Neuronen in Aktion

Neurochips sind eine spannende neue Technologie.

Von Nina Hesse

Lange galt eine direkte Kommunikation zwischen Gehirn und Computer als unmöglich. Nun ist es gelungen: Das Max-Planck-Institut für Biochemie und der Halbleiterhersteller Infineon stellen die ersten Chips vor, die mit lebenden Nervenzellen Signale austauschen. Das Interesse der Öffentlichkeit ist enorm.

Von links nach rechts:
Infineon-Chef Ulrich Schumacher,
Peter Fromherz (Direktor am
Max-Planck-Institut für Biochemie
in Martinsried) und Patrick Illinger
(Ressortleiter Wissenschaft der SZ).
Von Sciencefiction hält Professor Dr. Peter Fromherz, Direktor am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried, rein gar nichts. Matrix? Sowas würde er sich nie ansehen. Star Trek? So ein Unsinn. Er ist niemand, der in kühnen Visionen schwelgt, um damit Fördergelder anzulocken. Dabei hätte er ein Recht, es zu tun. Denn Forscher seines Instituts haben in enger Kooperation mit der Infineon Technologies AG Dinge geschaffen, aus denen der Stoff für Sciencefiction ist. Sie haben zum ersten Mal Gehirn und Computer, Körper und Maschine, Zellen und Silizium zusammengebracht. Sehr gegensätzliche Dinge, die aber, so scheint es, nur die richtige Schnittstelle brauchten, um kommunizieren zu können. Mit Hilfe von lebenden Schnecken- oder Ratten-Hirnzellen bauen die Forscher Neurochips, die mit den Zellen Signale austauschen können.
"Cells'n'Chips" hatte das Max-Planck-Forum die Veranstaltung genannt, bei der in München Infineon-Chef Dr. Ulrich Schumacher und Peter Fromherz mit Patrick Illinger, dem Ressortleiter Wissenschaft der
SZ
diskutierten. "Das soll zeigen, dass die Verbindung von Zellen und Computerchips einmal so zum Alltag gehören soll wie Fish and Chips, der britische Lieblings-Snack", erklärt Dr. Barbara Bludau, Generalsekretärin der Max-Planck-Gesellschaft, mit einem Augenzwinkern.

Ein riesiger potenzieller Markt.


Doch noch ist es bis dahin ein weiter Weg, bisher ist die Technologie noch im Versuchsstadium. Viele Millionen Euro Investition und viele Jahre hat es gekostet, so weit zu kommen. "Lange Zeit haben wir die Chips selbst gebaut und fleißig Schnecken geschlachtet, weil sie besonders große Hirnzellen haben", erzählt Fromherz von den Anfängen des Neurochips, von der mühsamen Grundlagenforschung. "Aber wenn man nicht nur Einzelzellen studieren möchte, sondern Hunderte oder Tausende, die miteinander interagieren und Neuronennetze bilden, dann braucht man komplexe Chips. Dabei konnte Infineon uns helfen."
Beim Halbleiterhersteller Infineon, der lange Erfahrung mit Chiptechnologie hat, geht die Erfindung nun in die industrielle Entwicklung. Mit Blick darauf, dass solche grundlegenden Innovationen der Markt von morgen sein könnten. "Das Thema Gesundheit beschäftigt alle Menschen und Nationen - es ist also ein lohnendes Feld für die Forschung und hat viel Potenzial", erklärt Infineon-Chef Schumacher. Langfristig soll die Entwicklung auf jeden Fall etwas einbringen, schließlich ist Infineon ein Wirtschaftsunternehmen. Aber der Zeithorizont ist noch unbestimmt. "Es kann noch fünf oder zehn Jahre dauern, bis sich aus diesen neuen Entwicklungen ein Markt herauskristallisiert. Aber solche Dinge können auch sehr schnell gehen." Gerade aus der Zusammenarbeit zwischen Grundlagenforschern, die vom Staat finanziert wird, und der Industrie lässt sich für ihn oft ein optimaler Markterfolg ableiten - denn die Hightech-Branche lebt von Innovationen.
Noch erlauben sich weder Infineon noch das Max-Planck-Institut, weiter als ein paar Jahre in die Zukunft zu blicken, doch beiden ist klar, dass sie die Geburtsstunde einer komplett neuen Technologie miterleben, mitprägen. Auch die Medien sind sofort auf den Zug aufgesprungen, träumen von einem Chip im Gehirn, der mit Hilfe eines Computers vor dem geistigen Verfall bewahrt oder den menschlichen Intellekt erweitert. Für all das ist eine Technologie, die direkte Kommunikation zwischen Nervenzellen und Mikrochips möglich macht, die Voraussetzung.

Neuronale Netze in Aktion.


Einfach war die Entwicklung dieser Technologie nicht, obwohl Chips und Zelle beide elektrisch funktionieren. Im Silizium tragen Elektronen den Strom, in Nervenzellen Ionen. Die Elektronen aus dem Silizium können aber nicht in die Zellen, die Ionen aus der Nervenzelle nicht in den Halbleiter. Dieses Kommunikationshindernis überwinden die Physiker, indem sie den Chip mit einer dünnen Quarzschicht isolieren, also vor der Feuchtigkeit schützen, und dann die Nervenzelle so nah heranbringen, dass der Chip das elektrische Feld der Nervenzelle "spürt". So gelingt es, die Signale der Zelle zu belauschen. Aber es funktioniert auch in der Gegenrichtung: Per Chip lassen sich in Nervenzellen jene elektrischen Erregungen stimulieren, mit denen die Zellen auch im Körper Informationen austauschen.
Ziel der Forschungen ist auch, mehr darüber herauszufinden, wie komplexe Netzwerke aus Nervenzellen funktionieren. Denn bisher war es Forschern kaum möglich, sie "in Aktion" zu beobachten. "So wird es uns vielleicht gelingen, ein neues, besseres Bild vom Gehirn zu gewinnen - und einen besseren Vergleich für seine Funktionsweise zu finden als den Computer", meint Peter Fromherz. Denn obwohl das Hirn eines Menschen eine Million mal langsamer arbeitet als ein Computer, ist die Maschine in vieler Hinsicht "dümmer".
Auch Infineon-Chef Schumacher kann dem Vergleich von Gehirn und Computer wenig abgewinnen. "Das Gehirn ist von Grund auf anders konzipiert, es arbeitet mit Intuition und Erfahrung. Deshalb ist es für uns auch kein sinnvolles Ziel, Computer zu einer Art Ersatzgehirn weiterzuentwickeln."

Hände weg vom Forschungsbudget!


Wie kam es zum Neurochip, wie kommt es überhaupt zu solchen Innovationen? Auch das war Thema bei der Cells'n'Chips-Diskussion in München. "Es war auch eine Portion Spieltrieb dabei - ausprobieren, was geht", berichtet Fromherz. "Mit primitiven Methoden und einer Hand voll Doktoranden verrückte Dinge ausprobieren, obwohl einen die Umgebung auslacht ... das wird es zum Glück immer geben."
Und gar nicht so selten kommt dabei etwas Brauchbares heraus. Aus diesem Grund hält es Ulrich Schumacher für wichtig, dass es auch in den Unternehmen Freiräume und Spielwiesen für Entwickler gibt. Trotz des Drucks, daraus möglichst schnell ein Produkt zu machen. "Oft führt die Motivation Neugier zu Innovationen. Diesen Freiraum muss man dem Menschen im Unternehmen geben und auch in schweren Zeiten bewahren", erklärt er. "Forschung kann man nicht an- und ausschalten, es muss eine Kontinuität da sein. Deshalb haben wir das Forschungsbudget selbst in der schlechten Phase zur Zeit kaum angetastet."
"Man kann nur wünschen, dass Sie das durchhalten", lächelt Fromherz.
Aber was ist mit technischen Grenzen? Immer winziger und winziger werden die Bauteile auf den Chips, bald, so unkt mancher, geht es einfach nicht mehr kleiner. Doch auch darauf hat Schumacher eine Antwort parat: "Alle Experten erklären schon seit 18 Jahren, auf welche Hindernisse und natürlichen Grenzen wir bald stoßen werden. Das ist eine sehr verbreitete Denkhaltung. Aber bis jetzt haben wir die Barrieren immer durchbrochen oder umgangen."
Den Beweis dafür, dass es wieder einmal geklappt hat, halten die Besucher der Diskussion staunend in Händen: durchsichtige Plastikdöschen, in denen Kontakte glitzern und unsichtbare Nervenzellen pulsieren. Erste Vorboten einer neuen Technologie.

Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.

www.infineon.com

Einen detaillierten Bericht über Infineons Neurochips finden Sie unter:
Es lebt! - Infineon hat einen bahnbrechenden Bio-Neuro-Chip entwickelt.

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