Schwarz und arm.
Es beginnt im Jahr 1989: Mit einem
Klemmbrett unter dem Arm wagt sich Venkatesh in eines der größten
Housing-Projekte Chicagos, den Lake Park Projects, einer
innerstädtischen Sozialbausiedlung in Form von Hochhaus-Gettos.
Mit der Frage "Was ist es für ein Gefühl, schwarz und arm zu
sein?", kommt er nicht weit, dann wird er von den Black Kings
festgehalten und mit einer ordentlichen Tracht Prügel bedroht.
Dabei lernt er deren Anführer J. T. kennen und dessen
Gang-Mitglieder. In den folgenden acht Jahren entsteht eine
Freundschaft, die es Venkatesh ermöglicht, sich nahezu
ungehindert in den Lake Park Projects zu bewegen. Schnell lernt
er, dass hier andere Regeln gelten, wenn die Polizei die Augen
vor der Gewalt verschließt und der Rettungswagen nicht die Fahrt
in das Getto wagt: "Das Wichtigste hier in den Projects ist,
zuerst einmal das Problem zu lösen. Erst danach macht man sich
Gedanken darüber, wie man das Problem gelöst hat." Sagt Miss
Bailey. Sie ist House President in einem der Hochhäuser und damit
erste Ansprechperson für die Mieter, wenn es ein Problem gibt. Um
kaputte Fenster und angeschmierte Wände geht es dabei nicht.
"Wenn keiner stirbt und keiner verletzt wird, dann mache ich
meinen Job richtig", sagt sie.
Wie man in einem solchen mit Gewalt aufgeladenen Umfeld
überlebt, ist Thema des Buches. Im Mittelpunkt steht die
Organisation der Black Kings, die ihre Einnahmen vor allem mit
dem Drogenhandel erzielt, aber auch mit Glücksspiel,
Prostitution, Erpressung und Hehlerei. "Dieser Kapitalismus des
Verbrechens lief wie geschmiert, und die Chefs der verschiedenen
Gangs wurden reich", berichtet Venkatesh, der am Ende seiner
Recherchen sogar Einblick in den Geldtransfer der Gang bekommt.
Er erfährt nicht nur, dass die "Laufburschen" auf unterster Ebene
am wenigsten Geld bekommen, obwohl sie den gefährlichsten Job
machen, sondern auch, dass sich das Einkommen eines örtlichen
Gangleaders wie J. T. auf bis zu 100.000 Dollar im Jahr beläuft.
Das sei eine Frage des Managements, sagt J. T.: "Nigger, sie
müssen Angst haben vor dir!" So löst er im Groben die Probleme.
Gewalt ist sein Führungsstil - ein Stil, der mit der Führung
heutiger Unternehmen nichts gemein hat.
Geld über alles.
Venkatesh sieht aber andere
Gemeinsamkeiten zwischen der Underground Economy und legalen
Unternehmen: von einer ausgeprägten Hierarchie bis zu den
Marktmechanismen von Angebot und Nachfrage, von
Mitarbeiterführung bis zu Karriereplanung, von Investitionen bis
zu gerechten Löhnen, von Leistung bis zu Kundennähe. Nicht
zuletzt weiß auch J. T. um die Wirksamkeit von Corporate Social
Responsibility: Seine Gang verteilt Essen, organisiert
Basketballspiele und vermittelt in Streitfällen. Daher glauben
die Bewohner, dass die Gang der Community hilft. Auch wenn sie
Vergewaltigungen toleriert.
Diese Parallelen flicht Venkatesh geschickt und in
subjektiver Perspektive in seine Sozialreportage aus einem Getto
in den USA ein. Ihre Stärke liegt darin, dass Venkatesh in
zahlreichen Gesprächen mit den Bewohnern deren Vertrauen gewinnen
konnte und damit Perspektiven eröffnet, wie man sie bisher nicht
kennengelernt hat. So entsteht ein erschütterndes Bild der
Verwahrlosung, das vor Augen führt, wie man unter extremen
Umständen zu Geld kommt. Es streift aber auch die Politik der
90er-Jahre unter Reagan und Clinton und thematisiert die
Rassenfrage. So lernt der Soziologe auch den schwarzen Leonard
Combs kennen, auch Old Time genannt. Der hält nicht viel vom
Schwarz-Weiß-Denken: "Vertraue niemals einem Weißen", sagt er.
"Und glaub' bloß nicht, dass die Schwarzen einen Deut besser
sind."
Florian Michl ist freier Mitarbeiter bei changeX.
Sudhir Venkatesh:
Underground Economy.
Was Gangs und Unternehmen gemeinsam haben.
Econ Verlag, Berlin 2008,
336 Seiten, 18 Euro.
ISBN 978-3-430-20019-6
www.ullsteinbuchverlage.de/econ
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Sudhir Venkatesh: Underground Economy. . Was Gangs und Unternehmen gemeinsam haben. . Econ Verlag, Berlin 1900, 336 Seiten, ISBN 978-3-430-20019-6
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