Es war einer der neuen Fahrkartenautomaten, mit denen die Deutsche Bahn AG ihr Schalterpersonal verringern will. Was ihr nicht gelingen wird, weil die Menschen entnervt aufgeben und ihr Ticket lieber auf der Fahrt erstehen. Als ich mich an dem missratenen Touchscreen versuchte, erging es mir jedenfalls so: Ein wunderschöner Wintertag, die tief stehende Mittagssonne warf ihr Licht - ja, genau auf den kleinen Monitor, den die Monteure, genau nach Plan, exakt nach Süden ausgerichtet hatten. Ich stand also mit ausgebreitetem Mantel wie ein Nachtgespenst vor der Automatensäule, um den Bildschirm so weit zu beschatten, dass ich erkennen konnte, welche Eingaben das Gerät von mir verlangte.
Zielort Hamburg. Nicht präzise genug. Also Hamburg Altona. Am selben Tag? Am nächsten Tag? Zwei Tage später zurück? 1. Klasse? Raucher? Laptop-Steckdose? Handy-Ruhezone? Großraum? Mit Tisch? Auf jede Eingabe eine neue Frage. Irgendwann war ich im falschen Untermenü gelandet. EXIT. Fahrkarte im Zug bei der Dame mit dem nett fiependen Handheld-Computer gekauft (bei "Handheld-Computer" bietet mir die Rechtschreib-Korrektur von MS Word übrigens als korrekte Schreibweise "Handgeld-Computer" an - das aber wäre ein anderer Einspruch).
Schmerzensgeld - oder einfach den Kunden ernst nehmen.
Bleiben wir kurz beim nullarmigen
Fahrkartenautomaten: Jederzeit und vielleicht ohne langes
Anstehen an einer der obligatorischen Schalterschlangen eine
Fahrkarte lösen zu können, wäre eine tolle Sache. Nur bräuchte es
dazu ein Benutzer-Interface, das mit vertretbarem Aufwand zu
bedienen ist. Und wenn man ein solches Geschäftsmodell zum Erfolg
führen will, dann müsste man die Benutzer dafür belohnen, dass
sie - statt des Schalterbeamten oder des Schaffners - damit ihre
Zeit verbraten. Etwa, indem man zehn Prozent Abschlag auf das
Fahrticket gewährt. Oder Schmerzensgeld zahlt. Oder einfach den
Kunden ernst nimmt. Aber das macht die Bahn nicht. Also
funktioniert es nicht.
Dabei ist das benutzerunfreundliche Benutzerinterface des
Fahrkartenautomaten eher die Regel als die Ausnahme. Es gibt sie
wie Sand am Meer: die Menüs, die jeden Benutzungsversuch in
irgendwelchen virtuellen Sackgassen scheitern lassen. Warum? Die
Programmierer sagen meist: "Benutzerfehler!" Die Benutzer sagen:
"Programmierfehler!" (oder sie sagen Sachen, die man hier besser
nicht wiedergibt). Die Wahrheit liegt in der Mitte, beim
Interface nämlich. Interface heißt Schnittstelle. Es ist der
Übergangsbereich zweier Logiken: Techniklogik hier, Anwenderlogik
dort. Wenn die Übersetzung nicht stimmt, dann gibt es Probleme.
Wie mit dem Fahrkartenautomaten. Wie mit vielen anderen
technischen Geräten. Und wie im Umgang mit Spezialisten aus
anderen Disziplinen. Man ist so an den täglichen Kampf mit der
Technik gewöhnt, dass man sich manchmal fragt, ob es sich
vielleicht um eine Art Gesetzmäßigkeit handelt, dass sich Mensch
und Technik nicht verstehen. Doch gibt es auch Beispiele, die
beweisen, dass es geht.
4,5 Millionen Mal einfach Musik hören.
Apples iPod zum Beispiel. Das Gerät
erschließt sich weitgehend intuitiv. Weil Ergonomie und eine
klare Menüführung zusammenstimmen und genau das bieten, was sich
der Benutzer erwartet:
einfach Musik hören. Das ist wohl der Grund für den
sensationellen Erfolg dieses Geräts. Allein im zurückliegenden
Quartal gingen 4,5 Millionen iPods über den Ladentisch, 525
Prozent mehr als im ersten Quartal 2004! Und der Quartalsgewinn
des Konzerns schoss von 63 auf 295 Millionen Dollar, vor allem
aufgrund des iPod-Erfolges.
Warum wohl kaufen so viele Leute, die ja sonst in der
Mehrzahl Microsoft-Produkte benutzen, den Player der Konkurrenz?
Diese Frage sorgte unlängst im Headquarter von Microsoft für
Verdruss. Dort hat man nämlich festgestellt, dass die Mehrzahl
der Angestellten, die über einen Player verfügen, einen von Apple
haben. "Wirklich erschütternd", wie ein Microsoft-Manager dem
Fachmagazin
Wired sagte. 16.000 der 25.000 Mitarbeiter auf dem
Firmengelände in Redmond besitzen demnach den Player von Apple.
Das Management reagierte mit missbilligenden Memos an die
Belegschaft. Die indes wusste sich zu helfen: Immer mehr
Angestellte tarnen ihre Geräte, indem sie die charakteristischen
weißen Kopfhörer des iPod austauschen. Gewitzt, aber bitter für
den Konzern. "Obwohl es sich bei uns um Microsoft handelt,
interessiert sich niemand dafür, was wir zu bieten haben, nicht
einmal unsere eigenen Mitarbeiter", zitiert
Wired den Microsoft-Mann.
Der Erfolg des iPod treibt übrigens auch Sony um. Bis zum
Ende des Jahres will der Konzern ein konkurrenzfähiges Produkt
auf den Markt bringen. Sony-Chef Kunitake Ando weiß wie: "Wir
müssen eine eigene Software entwickeln, die unser Produkt
einfacher und simpler macht." Genau! Nur - warum erst jetzt?
Fazit: Innovationen setzen sich nur dann durch, wenn sie
für den Nutzer ganz unmittelbar und für sich selbst sprechend als
Fortschritt erlebbar sind. Dazu muss man unter Umständen die
Denkrichtung umkehren. Mehr zu diesem Thema im nächsten
Einspruch.
Weitere Informationen:
www.iiQii.de
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