Derartige Unternehmen bewegen sich in den unterschiedlichsten Branchen, von der Luft- und Raumfahrtindustrie über den Medienbereich bis hin zur Biotechnologiebranche. Sie schließen Produktionsprozesse mit ein und bewegen sich stark im Dienstleistungssektor. Dabei geht es um Projekte und Aufträge, die für Kunden und Auftraggeber letztlich zu deren Zufriedenheit in individualisierter Weise abgewickelt werden sollen. Und dies soll virtuell, über IT und Telekommunikation, wenn möglich auf bloßer Vertrauensbasis unter den zusammengeschlossenen Mitarbeitern, temporär und ohne Hierarchien funktionieren. Welche Prozesse, welche Organisationsstrukturen und welche Kompetenzen müssen dabei für eine erfolgreiche Abwicklung zusammenkommen?
Grundlagenforschung.
Die Tagung
"Unternehmensübergreifende Prozesse und ganzheitliche
Kompetenzentwicklung: Neue Forschungsergebnisse und visionäre
Instrumente zur Unterstützung virtueller Zusammenarbeit", die am
3. und 4. März 2005 im Campus-Treff der Universität Dortmund
stattfand, hat sich diesem Themenkomplex gewidmet. In drei
Plenarvorträgen und 19 weiteren Vorträgen, die in zwei parallele
Panels: "Prozesse und Organisation" und "Kompetenzen" eingeteilt
waren, wurden Grundlagen und neueste Entwicklungen vorgestellt
und diskutiert. Veranstaltet wurde der Workshop von den beiden
BMBF-Projekten
ViCO und
NErVUM, angesiedelt am Lehrstuhl Technik und ihre Didaktik
und dem Lehrstuhl für Soziologie an der Universität Dortmund.
In den Plenarvorträgen stellten Experten die Grundlagen aus
der Sicht der beruflichen Weiterbildung und der
Betriebswirtschaft dar. Prof. Dr. John Erpenbeck, Leiter der
Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiterbildungsforschung e.V. in
Berlin, hat im Wesentlichen das Thema der Kompetenzentwicklung
vor dem Hintergrund selbstorganisierender Modelle thematisiert.
Kompetenzen sind ihm zufolge evolutionär entstandene
Dispositionen, die Pfade zur Lösung von Problemen entdecken und
beschreiten. Im Falle Virtueller Unternehmen bilden sich
insbesondere durch die Nutzung von IT- und
Kommunikationstechnologien Formen der Zusammenarbeit aus, die
neue sozial-kommunikative Kompetenzen erfordern.
Prof. Dr. Michael Reiss von der Universität Stuttgart
identifizierte Netzwerkkompetenz als organisatorische
Herausforderung für Virtuelle Unternehmen, vor allem, weil sie
existentiell wichtige Infrastrukturen importieren müssen. Die
Geschäftstätigkeiten Virtueller Unternehmen sind darüber hinaus
durch "Koopkurrenz", die Überlagerung von Kooperation und
Konkurrenz, geprägt. Netzwerkkompetenz umfasst daher neben der
Konfigurations- und der Veränderungskompetenz auch die
Vernetzungskompetenz, die aufgabenbezogene und mitgliederbezogene
Interaktionen bewirken muss, sowie die Infrastrukturkompetenz,
die integrative Rahmenbedingungen schaffen soll, zum Beispiel
Spielregeln und Koordination.
Prof. Dr. Gerhard Zimmer von der Helmut-Schmidt-Universität
in Hamburg führte aus, dass die Entwicklung und Unterstützung
virtueller Zusammenarbeit zunächst der Konzeptualisierung einer
neuen informations- und kommunikationstechnologischen
Infrastruktur bedarf, in der die unterstützenden Angebote für die
erforderliche fortlaufende Personal- und Organisationsentwicklung
bereitgestellt werden können.
Mitarbeiterförderung in Virtuellen Unternehmen.
Welche Prozess- und
Organisationsstrukturen im einzelnen vorliegen, welche Schlüsse
daraus zu ziehen sind und welche Instrumente zur Entwicklung von
Kompetenzen für Virtuelle Unternehmen entwickelt werden können,
das haben mehr als ein Dutzend Projekte aus dem Programm
"Innovative Arbeitsgestaltung - Zukunft der Arbeit" des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung gezeigt.
Seit eineinhalb Jahren arbeitet
ViCO als Verbundprojekt von sechs Kooperationspartnern aus
der Wissenschaft und zwei Unternehmen aus der Wirtschaft an einem
"virtuellen Qualifizierungscoach", der die Mitarbeitenden in
Unternehmensnetzwerken künftig bei der Weiterbildung unterstützen
soll. In der ersten Projektphase, die jetzt abgeschlossen ist,
wurde untersucht, wie virtuelle Organisationen beziehungsweise
Netzwerke arbeiten, welche Schlüsselkompetenzen man braucht, um
darin erfolgreich zu sein, und wie man diese Mitarbeiter mit
Personal- und Organisationsentwicklungstools dabei unterstützen
kann. Als Ziel von
ViCO soll Mitarbeitenden in virtuellen Unternehmen ein
Instrument medialer Interaktion angeboten werden können, das sie
in ihrer persönlichen Kompetenzentwicklung begleitet und die
Identifizierung geeigneter Qualifizierungsangebote ermöglicht.
Zentrales Element ist ein auf Kommunikation aufbauendes
didaktisches Metamodell, das explizit Lernende in ihrer
Sprechweise bei ihren Entscheidungen über das Was, Wie, Wann etc.
ihrer Qualifizierung unterstützt.
Im Rahmen qualitativer und quantitativer Forschungen
untersuchte das Projekt
NErVUM, Neue Erwerbsbiografien in virtuellen Unternehmen
der Medienwirtschaft, über welche Kompetenzen "Quereinsteiger"
und "Job-Nomaden" verfügen und wie die Personalentwicklung eines
solchen Personenkreises, auch und vor allem im Kontext virtueller
Arbeitsstrukturen, verbessert werden kann. Dazu hat
NErVUM ein internetgestütztes Profilingtool entwickelt.
Das System arbeitet mit Referenzprofilen, die typische "Rollen"
von Mitarbeitenden in unterschiedlichen Projekten beschreiben.
Anhand dieser Referenzprofile werden adaptierte Profile für die
Mitarbeiter erstellt, die sich hoch individuell aus Kompetenzen
verschiedener Rollen, Schlüsselqualifikationen und weitergehenden
Qualifikationen zusammensetzen. Ausgelöst vor allem durch den
Preisverfall und die Umstrukturierungen, die Globalisierung,
Rationalisierungen und Computerisierung mit sich gebracht haben,
ist die Medienbranche einem enorm raschen Wandel unterworfen. Dr.
Hafkesbrink von der
Aröw GmbH, einem Cross-Media-Produzenten, hat diese
Umstrukturierungen am Beispiel der inzwischen benötigten
vielfältigen Kompetenzen in der Branche und an der Schnittstelle
zur Forschung von
NErVUM aufgezeigt.
Die Projekte stellen sich vor.
Ungeführte Netzwerke, insbesondere
im Produktionsbereich, haben sich als grundsätzlich
undurchschaubar und nicht lebensfähig erwiesen, wie Dr.-Ing.
Wegehaupt und ein Forschungsteam der RWTH Aachen herausgefunden
haben. Organisationsmodelle haben sich für dieses Forschungsfeld
als unzureichendes Instrument herausgestellt, der wirtschaftliche
Nutzen hat sich insbesondere für ungeführte Netzwerke als
zweifelhaft erwiesen und Führungsprinzipien, die im
Managementbereich allgemein anerkannt sind, haben sich als
Desiderat ergeben.
Der Aufbau einer Prozessorganisation Virtueller Unternehmen
für die Luftfahrtindustrie, den das Projekt
Aervico in Aussicht stellt, wird dadurch erleichtert, dass
verteiltes Arbeiten in diesem Industriezweig schon seit langem
praktiziert wird und sich Interessensvertretungen der Zulieferer
und kleiner beteiligter Unternehmen herausgebildet haben, welche
die geplante Arbeitsweise unterstützen.
Arbeit@VU ist ein Karlsruher Projekt, das den
Gestaltungsrahmen für die Zusammenarbeit Virtueller Unternehmen
in einer Art Handbuch zusammenfassen will, während das Projekt
KOVIUS, an der Universität Bamberg angesiedelt, das Modell
Virtueller Unternehmen auf den Bereich der Kommunen anwenden
will.
Die Beraterin Heike Arnold hob in ihrem Beitrag "Vergessen
Sie, was Sie wissen" vor allem auf die Flexibilitätskompetenz von
Virtuellen Unternehmen beziehungsweise deren Mitgliedern ab. In
virtuellen Organisationen liegt ein hoher Anspruch darin, für
jeden Kunden die beste und gleichzeitig eine individuelle Lösung
für ein Problem zu entwickeln. Daher besteht eine wesentliche
Kompetenz von Menschen, die in solchen Projekten arbeiten, in der
"Kunst des Vergessens", das heißt in der Fähigkeit und dem
Willen, die Dinge immer wieder neu zu denken. Hierbei spielt die
Bereitschaft eine wichtige Rolle, sich die Arbeit nicht durch den
Rückgriff auf Bewährtes zu erleichtern und auf
Selbstverwirklichung in einem Projekt zu verzichten.
"Lifestyle-Management in virtualisierten Arbeitskontexten"
war das Thema des Projekts
Vilma. Die Balance zwischen Belastungen und Ressourcen ist
bei Mitarbeitern Virtueller Unternehmen ein besonderes Thema,
weil es hierbei zu Beanspruchungssituationen kommen kann, die
kein Betriebsrat und keine innerbetrieblich vorhandene Ressource
auszugleichen imstande sind. Ein gesundheitsorientiertes
Lifestyle-Management im Sinne einer eigenverantwortlichen
Strukturierung des Lebensstils, das die körperlichen und
seelischen Selbstheilungskräfte fördern hilft, wird daher
notwendig. Dazu zählen der gesundheitsfördernde Umgang mit
Ernährung und Bewegung sowie die Regulation von An- und
Entspannung.
Das Projekt
Vipnet hat einerseits beobachtet, dass Netzwerke in der
Abwicklung ihrer Projekte das Selbstständigmachen von
Projektmitarbeitern fördern, die sich eher als Generalisten
ausweisen. Während Spezialisten, insbesondere im Softwarebereich,
eher an eine Unternehmung durch Verträge und Anstellung dauerhaft
gebunden werden. Die Beobachtungen gehen andererseits dahin, dass
das Wissen über die Strukturen innerhalb projektartiger Netzwerke
zu erheblichen Anteilen subjektive Merkmale aufweist. Das Wissen
über das "eigene Netzwerk" bleibt dadurch vielfach
unausgesprochen und es fehlt eine Systematik von organisationalen
Lernprozessen. Aus diesen Untersuchungen sollen Empfehlungen für
ein besseres Wissensmanagement entwickelt werden.
Teamtraining wird im Rahmen des Projektes
InVirtO erstellt und evaluiert. Dabei wird die Anbahnung
und Gestaltung virtueller Kooperationen in der
Biotechnologiebranche betrachtet mit dem Ziel, geeignete
Instrumente zur Unterstützung der Unternehmens- und
Kompetenzentwicklung zu generieren.
Die Entwicklung der Branche Biotechnologie untersucht auch
das Projekt
VirtoWeB. Kleinere Unternehmen aus dem
Life-Science-Bereich werden zunehmend zu strategischen
Kooperationen und Allianzen gezwungen, um so vernetzt das eigene
Leistungs- und Produktportfolio zu erweitern und als
Komplettanbieter am Markt agieren zu können. Die daraus
entstehenden virtuellen Unternehmen unterliegen eigenen
Gesetzmäßigkeiten. Für
VirtoWeB hat auch Herr Zoche vom Fraunhofer-Institut ISI
virtuelle Unternehmen untersucht. Ein souveräner Umgang mit IT-
und Telekommunikationslösungen zeigt sich dabei in der täglichen
Arbeit als unerlässlich. Virtuelle Unternehmen erproben nicht nur
neue Kommunikations- und Interaktionsmuster, sondern sind auch in
besonderer Weise Prozessen der Virtualisierung ausgesetzt und
entwickeln diese weiter.
Aus dem Forschungsvorhaben "
vertikult - Entwicklung eines vertikalen Portals für
kulturelle Aufgaben" liegen erste Forschungsergebnisse vor. Sie
zeigen, unter welchen Voraussetzungen virtuelle Arbeitsformen in
einem traditionell konservativ agierenden Umfeld entstehen und
unter welchen Bedingungen diese akzeptiert werden.
Spiko dagegen entwickelt ein simulationsbasiertes
Planspiel, welches in hinreichender Weise die Darstellung und das
Verständnis komplexer Zusammenhänge einer Kooperation erlaubt.
Frau Posor, Doktorandin an der Uni Hamburg, untersuchte den
Einsatz von Moderationstechniken in virtuellen Umgebungen, die
sich bislang nur im E-Learning durchgesetzt haben. Ihren
Untersuchungen zufolge bietet es sich durchaus an,
Kommunikationsprozesse, die erfolgreich in der Gruppenarbeit im
E-Learning eingesetzt werden, auch auf virtuelle Unternehmen zu
übertragen.
Insgesamt wurde bei der Tagung von
ViCO und
NErVUM ein Kaleidoskop der Forschung zu Virtuellen
Unternehmen und Beispiele für die Ermöglichung von
Kompetenzentwicklungen und die Optimierung von Prozessen und
Organisation aufgezeigt. Wir sind gespannt auf die weitere
Entwicklung, wenn es darum geht, Forschungsergebnisse
aufzuzeigen, die an der Schwelle zur Umsetzung in die Praxis
stehen.
E-Mail des Autors:
steiner@global-lectures.de
Weitere Informationen über die Tagung
und die beteiligten Projekte:
Martina Kunzendorf
Projekt ViCO, Lehrstuhl Technik und ihre Didaktik
Universität Dortmund
Tel: 0231 7554125
martina.kunzendorf@uni-dortmund.de
© changeX Partnerforum [14.03.2005] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
changeX 14.03.2005. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
Artikeltags
LS training and services GmbH & Co. KG
Weitere Artikel dieses Partners
Beim E-Day von LS training and services und bit media bekamen Besucher einen Überblick über innovative Lernformen. zum Report
LS training and services verschenkt Eintrittskarten für die größte Fachmesse im Bereich E-Learning. zum Report
Für das Projekt ViCO müssen die Wissenschaftler des Hochschuldidaktischen Zentrums die bisherige Didaktik förmlich auf den Kopf stellen. zum Report