Mit neuem Blick
Reingelesen März 2020
Hier unsere neue Bücherliste mit acht Kurzrezensionen aktueller Titel aus den Wirtschafts- und Sachbuchprogrammen der Verlage - querbeet durch Themen und Disziplinen. Dieses Mal geht es um einen neuen Blick auf Konflikte, auf die Realität unserer Welt, auf die Macht des Negativen, die Klimakrise, den Optimierungszwang des Managements, auf Lernen und Wissen, auf Bildung sowie Wachstum. Auswahl und Texte: Winfried Kretschmer mit zwei Beiträgen von Katja Reichgardt
Reinhard K. Sprenger:
Magie des Konflikts.
Warum ihn jeder braucht und wie er uns weiterbringt.
DVA, München 2020, 320 Seiten, 24 Euro (D), ISBN 978-3-421-04854-7
Schon das Wort elektrisiert: Konflikt. Konflikt gilt als das Gegenteil von Harmonie und Miteinander, als Störfeuer im Zusammenleben. "Konflikte lösen" und "konfliktfrei leben" ist dann auch der Tenor der einschlägigen Ratgeberliteratur, Konflikt = böse ihr Grundverständnis. Ein Missverständnis, sagt Reinhard K. Sprenger, und tritt an, es auszuräumen. Er tut es wie gewohnt grundlegend und sprachmächtig. Sprenger sagt, Konflikt werde zumeist missverstanden: "Es wird nicht gesehen, dass der Konflikt verbindet, was getrennt wurde, vereint, was sich zu sondern drohte." Das ist der zentrale Gedanke - und bezeichnet zugleich die "magische Doppelwertigkeit von Konflikten": Jeder Konflikt repräsentiert einen Dissens, einen Streit um die Gültigkeit von Ansprüchen und Ansichten, zugleich aber verweist er auf etwas Gemeinsames, ein Interesse an einer Verständigung. Andernfalls bliebe nur die Sanktion - und letztlich Gewalt - als Mittel der Durchsetzung. Es gilt: "Man muss etwas Gemeinsames haben, um etwas als trennend zu erleben." Die Frage hinter jedem Konflikt ist somit: "Wie gelingt das Gemeinsame?" Sprenger plädiert also für einen neuen, einen normalisierten und optimistischen Konfliktbegriff. Es gelte, den Konflikt als Chance zu sehen. Zu lernen, mit der Mehrdeutigkeit umzugehen, die in jedem Konflikt steckt. Und einen selbstsicheren Umgang mit Konflikten zu entwickeln. Nicht zuletzt - nein: vor allem! - ist dieses neue Konfliktverständnis radikal human, dem Menschen zugewandt: "Menschen handeln immer vernünftig, immer sinnvoll - auch wenn das bei manchen Konflikten oft nur schwer verständlich, manchmal unerträglich scheint." Das ist die Herausforderung: "Mehrdeutigkeit auszuhalten".
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Maja Göpel:
Unsere Welt neu denken.
Eine Einladung.
Ullstein Verlag, Berlin 2020, 208 Seiten, 17.99 Euro (D), ISBN 978-3-550200793
Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden ist Maja Göpel, als sie im März 2019 vor der Bundespressekonferenz die Initiative Scientists for Future vorgestellt hat. Als Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) ist die 1976 geborene Politikökonomin eine der renommiertesten Klimaexperten in Deutschland. Gleichwohl ist sie keine Natur-, sondern eine Gesellschaftswissenschaftlerin mit Schwerpunkt gesellschaftliche Transformation. Ihr besonderes Augenmerk gilt den großen verbindenden Leitbildern, die den Möglichkeitsraum für die Entwicklung von Gesellschaften abstecken und (im Rückblick) diese erst verständlich machen. Mit Blick auf die Zukunft braucht es ein solches Leitbild, wenn die Entwicklung einer Gesellschaft sich nicht im Blindflug vollziehen soll. Das ist das Thema von Maja Göpels erstem populären Sachbuch, mit dem ihr gleich ein großer Wurf gelungen ist. Unaufgeregt, aber mit klarer Haltung und einem sicheren Gespür für die großen Entwicklungslinien und eindrücklichen Bilder erklärt sie den Wandel der Welt, die, so ihre These, heute in einer neuen Realität angekommen ist. Das Verhältnis von Mensch und Natur habe sich grundlegend geändert, so Göpel in Anlehnung an ein Bild des Ökonomen Herman Daly: Wir lebten nicht mehr in einer "leeren Welt", die unserer Expansion offensteht, sondern in einer "vollen Welt", in der Ressourcen und Entwicklungsmöglichkeiten beschränkt sind: "Will die Menschheit nicht ihren eigenen Zusammenbruch herbeiführen, muss sie lernen, in einer vollen Welt zu wirtschaften, auf einem einzigen Planeten, mit begrenzten Ressourcen. Das ist eine neue Realität." Diese neue Realität anzuerkennen bedeutet, dass unsere Gesellschaften ihr Verständnis von Wohlstand und Fortschritt neu verhandeln müssen. Und zwar in einer Weise, die nicht ein Prinzip absolut setzt (siehe Wachstum), nicht das eine gegen das andere ausspielt (Ökologie gehen Soziales), sondern verbindet, was bisher getrennt gedacht wurde. Der Schlüssel dabei ist für die Autorin Gerechtigkeit. Denn "Umweltfragen sind immer Verteilungsfragen, und Verteilungsfragen sind immer Gerechtigkeitsfragen." Die Einladung, die Welt neu zu denken, sollten wir annehmen - jeder für sich und die Gesellschaft für alle.
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Roy F. Baumeister, John Tierney:
Die Macht des Schlechten.
Nicht mehr schwarzsehen und gut leben.
Campus Verlag, Frankfurt am Main 2020, 349 Seiten, 24.95 Euro (D), ISBN 978-3-593511672
Woher rührt die Faszination des Negativen? Warum sind es gerade die schlechten Nachrichten, die uns Menschen zuerst ins Auge stechen, uns stärker beeinflussen und besser in Erinnerung bleiben? "Unser Verstand ist geprägt vom verzerrenden Einfluss eines fundamentalen Ungleichgewichts, und was dies für unser Leben bedeutet, wird der Wissenschaft gerade erst so richtig klar: schlecht ist stärker als gut." Negativitätsbias, Negativitätsdominanz oder Negativitätseffekt wird diese verzerrende Wirkung des Negativen in der psychologischen Forschung genannt. In ihrem Buch Die Macht des Schlechten machen sich der Sozialpsychologe Roy F. Baumeister und der Journalist John Tierney nun daran, die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu sortieren und einem breiteren Publikum nahezubringen. So haben Forschende übereinstimmend beobachtet, dass Negatives mindestens zwei- bis dreimal so wirkungsvoll ist wie Positives. Die beiden Autoren fassen das in ihrer handlichen "Vierer-Regel" zusammen: "Es braucht vier gute Erlebnisse, um ein schlechtes Erlebnis wettzumachen." Diese Faustregel verstehen die Autoren auch als Empfehlung, sich verstärkt in Kontakt mit dem Positiven zu bringen, um so ein Gegengewicht zur Macht des Negativen zu schaffen. Zum Beispiel, indem man sich die Zahl der positiven Ereignisse im Verhältnis zu den negativen bewusst macht. Der grundlegende Ratschlag des Buches lautet: "Denken Sie immer daran, dass der Negativitätseffekt unser Urteil verzerren kann" - aber es gelte eben auch, "dass sich die irrationalen Impulse unseres Verstandes durchaus außer Kraft setzen lassen".
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Jonathan Franzen:
Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?.
Gestehen wir uns ein, dass wir die Klimakatastrophe nicht verhindern können.
rororo, Hamburg 2020, 64 Seiten, 8 Euro (D), ISBN 978-3-499-00440-7
"Das Spiel ist aus. Der Petro-Konsumismus hat gewonnen." Der Klimawandel ist nicht mehr zu stoppen. Das ist die nüchterne, die schonungslose Einsicht, die der Literat und Essayist Jonathan Franzen in seinem neuen schmalen Buch zur Klimafrage formuliert. Zu viel Kohlendioxid ist in der Atmosphäre, als dass eine Umkehr auf dem Weg der Erderwärmung noch möglich wäre. Seit dem Beginn der 1990er-Jahre, als die grundlegenden wissenschaftlichen Befunde zum menschengemachten Klimawandel bereits vorlagen, in den letzten 30 Jahren also, hat die Menschheit "so viel atmosphärisches Kohlendioxid produziert wie in den gesamten vorangegangenen zwei Jahrhunderten der Industrialisierung". Damit haben sich die Fakten geändert, sagt Franzen. Irreversibel geändert. Weil allein die bereits jetzt installierte globale Infrastruktur das Maß an Emissionen ausschöpft, das emittiert werden darf, um das Zwei-Grad-Ziel zu halten. Weil keine Fehlentscheidungen passieren dürften, ohne dieses Ziel zu gefährden. Und weil die Menschen "hohe Steuern und erhebliche Einschränkungen ihres gewohnten Lebensstils" hinnehmen müssten, "ohne dagegen zu rebellieren". Das heißt, dass "wir nicht länger darauf hoffen können, vor den zwei Grad Erderwärmung bewahrt zu werden". Das heißt aber nicht, dass Franzen (wie sein durchaus auch polemisches Buch polemisch missverstanden wurde) den Klimaschutz generell preisgeben will. Im Gegenteil: Für Emissionsreduzierung sprächen starke praktische wie ethische Argumente. Eine Halbierung unserer Emissionen würde die unmittelbaren Auswirkungen der Erderwärmung abmildern und den kritischen Punkt hinauszögern. Franzen geht noch einen Schritt weiter. Erweitert den Rahmen von Klimapolitik. Sein Gedanke: Weil eine eskalierende Erhitzung des Planeten eine enorme Belastung für alle menschengemachten und natürlichen Systeme bedeuten wird, komme allem, was die menschliche Zivilisation widerstandsfähiger macht, überragende Bedeutung zu. Alles, was "zu einer gerechteren und zivileren Gesellschaft beiträgt" - der Kampf für Demokratie, für Gerechtigkeit, für Respekt, Toleranz und Pressefreiheit, für Gleichberechtigung von Rassen und Geschlechtern - "all das sind bedeutsame Klimaaktionen".
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Gunter Dueck:
Heute schon einen Prozess optimiert?.
Das Management frisst seine Mitarbeiter.
Campus Verlag, Frankfurt am Main 2020, 328 Seiten, 24.95 Euro (D), ISBN 978-3-593510842
Transformation ist angesagt. In Windeseile etablieren Firmen neue Formen von Arbeitsorganisation und Zusammenarbeit. Agil ist das Wort der Zeit. Doch im diesbezüglichen Hype ist die bleierne Schwere des real existierenden Managements ein wenig aus dem Blick geraten. Es ist eine offene Frage, in welcher Breite die Transformationsbewegung die Unternehmen erfasst hat und wie tief sie tatsächlich geht. Oder anders gesagt: mit welcher Hartnäckigkeit das klassisch-hierarchische Management seine Dominanz behauptet. Gunter Dueck ist der akribische Chronist des grassierenden Managementwahnsinns. Seine Bücher handeln von der Absurdität der perfektionierten wissenschaftlichen Betriebsführung, die sich in den Unternehmen landauf, landab etabliert hat. Und Dueck ist skeptisch im Hinblick auf den Wandel in den Unternehmen. Obwohl Unternehmen erklärtermaßen innovativer werden wollen, bleibe, so schreibt er, "das heutige Management eisern dem Effizienzprinzip verpflichtet". Verschoben hat sich nur das Handlungsfeld: Nach der Durchindustrialisierung der Produktion wird nun auch der große Bereich der Servicearbeitsplätze "in Prozessen organisiert und optimiert". Die Optimierungszone weitet sich aus. Dueck beobachtet diese Entwicklung in unterschiedlichsten Bereichen der Wirtschaft, im Telefonservice ebenso wie am Bankschalter, auf Flughäfen, in Krankenhäusern, Kanzleien und Pflegeheimen. Mit genauem Blick und pointierten Beispielen beschreibt der Autor, wie sich überall eine standardisierte Kundenkommunikation ausbreitet, die standardisierten Prozessen folgt und sich vorformulierter Skripte bedient. "Menschen werden zu Human-Ressourcen degradiert, die möglichst nur noch feste Skripte mit Kunden austauschen. Das Persönliche verschwindet." Der Autor belässt es jedoch nicht beim Jammern über die Zustände, sondern schlägt eine "Systemtherapie zum offen-innovativen Unternehmen" vor. Der Kerngedanke: Die fachliche Expertise gegenüber dem Management zu stärken. "Mehr Fachleute in die Entscheidungen einbinden!", fordert Dueck.
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Henning Beck:
Das neue Lernen.
heißt Verstehen.
Ullstein Verlag, Berlin 2020, 272 Seiten, 19.99 Euro (D), ISBN 978-3-550200496
Egal ob in der Schule, bei der Arbeit oder im alltäglichen Leben: Um der heutigen Informationsflut gerecht zu werden, müssen die Menschen ständig lernen. Wie diese lebenslange Informationsverarbeitung in Zeiten der Digitalisierung vor sich geht und ob Computer nicht die besseren Lernenden sind, dem geht der Hirnforscher und Neurobiologe Henning Beck in seinem neuen Buch auf den Grund. Wenn man Wissen überall auf der Welt nachgoogeln kann, ist Lernen dann überhaupt noch zeitgemäß? Becks Geheimformel, um in Sachen Wissen nicht den Anschluss zu verlieren, lautet Verstehen. Wer in der Nacht vor einer großen Klausur noch schnell den Lernstoff in den Kopf bekommen möchte, kann das Wissen am kommenden Morgen zwar abrufen, zwei Wochen später aber ist alles vergessen. Wissen dauerhaft abspeichern, das gelingt erst, wenn Zusammenhänge wirklich verstanden wurden. Der Wissenschaftler befasst sich deshalb mit den aktuellen Erkenntnissen der Forschung und stellt altbekannte Lerntechniken, von Eselsbrücken bis hin zu Schaubildern, auf den Prüfstand. Um den Anforderungen der Arbeitswelt von morgen gerecht werden zu können, müsse ein neues Verständnis von Lernen und Wissen geschaffen werden - auch und vor allem in den Schulen. "Die Arbeitswelt der Zukunft wird von denjenigen dominiert werden, die Wissen anwenden können, nicht von denen, die es fehlerfrei in einer Prüfung hervorwürgen", fasst Beck seine Vision vom Lernen in der Zukunft zusammen. Es geht demnach nicht mehr darum, Wissen abzuspeichern, sondern mit den Informationen, die man erhält, Modelle, Hypothesen oder Konstruktionsprinzipien aufzubauen. Eben so, wie es auch intelligente Maschinen machen würden. "Wichtig ist die Idee am Anfang und, dass man ein Verständnis der Dinge entwickelt. Damit verdient man Geld, verändert die Welt - oder beides." Kurzrezension: Katja Reichgardt
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Daniel Jung:
Let’s rock education.
Was Schule heute lernen muss.
Droemer Verlag, München 2020, 240 Seiten, 20 Euro (D), ISBN 978-3-426-27815-4
Sind Smartphones, Tablets und Computer Werkzeuge, die den Menschen dienen, gar ihre Kreativität fördern, oder doch nur eine Ablenkung vom wahren Leben und Lernen? Dieser Frage geht Daniel Jung in seinem Buch nach. Als "Mathe-YouTuber" bekannt geworden, ist Jung so etwas wie ein Experte auf dem Gebiet von New Learning. Seine Mathe-Erklärvideos wurden bereits mehr als 150 Millionen Mal aufgerufen - von Schülern, Studenten, aber auch ihren Eltern und Lehrern. Als überzeugter YouTuber stellt er vor allem die Vorteile einer digitalen Bildung in den Vordergrund, geht aber auch auf Kritik an der modernen Lernwelt ein. Videos, Webseiten und Apps sollen demnach keineswegs die Schule ersetzen, sondern vielmehr ergänzen und den Spaß am Lernen und der Mathematik fördern. Gleichzeitig sieht er den übermäßigen Gebrauch der Smart Devices im jungen Alter durchaus kritisch. Umso wichtiger sei es, Kinder und Jugendliche über Risiken und Chancen der Digitalisierung aufzuklären. Auch und vor allem in der Schule. "Wir sollten die Chancen erkennen, die sich uns durch die Digitalisierung bieten, um uns gemeinsam optimal zu bilden und auf die Zukunft vorzubereiten. Fangen wir an, die Medien nicht als Social, sondern als Educational Media zu nutzen." Das geht aber nur, wenn Lehrer und das Bildungssystem offen sind für neue Wege. "Wenn wir schlau sind, sprechen wir uns also nicht gegen das eine System und für das andere aus, sondern verbinden die Vorzüge von beiden", fordert der Autor. Um aus einem analogen Klassenzimmer einen digitalen Lernort zu machen, bedarf es eben doch mehr als der bloßen Ausstattung mit Tablets. Insbesondere, wenn es um Fächer wie Mathematik geht. Gelingt der digitale Wandel im Bildungssystem, könnten laut Jung selbst aus Rechenmuffeln irgendwann begeisterte Mathematiker werden. Die wiederum den kommenden technischen Wandel mitgestalten. Kurzrezension: Katja Reichgardt
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Geoffrey West:
Scale.
Die universalen Gesetze des Lebens von Organismen, Städten und Unternehmen.
C.H.Beck Verlag, München 2019, 478 Seiten, 28 Euro (D), ISBN 978-3-406-74191-3
Die Wachstumsfrage polarisiert die ökonomische Debatte. Brauchen Volkswirtschaften Wachstum, um Prosperität und Wohlstand sichern zu können? Oder führt Wachstum nur zu wachsendem Ressourcenverbrauch und steigenden Emissionen und damit zum Kollaps in einer beschränkten Welt? Geoffrey West, Physiker und Vertreter der jungen Komplexitätswissenschaft, hat auf diese Frage eine differenzierte Antwort gefunden. Eine Antwort, die zugleich ein verbreitetes Lebensgefühl unserer Zeit erklären kann: die Wahrnehmung einer wachsenden Beschleunigung der Welt. Kurz zusammengefasst: Wests Buch beschäftigt sich mit Skalierung, also der Frage, wie Systeme sich bei einer Veränderung ihrer Größe verhalten. Dabei gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen Organismen und sozioökonomischen Systemen wie Städten oder Unternehmen. Für Lebewesen gilt: je größer, umso weniger - je größer ein Tier ist, desto weniger Energie braucht es bezogen auf ein Gramm oder Kilogramm seines Körpergewichts. Bei sozioökonomischen Systemen ist es umgekehrt; hier gilt das Prinzip des wachsenden Skalenertrags: je größer, umso mehr. Mit wachsender Größe steigt auch der Bedarf: mehr Energie, mehr Rohstoffe, mehr Nahrung. Unbegrenztes Wachstum bei begrenzten Ressourcen führt aber unweigerlich zu Stagnation und Zusammenbruch - außer eine Innovation leitet einen Paradigmenwechsel ein, der gewissermaßen die Uhr zurückstellt. Da aber die Wachstumskurve weiter ansteigt, muss auch das Innovationstempo wachsen. Innovationen müssen "immer rascher aufeinander folgen, wenn stetiges Wachstum aufrechterhalten werden soll", so West. Die Schlussfolgerung: "Das allgemeine Lebenstempo steigt auch deshalb, weil wir in puncto Innovationen immer schneller werden müssen!" Zugleich steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es nicht klappt mit der richtungsweisenden Innovation, dem Paradigmenwechsel, der das System weiter am Laufen hält. Die Alternative: Wir steigen aus, schlagen uns das unbegrenzte Wachstum aus dem Kopf und suchen nach einem neuen Verständnis von Wohlstand und Fortschritt. "Aber wäre das nicht auch ein bedeutender Paradigmenwechsel?", fragt West am Ende.
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