Unter Geiern
Eine Insolvenz soll Chancen auf Sanierung eröffnen. Viele Insolvenzverwalter sehen das anders. Sie wickeln Unternehmen ab, weil sie daran am meisten Geld verdienen. Gefragt ist mehr Transparenz. Und mehr wirtschaftlicher Sachverstand bei den beteiligten Juristen.
In den vergangenen zehn Jahren gab es 340.000 Unternehmensinsolvenzen, bei denen circa fünf Millionen Arbeitsplätze verloren gingen. 2009 wurde mit 35.000 Unternehmensinsolvenzen ein neuer Höhepunkt erreicht, und für 2010 besteht die Gefahr, dass mehr als 40.000 Unternehmen pleitegehen und weitere 600.000 Arbeitsplätze verschwinden. Da Banken kaum noch Kredite vergeben, geraten immer mehr Firmen in Not.
In diesen Zeiten haben Insolvenzverwalter eine Menge zu tun. Und eine Menge Macht. Denn es liegt in ihrer Hand, ob insolvente Unternehmen saniert oder kurzerhand abgewickelt werden. Leider ist in den meisten Fällen Letzteres der Fall, kritisiert Andree Wernicke in seinem neuen Buch Kartell der Plattmacher. Wie mit Insolvenzen Milliarden versenkt werden. Wernicke ist Fachanwalt für Insolvenzrecht und hat selbst über 20 Jahre als Insolvenzverwalter gearbeitet, sich dann jedoch aus dem Geschäft zurückgezogen, weil er es mit seinem Gewissen nicht mehr vereinbaren konnte, weiter in diesem System zu agieren.
In seinem Buch wirft er einen kritischen Blick auf Insolvenzverfahren und die rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen Insolvenzverwalter heute tätig sind. „Wir kritisieren nicht alle Insolvenzen, nicht alle Gerichte und auch nicht alle Insolvenzverwalter. Viele unserer Kollegen arbeiten äußerst engagiert und leisten gute Arbeit. Aber es gibt auch viele – viel zu viele – schwarze Schafe in diesem Bereich“, schreibt Wernicke. Denn das Insolvenzverfahren in seiner heutigen Form eröffne zahlreiche Möglichkeiten der Bereicherung, Vorteilsnahme und Korruption. So hätten viele Akteure nicht das Allgemeinwohl, die Unternehmer, Gläubiger oder Mitarbeiter im Blick, sondern nur die eigenen Interessen. Sie „wirtschaften in die eigene Tasche – auf Kosten von anderen“.
Mannigfaltige Versuchungen
Problematisch ist der Stand der Insolvenzverwalter allein schon insofern, als es keine formalen Anforderungen an deren Qualifikation gibt: Die meisten Insolvenzverwalter sind Rechtsanwälte, die überwiegend von wirtschaftlichen Zusammenhängen nur mangelnde Kenntnis besitzen. Dabei wäre der betriebswirtschaftliche Blick nötig, um im Rahmen eines Insolvenzverfahrens die Chancen für eine Sanierung zu erkennen. Sanierung sei jedoch gar nicht das Anliegen solcher Anwälte, kritisiert der Autor, obwohl nach der neuen Insolvenzordnung Sanierung und der Erhalt der Arbeitsplätze oberstes Ziel sind. Viele Insolvenzverwalter sähen schlicht das schnelle Geld, das aber wird nur mit der raschen Abwicklung von Unternehmen verdient. „Wissen ist in diesem Falle hinderlich, denn es könnte ja Möglichkeiten der Rettung aufzeigen. Nichtwissen macht es einfacher, dass Lücken und Chancen erst gar nicht erkannt werden.“
Und die Versuchungen, denen Insolvenzverwalter ausgesetzt sind, sind mannigfaltig. So können sie eine Insolvenz zu spät bearbeiten und damit ein Unternehmen begraben, überhöhte Vorschüsse für die eigene Tätigkeit veranschlagen, mit maßlosen Zuschlägen die Abrechnungen aufbessern, sich per Selbstmandatierung selbst Aufträge zuschieben, eine Immobilie aus der Insolvenzmasse zu niedrig bewerten und an einen Freund verkaufen, Verfahren hinauszögern, um die jährliche Verwaltungspauschale möglichst lange kassieren zu können, und einiges mehr.
Wernicke sagt klar: Was bei Insolvenzverfahren fehlt, sind Transparenz und Kontrolle. „Sowohl für harmlos-unbedarfte Handlungen mit ‚Gschmäckle‘ als auch für handfeste eigenmächtige Bereicherungen gilt, dass strengere Kontrollen angezeigt wären. Die Gerichte müssten den Verwaltern strenger auf die Finger schauen, um einen korrekten Umgang mit dem von ihnen zu verwaltenden fremden Vermögen zu garantieren.“
Doch oftmals seien Gerichte mit Richtern besetzt, die von Wirtschaft wenig verstünden und so immer professioneller agierenden Insolvenzverwaltern hilflos zusehen müssten. Hieraus erkläre sich, dass viele Richter mit wirtschaftlichen Fragen gar nicht erst behelligt werden wollen – und Juristen wie sie selbst als Insolvenzverwalter einsetzten, um die Verfahren möglichst sang- und klanglos abwickeln zu können. In einem das Buch abschließenden Forderungskatalog hebt so auch der Insolvenzrechtsexperte Prof. Dr. Hans Haarmeyer hervor, dass Insolvenzrichter die notwendigen Kompetenzen für ihr Amt und ihre Erfahrungen in Insolvenzsachen nachweisen müssten.
Mehr wirtschaftlicher Sachverstand
Um das Zusammenspiel der Akteure in der Insolvenzszene Deutschlands zu charakterisieren, zieht Wernicke den Begriff des Kartells heran und spricht von einem „informellen Zusammenschluss der Akteure“: Die einzelnen Komponenten des Kartells hätten zwar keine gemeinsamen, formulierten Ziele, „ziehen aber in der Summe dennoch an einem gemeinsamen Strang. Und der heißt: Lasst uns in Ruhe! Alles soll so bleiben, wie es ist – zugunsten unserer Arbeitsbedingungen, auf Kosten der insolventen Unternehmer, der Gläubiger und letztlich der Allgemeinheit, die den entstehenden volkswirtschaftlichen Schaden am Ende bezahlen.“
Wernicke hingegen haben die Missstände in seiner Branche keine Ruhe gelassen. Unverblümt kritisiert er in seinem Buch, was alles falsch läuft. Doch belässt er es nicht bei harscher Kritik. Er möchte erreichen, dass sanierungsbedürftige Unternehmen eine faire Chance erhalten. Und schließt deshalb sein Buch mit dem erwähnten Forderungskatalog, der zeigt, was sich alles ändern muss. Zuallererst braucht es mehr wirtschaftlichen Sachverstand bei den an Insolvenzen beteiligten Juristen.
changeX 08.03.2010. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Das Buch auf der Website des Verlags:www.ullsteinbuchverlage.de/econ/...
Zum Buch
Andree Wernicke: Kartell der Plattmacher. Wie mit Insolvenzen Milliarden versenkt werden. Econ Verlag, Berlin 2010, 160 Seiten, ISBN 978-3-430200943
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Autor
Sascha HellmannSascha Hellmann ist freier Journalist in Heidelberg. Er arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.