"Wir müssen ein Kopfstaat werden"
Gedanken über den Standort Deutschland.
Einst galten wir als Land der Dichter und Denker. Doch die Prioritäten haben sich längst verschoben, stattdessen sollte sich Deutschland, so Infineon-CEO Schumacher, das "Erforschen, Erfinden und Entwickeln" auf die Fahne schreiben. Dazu gehören vor allem eine zukunftsgerichtete Standortpolitik und ein wettbewerbsfähiges Bildungs- und Ausbildungssystem.
In nur zwei Jahren
ist Deutschland dank der Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung
und Industrie von einem Schlusslicht zu einer der weltweit
führenden Internetnationen geworden. Doch nun muss es
weitergehen: Der mehrmalige Exportweltmeister Deutschland für
Industrieprodukte muss zum Wirtschaftsstandort Nummer eins für
Zukunftstechnologien werden. "Researched and developed in
Germany" - "erforscht und erfunden in Deutschland" - muss an
Stelle des Zusatzes "Made in Germany" treten. Dieser kleine
Zusatz muss kaufentscheidend für deutsche Hightech-Produkte
werden.
Bekannt ist Deutschland bisher eher für Autos und
Maschinen - doch auch sie sind längst von Computing-Funktionen
durchzogen. Damit hängen diese Branchen inzwischen in hohem Maße
von der Hightech-Industrie ab. Von Unternehmen wie etwa Infineon
oder Siemens. Von diesen Unternehmen gibt es in Deutschland noch
zu wenig. Und das kann gefährlich werden. Denn die in Zukunft
immer mehr diskutierte Arbeitsteilung der Staaten zwischen - wie
der amerikanische Wissenschaftler Richard Rosecrance es
formuliert - "Kopf-" und "Körperstaaten", zwischen forschenden
und produzierenden Staaten wird auch für Deutschland relevant
werden. Wir müssen ein Kopfstaat werden!
Einst galt Deutschland als "Land der Dichter und Denker".
Im Arbeiten mit dem Kopf, im Vordenken waren wir weltweit
konkurrenzfähig. Diesen Vorsprung haben wir verloren, weil wir
verpasst haben, dass "Dichten und Denken" seine Priorität abgeben
musste an "Erforschen, Erfinden und Entwickeln". Mit der immer
weiteren Technologisierung verschob sich der Focus der geistigen
Arbeit in den meisten Ländern auf Naturwissenschaft und Technik.
In Deutschland hätte er schon längst verschoben werden
müssen.
Investieren in Bildung und Ausbildung.
Wir brauchen eine
zukunftsgerichtete Standortpolitik, ein wettbewerbsfähiges
Bildungs- und Ausbildungssystem und ein wettbewerbsfähiges
Sozialsystem - nur so können wir als "Kopfstaat" bestehen. Gerade
unser Sozialsystem ist zur Zeit nicht gerade optimal: Deutschland
hat heute zehn Prozent höhere Lohnnebenkosten als andere hoch
entwickelte Volkswirtschaften. Ein Drittel des BIP wird heute für
soziale Zwecke verwendet - dies ist gegenüber den 60er Jahren
eine Verdoppelung! Diese Verdoppelung muss finanziert werden,
obwohl etwa in unseren Unternehmen die Kosten für Forschung und
Entwicklung stetig steigen. Unternehmen der Halbleiterindustrie
weltweit investieren jährlich etwa 20 Prozent ihres Umsatzes in
Forschung und Entwicklung, mehr als jede andere Branche, mehr als
der bisherige Spitzenreiter Pharmaindustrie.
Wichtig ist aber auch ein wettbewerbsfähiges Bildungs- und
Ausbildungssystem. Humankapital, also die Menschen sind aus
gesamtwirtschaftlicher Sicht Standortfaktor Nummer eins. Wissen
ist Information plus Erfahrung und damit von dem einzelnen
Menschen nicht zu abstrahieren. Bildung ist damit eine Grundlage
für die wirtschaftliche Entwicklung einer Volkswirtschaft. Nach
Angaben der OECD gibt Deutschland 4,4 Prozent des BIP für Bildung
aus. Der Durchschnitt liegt bei 5,0 Prozent, Schweden investiert
sogar 6,6 Prozent. Wollte Deutschland diesen Schnitt erreichen,
müssten wir pro Jahr 20 Milliarden Euro mehr für Bildung und
Ausbildung investieren. Und die Lage in Deutschland ist
bedenklich. PISA ist der letzte Beweis dafür. 23 Prozent der
Schüler zeigten schwache Kompetenzen beim Umgang mit Texten, 26
Prozent der Schüler haben Wissen unterhalb des durchschnittlichen
naturwissenschaftlichen Alltagswissens - beides sind
Schlüsselqualifikationen, die für Zukunftsindustrien wichtig
sind! Genauso viel Unbehagen bereitet es mir, dass wir in der
Bildung eine Klassengesellschaft haben. Denn gerade die Schüler
nahmen Spitzenplätze ein, die aus leistungsorientierten
Elternhäusern, meistens aus Akademikerhaushalten kommen, die von
ihren Eltern gefordert werden.
Defizite bei Investitionen in das Humankapital, Defizite
bei Bildung und Ausbildung, bei Schulen, Fachhochschulen und
Universitäten und in der Forschung haben wesentlich weiter
gehende Auswirkungen auf die Wettbewerbsposition Deutschlands als
etwa kleine prozentuale Änderungen in den Sozialabgaben oder
Grenzsteuersätzen.
Forschung mit dem Etat von zwei Universitäten.
Auch die Universitätslandschaft ist
ein Schlüsselfaktor für wirtschaftlichen Erfolg. Gemessen am BIP
werden in Deutschland rund 2,5 Prozent für Forschung und
Entwicklung ausgegeben. Damit liegt Deutschland im unteren
Bereich der europäischen Länder. Die öffentlichen Ausgaben für
Forschung und Entwicklung haben jetzt den Stand von 1993 gerade
überschritten - und damals wussten wir noch nicht, welche
Bedeutung Wissen und wissensintensive Arbeit für die Wirtschaft
haben!
Nur als Beispiel: Die Stanford University hat den gleichen
Etat wie alle Berliner Universitäten und Fachhochschulen
zusammengenommen. Nun werden deren Mittel - und das habe ich mit
ganz großem Schrecken gelesen - auch noch weiter
zusammengestrichen. In den Unternehmen sind die Aufwendungen für
Forschung und Entwicklung dagegen durchschnittlich um acht
Prozent pro Jahr gestiegen. Wir haben bei Infineon beispielsweise
einen Etat für Forschung und Entwicklung, der dem gesamten Etat
von zwei deutschen Universitäten entspricht.
Wir brauchen hervorragend ausgebildete Schüler und
Studenten. Sie müssen sowohl das Allgemeinwissen als auch
Fachwissen beherrschen, denn die heutige Zeit verlangt vernetztes
Denken. Sie müssen in der Lage sein, Verbindungen zwischen Themen
oder Systemen zu erkennen, die auf den ersten Blick eben nicht
sichtbar sind. Schulen müssen die Grundlagen für eine Lern- und
Leistungsbereitschaft, für Fähigkeit zu vernetztem Denken und
Teamarbeit, Informationserwerb, Kritikfähigkeit und
Weiterentwicklung zu Wissen legen.
Wettbewerb zwischen regionalen Netzwerken.
Wir brauchen eine
zukunftsgerichtete Standortpolitik. Im Silicon Valley sind
Forschung und Entwicklung und Industrie eine beeindruckende
Symbiose eingegangen. Sie haben ihre Fähigkeiten und Kräfte
gebündelt, Cluster gebildet. Es haben sich Industrien
angesiedelt, die durch ganz spezialisierte
Käufer-Lieferanten-Verbindungen miteinander verknüpft sind oder
durch Technologie oder Fertigkeit verwandt sind. Gleich nebenan
finden sich Forschungseinrichtungen, die in genau diesen
Technologien wissenschaftlich arbeiten. In solchen Netzwerken
liegt eine Chance, die Deutschland heute hat - und nur ergreifen
muss! Deutschland muss durch eine gezielte Ansiedlung solcher
Cluster in den Zukunftsindustrien Informations- und
Kommunikationstechnologie sowie Biotechnologie zu einem gesuchten
Innovationsstandort weltweit werden. Denn der Wettbewerb in den
Schlüsselindustrien findet nicht zwischen Staaten, sondern
zwischen spezialisierten regionalen Netzwerken statt. Dort werden
alle Ressourcen über Forschung und Entwicklung, Zulieferung,
unternehmens- und produktnahe Dienstleistungen gebündelt. Das
beschleunigt das Innovations- und Wachstumstempo. Die räumliche
Nähe fördert den Austausch von Ideen und Erfahrungen, die
Anbahnung von Geschäftskontakten, die Bildung effizienter und
flexibler Wertschöpfungsnetze, die wirksame Verknüpfung von
Wissen, Talenten, Kapital, den Wettbewerb.
Weshalb sind regionale Cluster gerade heute so wichtig?
Dafür muss ich etwas weiter ausholen. Technologien wie Biotech
und Pharma, Maschinen-, Automobilbau und Computer,
Telekommunikation und Mikroelektronik verschmelzen zu neuen
Technologien. Oder sie werden am Markt als Systemtechnologien mit
entsprechender Systemkompetenz angeboten. Unternehmen müssen ihre
Kernkompetenz also auf einige wenige Spezialgebiete
konzentrieren. Durch das Zusammenwachsen vieler Märkte und
Technologien können sie ihre Systemkompetenz nur noch in einer
Allianz sichern. Sinnvoll für Unternehmen ist es, durch die
Aufnahme von Beziehungen unterschiedlicher Art externe Synergien
zu schaffen. Durch Kooperation, Allianzen oder sogar, wie es in
der Industrie immer häufiger vorkommt, durch Fusionen. Bei diesen
Beziehungsmustern der Industrie kommen die regionalen Cluster ins
Spiel. Sie sind dann ein Standortvorteil für einen Staat. Wir
sind mit einer unserer Fabriken an den Standort Dresden gegangen,
weil dieser Standort über überdurchschnittlich qualifizierte
Mitarbeiter verfügt und wir den Zugriff auf eine sehr gute
Forschungslandschaft haben - er ist also ein IT-Cluster.
Eine Vision für Deutschland.
Erfinden, Erforschen und zur Serienreife Entwickeln bewirkt wirtschaftlichen Fortschritt. Dazu brauchen wir genug Know-how, also genug geeignete Fach- und Führungskräfte - auch von uns selber ausgebildet - und ein passendes Entwicklungs-, Vermarktungs- und Dienstleistungspotential. Die Vision Deutschlands muss heißen: Wirtschaftsstandort Nummer eins für Hightech-Produkte zu werden. Dann wird vielleicht das Label "Researched and developed in Germany" für Kunden zum Qualitätsmerkmal, wie es "Made in Germany" war und ist.
Dr. Ulrich Schumacher ist Vorstandsvorsitzender der Infineon Technologies AG.
www.infineon.com
www.campeon.de
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