Der Coach aus der Maschine

In Zukunft soll die Software ViCO Mitarbeiter von virtuellen Unternehmen bei ihrer Weiterbildung unterstützen.

Von Bernd Ott und Matthias Heiner

Dass sich eine Reihe von Firmen als "virtuelle Unternehmen" bezeichnen, hat eine heftige Diskussion um neue Unternehmens- und Arbeitsformen ausgelöst. Noch ist völlig unbekannt, welche Qualifikationen, Kompetenzen und Schlüsselkompetenzen man braucht, um erfolgreich in solchen virtuellen Unternehmen oder Netzwerken zu arbeiten. Und wie kann man die Mitarbeitenden dabei unterstützen, sich gezielt die nötigen Fähigkeiten anzueignen? Kann das auch virtuell geschehen? In den nächsten drei Jahren nimmt sich das Projekt ViCO dieser Fragen an.

Schnell, flexibel, individuell. Das ist die Devise der voll vernetzten Wirtschaft. Mit der Digitalisierung von Geschäftsprozessen und neuen Ansätzen des Workflowmanagements eröffnen sich für Unternehmen neue Märkte und Distributionswege. Kunden bekommen über ein One-to-One-Marketing individualisierte Produkte angeboten und Unternehmen verwirklichen mit Lieferanten über Built-to-Order-Konzepte neue Geschäftsprozesse. Das alles klingt vielversprechend - aber die neuen Marktchancen bringen auch neue Anforderungen mit sich. Folge: Der Druck auf die Unternehmen nimmt enorm zu.
Wettbewerbsfähig werden in Zukunft insbesondere solche Firmen sein, die sich rapide an neue Marktanforderungen und Kundenwünsche anpassen können. Zum Beispiel, indem sie sich auf ihr eigentliches Kerngeschäft konzentrieren und für spezielle Anforderungen flexibel Ressourcen und Kompetenzen Dritter hinzuziehen. Besonders für kleine und mittelständische Unternehmen ist diese Strategie interessant. Deshalb sind in den vergangenen Jahren einige flexibel agierende, virtuelle Unternehmen und Netze entstanden, die gemeinsam und parallel kundenorientierte Problemlösungen oder Produkte entwickeln. Machbar ist das durch eine hoch entwickelte Informationsinfrastruktur, die eine Kooperation räumlich weit voneinander entfernt liegender Unternehmen ermöglicht.
In diesen lockeren Unternehmensnetzwerken, die sich nach Auftragsabwicklung wieder auflösen, teilen die Partner für eine begrenzte Zeit ihr auftragsbezogenes Wissen, ihre Kosten und die unternehmerischen Risiken miteinander. Sie sind zugleich Geschäftspartner und Konkurrenten. In der Praxis ist die Bandbreite solcher virtuellen Unternehmen oder Projektverbünde äußerst vielfältig und reicht von räumlich verteilten problem- und aufgabenorientierten, intraorganisationalen Task-Forces über die zeitlich befristete Hinzuziehung externer Experten bis hin zu dezentralen, virtuellen Unternehmensverbünden und bieten Produkte, Dienstleistungen oder Kooperation und Vernetzung.

Eine andere Art des Arbeitens.


Solche Strukturen verändern natürlich die Arbeitsbedingungen und die beruflichen Anforderungen, mit denen die Mitarbeiter konfrontiert werden. Wer in einem virtuellen Unternehmen arbeitet, muss mit dem Unvorhersehbaren umgehen können, in einem unklaren Umfeld entscheidungsbereit und flexibel handeln und sich schnell auf neue und komplexe Arbeitsbedingungen einstellen können. Neben der Bewältigung von veränderten Unternehmensstrukturen und Geschäftsprozessen müssen sich Mitarbeitende virtueller Unternehmen auch den wandelnden Anforderungen der Informations- und Kommunikationstechnologie anpassen, neue Koordinations- und Kooperationsstrategien sowie Schlüsselkompetenzen für die webbasierte Zusammenarbeit erwerben. Das vermutet man zumindest. Denn noch ist nicht genau erforscht, welche Kompetenzen für erfolgreiches Arbeiten in virtuellen Unternehmen notwendig sind.
Auch die Weiterbildungsmöglichkeiten und �strategien müssen den veränderten Bedingungen angepasst werden. Lebensbegleitendes Lernen erfordert zunehmend Qualifizierungskonzepte, die Lernen im Kontext der Arbeit, informelles Lernen, zeit- und ortsungebundenes Lernen sowie kooperatives Lernen gleichermaßen ermöglichen. So genannte Computer-Based Trainings (CBT) oder Web-Based Trainings (WBT) erlauben zwar mittlerweile eine orts- und zeitungebundene Weiterqualifizierung, doch sie sind zu unflexibel und zu wenig dynamisch, um den spezifischen Anforderungen von Mitarbeitern virtueller Unternehmen gerecht werden zu können. Und natürlich sind sie nicht in der Lage, den Lernenden bei seinen Weiterbildungsbemühungen zu unterstützen, zu begleiten oder gar zu coachen.
Ein neues Tool könnte diese Lücke schließen. Genau das ist das Ziel von ViCO, dem virtuellen Qualifizierungscoach, den unser Verbundprojekt entwickeln wird. Mit Hilfe von ViCO sollen sich Mitarbeitende von virtuellen Unternehmen in Zukunft über die notwendigen Kompetenzen für ihre Arbeit vergewissern, Qualifizierungs- und Weiterbildungsangebote finden und bewerten können, um sich selbstgesteuert fortzubilden. Die besonderen Anforderungen in solchen Unternehmen berücksichtigt der Coach ebenso wie die individuellen Lernpräferenzen der Nutzenden. Auf der Basis eines Kompetenzprofils stellt er Qualifizierungsangebote zusammen - von Seminarempfehlungen über E-Learning-Angebote oder etwa schlicht Buchtipps. Der Coach soll sich flexibel den Nutzenden anpassen und sie in ihren Weiterbildungsbedarfen und Lernprozessen begleiten.

Herausforderung ViCO.


Ein solches Projekt lässt sich nur transdisziplinär anpacken. Deshalb wirkt eine Vielzahl von Partnern im ViCO-Forschungsverbund mit. Es gibt viel zu tun:

  • Aus logistischer Perspektive wird untersucht, wie die Geschäftsprozesse der am virtuellen Unternehmesverbund beteiligten Firmen dynamisch aufeinander abgestimmt und integriert werden können.
  • Aus organisationspsychologischer Perspektive steht die Analyse der jeweiligen Kooperationsstruktur und des Kooperationsverhaltens virtueller Unternehmen im Blickpunkt. Welche Aspekte und Strukturen machen die Kooperation reibungslos und effizient, auch wenn die Unternehmen eigentlich konkurrieren?
  • Aus technisch-didaktischer und wirtschaftspädagogischer Perspektive steht im Mittelpunkt, die Querschnitts- beziehungsweise Schlüsselqualifikationen, die für eine erfolgreiche Arbeit in virtuellen Unternehmen wichtig sind, zu identifizieren. Von der netzbasierten Kommunikation und Zusammenarbeit über die Konflikt- und Teamfähigkeit bis hin zu Selbstkontrolle und Selbstverantwortung.
  • Aus softwaretechnischer Perspektive geht es um die Entwicklung eines virtuellen Qualifizierungscoachs, mit dem der Nutzer seinen Qualifizierungsbedarf analysieren kann und von dem er Hilfestellung bei der Weiterbildung bekommt. Gleichzeitig soll es mit Hilfe dieses Coachs möglich sein, anonymisiert über den einzelnen Nutzer hinausgehend Qualifikationsprofile für die Arbeit in virtuellen Beschäftigungszusammenhängen zu generieren.
  • Aus hochschuldidaktischer Perspektive ist die Herausforderung, ein didaktisches Modell für den virtuellen Coach zu gestalten, der Mitarbeitende bei Selbstassessment, Selbstorganisation und Qualifizierungsbemühungen unterstützt und die Kommunikation über Qualifizierung und deren Erfolg ermöglicht.

Sieben Agenten im Einsatz.


ViCO wird eine äußerst flexible Software sein müssen: Der virtuelle Qualifizierungscoach soll die Mitarbeitenden einerseits bei einem ganzen Bündel unterschiedlicher Aufgaben wirkungsvoll unterstützen und andererseits auf die sich ändernden Bedingungen seiner Einsatzumgebung reagieren können. Als Grundlage für ein solches Programm bieten sich Software-Agenten an, flexible und autonom handelnde Einheiten, die eine ihnen vorgegebene Aufgabe weitgehend selbstständig ausführen und lösen. Der virtuelle Qualifizierungscoach wird daher als Struktur eng miteinander kooperierender autonomer und mobiler Agenten realisiert. Jeder dieser Agenten übernimmt eine der für die Unterstützung von Qualifizierungsprozessen wesentlichen Aufgaben, und ihr Zusammenwirken macht es möglich, individuelle Qualifizierungsmöglichkeiten für den Mitarbeiter auszuwählen. Die Systemarchitektur sieht folgende Klassen von Agenten vor:

  • Bedarfsbestimmungsagent:
    Der Bedarfsbestimmungsagent ist für jeden Mitarbeitenden eines virtuellen Unternehmens unmittelbar zugreifbar und ermittelt gemeinsam mit dem Mitarbeitenden dessen individuellen Qualifizierungsbedarf. Der Bedarfsbestimmungsagent leitet die von ihm erfassten Informationen an einen Auswahlagenten weiter, der dann geeignete Qualifizierungsangebote ermittelt und dem Mitarbeitenden anbietet. Darüber hinaus liefert der Bedarfsbestimmungsagent einen Teil der von ihm ermittelten Daten in anonymisierter Form an einen Profilbestimmungsagenten weiter.
  • Profilbestimmungsagent:
    Der Profilbestimmungsagent ermittelt aus den Bedarfsbestimmungen anonymisiert den allgemeinen Qualifizierungsbedarf in virtuellen Unternehmen und bestimmt allgemeine Trends.
  • Sichtungsagent:
    Der Sichtungsagent ist eine spezielle Suchmaschine, die die Suche nach geeigneten Qualifizierungsangeboten im Internet übernimmt. Er arbeitet autonom im Hintergrund des Coachs und stellt die Ergebnisse seiner Ermittlungen dem Bewertungsagenten zur Verfügung.
  • Erfassungsagent:
    Der Erfassungsagent ist ein Assistent, der unmittelbar mit den Anbietern von Qualifizierungsmaßnahmen zusammenarbeitet. Er ermöglicht ein gezieltes und aussagekräftiges Bekanntmachen von geeigneten Qualifizierungsangeboten beim Qualifizierungscoach. Die vom Erfassungsagenten systematisiert erhobenen Angebote werden an den Bewertungsagenten weitergereicht.
  • Bewertungsagent:
    Der Bewertungsagent übernimmt die Begutachtung der von Sichtungs- und Erfassungsagenten zusammengetragenen Qualifizierungsangebote. Die Bewertung erfolgt anhand der für virtuelle Unternehmen wesentlichen Anforderungen, die sich aus den im Projekt durchgeführten Analysen ergeben. Diese Anforderungen werden aufgrund der sich ständig anpassenden Informationsbasis des Profilbestimmungsagenten dynamisch an die aktuell ermittelten Bedürfnisse virtueller Unternehmen angepasst.
  • Auswahlagent:
    Der Auswahlagent führt den von einem Bedarfsbestimmungsagenten erhobenen Bedarf für einen Mitarbeitenden mit dem durch den Bewertungsagenten systematisierten Angebot an Qualifizierungsmaßnahmen zusammen und ermittelt einen individuell auf seine Bedürfnisse zugeschnittenen Maßnahmenkatalog.
  • Qualitätssicherungsagent:
    Der Qualitätssicherungsagent arbeitet direkt mit den Mitarbeitern zusammen, die Qualifizierungsangebote wahrgenommen haben, erfasst deren Zufriedenheit und prüft den individuellen Erfolg der verschiedenen Maßnahmen.

Virtuelles Coaching - eine Herausforderung für die Software.


Das didaktische Konzept des Qualifizierungscoachs baut auf die Hypothesen, dass Schlüsselkompetenzen

  • dynamisch und nicht als statische Wissensbasis zu fassen sind,
  • als Kompetenzen und nicht als "träges Wissen" organisiert sind,
  • im Prozess und nicht auf Vorrat zu erlernen sind,
  • eines Unterstützungsmodells von Coaching anstelle von Instruktion, Training oder Tutorial bedürfen.

Ein angemessenes didaktisches Modell kann deshalb nicht von einer vorgegebenen Struktur von didaktisch relevanten Daten oder Metadaten, Qualifizierungstätigkeiten und Qualifizierungsinhalten ausgehen. Es sollte sich in einem dynamischen Prozess erzeugen.
Die Grundlage hierfür soll die Kommunikation der Beteiligten, Nachfragenden und Anbietenden über Qualifizierungsangebote und Qualifizierungserfahrungen sein. ViCO greift auf diese Kommunikation der beteiligten Akteure zurück: auf Erfahrungen, Routinen und Vorlieben, "best practice"-Beispiele oder die Bewertung von landläufigen Qualifizierungsveranstaltungen.
Die Kommunikation über Beschreibungen und Bewertungen bietet die Referenzpunkte und schreibt sich zugleich in das didaktische Modell - es modellierend - ein. ViCO wird wie eine spezialisierte Suchmaschine Vorschläge unterbreiten und Rankings erstellen. In diese Vorschläge werden die Profile der Nutzenden, ihre Wünsche und ihre Bewertungen eingehen. Damit wird ViCO ein "didaktisches Tableau" zur Verfügung stellen, das die Kommunikation ermöglichen und steuern und Grundlage für das Selbstassessment sein wird: Portfolio von Selbsteinschätzung, Selbstbewertung und Selbstorganisation von Qualifizierungsoptionen.

Bernd Ott ist Projektleiter von ViCO, Matthias Heiner arbeitet ebenfalls am Projekt.

www.virtueller-coach.de

Zum changeX-Partnerportrait: ViCO - Virtueller Qualifizierungs-Coach.

© changeX Partnerforum [10.02.2004] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

changeX 10.02.2004. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

Artikeltools

PDF öffnen

ViCO - Virtueller Qualifizierungs-Coach

Weitere Artikel dieses Partners

Arbeit ohne Grenzen

Die internationale Tagung "Arbeitsgestaltung in der Netzwerkökonomie: Flexible Arbeit - Virtuelle Arbeit - Entgrenzte Arbeit" in Berlin - ein Bericht von Peter M. Steiner. zum Report

Ins Boot holen

Die Zukunft der Arbeit steht allen offen - ein Gespräch mit Johan Peter Paludan. zum Interview

Flexibel.virtuell.entgrenzt

Einladung zur Tagung Arbeitsgestaltung in der Netzwerkökonomie. zum Report

Autor

Matthias Heiner

Autor

Bernd Ott

nach oben