Wer ist ein guter Netzwerkmanager?

Für das Projekt VICO erforschen Organisationspsychologen die Arbeitsstrukturen in virtuellen Unternehmen.

Von Nina Hesse

VICO - das steht für "virtueller Coach". Für ein ausgefeiltes Programm, das Mitarbeiter virtueller Unternehmen künftig bei der Weiterbildung unterstützen soll. Aber bis die intelligente Software fertig ist, muss noch viel Forschung geleistet werden. Weil sich ein solches Projekt nur transdisziplinär anpacken lässt, arbeiten sechs Kooperationspartner aus der Wissenschaft und zwei Unternehmen aus der Wirtschaft in dem Verbundprojekt mit. Wie in einem Staffellauf steigen die Partner nacheinander ein; die einzelnen Teilprojekte greifen ineinander. Den Anfang machen unter anderem die Organisationspsychologen - sie haben einige Herausforderungen zu meistern.

Virtuelle Unternehmen gelten, da extrem flexibel, als eine Organisationsform der Zukunft. Sie bestehen meist aus einer Vielzahl von Partnern, die einen Verbund bilden, um ein bestimmtes Projekt gemeinsam zu stemmen. Die einzelnen Mitarbeiter, die oft geografisch weit voneinander entfernt sitzen, sind per Internet vernetzt - das Team lernt sich nur selten von Angesicht zu Angesicht kennen. Nachdem der Auftrag erledigt ist, lösen sich die neuen Strukturen oft wieder auf. Es handelt sich sozusagen um missionsgebundene Kooperationen zwischen vertraglich relativ ungebundenen Partnern, die ihre Kernkompetenzen kombinieren, um einen Kundenauftrag customized erfüllen zu können.
Um für diese Mitarbeiter einen Qualifizierungscoach verwirklichen zu können, galt es, erst einmal mehr über das Innenleben dieser bisher wenig bekannten Gebilde herauszufinden. Wie sehen die Anforderungen in einer virtuellen Organisation eigentlich aus? Welche Schlüsselqualifikationen brauchen die Mitarbeiter? Das zu erforschen ist an der Uni Dortmund die Aufgabe des Lehrstuhls Grundlagen und Theorien der Organisationspsychologie sowie des Lehrstuhls Technik und ihre Didaktik, der das Projekt federführend betreut. Aber auch das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik und der Lehrstuhl für Berufs- und Wirtschaftspädagogik der Universität Oldenburg spielen in dieser frühen Phase des Projekts eine wichtige Rolle. Diese vier Partner bilden das Forschungsteam "Kompetenzprofil".
Das Ziel: Bis Ende Februar 2005 soll ein Kompetenzprofil für Mitarbeiter virtueller Unternehmen erstellt sein - das Fundament, auf dem die anderen Projektpartner weiterarbeiten können.

Die Organisationspsychologen.


Bei den Dortmunder Organisationspsychologen ist eine Vielfalt der Perspektiven und Kompetenzen versammelt, hier arbeiten Psychologen, Sozialwissenschaftler, Wirtschaftswissenschaftler und Pädagogen Seite an Seite. Ihr Institut bietet einen berufsbegleitenden Zusatzstudiengang mit vielen Wochenend- und Abendveranstaltungen und forscht gleichzeitig an Themen wie systemverträgliche Organisationsentwicklung, Arbeits- und Gesundheitsschutz, Auswirkungen neuer Arbeitsformen, Work-Life-Balance und Prävention von Fehlbelastungen via E-Coaching, sowie der Beratung von Arbeitslosen und der Entwicklung zielgruppenspezifischer Personalauswahlverfahren und Qualifizierungsmaßnahmen. Vieles davon ist Drittmittelforschung - für das Bundesministerium für Bildung und Forschung, die Industrie oder Krankenkassen.
August 2003, direkt nach dem Start des Projekts, liefen im Institut die Vorarbeiten für VICO an. Diplom-Psychologe Dr. Lars Adolph und Diplom-Pädagogin Mia Wolf sichteten und analysierten die Literatur und informierten sich über Merkmale, Hintergründe und Definition virtueller Unternehmen - der Zielgruppe des zukünftigen Qualifizierungscoachs. Sie stellten fest, dass es sehr unterschiedliche Auffassungen und Vorstellungen darüber gibt, was ein virtuelles Unternehmen eigentlich ist. Die fluide Organisationsform erwies sich als schwer greifbar. "Wir wollten keine zu starre Definition wählen und haben deshalb ein Instrument entwickelt, mit dessen Hilfe wir Unternehmen nach ihrem Virtualisierungsgrad einordnen", berichtet Mia Wolf. Zehn vielversprechende "Kandidaten" fanden die Projektpartner, an denen sich erforschen lässt, wie diese Organisationen in der Praxis aussehen und wie in ihnen agiert wird. Unter anderem The Virtual Company, deren Zentrale in der Schweiz sitzt und die seit 1997 am Markt auftritt. Dieser lose Kompetenzverbund von zur Zeit 24 eigenständigen kleinen Unternehmen aus der Informations- und Telekommunikationsbranche stellt den Pool dar, aus dem sich bei Bedarf das virtuelle Unternehmen bildet. Ein anderes virtuelles Unternehmen, das die Forscher genauer unter die Lupe nahmen, ist die Eudemonia AG mit Basis in Münster, ein Dienstleistungsunternehmen für forschungsangewandte Beratung und Softwareentwicklung. "Die Kooperationsbereitschaft hat sich bisher als sehr zufrieden stellend erwiesen", berichtet Wolf.
Gemeinsam wurde in der Forschungsgruppe "Kompetenzprofil" ein Einstiegsinterview entwickelt, um in den ersten Gesprächen mit den Netzwerkmanagern mehr über die Unternehmen herauszufinden und sie klarer zu charakterisieren. Christiane Auffermann vom Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik übernahm im Rahmen ihrer Geschäftsprozessanalyse die - zur Zeit laufende - Aufgabe, zu den Unternehmen zu reisen und die ersten persönlichen Interviews zu führen.

Wie erforscht man virtuelle Unternehmen?


Im nächsten Schritt wird es dann nicht mehr ums Unternehmen generell gehen, sondern um die Mitarbeiter und ihren Arbeitsalltag, ihre Aufgaben und Anforderungen. Schnell zeigte sich, dass man besondere Herangehensweisen entwickeln musste, um dem neuen Projekt gerecht zu werden. Wie durchleuchtet man eigentlich virtuelle Strukturen und Arbeitsbeziehungen? Wenn Organisationspsychologen ein Thema erforschen, sind sie häufig vor Ort zu finden, in den Unternehmen. Sie beobachten Mitarbeiter und Führungskräfte bei der Arbeit, beschreiben und analysieren ihre Tätigkeiten und Interaktionen. "In diesem Fall funktioniert das mit dem Beobachten nicht, weil die Leute in virtuellen Unternehmen stark medialisiert arbeiten und sich selten face to face begegnen", erklärt Mia Wolf. "Wenn man sie beobachten würde, könnte man nur sehen, dass sie acht Stunden vor dem Computer sitzen - das macht wenig Sinn. Man würde keinen Überblick bekommen, was typisch für ihre Tätigkeit ist." Klassische Arbeits-/Tätigkeitsanalysemethoden greifen aufgrund der Medialisierung des Arbeitsprozesses und der Heterogenität der Arbeitsaufgaben der untersuchten Personenkreise hier zu kurz.
Deshalb wählten die VICO-Mitarbeiter den Weg des teilstandardisierten, explorativen Interviews, um mehr herauszufinden. Denn was auf Beziehungsebene in den virtuellen Unternehmen passiert, ist zwar nicht beobachtbar, aber die Mitarbeiter können es sehr wohl beschreiben: Welchen Aufgaben und Belastungen sehen sie sich gegenüber? Welche Bewältigungsstrategien wenden sie im Alltag an? Wie funktionieren die Arbeitsbeziehungen? Diese Interviews mit den Mitarbeitern, bereiten Lars Adolph und Mia Wolf zur Zeit vor, die Entwicklung eines Gesprächsleitfadens ist im vollen Gange. Mit den Ergebnissen der Gespräche wollen sie ihr Wissen über das Innenleben virtueller Organisationen Schritt für Schritt konkretisieren. Im Visier haben sie zunächst die Netzwerkmanager oder "Broker", die das virtuelle Unternehmen koordinieren und zusammenhalten. Sie müssen als Schnittstellenmanager eine hohe Kommunikations- und Organisationsleistung im Beziehungsmanagement erbringen. In einem zweiten Schritt des Forschungsdesigns werden dann die Networker selbst befragt; dadurch wird - so vermuten die Forscher - fundiert phänomenologisch erfasst, was für Ansprüche die Arbeit in den neuen Netzwerken stellt und welche Qualifikationen man dafür braucht.
Aus dieser Anforderungsanalyse sollen in einem weiteren Schritt die zentralen Kompetenzfelder extrahiert werden, die zur Bewältigung der Belastungen und Beanspruchungen notwendig sind. Die Ergebnisse der beteiligten Projektpartner fließen dabei in ein "integratives Kompetenzprofil", welches Prognosen über den Bildungsbedarf der Akteure erlauben soll.

Ohne Vertrauen geht es nicht.


Aus der bisherigen Forschung haben sich bereits drei Themenstränge herauskristallisiert, die die Organisationspsychologen verfolgen und genauer unter die Lupe nehmen.

  • Eine zentrale Kompetenz für die Arbeit in virtuellen Unternehmen scheint die Selbststeuerungsfähigkeit zu sein. Denn wenn sich soziale Bezugssysteme verflüssigen und sich Teams projektgebunden und kurzfristig zusammenfinden, ist jedes einzelne Mitglied auf sich selbst zurückgeworfen und muss sich selbst sehr viel stärker managen als bisher. Die Mitarbeiter haben die Chance, stärker selbst gesteuert statt fremd gesteuert zu arbeiten. Aber die neuen Spielräume zu füllen und Freiheiten zu nutzen erfordert ein gehöriges Maß an Selbstmanagement.
  • Ein wichtiger Aspekt ist das Vertrauen. Die Mitarbeiter müssen auf neue Art kooperieren und lernen sich nicht unbedingt persönlich kennen. Oft sind die Unternehmen, die Teil des Netzwerks sind, sogar Konkurrenten. Um trotzdem erfolgreich zusammenzuarbeiten, muss jedes Mitglied des Netzwerkes eine "Vertrauenskompetenz" haben, es muss ihm gelingen, Vertrauensbeziehungen ohne Vertrautheit aufzubauen und mit diesen fluiden Arbeitsbeziehungen zurechtzukommen.
  • Das dritte Thema ist Berufsidentität/Biographie(um)brüche. "Wir beobachten, dass die Mitarbeiter von virtuellen Unternehmen besonders häufig Brüche in ihren Biographien haben. Sie müssen viele Übergänge bewältigen", berichtet Mia Wolf. "Das erfordert viel Identitätsarbeit, um sich immer wieder mit neuen Kontexten zu identifizieren." Es stellt sich die Frage, wie die Akteure in virtuellen Arbeitskontexten die Wechsel der Bezugssysteme meistern und dabei für ihr Selbstkonzept dienliche Sinnbezüge herstellen.

Schritt für Schritt erarbeiten die Organisationspsychologen, welche Kompetenzen sich aus all diesen Besonderheiten ableiten - und natürlich auch, was ein virtueller Coach wie VICO bieten muss, um für die Mitarbeiter der Unternehmen interessant zu sein.

Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.

www.virtueller-coach.de
www.orgapsy.uni-dortmund.de

Zum changeX-Partnerportrait: ViCO - Virtueller Qualifizierungs-Coach.

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