Wasser, Boden, Luft
Erdlandung - das neue Buch von Stefan Bringezu.
Die Ökonomie muss ihren Blick erweitern und über die irdischen Horizonte hinaus das Ganze in den Blick bekommen - das fordert ein Wissenschaftler des Wuppertal Instituts. Seine Vision: ein Fließgleichgewicht zwischen Gesellschaft und natürlicher Umwelt.
Neuer Blick und neue Motivation.
Erdlandung, das meint einen neuen
Blick auf unseren Planeten: einen Blick auf das Ganze, der den
gesamten Stoffaustausch auf dem Planeten erfasst und somit auch
die Begrenztheit der natürlichen Ressourcen erkennt. Zugleich ist
der Titel eine Anspielung auf das Unternehmen Mondlandung, das in
einem Kraftakt gewaltige Ressourcen an Geld und Kreativität für
das Ziel der Monderkundung mobilisiert hat. Warum, so fragt der
Autor, sollte das, was damals möglich war, um den Erdtrabanten zu
erforschen, heute nicht möglich sein, um der Erde ein
langfristiges Überleben zu sichern? "Erdlandung hat mit
Motivation zu tun, mit der Frage, wie wir möglichst viele Akteure
für eine gemeinsame Zukunftsaufgabe begeistern können." Diese
Zukunftsaufgabe besteht aus drei Teilschritten: Hier auf der Erde
"langfristig gut leben und wirtschaften zu können", zweitens
"dabei und dafür die ökologischen Grundlagen zu sichern" und dies
drittens "in einer international fairen Weise zu tun, ohne unsere
Probleme in andere Regionen zu verlagern".
Das klingt nach Moralkeule und Verzichtsappellen, nach
Eine-Welt-Laden und fairen Bananen. Doch nichts davon kommt in
dem Buch vor. Bringezu, der als Wissenschaftler am Wuppertal
Institut arbeitet, wählt die Systemperspektive. Ihn interessiert
das Ganze, nicht das individuelle Verhalten. Natürlich werden wir
uns entscheiden müssen, schreibt er, jedoch weniger zwischen
individuellem Konsum oder Verzicht, sondern als Gesellschaft, die
wählen muss, welchen Weg sie einschlagen will, "um den
gesellschaftlichen Stoffwechsel nachhaltig zu gestalten und die
physische Basis unserer Wirtschaft und unsere Über- und
Erlebensbasis auf Dauer zu sichern". Und wenn Bringezu vom
"gesellschaftlichen Stoffwechsel" spricht, hat dies wiederum
nichts mit esoterischen Ansätzen zu tun, die - je nach
Blickwinkel - die Erde oder die Gesellschaft als Lebewesen
begreifen. Sondern es geht um Materialinput, Stoffströme und
Ressourcenproduktivität.
The Weight of Nations.
Die Grundidee: Jene Faktoren in die
gesamtwirtschaftliche Bilanzierung hineinzubringen, die die
Wirtschaftswissenschaften bislang systematisch außen vor gelassen
haben - die allgemeinen Grundlagen der Produktion: Wasser, Boden,
Luft. Es geht also um den Materialaufwand, den eine
Volkswirtschaft betreibt, um Güter und Dienstleistungen zu
produzieren. In Anlehnung an Adam Smiths grundlegendes Werk
Wealth of Nations (deutsch
Der Wohlstand der Nationen) sprechen die
Ökosystemtheoretiker von
The Weight of Nations - dem Gewicht allen Materials, das
als Input in eine Volkswirtschaft fließt. Insofern geht es auch
um eine Erdlandung der ökonomischen Theorie, die bislang noch zu
sehr den irdischen Horizonten verhaftet ist und noch nicht den
Blick aufs Ganze gewonnen hat.
Das Ziel ist klar: Es gilt, die Modelle zu verfeinern, bis
es einmal selbstverständlich geworden ist, "Ressourcenverbrauch
und Effizienz der Wirtschaftsbereiche regelmäßig zu erheben, wie
heute schon Kennzahlen zu Wertschöpfung und Beschäftigung". Erste
Fortschritte auf dem Weg dahin gibt es schon, wie Bringezu
darlegt. So führt das Statistische Bundesamt, das heute DESTATIS
heißt, in der umweltökonomischen Gesamtrechnung ein
"Materialkonto" der deutschen Wirtschaft und das Umweltbundesamt
hat wesentliche Faktoren ökologischer Nachhaltigkeit zu einem
"Umweltbarometer" zusammengefasst. Freilich sind das nur kleine
Schritte auf einem langen Weg.
Fließgleichgewicht als Vision.
Denn letztlich geht es nicht nur um die wissenschaftlichen Weihen für eine neue Methodik, sondern um eine konkrete Vision: Ziel ist "eine Symbiose zwischen der Industriegesellschaft und der natürlichen Umgebung, in der sie lebt", ein Fließgleichgewicht zwischen natürlichen und menschlichen Stoffströmen. Bringezu ist zuversichtlich. Denn die alte Gleichung, wonach mehr Wohlstand zugleich mehr Energie- und Ressourcenverbrauch bedeutet, scheint nicht mehr zu stimmen; bei den reichsten Volkswirtschaften ist die Abkoppelung von Wirtschaftswachstum und Materialeinsatz am weitesten fortgeschritten. Laut Bringezu "ein starkes Indiz dafür, dass der Markt und damit der Wettbewerb ressourceneffizientes Wirtschaften bereits belohnt". Das wäre dann die eigentliche Erdlandung.
Stefan Bringezu:
Erdlandung. Navigation zu den Ressourcen der Zukunft,
Hirzel Verlag, Stuttgart 2004,
176 Seiten, 18.50 Euro,
ISBN 3-7776-1192-1
www.hirzel.de
Winfried Kretschmer, Journalist und Autor, arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.
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Autor
Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.