| Folge 13: Britta Neisen, Spezialistin für Corporate Communications im Netz. |
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Es musste gehen.
Britta Neisen genießt das Leben in zwei Welten - Top-Job und Kind. Als Doppelbelastung empfindet sie das fast nie. Keine Sekunde hatte die 31-Jährige damit gehadert, ihren Job aufzugeben. Zu interessant ist der Beruf, zu wichtig ihre Unabhängigkeit, zu spannend sind die Perspektiven. "Es musste einfach gehen." Es geht. Auch wenn viele zunächst skeptisch waren. Auch wenn ihr Mann, ebenfalls Berater, nicht dauerhaft reduzieren konnte. Auch wenn sie als berufstätige Mutter nicht mit Haut und Haaren in die Erfahrungsgemeinschaft der Krabbelgruppenvollzeitmamis eintauchen kann, die sich mit ganzer Kraft in Diskussionen über den besten Babykeks stürzen. "Das ist", sagt Neisen, "auch ein Weg, aber nicht meiner." Zur Not tröstet sie sich mit der Autorin des Buches Working Mom, die einen handgemachten Sahneklecks auf die Fertigtorte tut - damit sie für die Präsentation in Vollzeitmutterkreisen als selbstgemacht durchgeht. "Ist doch schön, oder?"
Mitgerissen von AOL.
Im Olives ist es ruhig um diese
Zeit. Nach 14 Uhr sitzt kaum noch einer beim Mittagstisch. Die
roten Teelichter auf den Tischen flackern. Die Kellnerin eilt mit
Salat und Apfelschorle durch die lange Halle des Restaurants.
Seit acht Jahren ist Britta Neisen bei Pleon. In diesen acht
Jahren hat sie sich vom Trainee zur Partnerin, Abteilungsleiterin
und einer der wenigen Frauen im Management hochgearbeitet. Heute
ist sie für 22 Mitarbeiter verantwortlich.
Eine Karriere als Kommunikationsberaterin - das hatte
Britta Neisen nicht etwa von Beginn an im Kopf, als sie sich nach
dem Studium auf dem Jobmarkt umschaute. Zwei Dinge aber wusste
sie genau: Sie wollte auf jeden Fall im Online-Bereich arbeiten.
Sie wollte auf jeden Fall weg aus Westfalen. Geboren in Gütersloh
hatte Neisen schon als Studentin beim Mediengiganten Bertelsmann
Erfahrungen gesammelt. Sie jobbt im Buchclub und bei Bertelsmann
Miles and More, vor allem aber ist sie neugierig auf alles, was
mit EDV zu tun hat. Eine Ausbildung zur Industriekauffrau hat sie
bereits hinter sich, bei Miele, dem anderen Konzern der Region.
Dort hat sie viel über Marketing gelernt. Aber mit den neuen
Informationstechnologien kennt sie sich noch nicht aus. Bei
Bertelsmann kniet sie sich in alle Themen rund um EDV hinein. Als
sich das Medienunternehmen AOL in die Erprobungsphase schickt,
klinkt sie sich begeistert ein, macht mit bei der Feldforschung.
Neisen: "Wir waren nur ein paar hundert AOLer, die in Deutschland
chatteten, die Seiten waren grau und trist und nicht animiert.
Aber die Aufbruchstimmung habe ich genossen." Ihr ist klar: Hier
entsteht eine gewaltige Zukunftstechnologie, die zum wichtigsten
Medium neben TV und Print werden wird. Hier entstehen gewaltige
Gestaltungsspielräume - inhaltlich und konzeptionell -, die sie
später einmal nutzen will.
Es ist kein Zufall, dass sich die BWL-Studentin auf
Wirtschaftsinformatik spezialisiert und ihre Diplomarbeit an der
Universität Paderborn über das Thema "Die Akzeptanz von
Online-Shopping im Internet" schreibt. Vielleicht hat ihr nicht
zuletzt diese empirische Studie zum Job bei ECC verholfen. Als
die Düsseldorfer 1997 eine Online-Unit aufbauen wollten, suchen
sie junge Internetfreaks. Neisen bewirbt sich. Ein paar Monate
später ist sie Trainee bei ECC Düsseldorf,
Online-Abteilung.
Runterkriechen und umstöpseln.
Damals ist die Kommunikation via
Web Neuland. Bei ECC haben nicht einmal alle Mitarbeiter
Internetzugang. Wer ihn hat, muss oft erst unter den Tisch
kriechen und umstöpseln. Dann pfeift das Modem durch den Raum.
Online-Unit, das heißt 1997: zweieinhalb Leute. Neisen ist eine
von ihnen. Gemeinsam macht sich das Miniteam Gedanken über die
Fragen: Wie können wir Kunden Websites verkaufen? Wie können
Kunden vom Internet profitieren? "Damals haben wir alles gemacht.
Von Konzepten für die Kunden bis zum Programmieren einzelner
Seiten." Noch sind viele Unternehmen skeptisch, oft umfasst ein
Webauftritt gerade mal 30 bis 40 Seiten. Heute sind es bei großen
Unternehmen oft 1.000. Doch der Boom des Internets ist nicht
aufzuhalten. 2000 kommt der Durchbruch.
Die Aufträge boomen, die Abteilung explodiert, als GmbH
wird die Online-Unit ausgegründet. Aufbruchstimmung. In Bonn,
Frankfurt, Berlin entstehen ebenfalls Online-Teams. Es sind jene
Zeiten, in denen es cool ist, lange zu arbeiten, in denen die
Firma zur Family wird. Die Onliner werden zu einem
Miniunternehmen mit einem "speziellen Spirit". Dazu gehören
Menschen wie Britta Neisen: schwarzer Rolli, schwarzgeränderte
Brille, schwarzer Businessanzug. Jung, hübsch, kreativ,
sympathisch. Neisen: "Der kreative Touch und immer neue Ideen
wurden von uns erwartet." 2001 wird Neisen Partnerin und
übernimmt die Leitung des Online-Bereichs. Sie ist für Zahlen und
Konzepte, Beratung und Projektmanagement zuständig. Ihr Kollege
Thomas Reichert ist der technische Kopf. Eine
Zweierkonstellation, die sich sehr gut ergänzt. Die
Schreibtischseite zu wechseln war "schon komisch". Plötzlich
bekommt man nicht mehr alles mit, ist ein wenig außen vor. Gerade
in Krisensituationen wie vor zwei Jahren, als umstrukturiert,
entlassen und die selbstständigen GmbHs wieder in das Unternehmen
integriert wurden, keine leichte Position. Mittlerweile hat sich
Neisen eingefuchst. Mitarbeitergespräche, Personalführung und
Motivation für ihr Team gehören zum Alltag.
Neue Herausforderungen.
Neisen nimmt einen letzten Schluck
Apfelsaftschorle und ruft die Kellnerin herbei. Jetzt, wo Pleon
Kothes Klewes Düsseldorf wieder im Aufwind ist, wo "wir ein
grandioses Jahr hatten" und mit Pleon die Internationalisierung
Realität wurde, macht die Arbeit mehr Spaß denn je. Ihre
Abteilung bearbeitet ein breites Spektrum der Corporate
Communication Online. Von klassischen Corporate Websites bis zu
CD-ROM-Spielen für Kunden. Die Kunden kommen aus vielen
Bereichen, vom Handel über die Finanzen bis zu Ministerien.
Natürlich hat sich die Arbeit im Laufe der Zeit geändert. Sie ist
komplexer geworden, hat schon lange nichts mehr mit einer
virtuellen Marsriegelanzeige zu tun. Neisen: "In Zukunft müssen
wir uns auch mehr mit mobiler Nutzung über PDAs und Handy und mit
den Perspektiven eines digitalen Zuhauses beschäftigen. Das wird
bald kommen. Für alle Anwendungsgebiete müssen wir
Nutzerszenarien entwickeln - und müssen dabei als Benchmark die
nachwachsende Generation im Auge haben, die anders mit
Digitalisierung umgeht." Skalierbarer Content wird wichtiger, der
über verschiedene Online- und mobile Kanäle zum Nutzer gelangt.
Im Hintergrund sind dafür immer komplexere Content
Management-Systeme notwendig, die Redaktionsprozesse beim Kunden
steuern. Darüber hinaus erfährt die Fachkommunikation durch das
Internet eine enorme Beschleunigung. Meinungsbildung findet immer
mehr im Internet statt. Man muss sie beobachten und man muss
Antworten geben können.
Nicht zu vergessen die Internationalisierung. Mit Pleon,
meint Neisen, werden die Ansprüche an Projektarbeit steigen,
Abstimmungen werden komplexer, kulturelle Unterschiede müssen
berücksichtigt werden. Die grenzüberschreitende Arbeit hat
bereits begonnen. Vor ein paar Wochen haben sich die Onliner aus
Düsseldorf mit dem holländischen Team getroffen. Fazit: Es gibt
so etwas wie einen gemeinsamen Geist der Internetberater. "Wir
ticken ähnlich." Derzeit bauen die Teams ein Extranet auf, um den
Erfahrungsaustausch online fortzusetzen. "Die
Pleon-Niederlassungen in den anderen Ländern haben nicht wie wir
einen eigenen Online-Bereich. Sie arbeiten mit externen
Kooperationspartnern zusammen. Deshalb haben wir da viel zu
bieten." Zumal das vernetzte Arbeiten für die Online-Units in
Deutschland Usus ist. Weil Design und Programmierung in
Düsseldorf laufen, arbeiten die Online-Spezialisten an den
anderen deutschen Standorten mit den Düsseldorfern für Projekte
schon lange intensiv zusammen.
Draußen ist es dunkel geworden. Weihnachtsmusik säuselt aus
den Geschäften herüber. Britta Neisen kuschelt sich in ihren
Mantel und schaut Richtung Büro. Die Zeit drängt. Der Tag ist
schon alt, es gibt noch einiges zu tun. Sie freut sich auf die
neuen Herausforderungen, die mit der Gründung von Pleon auf das
Team zukommen. Dem Online-Bereich will sie auf jeden Fall treu
bleiben. Wo sonst gibt es so eine Schnelligkeit gepaart mit
Kreativität und Beratungsanspruch? Und das jetzt auch auf
europäischer Ebene. Doch Neisen denkt schon weiter - an die
globale Entwicklung: "Ich denke, online geht der Trend weg vom
globalen Anspruch. Schon jetzt sind nur noch 35 Prozent der
Internetnutzer englischsprachig, Tendenz weiter fallend.
Unternehmen müssen sich künftig überlegen, wie sie mit
kulturspezifischen Websites die Leute vor Ort erreichen und dabei
ihre Markenidentität aufrechterhalten können. Websites auf
Englisch reichen nicht mehr." Neisen packt ihre Aktentasche unter
den Arm und grinst. "Das ist doch ein unheimlich spannendes
Feld", sagt sie und eilt mit langen Schritten zurück in ihre
Online-Welt einen Stock über der Kö.
English version: [ PDF... ]
Britta Neisen ist Leiterin Online Relations von Pleon Kohtes Klewes.
Anja Dilk ist Redakteurin von changeX in Berlin.
© changeX Partnerforum [28.12.2004] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Autorin
Anja DilkAnja Dilk ist Berliner Korrespondentin, Autorin und Redakteurin bei changeX.