Von Frames und Fakten

Die pro zukunft-Buchkolumne 2 | 2023
Rezensionen: Hans Holzinger und Stefan Wally

Nicht Fakten, sondern gedankliche Deutungsrahmen, Frames, leiten unser Denken und Handeln an. Und Metaphern strukturieren es. Das ist die Hintergrundfolie, die drei Bücher verbindet. Ihre Themen: Die Suche nach einer Sprache der Zuversicht; der Atomkonflikt als gesellschaftlicher Lernprozess und Neues zu sozialer Innovation - als noch weitgehend unverstandenes Bindeglied zwischen sozialem Wandel und gesellschaftlicher Transformation.

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Der Mensch als rationales Wesen: Das Bild des rational abwägenden und entscheidenden Homo sapiens hält sich hartnäckig. Es prägt nicht nur unsere Wirtschaft. Auch das vorherrschende Bild gesellschaftlicher Debatten und Konflikte ist bestimmt von dieser Annahme. Selbst wenn die Emotionen hochwallen, wird so getan, als gehe es im Kern doch um Sachfragen. Um Fakten. Doch diese Annahme ist offensichtlich überholt. 

Sie entspricht nicht dem, was die Kognitionswissenschaft seit ihrer Begründung in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts an Befunden zusammengetragen hat. Diese Erkenntnisse verlangen, das Bild des rational denkenden und entscheidenden Menschen zu revidieren. "Denken ist, entgegen landläufigen Meinungen und Mythen nicht faktenbezogen und rational im klassischen Sinne. Wir treffen nie Entscheidungen, indem wir ‚rein sachlich und objektiv‘ Fakten gegeneinander abwägen", schreibt die Sprach- und Kognitionswissenschaftlerin Elisabeth Wehling in ihrer prägnanten Zusammenfassung der richtungsweisenden Erkenntnisse dieser interdisziplinären Forschungsrichtung in ihrem Buch Politisches Framing

Entscheidend sind demnach nicht Fakten, sondern gedankliche Deutungsrahmen, sogenannte Frames. Sie werden durch Sprache im Gehirn aktiviert. Und sie sind es, die Fakten erst eine Bedeutung verleihen, "indem sie Informationen im Verhältnis zu unseren körperlichen Erfahrungen und unserem abgespeicherten Wissen über die Welt einordnen". Und es sind Metaphern, die unser Denken strukturieren - nicht Begriffe oder abstrakte Konzepte wie Theorien. Das Verhältnis ist vielmehr umgekehrt. Die Erkenntnisse der Kognitionswissenschaft legen nahe, dass "wir über abstrakte … Themen nicht ohne Metaphern denken können", wie Wehling mit Blick auf den politischen Prozess schreibt. Ihr Fazit: "Frames lenken also unsere sozialen, ökonomischen und politischen Entscheidungen." 

Das gilt ganz allgemein, im Kleinen wie im Großen, auf persönlicher wie auf gesellschaftlicher Ebene. Politische Auseinandersetzungen sind immer Auseinandersetzungen um die Vorherrschaft einer Deutung, die den Fakten eine bestimmte Interpretation zuweist. Es geht um die Gültigkeit von Deutungsrahmen, und Worte legen fest, welcher Deutungsrahmen angesprochen wird und die Wahrnehmung eines Themas bestimmt. In ihrem an Beispielen reichen Buch hat Wehling auch auf die verhängnisvolle Wortwahl beim Thema Klima hingewiesen: Denn sowohl "Klimawandel" als auch "Klimaschutz" blendeten den Menschen als Verursacher des Klimaschlamassels aus, und der Begriff der "Erderwärmung", schreibt sie, verbinde Wärme als positiv besetztes Konzept mit der Vorstellung eines moderaten Temperaturanstiegs. "Erwärmung" klingt eben anders als "Erhitzung" oder "Überhitzung" - weit weniger dramatisch. 

So weit ganz kurz zur Bedeutung von Frames und konzeptuellen Metaphern für die Wahrnehmung. 

Drei in der aktuellen Ausgabe von pro zukunft vorgestellte Bücher rühren an diese Dimension von Bedeutungen und Deutungsrahmen. Das neue Buch von Ulrich Grober begibt sich auf die Suche nach einer Sprache, die trotz offensichtlicher Bedrohungen eine von Zuversicht getragene Haltung stützt und zum Ausdruck bringt. Also den Deutungsrahmen von der Katastrophe hin zur Hoffnung verschiebt. 

Frank Uekötter rekonstruiert die Vielschichtigkeit des Konflikts um die Atom- respektive Kernenergie, zeigt die unterschiedlichen Deutungen dieser Technologie und interpretiert die langjährige, intensive und vom Parlament aufwendig begleitete Auseinandersetzung als gesellschaftlichen Lernprozess, der schließlich in den Ausstiegsbeschluss mündete. Eine Interpretation, die insbesondere deswegen Beachtung finden sollte, weil immer noch und immer wieder die alten Konfliktlinien aufbrechen und politische Forderungen die gesellschaftlich getragene Ausstiegsvereinbarung unterminieren. Und schon die Wortwahl Atom- versus Kernenergie verweist auf unterschiedliche Frames. 

Ein neuer Reader zum Thema soziale Innovation schließlich reflektiert die Frage der Deutungsrahmen auf der Ebene sozialwissenschaftlicher Erklärungsmodelle für gesellschaftliche Phänomene. Was unter sozialer Innovation verstanden und mit welchen anderen sozialwissenschaftlichen Konzepten sie in Verbindung gebracht wird, ist abhängig von theoretischen Vorentscheidungen. Ob jemand das System in den Blickpunkt rückt oder aber die handelnden Individuen oder vielleicht mehr praxisorientiert auf die sozialen Praktiken schaut, steckt den Rahmen seiner Forschung ab. Der Sammelband zeigt eine deutliche Erweiterung der Themen und Perspektiven in der Forschung. Soziale Innovation scheint sich von einem eher randständigen Thema hin zu einem Schlüsselthema der Soziologie im Schnittpunkt von sozialem Wandel und gesellschaftlicher Transformation zu entwickeln. Das beginnt beim Begriff und reicht bis hin zu einem Verständnis, das soziale Innovation als integralen Bestandteil der Menschheitsgeschichte und zugleich als Kernelement des sozialen Wandels begreift. 

Gleichwohl bleibt der Zusammenhang zwischen sozialer Innovation, sozialem Wandel und gesellschaftlicher Transformation bislang weitgehend unverstanden. Mehr Forschung bedeutet mehr offene Fragen. Und das gilt gleichermaßen für die Erforschung und das Verständnis unserer Wahrnehmung ganz allgemein. Einleitung: Winfried Kretschmer


Die Wiederverzauberung der Welt


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Bücher über Nachhaltigkeit, Klimakrise oder Artensterben sind meist gespickt mit alarmierenden Befunden. Ulrich Grober, Publizist und Buchautor im Feld Ökologie und Nachhaltigkeit, ignoriert diese nicht, wählt aber einen anderen Zugang. Wie schon in seinen Büchern Entdeckung der Nachhaltigkeit und Der leise Atem der Zukunft interessieren ihn auch in seinem neuen Buch Die Sprache der Zuversicht vor allem die kulturellen Aspekte des Nachhaltigkeitsdiskurses. Ihm geht es um Erzählungen, Bilder, Symbole und insbesondere um Begriffe und deren Geschichte. "Die Sphäre der zwischenmenschlichen Beziehungen lebt von der Sprache und vom Erzählen, von unseren Narrativen, unserem Storytelling", meint der Autor. So ist der Buchtitel in doppelter Weise zu verstehen: als Modus des Sprechens über Natur und Ökologie sowie als Aufforderung, trotz - oder besser angesichts - der Krisen den Blick auf das Schöne und Hoffnungsvolle im Leben nicht zu verlieren. 

Grober beginnt fast wie in einem Tagebucheintrag mit der Schilderung der Erlebnisse mit seiner kleinen Enkelin Millas‚ die die Entdeckerfreudigkeit des Kindes zeigt und an die Zukunftsverantwortung erinnert, die wir Erwachsene haben: "Für einen wie mich, zur Welt gekommen fast auf den Tag genau in der Mitte des 20. Jahrhunderts, kommt das Ende in Sicht, so Grober an seine Enkelin gerichtet: "Nach mir die Zukunft - deine Gegenwart." Das zweite Kapitel widmet der Autor dem Ausruf "Wow", den er der werbestrategischen Verwendung entzieht und für sich als Ausdruck des Staunen-Könnens beansprucht. Es gehe um die "Wiederverzauberung der Welt", um das Sich-Wehren gegen die totale Ökonomisierung, aber auch um politische Überraschungsmomente wie das Entstehen der jungen Klimabewegung. Weitere Abschnitte widmen sich der Gaia-Perspektive, der "Ikone Erde" und dem mittlerweile vielfach missbrauchten Begriff der Nachhaltigkeit, den Grober "authentisch aufladen" und nicht dem Greenwashing überlassen möchte. Der Autor spürt dabei Begriffen und Redewendungen nach - wie etwa "Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt", was auf eine moderne "Treuhänderschaft" verweise. 

Im Abschnitt über die "Anatomie der Furchtlosigkeit" bezieht sich Grober auf die atomare Bedrohung und ihre Wiederkehr in der sogenannten "Zeitenwende" durch Putins Krieg gegen die Ukraine, er verweist dabei auf die Erinnerung an das "Nie wieder" sowie die Unterscheidung zwischen der Furcht vor konkreten Gefahren und einer diffusen, lähmenden Angst. Mit dem Psychotherapeuten Kurt Goldstein plädiert Grober für das Vertrauen in die eigene Selbstwirksamkeit, für "Selbstsorge, Fürsorge und Vorsorge". In weiteren Kapiteln geht es um den "Einspruch gegen die Alternativlosigkeit" oder um das "Lob des Minimalismus". Die Erinnerung an "Monte Verita", eine alternative Siedlungsgemeinschaft im schweizerischen Tessin um 1900, in der Hermann Hesse eine Zeit lang gelebt hat, zeigt dabei ebenso die Kraft des "Weniger" wie der von Grober zitierte Pop-Song "Mit leichtem Gepäck" der Gruppe Silbermond oder der Verweis auf die Postwachstumsperspektive des Ökonomen Niko Paech. Angesichts der planetaren Bedrohung machten "kleine Trippelschritte" aber keinen Sinn, ist Grober überzeugt. Die Parole von der anderen Welt bedeute nicht, dass diese mit Sicherheit kommen werde, doch diese sei "ein gravierender Einspruch gegen die grassierende Endzeitstimmung". 

Das "leichte Gepäck" passt gut zu den zahlreichen Assoziationen des Autors an die Bewegung im Freien (es gibt übrigens ein schönes Buch Die Kunst des Wanderns von Grober). Der Autor erinnert an die Kraft des Seins in der Natur - vorgestellt wird unter anderem die skandinavische Bewegung des "friluftsliv" - und fordert eine "kreative Selbstbeschränkung". "Wenn du merkst, dass du die Orientierung verloren hast, dich verirrt hast, ist der erste Impuls, einfach weiterzugehen", schreibt Grober mit Blick auf das Wandern. Aber im Einfach-Weitergehen liege der entscheidende Fehler: "Das Klügste, was du jetzt tun kannst, ist die Umkehr. Du musst zurückgehen bis zu dem manchmal weit zurückliegenden Punkt, zu der Weggabelung, wo du wieder auf sicherem Gelände bist." 

Zur Umkehr lädt uns der Autor ein. Sein Buch ist keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern ein faszinierendes Mosaik mit vielfältigen literarischen, historischen, alltagsweltlichen und politischen Bezügen. Und auch das brauchen wir neben all den wissenschaftlichen Fakten, um zu erkennen, dass es so nicht weitergehen kann. Von Hans Holzinger


Geschichte der großen Konfrontationen


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Frank Uekötter forscht zur Geschichte der Umweltpolitik und legt mit Atomare Demokratie eine fundierte Geschichte der Atomenergie in Deutschland vor. Dabei fokussiert er auf die Debatte über den Ausstieg aus dieser Technologie ab den 1970er-Jahren. Im Unterschied zu Bänden zur Anti-AKW-Bewegung bleibt er auf Distanz zu diesen Gruppen, folgt dem Diskurs in die Welt der Technik und der Energieunternehmen, in die politischen Parteien und Parlamente. Uekötters "Held" ist das Zusammenspiel der Kräfte in der deutschen Demokratie. Der Atomausstieg sei ein Gemeinschaftswerk, ein Produkt von Gesprächen, von langwierigen Lernprozessen und der Bereitschaft der Beteiligten, das eigene Verhalten auch mal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. 

Es habe in der Bundesrepublik im Laufe der Zeit eine fortschreitende Pluralisierung legitimer Anliegen gegeben. Dazu gehörten die Angst vor einer nuklearen Katastrophe ebenso wie die Rechtssicherheit für milliardenschwere Investitionen, die Annehmlichkeiten des Massenkonsums, die Stabilität der Wirtschaftsordnung ebenso wie Gesundheit und Leben von Demonstrierenden wie Polizisten und Polizistinnen. 

Uekötter erzählt die Geschichte der großen Konfrontationen. Die Konflikte in Wyhl, die Auseinandersetzung in Brokdorf und die Proteste gegen das Entsorgungszentrum in Gorleben werden rekapituliert. Der Konflikt um die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf war für den Autor ein "Tiefpunkt", wo sich "Bürger und Obrigkeit in einem hässlichen Stellungskrieg verbissen und niemand mehr redete". 

Neben den Schauplätzen der Auseinandersetzung widmet sich Uekötter auch der schriftlichen Hinterlassenschaft der Bewegung. Es sei der Anti-AKW-Bewegung gelungen, ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln und Verständnis für individuelle Betroffenheit zu erzeugen. Dies habe zu Lernprozessen geführt, die die Debatte in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit rückte. Die Langlebigkeit der Anti-Atomkraftbewegung sei einer der wichtigsten Faktoren für deren Erfolg gewesen - gerade wenn man bedenke, dass diese "zu keinem Zeitpunkt eine homogene Bewegung" gewesen war. Robert Jungks Buch Der Atomstaat habe eine wichtige Rolle für die Protestbewegung gespielt, sei die "Bibel" der Proteste gewesen, auch wenn Uekötter die Diktion des Buches kritisiert. Uekötters breiter Blick fängt auch die Veränderungen in der Atomwirtschaft ein. "Man kann den Atomkonflikt nur verstehen, wenn man bedenkt, dass es nicht nur eine Dynamik der Öffentlichkeit und der Medien gab, sondern auch eine dynamische Entwicklung des nuklearen Projekts (…). Der Atomprotest traf auf einen nuklearen Komplex, der ganz anders aussah als geplant und mit zahlreichen unerwarteten Problemen vom Genehmigungsrecht bis zu Entsorgung zu kämpfen hatte. Es waren diese internen Probleme und die daraus resultierende Verunsicherung der Atomwirtschaft, die der Anti-Atomkraft-Bewegung ihre eigentliche Durchschlagskraft verliehen." Dazu kamen haarsträubende Pannen und Unfälle sowie ein Transnuklear-Skandal, "der für alle Zeiten die Ansicht widerlegte, es könne in einem großtechnischen System wie der Atomkraft so etwas wie einen allgemeinen Lernprozess geben". 

Die Deeskalation und der Atomausstieg basierten schlussendlich nicht nur auf dem Beschluss der Bundesregierung. Diesem waren Jahrzehnte an Protesten vorausgegangen und Veränderungen in der Öffentlichkeit wie auch in der Industrie, "wo sich eine gewisse Besonnenheit" durchgesetzt hatte. Von Stefan Wally


Soziale Innovation im Kontext gesellschaftlicher Transformation


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Elmar Schüll, Heiko Berner, Martin Lu Kolbinger und Markus Pausch von der Fachhochschule Salzburg haben den Sammelband Soziale Innovationen im Kontext vorgelegt. Ihnen geht es darum, den Begriff der "sozialen Innovation" zu schärfen. 

Die Begriffe "soziale Innovation" und "sozialer Innovator" seien erstmals zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufgetaucht, berichten Jürgen Howaldt und Michael Schwarz in ihrem Beitrag. Das sei lange vor der technischen und ökonomischen Aneignung des Begriffs "Innovation" gewesen. Die Bedeutung habe sich stets gewandelt, eng verbunden mit gesellschaftlichen Transformationsprozessen. Zuerst waren die Begriffe mit der Idee einer sozialistischen Transformation der Gesellschaft verbunden gewesen, in den Debatten über Sozialreformen standen sie dann für Problemlösungen innerhalb etablierter Ordnungen. In der Wissenschaft sei dann versucht worden, den Begriff für einen spezifischen Typus graduellen Wandels nutzbar zu machen. Zitiert wird William F. Ogburn, der in der Innovation als "Kombination oder Modifikation von vorhandenen und bekannten materiellen und/oder immateriellen Kulturelementen zur Herstellung eines neuen Elements (…) die wichtigste Ursache des Wandels erkannte". 

Elmar Schüll versucht in seinem Beitrag "Zur Normativität sozialer Innovationen" diese von anderen Konzepten abzugrenzen. Er schlägt dabei vier Elemente vor, die eine soziale Innovation kennzeichneten. Erstens muss eine Neu- und Andersartigkeit im Vergleich zur Fortsetzung der bestehenden Praxis, ihrer nur inkrementalen Weiterentwicklung oder der Umsetzung eines Handlungsplanes vorliegen. Zum Zweiten muss ein gewisses Maß an Verbreitung feststellbar sein. Dieses Kriterium der "Diffusion, Verbreitung und Verstetigung" soll die soziale Innovation von zufälligen Variationen unterscheiden. Drittens wird die Innovation vom Konzept des sozialen Wandels abgegrenzt, indem eine Intentionalität gegeben sein muss. Schließlich nennt Schüll als viertes Element "positive gesellschaftliche Auswirkungen". 

Das zuletzt genannte Kriterium ist freilich mit Fallstricken verbunden. Was ist "positiv"? Schüll ist sich dessen bewusst und argumentiert, dass soziale Innovationen sich als überlegene Alternative erweisen und deshalb von den Gesellschaftsmitgliedern wahrgenommen, weiterkommuniziert, übernommen und angewandt werden. Aber was ist der Maßstab für diese positive Beschreibung? Schüll verweist auf die Kontingenzen gesellschaftlicher Wertesysteme und somit auf "ethische Überlegungen und derzeit anerkannte, begründete und formal fixierte Zieldimensionen gesellschaftlicher Entwicklung". Das Wissen um die Normativität sozialer Innovationen zwingt freilich dazu, diese transparent zu machen. 

Im Beitrag von Axel Zweck und Eva Cebulla geht es um sozialtechnische Innovationen. Sie zeigen, dass diese nicht voneinander getrennt betrachtet werden können. Das Wechselspiel sei als iterativer Prozess zu verstehen, so die Conclusio. Den Faden von Elmar Schüll nimmt Markus Pausch auf, wenn er über soziale Innovationen in Demokratien schreibt. Dort nämlich lege die soziale Innovation seit den 1960er- und 1970er-Jahren "zumindest implizit einen normativen Anspruch an, der ohne Mindeststandards der Demokratie kaum auskommt. Darunter können das Vertrauen zwischen Wähler:innen und Gewählten fallen, die rationale Abwägung von Nutzen und Kosten sowie die Beteiligung der Betroffenen." 

Andere Beträge widmen sich sozialen Innovationen bei der Digitalisierung im Bildungsbereich, dem Zusammenhang von Empowerment und sozialer Innovation, der Perspektive der Social Citizen Science, den Sparkassen und Genossenschaftskassen als Beispiele für soziale Innovationen sowie Fragen der sozialen Innovation in und durch die öffentliche Verwaltung, der räumlichen Dimension sozialer Innovation, der Fridays-for-Future-Bewegung und weiteren projektbezogenen Transformationsvorhaben auf dem Weg zur Klimaneutralität. 

Diese unterschiedlichen Perspektiven und Forschungsansätze unterstreichen zugleich die Aufgabe weiterer Forschung (in den Worten von Jürgen Howaldt und Michael Schwarz): "ein besseres Verständnis des Zusammenhangs von sozialer Innovation, sozialem Wandel und gesellschaftlicher Transformation" zu gewinnen. Von Stefan Wally 



Zitate


"Denken ist, entgegen landläufigen Meinungen und Mythen nicht faktenbezogen und rational im klassischen Sinne. Wir treffen nie Entscheidungen, indem wir ‚rein sachlich und objektiv‘ Fakten gegeneinander abwägen." Elisabeth Wehling: Politisches Framing

"Frames lenken unsere sozialen, ökonomischen und politischen Entscheidungen." Elisabeth Wehling: Politisches Framing

"Die Sphäre der zwischenmenschlichen Beziehungen lebt von der Sprache und vom Erzählen, von unseren Narrativen, unserem Storytelling." Ulrich Grober: Die Sprache der Zuversicht

"Man kann den Atomkonflikt nur verstehen, wenn man bedenkt, dass es nicht nur eine Dynamik der Öffentlichkeit und der Medien gab, sondern auch eine dynamische Entwicklung des nuklearen Projekts (…) mit zahlreichen unerwarteten Problemen (…) Es waren diese internen Probleme und die daraus resultierende Verunsicherung der Atomwirtschaft, die der Anti-Atomkraft-Bewegung ihre eigentliche Durchschlagskraft verliehen." Frank Uekötter: Atomare Demokratie

"Jedoch bleibt der Zusammenhang von sozialer Innovation und transformativem sozialen Wandel bislang weitgehend unerforscht. (…) Es mangelt in der Regel nicht nur an einem klar definierten Begriff des sozialen Wandels und der Transformation, sondern vor allem auch an einem gesellschaftstheoretisch fundierten Begriff der sozialen Innovation." Jürgen Howaldt und Michael Schwarz in: Soziale Innovation im Kontext

 

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Quellenangaben

Zu den Büchern

: Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet - und daraus Politik macht. Herbert von Halem Verlag, Köln 2016, 224 Seiten, 21 Euro (D), ISBN 978-3869622088

Politisches Framing

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: Die Sprache der Zuversicht. Inspirationen und Impulse für eine bessere Welt. oekom Verlag, München 2022, 256 Seiten, 24 Euro (D), ISBN 978-3-96238-368-8

Die Sprache der Zuversicht

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: Atomare Demokratie. Eine Geschichte der Kernenergie in Deutschland. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2022, 380 Seiten, 29 Euro (D), ISBN 978-3-515-13257-2

Atomare Demokratie

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: Soziale Innovation im Kontext. Beiträge zur Konturierung eines unscharfen Konzepts. Springer VS, Wiesbaden 2022, 305 Seiten, 64.99 Euro (D), ISBN 978-3658372200

Soziale Innovation im Kontext

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Autor

Hans Holzinger
Holzinger

Hans Holzinger war Mitarbeiter der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen (JBZ) in Salzburg. Heute im Ruhestand schreibt er weiter für pro Zukunft, das Buchmagazin der JBZ.

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Stefan Wally
Wally

Stefan Wally ist Geschäftsführer der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg und schreibt als Rezensent für das pro zukunft-Buchmagazin der Robert-Jungk-Bibliothek.

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