Plädoyer für den Wettbewerb
Neue Impulse für das Bildungs- und Sozialsystem werden dringend gebraucht.
In Deutschland fehlt es an Wettbewerb. Warum sollten nicht Schulen stärker miteinander konkurrieren, eigene Schwerpunkte setzen dürfen? Warum dürfen Universitäten ihre Studenten immer noch nicht selbst auswählen? Und wie könnte man das Sozialsystem wettbewerbsfähig machen?
Wenn wir die Wirtschaftsnachrichten
der Tageszeitungen aufschlagen, springen uns mehr Negativ- als
Positiv-Schlagzeilen in die Augen: Insolvenzen, Streiks,
Arbeitslose, Fachkräftemangel, zusammenbrechendes Sozial- und
Gesundheitssystem, funktionsunfähiges Rentensystem und
Überschuldung. Doch es ist nicht alles Pech, was schwarz ist!
Deutschland ist besser als sein momentaner Ruf.
Wenn wir nämlich genauer hinsehen, sehen wir auch Schlieren
von Hoffnungsschimmer. Nehmen wir drei Befunde, die selten in den
Medien dargestellt werden.
- Deutschland ist Weltmarktführer beim Export hochwertiger Technik - also von Produkten, die einen F&E-Anteil von 3,5 bis 8,5 Prozent haben.
- Deutschland hat nach Schweden, den Niederlanden und Finnland die qualifiziertesten akademischen Arbeitskräfte.
- Neun Prozent des deutschen Umsatzes werden mit Marktneuheiten erwirtschaftet. Deutschland gehört damit zur europäischen Spitzengruppe.
Deutschland hat also
Spitzenprodukte, Spitzenkräfte und Spitzeninnovationen. Optimale
Ausgangslage? Keineswegs, denn trotzdem ist es nicht gerade
attraktiv, in Deutschland ein Unternehmen zu gründen und
aufzubauen, also Arbeitsplätze zu schaffen.
Die einzige Vision für Deutschland, die das ermöglicht,
heißt Informations- oder Wissensgesellschaft. Ohne Wenn und Aber.
Deutschland kann zum Wirtschaftsstandort Nummer eins für
Zukunftstechnologien werden. Der Zusatz "Researched and Developed
in Germany" - erforscht und erfunden in Deutschland - muss ein
Qualitätssiegel werden und an Stelle des Zusatzes "Made in
Germany" treten. Nicht die beste weltweite Werbekampagne, sondern
dieser kleine Zusatz muss kaufentscheidend für deutsche
Hightech-Produkte werden.
Es mangelt an Zukunft.
Von einem Hightech-Produkt kann man sprechen, wenn in ihm ganz konkret ein Forschungs- und Entwicklungsanteil von mehr als 30 Prozent vorhanden ist - vom Auto, das ein fahrender Computer ist, von der Waschmaschine, die über Chips die Art der Wäsche in der Trommel identifiziert. Und erkennt, dass sich wieder ein blauer Wollsocken in die weißen Hemden verirrt hat. In die klassischen deutschen Industrieprodukte, die alte deutsche Wertarbeit, ist heutige Hightech eingezogen. Deshalb muss Deutschland ein Kopfstaat bleiben, nicht ein Standort für die Produktion von in anderen Ländern entwickelten Gütern. Was ist dafür nötig?
- Eine zukunftsgerichtete Standortpolitik,
- ein wettbewerbsfähiges Bildungs- und Ausbildungssystem,
- ein wettbewerbsfähiges Sozialsystem,
- ein weltoffenes, zukunftsgerichtetes Denken.
Zweimal Zukunft, zweimal
Wettbewerb. Daran mangelt es nämlich in diesem Land. Wir müssen
den Wettbewerb in unser Land wieder als Denkfigur mit
Handlungsanleitung einführen. Warum? Weil er in den letzten
Jahren in die Länder abgewandert ist, die uns gerade überflügeln.
Oft hört man, Wettbewerb sei unmenschlich. Er führe zur
Ellenbogengesellschaft, in der am Schluss jeder mit jedem im
Kampfe verstrickt sei. Warum eigentlich? Werden Fußballspieler,
die um einen Pokal spielen, unmenschlich behandelt? Muss ein
schlechter Tennisspieler mehr gefördert werden und darf ein Boris
Becker dafür nicht so gut spielen, weil das zu einer
Benachteiligung des minderbegabten Tennisspielers führt?
Nein. Aber genau diese Form von Wettbewerb verneinen und
vermeiden wir im Berufsleben und erst recht in den Bereichen, die
von der Arbeit mit dem Kopf bestimmt werden. Wir übersehen dabei
nur eines gerne: Der weltweite Wettbewerb fragt nicht danach, ob
wir Deutschen ihn vielleicht unmenschlich finden.
Ziel: ein wettbewerbsfähiges Sozialsystem.
Nicht nur Unternehmen sind
lernende, flexible, intelligente Organisationen, die miteinander
in Wettbewerb treten. Das Prinzip des Wettbewerbs gilt für das
ganze Land. Dafür brauchen wir ein wettbewerbsfähiges
Sozialsystem. Flexibel und intelligent. Keine Frage: Die soziale
Marktwirtschaft ist eine der großen Errungenschaften im
Nachkriegsdeutschland. Das dahinter stehende Gleichgewicht
zwischen Sozial- und Marktwirtschaft bedarf indes einer neuen
Beziehungsqualität. Die Stärkung der Selbstverantwortung des
Einzelnen. Sozial ist, wer Verantwortung für sich und sein
Unternehmen übernimmt. Damit übernimmt er Verantwortung für das
ganze Land.
Wir rufen überall nach mehr Selbstverantwortung und
Transparenz. Jeder Mitarbeiter soll sich als Selbst-Unternehmer
verstehen. In unserem Sozialsystem suchen wir hingegen die
höchstmögliche Absicherung mit geringstmöglicher
Eigenverantwortung des Einzelnen - es sei denn, man ist
selbstständiger Unternehmer. Dann fällt man sowieso aus dem
sozialen Sicherungssystem.
Deutschland hat zehn Prozent höhere Lohnnebenkosten als
andere hoch entwickelte Volkswirtschaften. Ein Drittel des
Bruttoinlandsproduktes (BIP) wird heute für soziale Zwecke
verwendet. Dies ist gegenüber den 60er Jahren eine Verdoppelung.
Diese Kostenexplosion blockiert die Unternehmen deshalb, weil
andererseits die Kosten für Forschung und Entwicklung nicht mehr
Schritt halten können. Sie müssten aber stetig steigen, um als
Unternehmen - und damit auch als Land - wettbewerbsfähig zu
bleiben.
Schlüsselfaktor Bildung.
Ebenso wichtig ist die Bildung. In
fünf bis sechs Jahren müssen wir, wenn sich nichts ändert,
möglicherweise das mittlere Management mit Mitarbeitern aus dem
Ausland besetzen, weil uns hierzulande der Nachwuchs fehlt. Diese
Positionen sind in der Regel hoch dotiert und attraktiv. Ihre
Stelleninhaber sind so genannte Besserverdiener, die einen
erheblichen finanziellen Beitrag zu unserem Sozialwesen leisten.
Humankapital, also die Menschen, ist aus
gesamtwirtschaftlicher Sicht der Standortfaktor Nummer eins.
Darauf muss man ein waches Auge haben. Defizite bei Investitionen
in das Humankapital, Defizite bei Bildung und Ausbildung, bei
Schulen, Fachhochschulen und Universitäten und in der Forschung
haben wesentlich weiter gehende Auswirkungen auf die
Wettbewerbsposition Deutschlands als etwa kleine prozentuale
Änderungen in den Sozialabgaben oder Grenzsteuersätzen. Das ist
ein Geplänkel.
Zum Vergleich: Der Etat für Forschung und Entwicklung von
Infineon entspricht etwa dem Vergleichsetat zweier deutscher
Universitäten. Alle Berliner Universitäten und Fachhochschulen
haben zusammen den gleichen Etat wie die Stanford University. Und
was passiert? Dennoch werden die Etats der Universitäten weiter
zusammengestrichen. Die internen Aufwendungen der Unternehmen für
Forschung und Entwicklung steigen demgegenüber durchschnittlich
um acht Prozent pro Jahr. Die Zahl der in Forschung und
Entwicklung tätigen Mitarbeiter in den Unternehmen steigt
durchschnittlich um zwei Prozent pro Jahr. Wo aber sollen wir in
Zukunft diese Mitarbeiter finden? In den deutschen Universitäten,
die schrittweise zurückfallen? Die öffentlichen Ausgaben für
Forschung und Entwicklung haben jetzt gerade einmal den Stand von
1993 überschritten. Und damals war die Wissensgesellschaft noch
ein Fremdwort. Wir ahnten aber, welche Bedeutung Wissen und
wissensintensive Arbeit für die Wirtschaft haben könnte.
Wettbewerb auch in Schulen.
Bildung ist also der Schlüssel für
den Arbeitsmarkt und die Grundlage für die wirtschaftliche
Entwicklung einer Volkswirtschaft. Doch Deutschland hinkt auch
bei den Bildungsausgaben hinterher. Die Lage in Deutschland ist
aus meiner Sicht verheerend. Die deutschen Schüler sind entweder
Spitze oder bilden das Schlusslicht. Spitze sind Schüler übrigens
aus leistungsorientierten, zumeist aus Akademikerhaushalten. Da
stellt sich die Frage: Warum können wir Schüler aus Familien mit
geringeren Schulabschlüssen nicht besser fordern und damit
fördern? Der Schlüssel liegt auch hier in der Zulassung des
Wettbewerbs. Der Wettbewerbsgedanke muss in den Schulen Einzug
halten.
Ein zweiter Schlüsselfaktor für den wirtschaftlichen Erfolg
sind, wie schon erwähnt, Forschung und Entwicklung an den
Universitäten. Die Bestandsaufnahme klingt auch hier zunächst
wenig vielversprechend:
- Die Ausgaben in der industriellen Forschung sind gegenwärtig höher als die staatlichen Ausgaben für die Forschung.
- Deutschland hat in einzelnen Bereichen in der Grundlagenforschung eine Spitzenfunktion inne. In den Zukunftstechnologien jedoch, vor allem in unserer Sparte und in der Biotechnologie, sind bereits massive Chancen vergeben worden.
- Gegenwärtig verhindern Mittelmaß und Bürokratisierung die Zuwanderung ausländischer Spitzenkräfte und halten ausländische Wissenschaftler von der Übernahme einer Stellung an einer deutschen Universität ab.
- 50 Prozent der deutschen Universitätsabsolventen streben eine Laufbahn im öffentlichen Dienst an. Eine Wirtschaftsordnung, die wie Deutschland ihre Anstöße aus dem innovativen Unternehmertum bezieht und beziehen muss, trifft das ins Mark.
Warum öffnen wir die deutschen Universitäten nicht dem Wettbewerb? Warum erlauben wir den Universitäten nicht, ihre Studenten selbst auszuwählen? Und warum schaffen wir es nicht, in den Universitäten selbst ein Umdenken einzuleiten, das die Wirtschaft nicht mehr als Feindbild ansieht, sondern als Partner? Wie in der Wirtschaft gilt auch in der Wissenschaft die Regel: Mehr Wettbewerb bringt mehr Effektivität und Effizienz - und damit mehr Erfolg. Und mehr Erfolg bringt mehr Zufriedenheit und höhere Motivation.
Das Bildungssystem von morgen.
Was wir als Unternehmen, das selbst
ein lernendes, intelligentes und flexibles Unternehmen ist, von
einem Bildungssystem erwarten? Ganz einfach. Wir brauchen
hervorragend ausgebildete Schüler und Studenten. Hervorragend
ausgebildet heißt, sowohl über Allgemeinwissen als auch
Fachwissen zu verfügen. Man muss beide Bereiche beherrschen, denn
die heutige Zeit verlangt vernetztes Denken. Man muss in der Lage
sein, Verbindungen zwischen Themen oder Systemen zu erkennen, die
auf den ersten Blick eben nicht sichtbar sind. Schulen müssen die
Grundlagen für eine Lern- und Leistungsbereitschaft, für
Fähigkeit zu vernetztem Denken und Teamarbeit, Informationserwerb
und Weiterentwicklung zu Wissen legen. Diese Fähigkeiten müssen -
verbunden mit wissenschaftlichem Denken - an den Universitäten
weitergeführt werden. Auch den Umgang mit den neuen Technologien
sollte man schon an der Universität trainieren.
Wenn wir auf all das achten, brauchen wir beim Blick in die
Zukunft keine Angst zu haben. Auch wenn es zur Zeit düster
auszusehen scheint.
Susanne Eyrich ist Senior Manager Public Affairs bei der Infineon Technologies AG.
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