Kollegen in der Ferne
Ein Interview mit Martina Kunzendorf vom Lehrstuhl für Technik und ihre Didaktik über die neuesten Ergebnisse des Projekts ViCO.
Von Nina Hesse
Virtuelle Unternehmen haben ihre ganz eigenen Probleme: Wie steuert man eine Teamentwicklung über das Internet - geht das überhaupt? Wie funktioniert Konfliktmanagement per E-Mail, Projektplanung per Videokonferenz? Hier lohnt es sich, Qualifizierungsangebote zu erstellen, denn viele Mitarbeiter sind zwar fachlich fit, beherrschen die Kooperation und Kommunikation auf Distanz aber noch nicht perfekt.
Martina Kunzendorf arbeitet beim Lehrstuhl Technik und ihre Didaktik der Universität Dortmund. Sie ist für die Koordinierung des Projekts ViCO zuständig.
Was hat sich in den letzten Monaten getan bei ViCO?
Jede Menge. Wir haben in den letzten Monaten mit einer ganzen Reihe von virtuellen Unternehmen - hauptsächlich aus der IT- und Beratungsbranche - gesprochen und begonnen, über leitfadengestützte Interviews ein Kompetenzprofil zu erstellen. Diese Interviews sind sehr umfangreich geworden. Befragt haben wir 14 Probanden (vorwiegend Netzwerkmanager) in neun Unternehmen. Hierbei haben die Organisationspsychologen, die Technikdidaktiker der Universität Dortmund sowie die Wirtschaftspädagogen der Universität Oldenburg eng kooperiert.
Was haben Netzwerkmanager für eine Rolle?
Sie agieren im virtuellen Unternehmen als eine Art Broker. Ihre Aufgabe besteht darin, die Zusammenarbeit zu koordinieren und die Verbindung zu den Freelancern zu halten - sie übernehmen also sehr zentrale Managementfunktionen.
Ist Ihr nächster Schritt, die Netzwerkpartner, also die Freelancer, zu befragen?
Ja. Für diesen Zweck haben wir einen Online-Fragebogen entwickelt, den wir über das Netz verbreiten, um diese Zielgruppe zu erreichen. Wir versuchen auch, die Kooperationspartner, die uns in der ersten Phase unterstützt hatten, wieder zu aktivieren und zu motivieren, an unserer Online-Befragung teilzunehmen. Mit dieser Umfrage versuchen wir, zu quantifizieren, welche Anforderungen an die Akteure in virtuellen Unternehmen gestellt werden, wo genau Störungs- und Problempotenziale in virtuellen Unternehmen liegen und welche Kompetenzen virtuelle Unternehmer benötigen, um den virtuellen Arbeitsalltag erfolgreich zu managen.
Was haben Sie bei den Interviews der Netzwerkmanager herausgefunden? Können Sie schon ein paar Eindrücke schildern?
Zunächst einmal ist es notwendig, die Kompetenzen, die Akteure in virtuellen Unternehmen benötigen, vor allem vor dem Hintergrund ihrer virtualisierten Arbeitsbedingungen zu betrachten. Die Akteure virtueller Unternehmen müssen in der Lage sein, für einen konkreten Auftrag kurzfristig über Unternehmensgrenzen, räumliche Entfernungen und (unternehmens)kulturelle Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten. Dies geschieht zumeist mit Projektkollegen, die ihnen nicht persönlich bekannt sind. Während der ganzen Kooperation - von der Anbahnung der virtuellen Unternehmung über die Abwicklung des Projekts bis hin zur Kooperationsauflösung - arbeiten diese Leute vorwiegend über verschiedene Medien zusammen. Hier liegen unter anderem auch die besonderen Herausforderungen ihres Berufsalltags. Sie sehen sich zum Teil nie, müssen aber trotzdem so etwas wie Kollegialität herstellen und gegenseitiges Vertrauen aufbauen.
Man muss sich also schnell auf neue Situationen einstellen können. Sind die Qualifikationen für eine solche Zusammenarbeit bei den Leuten denn weitgehend da?
Teils, teils. Die erforderlichen Kompetenzen setzen sich zusammen aus den Fach- und den Schlüsselkompetenzen. Da die Fachkompetenzen das Kerngeschäft der Akteure betreffen, sind sie in der Regel sehr gut ausgebildet - das macht sie als Freelancer in einem virtuellen Unternehmen ja erst interessant. In diesem Bereich ist wenig konkreter Qualifikationsbedarf erkennbar. Anders sieht es aus, wenn es um fachliche Querschnittskompetenzen geht. Die Akteure brauchen zum Beispiel Kompetenzen im Bereich Risikomanagement bei virtuellen Kooperationen, Recht, Projektmanagement verteilter Teams, Marketing, Projektakquise und so weiter. Den größten Weiterbildungsbedarf sehen wir vor dem Hintergrund der spezifischen Arbeitssituation im Bereich der Schlüsselkompetenzen, beispielsweise medienspezifische Kommunikations- und Kooperationskompetenzen. Dabei geht es zum Beispiel um folgende Fragen: Wie steuert man eine Teamentwicklung über das Internet - geht das überhaupt? Wie funktioniert Konfliktmanagement per E-Mail, Projektplanung per Videokonferenz? Die Problemstellungen sind zahlreich. Hier kommt es bei virtuellen Unternehmen am häufigsten zu Störungen. Gerade, hier lohnt es sich, Qualifikationsangebote zu erstellen.
Mir scheint, Sie bekommen durch diese Forschungen konkrete Hinweise, wie die Schlüsselqualifikationen der Zukunft aussehen. Zumindest, wenn virtuelle Arbeitsformen sich in Zukunft weiter ausbreiten und die Zahl der Freelancer steigt.
Meiner Meinung nach wird das geschehen. Da es immer weniger Festanstellungen gibt, ist diese Arbeitsform ein Trend, der zunehmen wird. Egal, ob sich dieser Personenkreis - die Zielgruppe von ViCO - nun als virtuelle Akteure bezeichnen würde oder nicht. In der Praxis bedeutet das: Langfristige, gewachsene, soziale Beziehungssysteme am Arbeitsplatz lösen sich zunehmend auf. Insgesamt prognostizieren wir Veränderungen bei Anforderungen und Kompetenzen wie Vertrauensfähigkeit und Vertrauensbereitschaft, neue medienspezifische Kommunikations- und Kooperationskompetenzen und interkulturelle Kompetenzen.
Letzteres deshalb, weil immer öfter global kommuniziert wird?
Das auch. Aber schon die Kulturen von Unternehmen - der Stil des Umgangs, der Kommunikation, die Werte, die Art, wie Entscheidungen getroffen werden - können sich sehr stark unterscheiden. Man muss also auch den Umgang mit solchen Differenzen beherrschen.
Was ist sonst noch wichtig für Freelancer, die in virtuellen Unternehmen mitarbeiten?
Die Fähigkeit zu Selbststeuerung und Selbstlernen wird immer entscheidender, weil der Einzelne seine Arbeitsfähigkeit nach Marktregeln verwalten muss und für seine Arbeitsbedingungen und sein Arbeitsverhalten stärker selbst verantwortlich ist.
Auch dadurch, dass es immer weniger Normalarbeitsverhältnisse gibt, die beruflichen Lebensläufe immer häufiger unvorhersehbare Brüche und Lücken haben, entstehen neue Anforderungen. Zum Beispiel "Transitionskompetenz" - die berufsbezogene Identität den Möglichkeiten des beruflichen Feldes zeitnah anzupassen. Oder "Identitätskompetenz", um sich problemlos in wechselnde Teamkonstellationen zu integrieren und mit Ablösungs- und Vertreibungsmechanismen umgehen zu können. Außerdem "Rollenflexibilität" und "Ambiguitätstoleranz", um die wechselnden Anforderungen, Aufgaben und Rollen bewältigen zu können.
Was hat der einzelne Freelancer davon, wenn er bei dieser Befragung mitmacht?
Der Vorteil für den zukünftigen Anwender liegt darin, dass wir das Instrument ViCO durch seine Informationen zielgruppengerecht gestalten und programmieren können. Bis Projektende entwickeln wir einen Prototyp, der nach Abschluss des Projekts zur Marktreife geführt werden soll.
Wie weit ist das Projekt ViCO insgesamt gediehen, wie viel haben Sie schon geschafft?
Wir haben im Januar rund die Hälfte geschafft. Die Programmierung wird in etwa einem Jahr beginnen. Besonders eng kooperieren zurzeit die Organisationspsychologen, das Fraunhofer IML, der Lehrstuhl Technik und ihre Didaktik und die Wirtschaftspädagogen aus Oldenburg. Das nächste Arbeitspaket, das jetzt anfängt, betrifft das hochschuldidaktische Zentrum: Die Kollegen werden anfangen, zu untersuchen, welche virtuellen Vermittlungsmöglichkeiten von Schlüsselkompetenzen es gibt, um schließlich ein didaktisches Meta-Modell zu entwickeln. Danach werden die Softwaretechnologen anfangen, das Agenten-Ensemble zu konzipieren, aus dem ViCO zu einem großen Teil besteht.
Für uns ist die nächste Teilaufgabe ein Transfer-Workshop innerhalb des Projekts, um die Erkenntnisse und Erfahrungen über Kompetenzen und den Qualifizierungsbedarf, die wir in der ersten Projektphase gesammelt haben, für und mit den nachfolgenden Teilprojekten aufzubereiten. So soll sichergestellt werden, dass die Forschungsergebnisse in die Gestaltung und Programmierung von ViCO einfließen.
Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.
Kontakt:
Universität Dortmund
Lehrstuhl Technik und ihre Didaktik
Martina Kunzendorf
martina.kunzendorf@uni-dortmund.de
www.virtueller-coach.de
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