Voneinander lernen
Ein Interview mit Raimund Bleischwitz über Unternehmen und Nachhaltigkeit.
Japan und Deutschland sind Vorreiter im Umweltbereich. Seit der Umweltdialog mit den USA eingeschlafen ist, erhoffen sich Wissenschaftler und Wirtschaft einiges von der Kooperation mit Nippon. Denn die Probleme gleichen sich, beide Länder sind dicht besiedelt und haben wenig Rohstoffe, so dass sie ihre Stoffströme sorgfältig managen und viel recyclen müssen.
Raimund Bleischwitz ist promovierter Ökonom und leitet am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie die Forschungsstelle "Faktor 4". Seine Arbeitsgebiete sind Nachhaltigkeitsstrategien, Ressourcenproduktivität und der Vergleich europäischer und japanischer Umweltpolitik.
Wie beurteilen Sie denn die Umsetzung des Konzeptes
"Nachhaltigkeit" in der Wirtschaft generell? Ist viel getan
worden in den letzten Jahren?
Ja, es ist einiges entstanden. Es haben sich sehr viele
Initiativen entwickelt, unter denen vielleicht der "World
Business Council for Sustainable Development" eine der
bekanntesten ist. Dennoch bleibt noch viel zu tun, der
Bekanntheitsgrad innerhalb der Wirtschaft ist nach wie vor
relativ gering. Eine Creme von zehn bis 20 Prozent der
Unternehmen nimmt das Konzept wirklich ernst und macht viel.
Leider gibt es aber auch viele Unternehmen, die das Konzept
entweder nicht kennen oder ihm sehr skeptisch
gegenüberstehen.
Gibt es bei diesen zehn bis 20 Prozent einen gemeinsamen
Nenner? Sind es speziell Großunternehmen oder eher kleinere
Firmen?
Interessanterweise waren die Ersten, die das Konzept
aufgenommen haben, größere Unternehmen. Wahrscheinlich, weil die
ein gutes Radar für Öffentlichkeit haben und gegenüber solchen
Themen schneller sensibilisiert werden können, zumindest auf der
Ebene von Kommunikations- und Öffentlichkeitsarbeit. Mittlerweile
sind kleinere und mittelständische Unternehmen in vergleichbarer
Weise engagiert. Sie haben den Vorteil, dass ihre Unternehmen
überschaubarer sind, so dass sie seltener ökologische "Leichen im
Keller" entdecken, wie es bei Großunternehmen gelegentlich
vorkommt. Durch ihre geringere Größe können sie leichter ihr
gesamtes Unternehmen umstrukturieren und ihre Produktpalette
umstellen.
Wie viele Unternehmen müssen eigentlich mitmachen, damit sich
wirklich was ändert?
Grundsätzlich ist es noch keine Mehrheitsbewegung und
müsste eine werden, um erfolgreich zu sein. Es kommt sehr auf die
einzelnen Aktivitäten an. Man sollte sich nicht nur auf die
Verbesserung der Öko-Pioniere konzentrieren, sondern sollte auch
die "normalen" Unternehmen mitnehmen. Hier haben
Unternehmensberatungen ihren Markt.
Was müsste denn geschehen, damit es eine Mehrheitsbewegung
werden könnte?
Die meisten Unternehmen, die sich für Nachhaltigkeit
engagieren, sind am Markt erfolgreich. Solche Unternehmen sind
allgemein Neuerungen gegenüber sehr aufgeschlossen und werden in
der Regel gut geführt. Die Tatsache, dass man Nachhaltigkeit mit
Markterfolg verbinden kann, muss sich insgesamt noch besser
herumsprechen. Man muss diese Erfolge kommunizieren. Dieser
Durchsickerprozess dauert oft sehr lange und ist mühsam.
Gibt es denn bereits positive, nachahmenswerte Beispiele? Hier
haben Sie die Gelegenheit, solche Erfolge zu kommunizieren!
Wir haben auf unserer Webseite einige Praxisbeispiele für
Ressourcenproduktivität ("Faktor 4") gesammelt. Es gibt
beispielsweise an vielen Autobahnraststätten mittlerweile
Urinale, die ohne Wasser funktionieren. Das ist über neue
Oberflächenstrukturen der Keramik machbar, es ist auch unter dem
Namen "Lotuseffekt" bekannt. Auf diese Art und Weise wird nicht
nur Wasser gespart, sondern auch die Reinigungssubstanzen - es
gibt also einen deutlichen Umweltvorteil. Positiv finden wir auch
die neuen Lampentypen, so genannte Leuchtdioden oder LEDs. Vor
Jahren konnten sie nur in wenigen Bereichen eingesetzt werden,
inzwischen lässt sich aber auch Weißlicht mit ihnen erzeugen. Im
Mode- und Raumgestaltungsbereich bieten sich für LEDs sehr breite
Anwendungsmöglichkeiten, zum Beispiel kann man damit leuchtende
Möbel bauen. Diese Leuchtdioden brauchen deutlich weniger Strom,
sie sind wartungsfreier und langlebiger.
Mitte Oktober veranstaltet das Wuppertal Institut eine
deutschjapanische Konferenz zum Thema Nachhaltigkeit und
Wirtschaft. Warum stehen gerade Deutschland und Japan im
Mittelpunkt?
Deutschland und Japan sind Vorreiter der internationalen
Umweltpolitik. Aber es gibt bisher wenig gemeinsame Initiativen.
Das wollen wir ändern. Es gibt viele Bereiche, in denen man
besser kooperieren könnte. Zum Beispiel im Klimaschutz - das
bekannte Kyoto-Protokoll ist ja nach der alten Kaiserstadt in
Japan benannt worden - die Kreislaufwirtschaft oder die
Einführung erneuerbarer Energie. Es wäre vorteilhaft, die
Markteinführungen zu koordinieren, so dass Unternehmen, die in
einem Land erfolgreich sind, auch in das andere exportieren
können. Diese Art Kooperation hat sich noch nicht zur vollen
Zufriedenheit eingestellt und die Konferenz soll dazu einen
Beitrag leisten.
Dass Japan ein Umweltvorreiter ist, überrascht mich. Man hört
ja eher von Kernkraft oder Walfang.
Richtig, Japan hat internationale Probleme, weil es nach
wie vor den Walfang unterstützt. Und Japan ist auch nach wie vor
Unterstützer der Kernenergie, hat - ähnlich wie Frankreich -
einen sehr hohen Anteil von Atomstrom und zeigt keine
nennenswerten Bestrebungen, ihn zurückzufahren. Das ist
sicherlich ein Unterschied zu Deutschland, wo ja der Beschluss
gilt, aus der Kernenergie auszusteigen. Aber unabhängig davon
ergeben sich viele Gemeinsamkeiten im Bereich erneuerbare
Energien, Stoffstrommanagement, Kreislaufwirtschaft und
Mülldeponierung. Die Japaner nennen das
"Recycling-Society".
Kann ich mir vorstellen. Japan ist schließlich ähnlich wie
Deutschland ein dicht besiedeltes Land mit wenig Rohstoffen.
Ja, Japan hat wenig Rohstoffe und sehr wenig
Deponieflächen. Ausgehend von der Deponieknappheit sind in Japan
die Bestrebungen sehr stark, Stoffstrommanagement sowohl auf der
betrieblichen als auch auf der regionalen Ebene zu
etablieren.
Hat Deutschland in diesem Bereich die Nase vorn, könnten wir
unsere Technologie exportieren?
Ja, ganz sicher. In Verbrennungsanlagen haben die Deutschen
gegenwärtig noch einen Vorsprung. Auch bei der Einsammel- und
Trennlogistik der Stoffe liegen die Deutschen im Moment noch
vorne, das heißt, alle Anlagen und Verfahren zur Abfalltrennung
sind potenziell in Japan gefragt. Neu ist das Interesse an
innovationsorientierten Managementsystemen auf der betrieblichen
Ebene bis hin zu Softwarelösungen für das standortübergreifende
Stoffstrommanagement. Die japanischen Unternehmen sind an so
etwas sehr interessiert und haben natürlich auch eigene
Erfahrungen gesammelt.
Sind wir in diesen Technologien weltweit führend? Die
Amerikaner hinken ja heftig hinterher?
Die Amerikaner hinken im Umweltbereich in einigen Bereichen
gegenwärtig hinterher und kooperieren zudem kaum noch. Das ist
einer der Gründe, weswegen wir die Konferenz mit japanischen
Einrichtungen machen. Der Austausch mit Japan und Ostasien wird
zunehmend wichtig. Nach Ostasien oder Japan gibt es
vergleichsweise weniger Kontakte als nach Amerika und in die USA.
Konferenzen wie unsere sind ein wichtiger Baustein, um das zu
korrigieren, denn von der Wirtschaftskraft und vom
Veränderungspotenzial her ist Ostasien natürlich sehr bedeutend.
Ob die Deutschen die Chance wahrnehmen,
Weltmarktführerschaft für Öko-Effizienz zu bekommen und über
einen längeren Zeitraum zu behalten, das muss sich zeigen. Es ist
ja nicht so, als wäre in Deutschland die Umweltpolitik ganz oben
auf der Agenda. Wir würden uns wünschen, dass sowohl bei der
Politik als auch bei den Unternehmen über Sonntagsreden und
Imagebroschüren hinaus entsprechend gehandelt wird. Das ist in
vielen Fällen der Fall, aber eben nicht immer.
Eine der wichtigen Funktionen Ihrer Konferenz ist, dass ein
Dialog zwischen Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft zustande
kommt. Was erhoffen sie sich von diesem Dialog, hat er bisher
ausreichend stattgefunden?
Es gibt im Bereich Nachhaltigkeit sicherlich viele Dialoge
zwischen Wissenschaftlern und der Wirtschaft. Aber bisher hat es
wenig Dialoge mit japanischen Unternehmensvertretern und
Forschungskollegen gegeben, und wir versprechen uns sehr viel
davon. Japan hat zum Beispiel ein Komitee beim
Wirtschaftsministerium eingesetzt, das eine Verachtfachung der
Öko-Effizienz untersuchen soll. Wir haben den Vorsitzenden, Prof.
Ryoichi Yamamoto, in Berlin und sind neugierig auf seine Sicht
der Dinge.
Gibt es denn auch etwas, was die Wissenschaft von der
Wirtschaft lernen kann oder geht es meistens eher in die andere
Richtung?
Die Wissenschaft kann von der Wirtschaft viel lernen,
beispielsweise wie man aus der Vielzahl theoretisch interessanter
Konzepte machbare, in die Praxis umsetzbare Vorschläge
destilliert und erfolgreich um Kunden wirbt. Da sind die
Erfahrungen der Wirtschaft essenziell.
Welche Rollen spielen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und
Regierungen bei diesem Austausch?
NGOs und Regierungen sind wichtige Impulsgeber für die
Wirtschaft, aber auch für die Wissenschaft. Die Regierung hat das
Privileg, dass sie Gesetze erlassen kann, die dann für den
notwendigen Druck sorgen. Doch sie ist dem Einfluss von
Lobbygruppen ausgesetzt, so dass sich nicht immer die
bestmöglichen Gesetze realisieren lassen. NGOs sind da viel
freier. Sie haben weniger formelle Handlungsmöglichkeiten, können
aber über die Medien und über Öffentlichkeitsarbeit viel
bewirken. Jenseits von den Drohkulissen früherer Jahre - die es
ja heute auch noch gibt - gibt es heute Kooperationen, bei denen
eine NGO als Initiator und Multiplikator für bestimmte Produkte
genutzt wird. Die Japaner sind sehr neugierig, wie so etwas
funktionieren kann.
Wo sehen sie denn den größten Handlungsbedarf des
Gesetzgebers? Braucht man mehr Anreize für Unternehmen,
nachhaltiger zu wirtschaften?
Die endgültigen Anreize müssen von den Märkten kommen,
beispielsweise von den Preisentwicklungen, so dass ich sage:
Ökonomische Anreizinstrumente sind nach wie vor ein Thema. Die
Ökosteueridee ist grundsätzlich richtig, und man sollte diesen
Faden nicht aufgeben, sondern weiter daran arbeiten. Die Briten
haben beispielsweise eine Besteuerung von Baustoffen eingeführt
und andere Steuern abgesenkt. Ein anderer Bereich, wo der
Gesetzgeber einiges tun kann, zielt auf Anreize für Lernprozesse
ab. Zum Beispiel Kennzeichnungs- oder Berichtspflichten.
Stoffbilanzen oder Materialbilanzen werden in Unternehmen heute
noch nicht oft gemacht - dabei helfen sie, Kosten einzusparen.
Eine Berichtspflicht für Materialbilanzen könnte eine
Initialzündung für Öko-Effizienz sein und würde der
Nachhaltigkeit weiterhelfen.
Gute Idee. Wird denn ein Engagement der Unternehmen für
Nachhaltigkeit von den Kunden honoriert?
Das ist unterschiedlich - die Kunden sind anspruchsvoll und
sie sind es zu Recht. Wenn also beispielsweise ein Auto wenig
Sprit verbraucht, aber in der Anschaffung teuer ist oder
technische Defizite hat, findet es verständlicherweise wenig
Käufer. Qualität
und ein attraktiver Preis müssen sein. Das ist für die
Unternehmen nicht immer einfach. Die Produkte, bei denen es
gelingt, werden dann aber auch gut nachgefragt.
Wahrscheinlich gilt es gerade in Deutschland schon als
Selbstverständlichkeit, dass ein Produkt guter Qualität auch
halbwegs umweltfreundlich ist ...
Oft, aber das ist nicht immer der Fall, und der Preis
spielt natürlich auch eine Rolle. Man würde sich einen "idealen"
Kunden wünschen, der für Qualitätsprodukte mit zusätzlichen
Umweltvorteilen einen etwas höheren Preis bezahlt. Das Qualitäts-
und Umweltbewusstsein ist bei Kunden nicht immer vorhanden.
Manchmal ist die Suche nach derartigen Produkten auch zu
aufwändig. Wir haben aus dem Grunde auch eine entsprechende
Session in der Konferenz: In Japan gibt es ein so genanntes
"Green Purchasing Network", ein grünes Käufernetzwerk, und wir
sind auf die japanischen Erfahrungen gespannt.
Mehr Informationen über die Konferenz "Governance of Markets for Sustainability" am 13. und 14. Oktober 2003 in Berlin unter www.wupperinst.org/info/index.html oder unter www.jdzb.de.
Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.
© changeX Partnerforum [09.10.2003] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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