Asiens Aufschwung verändert die Strukturen der Weltwirtschaft.
Was passiert? Europa und die USA
haben bislang den Welthandel mit ihrem intra- und interregionalen
Waren- und Dienstleistungsaustausch dominiert. Sie haben der
Weltwirtschaft ihren ökonomischen und kulturellen Stempel
aufgedrückt. "Go west" wurde - und ist es sicher noch - das
Synonym für individuelle und ökonomische Freiheit, Wohlstand und
Lebensgefühl. Die ökonomische und kulturelle Hegemonie zeigt
allerdings deutliche Verfallserscheinungen. Der Austausch von
Waren, Dienstleistungen und Kapital zwischen den USA und Asien
entwickelt sich zur dominanten globalen Transaktionsachse in der
Triade, dagegen verlieren die Austauschbeziehungen zwischen den
USA und Europa ihre traditionelle Führungsrolle.
Europa steht an einem sozialen, politischen, ökonomischen
und kulturellen Scheidepunkt. Die Vorzeichen für eine
vorausschauende Gestaltung des tief greifenden Wandels sind eher
bescheiden. Europa ist neben Japan weltweit die einzige Region,
deren Bevölkerung, bedingt durch den demografischen Wandel,
altert und schrumpft. Alternde Industrienationen, das hat die
OECD nachgewiesen, besitzen weniger Innovationsdynamik, was die
Wettbewerbsbedingungen insgesamt weiter verschlechtert. Die
europäische Branchenstruktur trägt immer noch den Stempel des
Industriezeitalters: Auto, Chemie, Maschinenbau und Energie. Im
Sektor Telekommunikations- und Computerindustrie zeigt sich zwar
ein gemischtes Bild, aber die technologischen und sozialen
Impulse sowohl in der Unterhaltungsindustrie als auch bei Chips
und Software gehen in der Regel nicht von Europa aus. Die
Pharmaindustrie, die Kernbranche der Life Sciences, die laut
Kondratieff rund um das Thema Gesundheit die nächste lange Welle
der Basisinnovationen prägen wird, ist in Europa - abgesehen von
Schweizer Unternehmen - stark durch nordamerikanische Konzerne
geprägt.
Angesichts geringerer regulatorischer staatlicher Eingriffe
und einer insgesamt größeren auch kulturellen Offenheit auf dem
weiten Feld der Lebenswissenschaften sitzen die südostasiatischen
Staaten in den Startlöchern, um an dem erwarteten Boom in
vorderster Reihe teilzuhaben. Das rohstoffarme und
energiefressende China sucht darüber hinaus notwendigerweise den
Einstieg in eigenständige Energiepfade, sowohl auf dem
klassischen Feld der Kernkraft, aber auch beim Einstieg in eine
solare Wasserstoffwirtschaft. Die Europäische Union hat es bisher
bei gut gemeinten programmatischen Aussagen (Lissabonner
Konferenz) und einer aktiven Forschungsförderung auf dem Gebiet
der Brennstoffzellen und solarem Wasserstoff belassen, konkrete
Schritte zum gemeinsamen Einstieg in eine solare
Wasserstoffwirtschaft stehen noch aus. Die betroffenen
europäischen Branchen Energie und Automobil entwickeln zwar alle
eigenständige Wege, investieren in eigene Lösungen, aber ein
gemeinsames europäisches Großprojekt im Verein mit der EU,
weiteren Industrien und Akteuren der Zivilgesellschaft zum Aufbau
einer entsprechenden solaren Infrastruktur zeichnet sich nicht
ab. Dies ist deshalb von herausragender Relevanz, weil durch den
Aufbau einer neuen Infrastruktur erhebliche und zwar qualitative
Wachstumsimpulse zu erwarten sind und es kaum vergleichbare
Investitionsfelder mit ähnlichem Potenzial gibt.
Droht Europa eine Deindustrialisierung?
Die Konsequenzen der bisherigen
Analyse spiegeln sich bisher nicht angemessen in den Diskussionen
der politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen in Europa
wider. Man darf sogar noch einen Schritt weiter gehen und darauf
hinweisen, dass erste Befunde auch auf
Deindustrialisierungstendenzen in Europa deuten. Damit ist nicht
gemeint, dass Europa dabei ist, den Übergang in eine
wissensbasierte Gesellschaft erfolgreich zu meistern. Vielmehr
spricht einiges dafür, dass insbesondere Unternehmen in den
Kernbranchen Auto und Chemie den europäischen Markt sukzessive
abschreiben. Die Wachstumsmärkte liegen anderswo. "Go east"
lautet die Maxime in den entsprechenden Konzernzentralen, wenn es
darum geht, Investitionsentscheidungen für den Aufbau neuer
Fabrikationsstätten zu treffen.
Zugespitzt geht es gar noch einen Schritt weiter. Galt es
lange als ausgemacht, dass die europäische Industrie die
Blaupausen liefert und die Massenproduktion dann in den
Billiglohnländern, beispielsweise in Südostasien, erfolgt, deuten
erste Analysen auf ein grundsätzlich anderes Muster hin. Eine
sich mit dem "Shift to Asia" abzeichnende neue internationale
Arbeitsteilung wird nicht zwangsläufig dazu führen, dass die
"dummen" Produkte abwandern und die "intelligenten" in Europa
bleiben. Schon heute wandert die Produktion von Komponenten
beispielsweise der Handyelektronik in den asiatischen
Wirtschaftsraum. In Europa verbleibt nur die massenhafte
Produktion der Handyschalen. Solche strategischen
Unternehmensentscheidungen wiegen umso schwerer, wenn man die
Folgewirkungen mit bedenkt. Das Produktwissen wandert mit aus,
und vor Ort entstehen Produktionscluster mit entsprechenden
Forschungs- und Entwicklungslabors. Europas Chancen, in den
wissensintensiven Sektoren auch im globalen Wettbewerb zur Spitze
zu zählen, werden dadurch weiter unterminiert. Die Arbeitskosten
sind darüber hinaus in Asien insgesamt günstiger, es bestehen oft
weniger bürokratische Hindernisse, der Zugriff auf junge, gut
ausgebildete und hoch motivierte Fachkräfte ist fast grenzenlos
und die Absatzmärkte liegen vor der Haustür.
Mit einer Verschiebung der ökonomischen Gewichte einher
geht auch eine Neubestimmung der kulturellen Ausstrahlungskraft.
Das Selbstverständnis Europas als Region der Dichter und Denker,
der Dirigenten und Tenöre, der Modedesigner und Architekten und
auch der Sportler wird schon mittelfristig seine kulturelle
Hegemonie einbüßen. Es ist keine Larmoyanz, die bei der
Feststellung mitschwingt, dort, wo ökonomisch die Musik spielt,
dorthin richtet sich zukünftig auch die Aufmerksamkeit.
Europa benötigt eine ganzheitliche Innovationsperspektive.
Der "Shift to Asia" weist auf eine
grundsätzliche und langfristig angelegte Neuorientierung in der
Weltgesellschaft hin. Wir befinden uns in der Phase einer
epochalen Neuverteilung der politischen und wirtschaftlichen
Macht auf dem Blauen Planeten. Die führende westliche Macht, die
USA, ringt um ihren weltpolitischen Einfluss und ihre Geltung,
9/11, die politischen Folgen und die Umbrüche in der Weltökonomie
sind die Begleitmusik.
Aus Sicht der europäischen Wirtschaft stellen sich sehr
unterschiedliche Herausforderungen. Kurzfristig gedacht ergeben
sich vielfältige Chancen, neue Märkte zu erobern und zu bedienen.
Bereits mittelfristig wird es schwieriger für die Unternehmen
werden. Erstens, das zeigt die Wirtschaftspolitik Chinas
deutlich, will die selbstbewusste chinesische Industrie den
Status eines Juniorpartners dauerhaft hinter sich lassen. Wir
werden neue strategische Allianzen erleben, die keine europäische
oder westliche Vorherrschaft mehr beinhalten.
Zweitens, die Innovationsdynamik und deren Inhalte und
Leitbilder werden verstärkt von den Wachstumsmärkten ausgehen.
Drittens entstehen neue Strukturen der internationalen
Arbeitsteilung, die nicht mehr durch das Muster - hier in Europa
werden Spezialprodukte gefertigt und dort findet als verlängerte
Werkbank Massenproduktion statt - gekennzeichnet sein wird, als
vielmehr durch eine verschärfte Konkurrenzsituation in allen
Wertschöpfungsphasen, auch auf den einheimischen Märkten selbst.
Langfristig gedacht kann es so werden, dass nach den
Produktionsstätten auch die Forschungszentren und selbst
Headquarter ihren Sitz dorthin verlagern, wo die Märkte sind. Es
scheint deshalb durchaus, auch im Sinne einer
betriebswirtschaftlichen Logik, sinnvoll zu sein, sehr genau und
vorausschauend zu prüfen, welche politischen, ökonomischen und
kulturellen Konsequenzen sich aus einem "Shift to Asia" ergeben.
Deutlich wird, dass eine reine Orientierung auf die
Anforderungen der asiatischen Märkte zu kurz greift und die
europäische Industrie und deren Produkte ohne eine klare
Innovationsorientierung nicht auskommen. Dabei fehlt es aber
oftmals gerade an der wirtschaftlich erfolgreichen Umsetzung
innovativer Produkte und Lösungen. Eine sinnvolle europäische
Forschungsförderung muss dazu auch gezielt auf wachstumsträchtige
Zukunftsmärkte ausgerichtet werden.
Die europäische Industrie hat ihre strukturpolitischen
Lektionen zum Teil sehr schmerzlich verkraftet. Keine dynamische
Entwicklung verläuft ohne Friktionen, das zeigt die ökonomische
Entwicklung und das zeigen stellvertretend die aktuellen
Krisenerscheinungen in China, wie zum Beispiel bei der
Energieerzeugung, den ökologischen Problemen, bedingt durch die
Massenmotorisierung, der Verknappung der Ressource Wasser, der
unzureichenden Infrastrukturen in den Ballungsräumen und nicht
zuletzt auch bei der Suche nach passfähigen sozialen
Sicherungssystemen.
Auf all diesen Feldern kann die europäische Wirtschaft und
Politik in den Wettbewerb eintreten. Nicht hochnäsig oder
siegesgewiss, aber mit Know-how, Erfahrungen und flexiblen
Innovationsstrategien. Erfolgreich werden Länder, Regionen und
Unternehmen sein, die ihr Wissenspotenzial entfalten und es
dauerhaft pflegen und ausbauen. Die europäische Infrastruktur
birgt auf vielen Feldern durchaus positive Ansätze. Es kommt
darauf an, den sozialen und wirtschaftlichen Wandel aktiv und
vorausschauend mitzugestalten. Unternehmen werden dort besser
aufgestellt sein, wo es gelingt, Innovationen auch durch neue
Arrangements zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und
Zivilgesellschaft dauerhaft zu ermöglichen.
Klaus Burmeister ist Zukunftsforscher und Gesellschafter
von Z_punkt GmbH The Foresight Company.
Holger Glockner ist verantwortlicher Projektleiter der
Z_trenddatenbank.
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Klaus BurmeisterKlaus Burmeister ist Gründer und Managing Partner von Z_punkt The Foresight Company.
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Holger GlocknerHolger Glockner ist Director Foresight Consulting / Member of the Management von Z_punkt.