Dass die Globalisierung allerdings schon damit begann, dass vor 500 Jahren der Portugiese Vasco da Gama die Südspitze Afrikas umsegelte, wird selten bedacht. Natürlich hat die Globalisierung heute eine neue Qualität erreicht. Die Geschwindigkeit hat enorm zugenommen, sie hat fast alle Regionen der Welt erfasst und ist von ungeheurer ökonomischer Breite. Es finden aber auch kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen statt. So sind die Digitalisierung und die informationstechnische Revolution dabei, unser Leben umzugestalten, wie dies zuletzt vielleicht die industrielle Revolution im 19. Jahrhundert vermochte. Damit einher geht die Flexibilisierung der Produktion und des Arbeitsmarktes. Gesellschaftlich erleben wir einen mächtigen Trend zur Individualisierung. Diese Gemengelage von Entwicklungen, nicht etwa die Globalisierung allein, machen dem bisherigen Sozialmodell in Europa zu schaffen - und in Deutschland ganz besonders.
Mehr Bildung. Mehr Eigenverantwortung.
Vor diesem Hintergrund haben vier
Projekte des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung
geförderten und von der Projektträgerabteilung des Deutschen
Zentrums für Luft- und Raumfahrt gesteuerten Förderschwerpunktes
"Innovative Arbeitsgestaltung" eine internationale Tagung unter
dem Titel: "Arbeitsgestaltung in der Netzwerkökonomie"
veranstaltet. Die Projekte untersuchen "neue Formen der
virtuellen Organisation", "neue Formen der Erwerbsbiografien",
"neue Formen des Lernens in virtualisierten Arbeitskontexten" und
schließlich die "Zukunftsfähigkeit freiberuflicher
Wissensarbeiter".
Gleich zu Beginn nahm der in der Sachverständigenkommission
für die Bundesregierung für das Thema "Arbeit und Gesellschaft"
wirkende Rolf Heinze (Uni Bochum) Stagnation und Zersplitterung
des Arbeitsmarktes in Deutschland im internationalen Vergleich
unter die Lupe. Er stellte fest, dass die Änderung des
institutionalisierten Regelwerkes zur besseren Anpassung des
Arbeitsmarktes in Deutschland bereits zu Beginn der 1990er Jahre
verschlafen wurde. Es sind aufgrund mangelnder Öffnung,
mangelnder Legalisierung und Absicherung Graubereiche der
Dienstleistungsbeschäftigung entstanden, die mit dazu beitragen,
dass das Schlagwort des "Prekariats" auch hierzulande traurige
Berühmtheit erlangen konnte.
Wir würden, so Heinze, uns zu einer
"Entscheidungsgesellschaft" hin entwickeln, weil tagtäglich neu
zu treffende Entscheidungen ein alle Lebensbereiche
durchdringendes Prinzip zu werden scheint. Um diese Situation
erträglicher zu gestalten, sei vor allem mehr Bildung vonnöten.
Neue Wertschöpfungsketten beruhten nämlich auf innovativer
Technologie und einem starken Dienstleistungssektor, der in
Deutschland gestärkt werden müsse.
Kontrastierend stellte der Unternehmensberater Bo Bäckström
das schwedische Modell der Veränderung des Arbeitsmarktes in den
1990er Jahren vor - als Beispiel für Deutschland. Schweden sei
erfolgreich durch die Stärkung der Eigenverantwortung und durch
erfolgreiche Teambildung, die nicht nur dazu beigetragen habe,
dass eine große Zahl neuer Berufe geschaffen, sondern auch die
Ausbildung in der Breite verbessert worden sei.
Zum Thema "Wandel der Arbeits- und Beschäftigungsformen im
globalisierten Wettbewerb" sprach Johan Peter Paludan. Und obwohl
der Däne Direktor des "Copenhagen Institute for Futures Studies /
CIFS" ist, stellte er von vornherein fest: "Wir können die
Zukunft nicht vorhersagen - und glücklicherweise ist das so!"
Dennoch nahm Paludan für die Zukunft der Arbeit vorweg, dass die
Virtualität zwar zunehmen würde, aber die Bedeutung der
unmittelbaren Begegnung nach wie vor sehr groß bleibe (Mobilität
ist und bleibt wichtig!). Informelle Qualifikationen würden in
der Kommunikation zwar eine große Rolle spielen. Was über den
Computer beziehungsweise die Medien in der Regel kommuniziert
würde, sei allerdings mit der Spitze eines Eisbergs zu
vergleichen. Es spiele eine viel größere Rolle, was nicht
wahrzunehmen sei. An Megatrends für die Zukunft machte Paludan
aus: Individualisierung, Wohlstand von mehr Menschen als heute
sowie die weiter zunehmende Beschleunigung aller
Lebensverhältnisse. Das ziehe mehr Veränderung und lebenslanges
Lernen nach sich. Die Zeit werde immer kompakter und Innovationen
erhielten eine immer größere Bedeutung.
Der heute oft pejorativ gebräuchliche Ausdruck der
"gebrochenen Biographie" werde in Zukunft ein falscher Ausdruck
sein, denn die Einsicht überwiege, dass Veränderung notwendig
ist! Der Trend zur Immaterialisierung beinhalte einen Trend zur
antiautoritären Nutzung. Der Trend zum Verlust von Zeit beinhalte
einen Rückgang der Freizeit und eine Zunahme der Arbeitszeit.
Neue Formen der Arbeit liegen in der Virtualisierung,
Dezentralisierung, Flexibilisierung und Autonomisierung. Doch
ergibt sich daraus, dass die Gewinner und Verlierer deutlicher
noch als gegenwärtig durch die Grenzscheide intelligenter,
kreativer Nutzung der (bestehenden) Freiheiten gezogen würden.
Die Gefahr dieser Trends liege darin, dass wir "always on" wären
(24 Stunden an 7 Tagen der Woche) - mit dem Effekt zunehmenden
Stresses, das heißt, zu "Zombies in Workplaces" würden. Dem könne
man nur mit Kreativität entgegensteuern. Und dazu benötigen wir,
so Paludan, Individualität, Bewegung gegen Passivität,
Sinnesfreudigkeit (sensuality) und vor allem Innovationen. Die
befördernden Möglichkeiten liegen dann in der Beendigung der
Routinen, Belohnungen für Kreativität, einzigartigen Produkten
und inspirierender Diversität!
Ulrike Hugl aus Innsbruck untersuchte die Möglichkeiten
virtueller Personalentwicklung und die Vorteile, welche die
Nutzer von einer solchen Entwicklung konkret haben könnten. Sie
empfahl vor allem vertrauensbildende Maßnahmen, die eine offene
Kommunikationspolitik aller Angebote, Auswertungen und vor allem
den Schutz persönlicher Daten beträfe, forderte aber auch, was
die Weiterentwicklung des Webs im wesentlichen auszumachen
scheint, nämlich Plattform für ein Angebot auch privater
Kommunikationsmöglichkeiten zu sein.
Josef Rützel von der Uni Darmstadt betonte schließlich die
Selbstorganisation in der Kompetenzentwicklung von Selbständigen,
die insbesondere in noch nicht organisierten Berufsgruppen tätig
seien. Freiberufler und Netzwerke benötigen in besonderer Weise
Rechtssicherheit, einen aufgeklärten Markt, neu zu schaffende
Interessenvertretungen, gesetzliche Weiterbildungsangebote, eine
informierte öffentliche Verwaltung sowie spezifische Formen
sozialer Absicherungen, die es alle heute so noch nicht
gibt.
Konkrete Umsetzung steht bevor.
Die Berliner Tagung zeigte, dass im internationalen Vergleich in Deutschland noch viele Potentiale nicht so genutzt werden, wie es möglich scheint. Die Forschungsergebnisse der Projekte AERVICO, NErVUM, VICO und Virkon sind allerdings bis an die Grenze zur Umsetzung in die Praxis herangekommen. Es stehen Möglichkeiten zur Weiterführung und zur Vermarktung an. Die Projekte sollen auftragsgemäß in konkrete Arbeit schaffende Maßnahmen, in "innovative Arbeitsgestaltung", übersetzt werden. Vielleicht können sie dann mit Michel Serres in dieser Arbeit nicht nur einen Ausleseprozess sehen, sondern auch die Hoffnung setzen: "Eine mechanische Arbeit: den Ansatzpunkt der Kraft verschieben; die Entropie senken. Eine informationelle Arbeit: die zwei Punkte unterscheiden können." Arbeit geht dann nämlich gegen die Entropie, gegen die (natürliche) Auflösung aller Systeme an. Und in der Unterscheidungsfähigkeit liegt schließlich unsere Kraft, die Ansatzpunkte für unsere Arbeit verschieben zu können und sie dadurch erfolgreicher, also gegen-entropisch, gestalten zu können.
Dr. Peter M. Steiner ist Geschäftsführer von WissensWandel.de und Vorstand der Global Lectures AG in München.
E-Mail:
steiner@global-lectures.de
Weitere Informationen zum Projekt VICO:
www.virtueller-coach.de
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