Ein Hauch von DDR.
Hoch zu Ross galoppiert der
Volkswirt Sinn darin wie ein moderner Don Quichotte gegen die
wachsende Zahl der Windräder an, die "im Namen der Umweltpolitik"
in die schönsten Naturlandschaften Deutschlands gestellt werden.
Im Visier hat er die grüne Ideologie, und die deutsche
Umweltpolitik im Besonderen: die Förderprogramme für Wind- und
Solarenergie, die Ökosteuer, Biokraftstoffanlagen und den
Atomausstieg - für Sinn allesamt "Schildbürgerstreiche" und
"blinder Aktionismus". Dass allerdings etwas gegen den
Klimawandel getan werden muss, davon ist auch der Direktor des
ifo Instituts überzeugt. Nur eben nicht in Manier der
"Zentralplaner der ehemaligen DDR". Sondern im Vertrauen auf die
freie Marktwirtschaft.
Sinns zentraler Kritikpunkt ist überzeugend: Die vielen
Umweltmaßnahmen missachteten das Gesetz des einen Preises - ein
Fundamentalgesetz der Ökonomie, das besagt, dass ein Produkt nur
einen Preis haben kann, wenn es im Wettbewerb möglichst
kostengünstig angeboten werden soll. Die deutsche Politik trete
dieses Gesetz aber mit Füßen, indem sie jede Tonne ausgestoßenen
Kohlendioxids aus verschiedenen Quellen unterschiedlich stark
besteuert: "von 3,45 Euro bei der Steinkohle zum Heizen bis hin
zu 273 Euro beim Benzin zum Autofahren".
Die Folge sind ineffiziente Vermeidungsstrategien:
Autohersteller kitzeln aus den Motoren unter "hohem technischen
Aufwand mit extrem hohen Kosten das letzte Bisschen an
Effizienzverbesserung heraus". Was unrentabel wäre, wenn die
Steuern auf den Kohlendioxid-Ausstoß beim Benzin so niedrig sind
wie bei der Braunkohle. "Dann wäre niemand bereit, diese
Mehrkosten zu tragen." Umgekehrt hätten sich bei der Braunkohle
schon lange Verfahren zur Abscheidung von Kohlendioxid
durchgesetzt, wenn der Kohlendioxid-Ausstoß so teuer wäre wie
beim Benzin, ist Sinn überzeugt. Darum fordert er einen
einheitlichen Steuersatz auf jede emittierte Tonne Kohlendioxid.
Denn dann, und nur dann, würde sich die effizienteste Weise der
Kohlendioxid-Vermeidung durchsetzen. Das Gleiche gelte für die
willkürliche Subvention regenerativer Energien.
Für ein Super-Kioto.
Die grüne Politik kommt den
Deutschen aber nicht nur teuer zu stehen. Sie beeinflusst nicht
einmal das Weltklima, behauptet der Ökonom. Weder die Maßnahmen
zur Förderung erneuerbarer Energien noch die zur Steigerung der
Energieeffizienz. Den Grund sieht er im Emissionshandelssystem
der EU, das den Ausstoß von Kohlendioxid je Land limitiert. Die
Folge: Schießt ein Land über diese Vorgaben hinaus, dann
verringert es zwar seine eigenen Emissionen, gleichzeitig aber
landen die Zertifikate, die inländische Betreiber nicht mehr
benötigen, auf dem europäischen Markt. "Sie senken dort den Preis
für Zertifikate und veranlassen die anderen europäischen
Unternehmen, bei ihren Anstrengungen zur Vermeidung der
Kohlendioxid-Emission innezuhalten." Denn für diese sei es
günstiger, billige Zertifikate zu kaufen, statt Geld in teure
Umweltschutzmaßnahmen zu investieren.
Für Sinn ist diese doppelte Klimapolitik auf nationaler und
internationaler Ebene jedenfalls ein Nullsummenspiel ohne
Einfluss auf das Weltklima - zumindest so lange, wie sich nicht
alle Verbraucherländer auf der ganzen Welt einer
Mengenbeschränkung unterwerfen. Denn bis dahin senken die
Kioto-Länder nur die Nachfrage - und damit die Preise für fossile
Energie, was den anderen Staaten nur einen Anreiz gibt, mehr zu
verbrauchen. Die Lösung sieht Sinn damit in einer Art
Super-Kioto. Doch bisher haben sich nur die 27 EU-Länder einer
Mengenbeschränkung beim Kohlendioxid-Ausstoß unterworfen, ebenso
wie Kanada, Australien, Island, Japan, Neuseeland, Norwegen,
Russland und die Ukraine. Der Rest der Welt fehlt - der emittiert
aber 70 Prozent des Kohlendioxids.
Pflanzt Bäume!
Dass das Super-Kioto in absehbarer
Zeit zustande kommt, wie es für den Klimawandel so wichtig wäre,
daran glaubt auch Sinn nicht so richtig. Darum macht er noch
einen einfachen, aber umso bestechenderen Vorschlag: mehr Wald
aufforsten. Denn Holz speichert Kohlenstoff, der in der Folge in
der Atmosphäre kein Unheil anrichten kann. Alleine die deutsche
Waldfläche bindet insgesamt etwa 1,1 Gigatonnen Kohlenstoff. "Das
ist fünfmal so viel, wie Deutschland derzeit pro Jahr emittiert",
rechnet Sinn vor. Und kritisiert auch hier wieder den Unsinn der
offiziellen Klimapolitik: Faktisch wird Jahr für Jahr eine Fläche
von der Größe Irlands abgeholzt - auch um landwirtschaftliche
Flächen für die Produktion von Biosprit zu gewinnen. Hier ist es
wieder: das grüne Paradoxon.
Vor allem die Klarheit, mit der Hans-Werner Sinn seine
Thesen beleuchtet und diskutiert, macht dieses Buch sehr
empfehlenswert. Mit unglaublicher Leichtigkeit führt er seine
Leser durch eine verworrene Vielfalt von Argumenten und
Gegenargumenten. Am Ende weiß Sinn allerdings selbst nicht mehr
so genau, woran er glauben soll: an die Kräfte der freien
Marktwirtschaft? Oder doch an eine übergeordnete Instanz (UNO),
die in Zukunft die Geschicke der Menschheit zentral steuert? Das
aber macht die Qualität seines Buches aus: Sinn gibt jedem Leser
die Möglichkeit, selbst ein Urteil zu fällen - auch dem bisher
unkundigen Leser. Ob sein Szenario zutrifft, ist umstritten. Aber
die Diskussion um die Klimapolitik ist um einen wichtigen Anstoß
reicher. Und das kann nur gut sein.
Florian Michl ist freier Mitarbeiter bei changeX.
Hans-Werner Sinn:
Das grüne Paradoxon.
Plädoyer für eine illusionsfreie Klimapolitik.
Econ Verlag, Berlin 2008,
480 Seiten, 24.90 Euro.
ISBN 978-3-430-20062-2
www.econ-verlag.de
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Hans-Werner Sinn: Das grüne Paradoxon. . Plädoyer für eine illusionsfreie Klimapolitik. . Econ Verlag, Berlin 2008, 480 Seiten, ISBN 978-3-430-20062-2
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