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Wenn Menschen ihre Potenziale entfalten können, dann ändert sich die Welt � ein Gespräch mit Muhammad Yunus.
Von Anja Dilk
Drehen wir die Sache doch mal um: Wie wäre es, wenn nicht acht Regierungschefs auf ihrem Gipfeltreffen der Welt den Weg wiesen, sondern die Millionen Kleinkreditnehmer in den ärmsten Ländern? Von ihnen können wir lernen, wie Menschen kämpfen, um ihre Probleme zu überwinden, wie sie einen Weg finden, um etwas aus ihrem Leben zu machen. Sagt der Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus. Mehr als sechs Millionen Menschen hat seine Grameen Bank mit Mikrokrediten neue Chancen eröffnet. changeX-Autorin Anja Dilk traf ihn auf dem Zukunftsgipfel �Vision Summit � in Berlin. / 05.06.07
Muhammad YunusMuhammad Yunus, geboren 1940 in Bangladesch, studierte Volkswirtschaft an der Vanderbilt University, USA. Nach seiner Habilitation lehrte er als Wirtschaftsprofessor in Tennessee und an der Chittagong University in seinem Heimatland. Ende der 70er-Jahre führte Yunus die Idee der Mikrokredite ein. Er ist Gründer und Geschäftsführer der Grameen Bank. Diese Bank hat mittlerweile 6'6 Millionen von Menschen Kleinkredite gegeben, mit denen sie eine eigene wirtschaftliche Existenz begründet haben. 2006 erhielt Muhammad Yunus den Friedensnobelpreis.

Herr Yunus, fast 25 Jahre liegt die Gründung der Grameen Bank zurück. Wenn Sie diese Zeit im Geist vorbeistreichen lassen, was war das bewegendste Erlebnis in dieser langen Geschichte?
Oh, davon gab es mehrere. Eines war, als ich das erste Mal die Darlehen von ein paar Dollar, die ich in einem Dorf vergeben hatte, wiederbekam. Vorher hatten mir alle Leute gesagt, lass das, du bekommst dein Geld eh nie zurück. Und dann hielt ich es wieder in den Händen. Bis auf den letzten Cent. Das war bewegend. Ebenso unvergesslich war es, als wir eine Bank wurden. Lange Zeit waren wir uns nicht sicher, ob wir unser Projekt wirklich fortführen könnten, ob wir jemals Aussichten hätten, eine richtige Bank zu werden. Als es dann so weit war, waren wir alle sehr ergriffen. Nicht zu vergessen natürlich der 13. Oktober 2006 ...

... als Sie erfuhren, dass Sie den Friedensnobelpreis bekommen ...
... ja. Jahrelang war darüber spekuliert worden, immer wieder sagten Leute, oh, du solltest den Nobelpreis bekommen. Und dann kam dieser Anruf. Plötzlich. Ich war gerade zu Hause in einem Interview, als das Telefon klingelte. Den Moment werde ich nie vergessen, ein Augenblick unfassbaren Glücks.

Mit Ihrem System der Mikrokredite für Arme, die keine Sicherheiten bieten können, haben Sie diesen Menschen geholfen, Dinge zu tun, die ihnen sonst nie möglich gewesen wären. Kann es sein, dass Menschen in den armen und in den reichen Ländern letztlich dasselbe Problem haben: Es gelingt ihnen oft nicht, ihre Möglichkeiten zu entfalten, auch hierzulande?
Das ist in der Tat genau dasselbe Problem, denn unsere Gesellschaften sind ähnlich gestrickt: Wir achten nicht darauf, wie das Umfeld aussehen muss, damit sich Menschen entfalten können. Deshalb bleiben die meisten Potenziale unentdeckt. Deshalb müssen wir Wege finden, um allen Leuten eine Umgebung zu bieten, in der sie ihre Kreativität entfalten können.

Sie haben einmal gesagt: Jeder ist ein Unternehmer. Müssen Menschen in Industrie- und Entwicklungsländern sich wie Unternehmer verhalten, um in einer globalen Wirtschaft bestehen zu können? Müssen wir alle Unternehmer werden?
Nein, müssen wir nicht. Aber der Punkt ist, dass unternehmerische Fähigkeiten in allen Menschen angelegt sind. Damit sind wir alle geboren. Manche Menschen entdecken diese Fähigkeiten, andere leben sie nicht aus. Wir müssen Gelegenheiten schaffen, in denen die Menschen, die diese Fähigkeiten entwickeln wollen, das tun können. Und diese Seite an sich kennen lernen. Ob man dann Unternehmer wird oder nicht, ist eine persönliche Entscheidung. Das kann man nicht erzwingen.

Was heißt Unternehmer sein für Sie?
Nach meinem Verständnis ist ein Unternehmer jemand, der die Führung übernimmt, um etwas zu schaffen. Das heißt, ich kann mein Leben aus eigener Kraft gestalten, ich muss mich nicht bei jemand anderem um einen Job kümmern. Heute haben die meisten Menschen keine Wahl. Sie gehen in die Schule, zur Uni, und hoffen, dass sie dadurch einen guten Job finden. Aber das ist ein viel zu enger Blick auf den eigenen Lebensweg. Die Menschen brauchen viele Optionen. Sie können nicht nur für jemanden arbeiten, sondern auch selbst etwas auf die Beine stellen.

Ihr System der Mikrokredite hat das Leben von Millionen von Menschen in den Entwicklungsländern geändert. Wo sehen Sie die Grenzen dieses Ansatzes? Was bedarf es noch, um die armen Menschen aus der Armut zu holen?
Zwei Drittel der Weltbevölkerung haben keinen Zugang zu Finanzdienstleistungen. Mikrokredite ändern das. Da gibt es noch ein gewaltiges Potenzial. Nein, ich glaube nicht, dass dieser Ansatz entscheidende Grenzen hat. Natürlich geht die Entwicklung mit einer guten Infrastruktur zum Beispiel noch schneller. Aber der entscheidende Punkt, um sich selbst aus dem Sumpf zu ziehen, ist der Zugang zu Finanzdienstleistungen.

Die Mikrokredite weisen einen Weg aus der Armut. Sie sind ein wichtiger Schritt. Sagen Sie uns, wie können wir, die einzelnen Bürger der Industrieländer, den Entwicklungsländern helfen? Was können wir tun?
Verschiedenes. Erstens herausfinden, was überhaupt in den einzelnen Ländern passiert. Kann ich Kontakte knüpfen, mich mit Menschen dort vernetzten? Zweitens kann ich mit ihnen arbeiten oder wenigstens ein paar Gelder investieren? Oder gezielt Projekte fördern. Wir haben zum Beispiel das Scholarship Management Programme. Wenn Sie 1.000 Dollar als Einlage geben und bei uns liegen lassen, wird so lange von der Rendite einem Schüler die Bildung finanziert. Sie können sich das Studienfach aussuchen, ob sie Grundschule oder Uni fördern wollen, ein Mädchen oder einen Jungen. Wenn Sie nach fünf oder zehn Jahren ihre 1.000 Dollar zurückhaben wollen, bekommen Sie sie zurück. Aber in der Zwischenzeit haben Sie davon die Bildung für ein Kind finanziert. Drittens gibt es Besuchsprogramme, wie wir sie von der Grameen Bank anbieten. Darüber können Sie ein Land hervorragend kennen lernen, sich austauschen und etwas tun.

In Deutschland gibt es eine große Zahl armer Menschen, die faktisch vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind. Gleichzeitig geht die Zahl der Selbständigen und Unternehmer zurück. Könnten Mikrokredite auch ein Modell für die Armen in den westlichen Ländern sein, um wieder Anschluss an die Gesellschaft zu finden und auf eigenen Füßen zu stehen?
Absolut! Es gibt bereits eine Reihe von Mikrokreditsystemen in Frankreich, Großbritannien, Norwegen zum Beispiel. Aber es wird wenig darüber gesprochen. Die Medien berichten wenig. Wenn sie sich die Projekte anschauen würden, würden die Menschen sehen, was auch in Europa schon möglich ist.

Wir sprechen oft davon, was die Entwicklungsländer von den Industrieländern lernen können. Was aber können die Industrieländer von den Entwicklungsländern lernen?
Zum Beispiel wie Menschen kämpfen, um ihre Probleme zu überwinden. Wie sie neue Wege finden können, um etwas aus ihrem Leben zu machen.

Die Mikrokredite sind eine einzigartige Erfolgsgeschichte, von der man im Lande der vielen Bedenkenträger und Bremser nur träumen kann. Herr Yunus, verraten Sie uns: Wie muss man es anpacken, um erfolgreich ein Projekt anzuschieben, das die Gesellschaft verändern kann?
Ich habe die Mikrokredite nicht in einem großen Wurf auf den Weg gebracht, sondern allmählich. Anfangs hatte ich alles andere als eine große Sache im Kopf. Ich wollte diese Idee ausprobieren, und als ich sah, dass sie funktioniert, habe ich mir den nächsten Schritt vorgenommen und angepackt. Ja, ich glaube, das war wesentlich. Little by little, Schritt für Schritt weitergehen, bis zum Erfolg.

Anja Dilk ist freie Redakteurin bei changeX.

Foto: � Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Paul Hahn.

www.visionsummit.org

Peter Spiegel:
Muhammad Yunus - Banker der Armen.
Der Friedensnobelpreisträger. Sein Leben. Seine Vision. Seine Wirkung,

Verlag Herder, Freiburg 2006,
160 Seiten, 8.90 Euro,
ISBN 978-3-451-05880-6
© changeX [05.06.2007] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.


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: Muhammad Yunus - Banker der Armen. Der Friedensnobelpreisträger. Sein Leben. Seine Vision. Seine Wirkung.. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 1900, 160 Seiten, ISBN 978-3-451-058806

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Anja Dilk
Dilk

Anja Dilk ist Berliner Korrespondentin, Autorin und Redakteurin bei changeX.

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