Mit Volldampf in die Rezession?
Wirtschaftsjournalist Michael Mandel analysiert die Krise der New Economy.
Innovationen fördern und die Inflation erst einmal außer Acht lassen - das empfiehlt Autor Michael Mandel.
Die Zeichen mehren sich, dass das heftige Auf und Ab - vor allem Ab - am Neuen Markt Vorbote eines ernstzunehmenden Konjunkturrückgangs ist. In seinem neuen Buch crash.com analysiert Michael Mandel, Wirtschaftsjournalist bei der Business Week und in den neunziger Jahren einer der Propheten der New Economy, die Hintergründe der Krise und ihre möglichen Auswirkungen.
Liegt der ärgste Teil der Krise schon hinter uns oder noch vor
uns? Sie haben ja geschrieben, dass die Auswirkungen erst nach ein
oder zwei Jahren spürbar werden - und die Originalausgabe Ihres
Buches ist im September 2000 erschienen.
In vielerlei Hinsicht liegen einige der schlimmsten Phasen
der New Economy-Krise noch vor uns. Ich glaube, dass das zweite
Halbjahr 2001 heftiger wird als der erste, weil dann die vollen
Auswirkungen des Absackens der Technologiewerte und der
Entlassungen spürbar werden. Die Ausgaben werden sinken und die
Konsumenten sich sparsamer zeigen.
Zeichnet sich mittlerweile ab, ob es sich "nur" um eine
Rezession handelt, die relativ schnell vorüber sein könnte, oder um
eine Depression, das heißt eine langfristige Krise?
Wie die letzten Zinssenkungen zeigen, haben Alan Greenspan
und die Notenbank endlich begriffen, dass die amerikanische
Wirtschaft und die Weltwirtschaft durch die Krise des
Technologiesektors und die gesunkene Ausgabebereitschaft in echter
Gefahr sind. Wenn sie weiter aggressive Zinssenkungen durchführen,
dann kann es sein, dass die USA nochmal an einer Depression
vorbeischrammen. Doch wenn die Europäische Zentralbank so geizig
bleibt wie zur Zeit, dann könnte Europa stärker in Gefahr sein als
Amerika.
Die Risikokapitalgesellschaften waren wichtig für den Aufschwung
der New Economy. Welche Rolle kommt ihnen bei der Erholung der New
Economy zu? Haben sie aus ihren Fehlern gelernt?
Es ist unerlässlich für die langfristige Gesundheit der
amerikanischen Wirtschaft, dass die Venture Capitalists weiterhin
Geld in innovative neue Unternehmen stecken. Innovation macht
Wachstum möglich, und eine wichtige Quelle neuer Ideen sind die
Start-ups, die von den Venture Capitalists gefördert
werden.
Ist das Regelwerk, mit dem Wirtschaftszyklen gemanagt werden,
angemessen, oder hat der Crash der Technologiewerte gezeigt, dass
es überarbeitungsbedürftig ist?
Wir befinden es uns in der New Economy, in der ganz andere
Gesetze herrschen. Dazu gehört, dass die New Economy eine stärkere
Wachstumsrate braucht als die Old Economy um zu funktionieren. Denn
das ermutigt Unternehmen und Einzelne, Risiken einzugehen. Zur Zeit
ist es wichtiger Innovationen zu fördern als die Inflation zu
bekämpfen.
Waren die Leute während des Aufschwungs unvorsichtig, weil sie
glaubten, dass der Wirtschaftskreislauf als Kreation des
industriellen Zeitalters ein Anachronismus geworden sei?
Viel zu viele Leute dachten, der Boom würde bedeuten, dass
Wirtschaftskreisläufe für immer außer Kraft gesetzt seien. Meiner
Ansicht nach ist das Gegenteil der Fall, die New Economy ist viel
brisanter als die Old Economy. Angetrieben wird sie schließlich von
zwei hochriskanten Faktoren, von der Technologie und vom Venture
Capital.
Was wäre jetzt die richtige Strategie für Wirtschaft und
Politik, um den Schaden zu begrenzen?
Am wichtigsten ist jetzt, die Wirtschaft währungspolitisch
kräftig zu stimulieren und sich wegen der Inflation vorerst keine
Sorgen zu machen. Kräftiges Wachstum führt zu mehr Innovation -
zumindest in den USA - und das hilft, die Inflation im Zaum zu
halten.
Sie ziehen oft Vergleiche zur Great Depression in den dreißiger
Jahren. Ist die Angst davor, dass es genauso schlimm werden könnte
wie damals, weit verbreitet?
Die gegenwärtige Krise kann gar nicht so schlimm werden wie
1930, dazu gibt es heute zu viele Sicherheitsnetze. Aber Menschen,
die sich in der Geschichte ein bisschen auskennen, erinnern sich
daran, dass Wirtschaftswissenschaftler und Politiker nach dem
Börsencrash 1929 viel zu optimistisch waren - jeder nahm einfach
an, dass die Wirtschaft sich ruckzuck wieder erholen würde. Doch
das geschah nicht. Daraus lässt sich für unsere Zeit die Lehre
ziehen, dass Booms von tiefen Talfahrten gefolgt sein
können.
Was kann ein kleines New Economy-Unternehmen tun, um die
Rezession zu überstehen?
Die Unternehmen können nicht mehr so einfach den
Kapitalmarkt anzapfen, sie müssen sich auf ihre eigenen Ressourcen
verlassen. Wenn sie noch Bargeld haben und weiterhin investieren,
dann werden sie sich gut entwickeln, sobald die Wirtschaft sich
wieder erholt. Selbstmord wäre es für sie, ihre Aufwendungen für
Forschung und Entwicklungen zurückzuschrauben, denn dann ziehen sie
sich selbst den Boden unter den Füßen weg.
Ist mittlerweile klar, welche Rolle
die Weltwirtschaft spielt - kann sie den Abschwung in Amerika
auffangen oder zieht sie die amerikanische Wirtschaft nur noch
weiter runter?
Das weiß noch niemand. Japan schleppt sich immer noch dahin,
Ostasien steht nicht auf festen Beinen und Südamerika hat zu
kämpfen. Europa ist noch ein Unsicherheitsfaktor - die
Währungspolitik der Europäischen Zentralbank bereitet auch ihm
Probleme. Meine größte Sorge ist, dass der Dollar durch die Krise
der amerikanischen Wirtschaft plötzlich stark fallen und dadurch
eine Finanzkrise auslösen könnte.
Mitte Mai ist Michael Mandel auf Lesereise durch Deutschland. Die Veranstaltungen finden jeweils in den Amerikahäusern statt. Die Daten sind: am 14.05. um 19 Uhr in Hamburg, am 15.05. von 12-14 Uhr in Heidelberg, am 15.05. um 19 Uhr in Frankfurt (Podiumsdiskussion mit Peter Pagé), am 17.05. um 18 Uhr in Berlin und am 18.05. um 18.30 Uhr in Köln. Nähere Informationen unter www.ftmanagement.de
Michael Mandel:
Crash.com,
Financial Times Prentice Hall 2001,
183 Seiten, 59,95 Mark.
Sylvia Englert, Journalistin und Buchautorin, ist Redakteurin bei changeX.
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