Auf dem Weg zum virtuellen Staat
Demokratische Prozesse sollten auch über das Netz stattfinden können - doch bis dahin ist es noch ein langer Weg.
Natürlich sind die Parteien und viele Kommunen längst im Netz vertreten. Aber das macht noch kein zeitgemäßes E-Government aus. Nicht nur für Bürger und Unternehmen ist es wichtig, dass Regierung und Verwaltung das Netz noch konsequenter nutzen als bisher. Es ist auch ein ganz konkreter Wettbewerbsvorteil für den Wirtschaftsstandort.
Vor 50 Jahren begann die
Massenproduktion von Halbleitertechnologie. Es war der Auftakt
eines technologischen Paradigmenwechsels, der zur weltweiten
Vernetzung geführt hat. Was für Folgen die Mikroelektronik für
die Gesellschaft hat, erleben wir zur Zeit: Prozesse und
Mechanismen in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und im Bildungs-
und Ausbildungssystem verändern sich. Was in der Wirtschaft
geschieht, ist bekannt, Stichworte wie E-Business sind längst in
den täglichen Sprachgebrauch übergegangen. Weniger beachtet wird,
dass jetzt auch "E-Government" und "E-Democracy" möglich werden -
die Vernetzung von Staaten und staatlicher Institutionen wie
nationale Regierungen und Verwaltungen. Sogar "virtuelle Staaten"
werden diskutiert. Denn in der Vergangenheit mögen materielle
Kräfte Wachstum, Prestige und Macht einer Nation bestimmt haben -
heute sind es ganz sicher die geistigen Produkte, die dafür
ausschlaggebend sind. Unternehmen können ihre materielle
Produktion in einen Staat legen und in einem anderen Staat
Forschung und Entwicklung und Produktdesign konzentrieren.
Richard Rosecrance, Politologie-Professor an der University of
California und einer der führenden Theoretiker des "virtuellen
Staats", orientiert sich an diesen unternehmerischen
Arbeitsbereichen, um die Staaten in "Kopfstaaten", die
Unternehmenszentralen beherbergen, und "Körperstaaten", in denen
die Produktion stattfindet, zu unterteilen.
Das führt in manchen Industrien schon zu Arbeitsteilungen
zwischen einzelnen Unternehmen. Manche Firmen bestehen
hauptsächlich aus Fabriken, in denen sie Produkte herstellen.
Andere Unternehmen - ohne eigene Produktionsstätten -
konzentrieren sich auf Design, auf Forschung und Entwicklung.
Alles, was die Herstellung betrifft, vergeben sie an die Firmen
der ersten Kategorie. Der Markt belohnt sie dafür und misst
solchen Unternehmen einen höheren Wert zu.
E-Government ist mehr als Selbstdarstellung im Netz.
Überraschend ist: Die Auswirkungen,
die die Halbleiter- und IuK-Industrie auf den Staat selbst haben,
sind bisher kaum diskutiert worden. Zwar gehen schon seit Jahren
immer mehr Kommunen online, machen Werbung, um Touristen auf sich
aufmerksam zu machen oder etablieren sich als zukunftsgerichteter
Wirtschaftsstandort. Doch E-Government ist mehr als nur
Selbstdarstellung im Netz. Die Weltbank definiert E-Government
als die Nutzung von Informationstechnologien wie das Internet und
mobile computing, die es ermöglichen, die Beziehungen zu
den Bürgern, der Wirtschaft oder andere Bereiche des Staatswesens
zu transformieren. Es ist ein Wandel, der deutliche Vorteile hat:
besserer Service des Staates für den Bürger und viel besserer
Zugang des Bürgers zu Informationen von Staat und Verwaltung.
Citizen Relationship Management könnte man das nennen. Zu hoffen
ist auch, dass die Kommunikation zwischen Wirtschaft und
Verwaltung dadurch besser wird und die Vernetzung zu einem
effektiveren Management aller staatlichen Einrichtungen führt.
Ähnlich wie E-Commerce, der Unternehmen erlaubt, Geschäfte
untereinander effektiver abzuwickeln, oder der Kunden näher an
den Anbieter heranbringt, zielt E-Government darauf, die
Beziehung zwischen Staat und Bürger, zwischen Staat und
Unternehmen und innerhalb staatlicher Verwaltungen zu verbessern
und zu beschleunigen.
Das Leistungsspektrum von guten E-Government-Angeboten
umfasst elektronische Steuererklärungen ebenso wie
Anwohnerparkausweise, Passverlängerung, Anmeldung des Wohnsitzes
oder des Autos, Geburtsurkunden oder polizeiliche
Führungszeugnisse. Um all das zu verwirklichen, müssen wir jedoch
auf den Gebieten Datenschutz, Sicherheit im Internet und digitale
Signatur Fortschritte machen - denn wer schickt schon gerne
sensible Daten ungeschützt durchs Netz?
E-Government wird sich nicht im digitalen Angebot von
Verwaltungsdienstleistungen erschöpfen. In Zukunft muss es auch
Angebote wie Registrierung zur Wahl, die elektronische Wahl
selbst und Meinungsumfragen umfassen. Auch
Kommunikationsplattformen mit den Parteien und Mandatsträgern
gehören zu den wichtigen demokratischen
Teilnahmemöglichkeiten.
Gutes E-Government ist ein Stück Wettbewerbsfähigkeit.
Eine gute Vernetzung des Staates
ist heute von besonderer Bedeutung, denn Regierungen und Staaten
müssen Strategien entwickeln, um junge Wissensarbeiter, die vor
allem über und in den Netzwerken arbeiten, in ihr Land zu holen.
Natürlich schauen solche Menschen nicht nur auf die
traditionellen Indikatoren wirtschaftlich erfolgreicher Staaten
wie gute Schulen, gute Verkehrsinfrastruktur, gutes Sozialsystem,
niedrige Kriminalitätsraten. Sie werfen auch einen kritischen
Blick auf die "State-of-the-art-Infrastruktur" und sind nicht
begeistert davon, wenn die Regierung nicht an der vordersten
technologischen Front arbeitet.
Regierungen müssen heute lernen, über Grenzen
hinwegzudenken. Sie müssen auch lernen, die richtigen Fragen zu
stellen. Es darf nicht mehr heißen: "Wie hole ich einige
Großkonzerne in mein Land, damit sie dort Produktionsstätten
hinstellen und Arbeitsplätze bringen?", sondern es muss heißen:
"Wie baue ich ein Bildungssystem auf, das jeden einzelnen Bürger
für die Wissensgesellschaft optimal vorbereitet, und wie gestalte
ich das gesellschaftliche Umfeld, damit die besten Köpfe in
meinem Land leben wollen? Wie verursache ich einen Sog, der die
besten Partner - Mitarbeiter und Unternehmen - in das Land holt?"
Die Initiative D21 stellt das E-Government in Deutschland
auf den Prüfstand: Auf dem Kongress der Initiative im Juni dieses
Jahres wird ein Rating der Kommunen durchgeführt, die im Internet
vertreten sind. Bewertet werden verschiedene Aspekte wie
Dienstleistungen und Bürgerbeteiligung und Kriterien, die auch
berücksichtigen, dass kleinere und finanzschwache Kommunen oft
große Anstrengungen unternehmen, sich zu vernetzen. Ein
besonderer Schwerpunkt soll bei der Untersuchung auf den
Bereichen "Partizipation" und "Bürger-Service" liegen.
Dieses Rating ist ein wichtiger Schritt, um die Bedeutung
von E-Government zu verdeutlichen. Doch es ist nur ein erster
Schritt, dem eine Weiterentwicklung zu umfassenden Anwendungen
folgen muss - auch, damit Deutschland als Wirtschaftsstandort
attraktiv und wettbewerbsfähig bleibt.
Susanne Eyrich ist Senior Manager Social Responsibility & Citizenship bei der Infineon Technologies AG.
www.infineon.de
www.campeon.de
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