Ins Boot holen
Die Zukunft der Arbeit steht allen offen - ein Gespräch mit Johan Peter Paludan.
Von Anja Dilk
Der Direktor des Copenhagen Institutes for Futures Studies (CIFS) redet Klartext. Da ein wachsender Teil der Arbeitskräfte in Zukunft nicht mehr gebraucht wird, müssen wir uns entscheiden: Entweder stellen wir diese Menschen außerhalb des Arbeitsmarktes, was eine Strafe für ihr Leben und dauerhaft politisch nicht akzeptabel ist. Oder wir geben ihnen andere Aufgaben - etwa im Gesundheits- und Pflegesektor. Seine Forderung: Wir müssen die gering qualifizierten Menschen endlich nachqualifizieren, damit sie wieder im Arbeitsmarkt einsetzbar sind.
Johan Peter PaludanJohan Peter Paludan ist Direktor des Copenhagen Institutes for Futures Studies und ein renommierter Experte für Zukunftsforschung. Er ist auf die Themen Arbeitsmarkt, Bildung und soziale Entwicklungen spezialisiert. Zu seinen Veröffentlichungen gehören: The Nordic Welfare State und The Strategy of Corporations: the Most Likely Future and the Wilder Alternatives. In einem Vortrag auf der internationalen Tagung "Arbeitsgestaltung in der Netzwerkökonomie" hat Paludan den Wandel von Arbeits- und Beschäftigungsformen im globalen Wettbewerb unter die Lupe genommen.
Herr Paludan, als Direktor des Copenhagen Institutes haben Sie sich intensiv mit der Zukunft der Arbeit beschäftigt. Verraten Sie uns, wie wird sich Arbeit in Zukunft verändern?
Die Globalisierung hat bereits die Formen der Arbeit gravierend verändert. Einerseits durch Automatisierung, andererseits durch Outsourcing der einfachen Tätigkeiten nach China oder Indien. Diese einfache Arbeit hat sich im Laufe der Geschichte über den Globus bewegt. Lange Zeit wurde sie in Japan erledigt, dann in Korea, heute eben in China und Indien. Wenn einfache Arbeit nicht von Maschinen übernommen werden kann, wird sie immer dort erledigt, wo es die niedrigsten Löhne gibt. Das bedeutet: Der Rest der Welt muss sich auf andere Arten von Arbeit konzentrieren.
Welche Konsequenzen hat das für uns in Europa?
Zum einen brauchen wir besser qualifizierte Arbeitskräfte. Der Bedarf an anspruchsvollen Tätigkeiten wird hierzulande zunehmen. Damit ist die zweite Schlussfolgerung verbunden: Ein wachsender Teil der Arbeitskräfte wird überhaupt nicht mehr gebraucht. Das ist eine der größten Herausforderungen für die Zukunft. Wir müssen mit sozialen Neuerungen dagegen angehen, denn so wie unser Arbeitsmarkt und unsere Finanzsysteme funktionieren, können wir diese gering qualifizierten Menschen bislang nicht auffangen. Im Klartext: Entweder stellen wir diese Menschen außerhalb des Arbeitsmarktes, was eine Strafe für ihr Leben und dauerhaft politisch nicht akzeptabel wäre. Oder wir geben ihnen andere Aufgaben. Denn es ist dumm, das Potential dieser Leute zu verschenken. Neue Aufgaben zum Beispiel im Gesundheits- und Pflegesektor oder im Umweltbereich. Freilich ist die Frage: Wer zahlt dafür?
Wie können wir Lösungen finden, um die Zahl der Verlierer in unserer Gesellschaft klein zu halten?
Zentral ist: Wir müssen die gering qualifizierten Menschen nachqualifizieren, so dass sie wieder am Arbeitsmarkt einsetzbar sind. Allgemein liegt die Qualifikation vieler Menschen zehn, zwanzig Jahre zurück. Auch sie müssen durch lebenslanges Lernen wieder auf den aktuellen Stand gebracht werden. Die Zeiten, in denen wir einmal Gelerntes ein Leben lang anwenden können, sind vorbei. Heute ist nichts dauerhaft. Wer einmal seinen Arbeitsplatz verloren hat, wird es immer schwerer haben. Denn das Meiste lernen wir inzwischen informell am Arbeitsplatz. Beispielsweise in der Diskussion mit Kollegen oder indem ich neue Aufgaben übertragen bekomme und lösen muss. Sobald ich nicht mehr Teil dieses Systems bis, verliere ich zunehmend Qualifikationen.
Ist die Netzwerk-Ökonomie eine Arbeitsform der Zukunft?
Wir haben sie bereits. Man könnte auch sagen, eine horizontal, nicht hierarchisch strukturierte Wirtschaft, in der interaktiver gearbeitet wird als früher.
Inwieweit wird sich unsere Gesellschaft in den kommenden 20 Jahren verändern? Wo sehen Sie die Megatrends?
Zum einen wird sich der Wandel immer mehr beschleunigen. Und er wird jene hinter sich lassen, die sich nicht mitverändern. Zweitens natürlich die Globalisierung. Wir können mit Hilfe von Informationstechnologie, besseren Transportsystemen und besserer Infrastruktur die Produktion über einen weiten geographischen Raum streuen. Drittens: Wohlstand. Wir leben in einem reichen Teil der Welt, der sich auf viele ausdehnen wird. Weil die Menschen nicht von Hunger bedroht sind, haben sie keine Angst, individuell und antiautoritär zu sein. Denn im Gegensatz zu früher, riskieren sie damit nicht viel. Viertens Digitalisierung. Die Informationstechnologie macht Globalisierung erst möglich. Fünftens: Zeitmangel. Auf dem Arbeitsmarkt haben immer mehr Leute nicht mehr festgelegte Arbeitsstunden, sondern erledigen einen Job mit einer Deadline. Statt einem Arbeitgeber, der ihnen Arbeitsaufgaben zuwies und ihre Zeit organisierte, müssen sie heute ihre Arbeitszeit selbst verwalten. Dafür aber haben wir keine Tradition, wir haben es nicht gelernt.
Zudem hat die neue Form von Arbeit kein formales Ende mehr - außer der Deadline. Wir können ständig arbeiten, wir können unsere Arbeit immer noch besser machen. Das produziert ein permanent schlechtes Gewissen, obendrein haben wir nicht mehr genug Zeit für unsere Familie, das macht uns zusätzlich unzufrieden. Zerrissen zwischen beidem drehen wir uns schneller und schneller im Hamsterrad - und scheitern. Der Stresspegel steigt. Infolge dieser Entwicklungen werden Arbeitsverhältnisse zunehmend virtuell, weil die Menschen hoffen, über Distance-Working doch noch alles unter einen Hut bringen zu können.
Sie selbst haben das Copenhagen Institute eine Zeitlang von Jütland aus geleitet. Welche Erfahrungen haben Sie mit dem virtuellen Arbeit gemacht?
Es gibt ernsthafte Grenzen der virtuellen Zusammenarbeit. Distance-Work ist großartig, wenn man viel zu tun hat und die Deadline naht. Denn die Anwesenheit am Arbeitsplatz ist ein Zeitfresser. Die Kollegen kommen zu einem Plausch, Meetings werden einberufen und so weiter. Aber wir kommen nicht daran vorbei, dass der Mensch ein soziales Wesen ist. Wir wollen andere persönlich treffen. Außerdem verlieren wir auf Dauer an Qualifikation, wenn wir nicht die Entwicklungen am Arbeitsplatz verfolgen.
Ist die gegenwärtige Kultur des Wandels ein vorübergehendes Phänomen oder werden wir dauerhaft mit dem ständigen Wandel leben müssen?
Nur wer in einer Gesellschaft aufgewachsen ist, die sich noch nicht beschleunigt hat, wird den Wandel als Problem oder Belastung empfinden. Für die junge Generation, vielleicht die ab den 1970er Jahren Geborenen, gehört der Wandel zur Normalität. Im Gegenteil, Sie sagen eher: Kommt, lasst uns etwas Neues ausprobieren!
Anja Dilk ist Redakteurin bei changeX.
© changeX Partnerforum [22.05.2006] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Anja Dilk ist Berliner Korrespondentin, Autorin und Redakteurin bei changeX.

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