Wer ist ein guter Netzwerkmanager?
Für das Projekt VICO erforschen Organisationspsychologen die Arbeitsstrukturen in virtuellen Unternehmen.
VICO - das steht für "virtueller Coach". Für ein ausgefeiltes Programm, das Mitarbeiter virtueller Unternehmen künftig bei der Weiterbildung unterstützen soll. Aber bis die intelligente Software fertig ist, muss noch viel Forschung geleistet werden. Weil sich ein solches Projekt nur transdisziplinär anpacken lässt, arbeiten sechs Kooperationspartner aus der Wissenschaft und zwei Unternehmen aus der Wirtschaft in dem Verbundprojekt mit. Wie in einem Staffellauf steigen die Partner nacheinander ein; die einzelnen Teilprojekte greifen ineinander. Den Anfang machen unter anderem die Organisationspsychologen - sie haben einige Herausforderungen zu meistern.
Virtuelle Unternehmen gelten, da
extrem flexibel, als eine Organisationsform der Zukunft. Sie
bestehen meist aus einer Vielzahl von Partnern, die einen Verbund
bilden, um ein bestimmtes Projekt gemeinsam zu stemmen. Die
einzelnen Mitarbeiter, die oft geografisch weit voneinander
entfernt sitzen, sind per Internet vernetzt - das Team lernt sich
nur selten von Angesicht zu Angesicht kennen. Nachdem der Auftrag
erledigt ist, lösen sich die neuen Strukturen oft wieder auf. Es
handelt sich sozusagen um missionsgebundene Kooperationen
zwischen vertraglich relativ ungebundenen Partnern, die ihre
Kernkompetenzen kombinieren, um einen Kundenauftrag customized
erfüllen zu können.
Um für diese Mitarbeiter einen Qualifizierungscoach
verwirklichen zu können, galt es, erst einmal mehr über das
Innenleben dieser bisher wenig bekannten Gebilde herauszufinden.
Wie sehen die Anforderungen in einer virtuellen Organisation
eigentlich aus? Welche Schlüsselqualifikationen brauchen die
Mitarbeiter? Das zu erforschen ist an der Uni Dortmund die
Aufgabe des Lehrstuhls Grundlagen und Theorien der
Organisationspsychologie sowie des Lehrstuhls Technik und ihre
Didaktik, der das Projekt federführend betreut. Aber auch das
Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik und der
Lehrstuhl für Berufs- und Wirtschaftspädagogik der Universität
Oldenburg spielen in dieser frühen Phase des Projekts eine
wichtige Rolle. Diese vier Partner bilden das Forschungsteam
"Kompetenzprofil".
Das Ziel: Bis Ende Februar 2005 soll ein Kompetenzprofil
für Mitarbeiter virtueller Unternehmen erstellt sein - das
Fundament, auf dem die anderen Projektpartner weiterarbeiten
können.
Die Organisationspsychologen.
Bei den Dortmunder
Organisationspsychologen ist eine Vielfalt der Perspektiven und
Kompetenzen versammelt, hier arbeiten Psychologen,
Sozialwissenschaftler, Wirtschaftswissenschaftler und Pädagogen
Seite an Seite. Ihr Institut bietet einen berufsbegleitenden
Zusatzstudiengang mit vielen Wochenend- und Abendveranstaltungen
und forscht gleichzeitig an Themen wie systemverträgliche
Organisationsentwicklung, Arbeits- und Gesundheitsschutz,
Auswirkungen neuer Arbeitsformen, Work-Life-Balance und
Prävention von Fehlbelastungen via E-Coaching, sowie der Beratung
von Arbeitslosen und der Entwicklung zielgruppenspezifischer
Personalauswahlverfahren und Qualifizierungsmaßnahmen. Vieles
davon ist Drittmittelforschung - für das Bundesministerium für
Bildung und Forschung, die Industrie oder Krankenkassen.
August 2003, direkt nach dem Start des Projekts, liefen im
Institut die Vorarbeiten für VICO an. Diplom-Psychologe Dr. Lars
Adolph und Diplom-Pädagogin Mia Wolf sichteten und analysierten
die Literatur und informierten sich über Merkmale, Hintergründe
und Definition virtueller Unternehmen - der Zielgruppe des
zukünftigen Qualifizierungscoachs. Sie stellten fest, dass es
sehr unterschiedliche Auffassungen und Vorstellungen darüber
gibt, was ein virtuelles Unternehmen eigentlich ist. Die fluide
Organisationsform erwies sich als schwer greifbar. "Wir wollten
keine zu starre Definition wählen und haben deshalb ein
Instrument entwickelt, mit dessen Hilfe wir Unternehmen nach
ihrem Virtualisierungsgrad einordnen", berichtet Mia Wolf. Zehn
vielversprechende "Kandidaten" fanden die Projektpartner, an
denen sich erforschen lässt, wie diese Organisationen in der
Praxis aussehen und wie in ihnen agiert wird. Unter anderem The
Virtual Company, deren Zentrale in der Schweiz sitzt und die seit
1997 am Markt auftritt. Dieser lose Kompetenzverbund von zur Zeit
24 eigenständigen kleinen Unternehmen aus der Informations- und
Telekommunikationsbranche stellt den Pool dar, aus dem sich bei
Bedarf das virtuelle Unternehmen bildet. Ein anderes virtuelles
Unternehmen, das die Forscher genauer unter die Lupe nahmen, ist
die Eudemonia AG mit Basis in Münster, ein
Dienstleistungsunternehmen für forschungsangewandte Beratung und
Softwareentwicklung. "Die Kooperationsbereitschaft hat sich
bisher als sehr zufrieden stellend erwiesen", berichtet Wolf.
Gemeinsam wurde in der Forschungsgruppe "Kompetenzprofil"
ein Einstiegsinterview entwickelt, um in den ersten Gesprächen
mit den Netzwerkmanagern mehr über die Unternehmen herauszufinden
und sie klarer zu charakterisieren. Christiane Auffermann vom
Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik übernahm im
Rahmen ihrer Geschäftsprozessanalyse die - zur Zeit laufende -
Aufgabe, zu den Unternehmen zu reisen und die ersten persönlichen
Interviews zu führen.
Wie erforscht man virtuelle Unternehmen?
Im nächsten Schritt wird es dann
nicht mehr ums Unternehmen generell gehen, sondern um die
Mitarbeiter und ihren Arbeitsalltag, ihre Aufgaben und
Anforderungen. Schnell zeigte sich, dass man besondere
Herangehensweisen entwickeln musste, um dem neuen Projekt gerecht
zu werden. Wie durchleuchtet man eigentlich virtuelle Strukturen
und Arbeitsbeziehungen? Wenn Organisationspsychologen ein Thema
erforschen, sind sie häufig vor Ort zu finden, in den
Unternehmen. Sie beobachten Mitarbeiter und Führungskräfte bei
der Arbeit, beschreiben und analysieren ihre Tätigkeiten und
Interaktionen. "In diesem Fall funktioniert das mit dem
Beobachten nicht, weil die Leute in virtuellen Unternehmen stark
medialisiert arbeiten und sich selten face to face begegnen",
erklärt Mia Wolf. "Wenn man sie beobachten würde, könnte man nur
sehen, dass sie acht Stunden vor dem Computer sitzen - das macht
wenig Sinn. Man würde keinen Überblick bekommen, was typisch für
ihre Tätigkeit ist." Klassische
Arbeits-/Tätigkeitsanalysemethoden greifen aufgrund der
Medialisierung des Arbeitsprozesses und der Heterogenität der
Arbeitsaufgaben der untersuchten Personenkreise hier zu kurz.
Deshalb wählten die VICO-Mitarbeiter den Weg des
teilstandardisierten, explorativen Interviews, um mehr
herauszufinden. Denn was auf Beziehungsebene in den virtuellen
Unternehmen passiert, ist zwar nicht beobachtbar, aber die
Mitarbeiter können es sehr wohl beschreiben: Welchen Aufgaben und
Belastungen sehen sie sich gegenüber? Welche
Bewältigungsstrategien wenden sie im Alltag an? Wie funktionieren
die Arbeitsbeziehungen? Diese Interviews mit den Mitarbeitern,
bereiten Lars Adolph und Mia Wolf zur Zeit vor, die Entwicklung
eines Gesprächsleitfadens ist im vollen Gange. Mit den
Ergebnissen der Gespräche wollen sie ihr Wissen über das
Innenleben virtueller Organisationen Schritt für Schritt
konkretisieren. Im Visier haben sie zunächst die Netzwerkmanager
oder "Broker", die das virtuelle Unternehmen koordinieren und
zusammenhalten. Sie müssen als Schnittstellenmanager eine hohe
Kommunikations- und Organisationsleistung im Beziehungsmanagement
erbringen. In einem zweiten Schritt des Forschungsdesigns werden
dann die Networker selbst befragt; dadurch wird - so vermuten die
Forscher - fundiert phänomenologisch erfasst, was für Ansprüche
die Arbeit in den neuen Netzwerken stellt und welche
Qualifikationen man dafür braucht.
Aus dieser Anforderungsanalyse sollen in einem weiteren
Schritt die zentralen Kompetenzfelder extrahiert werden, die zur
Bewältigung der Belastungen und Beanspruchungen notwendig sind.
Die Ergebnisse der beteiligten Projektpartner fließen dabei in
ein "integratives Kompetenzprofil", welches Prognosen über den
Bildungsbedarf der Akteure erlauben soll.
Ohne Vertrauen geht es nicht.
Aus der bisherigen Forschung haben sich bereits drei Themenstränge herauskristallisiert, die die Organisationspsychologen verfolgen und genauer unter die Lupe nehmen.
- Eine zentrale Kompetenz für die Arbeit in virtuellen Unternehmen scheint die Selbststeuerungsfähigkeit zu sein. Denn wenn sich soziale Bezugssysteme verflüssigen und sich Teams projektgebunden und kurzfristig zusammenfinden, ist jedes einzelne Mitglied auf sich selbst zurückgeworfen und muss sich selbst sehr viel stärker managen als bisher. Die Mitarbeiter haben die Chance, stärker selbst gesteuert statt fremd gesteuert zu arbeiten. Aber die neuen Spielräume zu füllen und Freiheiten zu nutzen erfordert ein gehöriges Maß an Selbstmanagement.
- Ein wichtiger Aspekt ist das Vertrauen. Die Mitarbeiter müssen auf neue Art kooperieren und lernen sich nicht unbedingt persönlich kennen. Oft sind die Unternehmen, die Teil des Netzwerks sind, sogar Konkurrenten. Um trotzdem erfolgreich zusammenzuarbeiten, muss jedes Mitglied des Netzwerkes eine "Vertrauenskompetenz" haben, es muss ihm gelingen, Vertrauensbeziehungen ohne Vertrautheit aufzubauen und mit diesen fluiden Arbeitsbeziehungen zurechtzukommen.
- Das dritte Thema ist Berufsidentität/Biographie(um)brüche. "Wir beobachten, dass die Mitarbeiter von virtuellen Unternehmen besonders häufig Brüche in ihren Biographien haben. Sie müssen viele Übergänge bewältigen", berichtet Mia Wolf. "Das erfordert viel Identitätsarbeit, um sich immer wieder mit neuen Kontexten zu identifizieren." Es stellt sich die Frage, wie die Akteure in virtuellen Arbeitskontexten die Wechsel der Bezugssysteme meistern und dabei für ihr Selbstkonzept dienliche Sinnbezüge herstellen.
Schritt für Schritt erarbeiten die Organisationspsychologen, welche Kompetenzen sich aus all diesen Besonderheiten ableiten - und natürlich auch, was ein virtueller Coach wie VICO bieten muss, um für die Mitarbeiter der Unternehmen interessant zu sein.
Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.
www.virtueller-coach.de
www.orgapsy.uni-dortmund.de
Zum changeX-Partnerportrait: ViCO - Virtueller Qualifizierungs-Coach.
© changeX Partnerforum [13.04.2004] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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ViCO - Virtueller Qualifizierungs-Coach
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