Gemeinsam schürfen
Was einer nicht weiß, das wissen die anderen. Mit Sicherheit. Davon sind zwei Autoren überzeugt. Anhand vieler Firmenbeispiele zeigen sie, wie sich das Wissen der vielen anzapfen lässt. Wie Communitys den Kundendienst verbessern, die Umsätze ankurbeln und den Herstellungsprozess revolutionieren. / 09.01.09
"Wir werden aggressiv unsere Karten auf den Tisch legen", kündigte 2004 der Querdenker und Gründer von Amazon, Jeff Bezos, an. Damit setzte eine neue Ära des Internets ein, das Web 2.0: Statt Daten nur mehr zu horten wie einen Goldschatz, sind Pioniere wie Bezos davon überzeugt, dass "Informationen umso wertvoller werden, je mehr Menschen sie nutzen". Der Erfolg von Amazon gibt ihm recht. Das ist das Geschäftsmodell des "Open Sourcing" oder "Crowdsourcing": "Aufgaben, die traditionell von Angestellten ausgeführt werden, werden an die vielschichtige Internetgemeinschaft abgegeben", schreiben die Autoren Barry Libert und Jon Spector in ihrem zukunftsweisenden Buch Viele wissen mehr als einer. Dieser Idee treu bleibend ist das Buch selbst das Produkt von vielen: "Es sollte von einer Gemeinschaft produziert werden, deren kollektiv geteilte Vorstellungen und Erkenntnisse zwangsläufig besser sein würden als die eines einzelnen Autors." Auf die Art haben sie Firmenbeispiele zusammengetragen, die zeigen, auf welche Art und Weise Communitys Unternehmen unterstützen können: Indem sie Produkte und Dienstleistungen neu erfinden, den Kundendienst verbessern, die Umsätze ankurbeln, den Herstellungsprozess revolutionieren und neue Finanzierungsquellen auftun. Diese Beispiele klingen fantastisch und nach Zukunftsmusik - aber sie sind Realität: Der Goldschatz ist für alle da.
Suchen, suchen.
Das musste auch das kanadische Unternehmen Goldcorp erkennen, das sich auf den Abbau von Gold spezialisiert hat. Es ist ein viel zitiertes Beispiel, das der Autor von Wikinomics, Don Tapscott, im Vorwort des Buches erwähnt: Als die firmeneigenen Geologen nicht mit Bestimmtheit sagen können, welche Minen in Zukunft ertragreich sein würden, wendet sich die Firma an die Öffentlichkeit. Sie publiziert alle vormals geheimen geologischen Daten im Internet und schreib einen Wettbewerb aus - und findet Gold im Wert von drei Milliarden Dollar. Das ist das Wissen der vielen, "einem der größten Erfolgsmotoren in der Geschäftswelt", ist Tapscott überzeugt. Wie es angezapft werden kann, zeigt das Buch, indem es die Erfolgsgeschichten von Unternehmen vorstellt, die auf die Hilfe von Communitys setzen. Seien es traditionelle Unternehmen wie Procter & Gamble, Hewlett-Packard, Lego und Eli Lilly, oder seien es gerade frisch gegründete Unternehmen wie Prezzle, Netflix, Zebo, iStockphoto, ChaCha oder CommonAngels. Gleichzeitig gibt das Buch Einblick in das Wesen der vielen: Warum sich viele freiwillig engagieren, wie man sie bei Laune hält und vor Störenfrieden schützt.
Zum Beispiel die Firma ChaCha, die 2005 in Indiana gegründet wurde. Sie ist ein Beispiel dafür, wie der Kunde zum Produzenten wird. Die Idee ist einfach: Während Sie diese Buchbesprechung lesen, sitzt irgendwo auf der Welt irgendjemand an seinem Computer "und ist nur allzu bereit, Ihnen jede Frage zu beantworten, die Sie zu einem beliebigen Thema zu irgendeinem Zeitpunkt des Tages oder der Nacht haben könnten. Das ist die Prämisse und das Versprechen von ChaCha.com." Cha bedeutet auf Chinesisch "suchen"; die Firma ist ein Suchdienst, der Suchtechnologien mit von der ChaCha-Community ausgebildeten Such-Experten kombiniert. Im Verbund von Maschine und menschlichem Gehirn soll die Suche noch schneller erfolgen als über traditionelle Suchmaschinen. Der Dienst selbst ist kostenlos, kann per Internet, Telefon oder Handy in Anspruch genommen werden. Finanziert wird ChaCha über Werbeanzeigen. Entscheidend bei dieser Art des Crowdsourcing sind Maßnahmen, die die Qualität der Inhalte garantieren. Deshalb ermutigt ChaCha seine Kunden, die Guides zu bewerten. So wie bei eBay die Käufer die Verkäufer bewerten - von der Lieferzeit bis zum Zustand der Ware, wenn sie eingetroffen ist. "Ständige Wachsamkeit durch die Angestellten oder die Kunden ist der Preis, den man für den Gewinn zahlen muss", schreiben die Autoren.
Auch viele stoßen an Grenzen.
Ob sich allerdings das Gros der Firmenbeispiele am Markt behaupten wird, bleibt offen. Klar ist: Viele wissen mehr als einer, das zeigen die Autoren auf eindrucksvolle Art und Weise. Und doch stoßen diese Communitys an ihre Grenzen. Das mussten Libert und Spector auch selbst erleben, zu viele Fragen blieben bei dem Gemeinschaftsbuchprojekt offen: Wer der hundert oder tausend Schreibenden würden in welcher Höhe Anteile an den Tantiemen bekommen? Wer hätte das Urheberrecht? Wer würde die Entscheidung treffen, welche Kapitel in das Buch aufzunehmen sind? Die Masse konnte diese Entscheidung nicht treffen. "Letztlich befanden wir, dass es besser sei, beim tatsächlichen Text des Buches, bei der Zusammenstellung der Themen und dem grafischen Design auf konventionelle Weise zu verfahren", sagen sie. Das Wissen der Masse ist aber in Form von vielen Zitaten, die in Kästen hervorgehoben sind, präsent. Und die Autoren geben nicht auf: Sie planen ein weiteres Buch, "in das noch mehr Fallstudien und Wikibeiträge der Community" aufgenommen werden sollen. Ich freue mich auf das Buch.
Florian Michl ist freier Mitarbeiter bei changeX.
Links zu den im Text genannten Wikinomics-Sites:
www.chacha.com
www.commonangels.com
www.istockphoto.com
www.netflix.com
www.prezzle.com
www.zebo.com
changeX 09.01.2009. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Barry Libert / Jon Spector: Viele wissen mehr als einer.. So nutzen Unternehmen das Know-how der Business-Communitys.. Redline Wirtschaft, München 2008, 175 Seiten, ISBN 978-3-636-01603-4
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