Wasser, Boden, Luft

Erdlandung - das neue Buch von Stefan Bringezu.

Von Winfried Kretschmer

Die Ökonomie muss ihren Blick erweitern und über die irdischen Horizonte hinaus das Ganze in den Blick bekommen - das fordert ein Wissenschaftler des Wuppertal Instituts. Seine Vision: ein Fließgleichgewicht zwischen Gesellschaft und natürlicher Umwelt.

Wahrscheinlich hat der Blick aus dem Weltall den Umweltgedanken mehr beflügelt als alle Umweltskandale zusammen. Als sich die Apollo-Mission auf ihrem Flug zum Mond von der Erde entfernte und ein Stück weit in die Leere des Weltraums vorstieß, erschien die Erde plötzlich fragil und verletzlich - eine winzige blaue Kugel, verglichen mit den Weiten des Alls. Auf einen Schlag wurde sichtbar, "dass dieser freigiebige Lebensraum eine Grenze hat", wie Stefan Bringezu in seinem Buch Erdlandung schreibt. Der Titel ist bewusst gewählt. Er spielt mit dem Motiv der Weltraum-Mission, die das Bild der Erde verändert hat, und zwar in einem doppelten Sinne.

Neuer Blick und neue Motivation.


Erdlandung, das meint einen neuen Blick auf unseren Planeten: einen Blick auf das Ganze, der den gesamten Stoffaustausch auf dem Planeten erfasst und somit auch die Begrenztheit der natürlichen Ressourcen erkennt. Zugleich ist der Titel eine Anspielung auf das Unternehmen Mondlandung, das in einem Kraftakt gewaltige Ressourcen an Geld und Kreativität für das Ziel der Monderkundung mobilisiert hat. Warum, so fragt der Autor, sollte das, was damals möglich war, um den Erdtrabanten zu erforschen, heute nicht möglich sein, um der Erde ein langfristiges Überleben zu sichern? "Erdlandung hat mit Motivation zu tun, mit der Frage, wie wir möglichst viele Akteure für eine gemeinsame Zukunftsaufgabe begeistern können." Diese Zukunftsaufgabe besteht aus drei Teilschritten: Hier auf der Erde "langfristig gut leben und wirtschaften zu können", zweitens "dabei und dafür die ökologischen Grundlagen zu sichern" und dies drittens "in einer international fairen Weise zu tun, ohne unsere Probleme in andere Regionen zu verlagern".
Das klingt nach Moralkeule und Verzichtsappellen, nach Eine-Welt-Laden und fairen Bananen. Doch nichts davon kommt in dem Buch vor. Bringezu, der als Wissenschaftler am Wuppertal Institut arbeitet, wählt die Systemperspektive. Ihn interessiert das Ganze, nicht das individuelle Verhalten. Natürlich werden wir uns entscheiden müssen, schreibt er, jedoch weniger zwischen individuellem Konsum oder Verzicht, sondern als Gesellschaft, die wählen muss, welchen Weg sie einschlagen will, "um den gesellschaftlichen Stoffwechsel nachhaltig zu gestalten und die physische Basis unserer Wirtschaft und unsere Über- und Erlebensbasis auf Dauer zu sichern". Und wenn Bringezu vom "gesellschaftlichen Stoffwechsel" spricht, hat dies wiederum nichts mit esoterischen Ansätzen zu tun, die - je nach Blickwinkel - die Erde oder die Gesellschaft als Lebewesen begreifen. Sondern es geht um Materialinput, Stoffströme und Ressourcenproduktivität.

The Weight of Nations.


Die Grundidee: Jene Faktoren in die gesamtwirtschaftliche Bilanzierung hineinzubringen, die die Wirtschaftswissenschaften bislang systematisch außen vor gelassen haben - die allgemeinen Grundlagen der Produktion: Wasser, Boden, Luft. Es geht also um den Materialaufwand, den eine Volkswirtschaft betreibt, um Güter und Dienstleistungen zu produzieren. In Anlehnung an Adam Smiths grundlegendes Werk Wealth of Nations (deutsch Der Wohlstand der Nationen) sprechen die Ökosystemtheoretiker von The Weight of Nations - dem Gewicht allen Materials, das als Input in eine Volkswirtschaft fließt. Insofern geht es auch um eine Erdlandung der ökonomischen Theorie, die bislang noch zu sehr den irdischen Horizonten verhaftet ist und noch nicht den Blick aufs Ganze gewonnen hat.
Das Ziel ist klar: Es gilt, die Modelle zu verfeinern, bis es einmal selbstverständlich geworden ist, "Ressourcenverbrauch und Effizienz der Wirtschaftsbereiche regelmäßig zu erheben, wie heute schon Kennzahlen zu Wertschöpfung und Beschäftigung". Erste Fortschritte auf dem Weg dahin gibt es schon, wie Bringezu darlegt. So führt das Statistische Bundesamt, das heute DESTATIS heißt, in der umweltökonomischen Gesamtrechnung ein "Materialkonto" der deutschen Wirtschaft und das Umweltbundesamt hat wesentliche Faktoren ökologischer Nachhaltigkeit zu einem "Umweltbarometer" zusammengefasst. Freilich sind das nur kleine Schritte auf einem langen Weg.

Fließgleichgewicht als Vision.


Denn letztlich geht es nicht nur um die wissenschaftlichen Weihen für eine neue Methodik, sondern um eine konkrete Vision: Ziel ist "eine Symbiose zwischen der Industriegesellschaft und der natürlichen Umgebung, in der sie lebt", ein Fließgleichgewicht zwischen natürlichen und menschlichen Stoffströmen. Bringezu ist zuversichtlich. Denn die alte Gleichung, wonach mehr Wohlstand zugleich mehr Energie- und Ressourcenverbrauch bedeutet, scheint nicht mehr zu stimmen; bei den reichsten Volkswirtschaften ist die Abkoppelung von Wirtschaftswachstum und Materialeinsatz am weitesten fortgeschritten. Laut Bringezu "ein starkes Indiz dafür, dass der Markt und damit der Wettbewerb ressourceneffizientes Wirtschaften bereits belohnt". Das wäre dann die eigentliche Erdlandung.

Stefan Bringezu:
Erdlandung. Navigation zu den Ressourcen der Zukunft,
Hirzel Verlag, Stuttgart 2004,
176 Seiten, 18.50 Euro,
ISBN 3-7776-1192-1
www.hirzel.de

www.wupperinst.org

Winfried Kretschmer, Journalist und Autor, arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.

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: Erdlandung. . Navigation zu den Ressourcen der Zukunft.. Hirzel Verlag, Stuttgart 1900, 176 Seiten, ISBN 3-7776-1192-1

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Winfried Kretschmer
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Winfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.

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