will. Was ihr nicht gelingen wird, weil die Menschen entnervt aufgeben und ihr Ticket lieber auf der Fahrt erstehen. Als ich mich an dem missratenen Touchscreen versuchte, erging es mir jedenfalls so: Ein wunderschöner Wintertag, die tief stehende Mittagssonne warf ihr Licht - ja, genau auf den kleinen Monitor, den die Monteure, genau nach Plan, exakt nach Süden ausgerichtet hatten. Ich stand also mit ausgebreitetem Mantel wie ein Nachtgespenst vor der Automatensäule, um den Bildschirm so weit zu beschatten, dass ich erkennen konnte, welche Eingaben das Gerät von mir verlangte.
Zielort Hamburg. Nicht präzise genug. Also Hamburg Altona. Am selben Tag? Am nächsten Tag? Zwei Tage später zurück? 1. Klasse? Raucher? Laptop-Steckdose? Handy-Ruhezone? Großraum? Mit Tisch? Auf jede Eingabe eine neue Frage. Irgendwann war ich im falschen Untermenü gelandet. EXIT. Fahrkarte im Zug bei der Dame mit dem nett fiependen Handheld-Computer gekauft (bei "Handheld-Computer" bietet mir die Rechtschreib-Korrektur von MS Word übrigens als korrekte Schreibweise "Handgeld-Computer" an - das aber wäre ein anderer Einspruch).

Schmerzensgeld - oder einfach den Kunden ernst nehmen.


Bleiben wir kurz beim nullarmigen Fahrkartenautomaten: Jederzeit und vielleicht ohne langes Anstehen an einer der obligatorischen Schalterschlangen eine Fahrkarte lösen zu können, wäre eine tolle Sache. Nur bräuchte es dazu ein Benutzer-Interface, das mit vertretbarem Aufwand zu bedienen ist. Und wenn man ein solches Geschäftsmodell zum Erfolg führen will, dann müsste man die Benutzer dafür belohnen, dass sie - statt des Schalterbeamten oder des Schaffners - damit ihre Zeit verbraten. Etwa, indem man zehn Prozent Abschlag auf das Fahrticket gewährt. Oder Schmerzensgeld zahlt. Oder einfach den Kunden ernst nimmt. Aber das macht die Bahn nicht. Also funktioniert es nicht.
Dabei ist das benutzerunfreundliche Benutzerinterface des Fahrkartenautomaten eher die Regel als die Ausnahme. Es gibt sie wie Sand am Meer: die Menüs, die jeden Benutzungsversuch in irgendwelchen virtuellen Sackgassen scheitern lassen. Warum? Die Programmierer sagen meist: "Benutzerfehler!" Die Benutzer sagen: "Programmierfehler!" (oder sie sagen Sachen, die man hier besser nicht wiedergibt). Die Wahrheit liegt in der Mitte, beim Interface nämlich. Interface heißt Schnittstelle. Es ist der Übergangsbereich zweier Logiken: Techniklogik hier, Anwenderlogik dort. Wenn die Übersetzung nicht stimmt, dann gibt es Probleme. Wie mit dem Fahrkartenautomaten. Wie mit vielen anderen technischen Geräten. Und wie im Umgang mit Spezialisten aus anderen Disziplinen. Man ist so an den täglichen Kampf mit der Technik gewöhnt, dass man sich manchmal fragt, ob es sich vielleicht um eine Art Gesetzmäßigkeit handelt, dass sich Mensch und Technik nicht verstehen. Doch gibt es auch Beispiele, die beweisen, dass es geht.

4,5 Millionen Mal einfach Musik hören.


Apples iPod zum Beispiel. Das Gerät erschließt sich weitgehend intuitiv. Weil Ergonomie und eine klare Menüführung zusammenstimmen und genau das bieten, was sich der Benutzer erwartet: einfach Musik hören. Das ist wohl der Grund für den sensationellen Erfolg dieses Geräts. Allein im zurückliegenden Quartal gingen 4,5 Millionen iPods über den Ladentisch, 525 Prozent mehr als im ersten Quartal 2004! Und der Quartalsgewinn des Konzerns schoss von 63 auf 295 Millionen Dollar, vor allem aufgrund des iPod-Erfolges.
Warum wohl kaufen so viele Leute, die ja sonst in der Mehrzahl Microsoft-Produkte benutzen, den Player der Konkurrenz? Diese Frage sorgte unlängst im Headquarter von Microsoft für Verdruss. Dort hat man nämlich festgestellt, dass die Mehrzahl der Angestellten, die über einen Player verfügen, einen von Apple haben. "Wirklich erschütternd", wie ein Microsoft-Manager dem Fachmagazin Wired sagte. 16.000 der 25.000 Mitarbeiter auf dem Firmengelände in Redmond besitzen demnach den Player von Apple. Das Management reagierte mit missbilligenden Memos an die Belegschaft. Die indes wusste sich zu helfen: Immer mehr Angestellte tarnen ihre Geräte, indem sie die charakteristischen weißen Kopfhörer des iPod austauschen. Gewitzt, aber bitter für den Konzern. "Obwohl es sich bei uns um Microsoft handelt, interessiert sich niemand dafür, was wir zu bieten haben, nicht einmal unsere eigenen Mitarbeiter", zitiert Wired den Microsoft-Mann.
Der Erfolg des iPod treibt übrigens auch Sony um. Bis zum Ende des Jahres will der Konzern ein konkurrenzfähiges Produkt auf den Markt bringen. Sony-Chef Kunitake Ando weiß wie: "Wir müssen eine eigene Software entwickeln, die unser Produkt einfacher und simpler macht." Genau! Nur - warum erst jetzt?
Fazit: Innovationen setzen sich nur dann durch, wenn sie für den Nutzer ganz unmittelbar und für sich selbst sprechend als Fortschritt erlebbar sind. Dazu muss man unter Umständen die Denkrichtung umkehren. Mehr zu diesem Thema im nächsten Einspruch.

Weitere Informationen:
www.iiQii.de

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Erich Feldmeier

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