Miss Online
Europäer beraten Europäer.
| Folge 13: Britta Neisen, Spezialistin für Corporate Communications im Netz. |
Von Anja Dilk
Pleon ist ein neues europäisches Beratungsunternehmen. Seine Vision ist ungewöhnlich: Die Intelligenz der einzelnen Länder und Regionen für eine gemeinsame Netzökonomie nutzen. In den nächsten Monaten begleiten wir diese einmalige Mission mit Reportagen und Essays. Aus einem Europa, in dem zusammenwächst, was zusammengehört. Heute: Britta Neisen schafft den Spagat zwischen einem Top-Job und Kind.
Britta Neisen
Britta Neisen, Leiterin Online Relations
von Pleon Kohtes Klewes.
Britta Neisen hat ein zwei Stunden langes Meeting in den Knochen. Kaum zu glauben. Schwungvoll wippt sie aus ihrem Schreibtischstuhl hoch, nimmt den schweren Wollmantel von der Garderobe, wirft die langen, schwarz glänzenden Haare in den Nacken und lacht. "Gehen wir Mittagessen?" Die schnellen Schritte klackern über die Steintreppen ins Erdgeschoss, vor dem Empfang glitzert ein rot behangener Tannenbaum, Schokoladennikoläuse säumen den meterlangen Tresen am Eingang von Pleon Kohtes Klewes Düsseldorf. Hinter den Glastüren dröhnt die Stadt. Rechts die vorweihnachtlich überzuckerte Luxuswelt der Königsallee, links die Ausläufer des Bahnhofsviertels mit seinen neonbeleuchteten Thai-Imbissen, Erotikshops und Kramläden. Lange schon war Britta Neisen nicht mehr zum Lunch. Nur weil Besuch da ist, macht sie heute eine Ausnahme. Seit sie ihren einjährigen Sohn Ben hat, bleibt ihr dafür im straffen Arbeitsalltag als Leiterin Online Relations kaum noch Zeit. Denn Tag für Tag muss sie pünktlich die Kinderbetreuung ablösen. Bis dahin muss das Wesentliche getan sein. Auch wenn es für Neisen längst selbstverständlich geworden ist, sich zu Hause abends noch mal hinter den Rechner zu klemmen.

Es musste gehen.


Britta Neisen genießt das Leben in zwei Welten - Top-Job und Kind. Als Doppelbelastung empfindet sie das fast nie. Keine Sekunde hatte die 31-Jährige damit gehadert, ihren Job aufzugeben. Zu interessant ist der Beruf, zu wichtig ihre Unabhängigkeit, zu spannend sind die Perspektiven. "Es musste einfach gehen." Es geht. Auch wenn viele zunächst skeptisch waren. Auch wenn ihr Mann, ebenfalls Berater, nicht dauerhaft reduzieren konnte. Auch wenn sie als berufstätige Mutter nicht mit Haut und Haaren in die Erfahrungsgemeinschaft der Krabbelgruppenvollzeitmamis eintauchen kann, die sich mit ganzer Kraft in Diskussionen über den besten Babykeks stürzen. "Das ist", sagt Neisen, "auch ein Weg, aber nicht meiner." Zur Not tröstet sie sich mit der Autorin des Buches Working Mom, die einen handgemachten Sahneklecks auf die Fertigtorte tut - damit sie für die Präsentation in Vollzeitmutterkreisen als selbstgemacht durchgeht. "Ist doch schön, oder?"

Mitgerissen von AOL.


Im Olives ist es ruhig um diese Zeit. Nach 14 Uhr sitzt kaum noch einer beim Mittagstisch. Die roten Teelichter auf den Tischen flackern. Die Kellnerin eilt mit Salat und Apfelschorle durch die lange Halle des Restaurants. Seit acht Jahren ist Britta Neisen bei Pleon. In diesen acht Jahren hat sie sich vom Trainee zur Partnerin, Abteilungsleiterin und einer der wenigen Frauen im Management hochgearbeitet. Heute ist sie für 22 Mitarbeiter verantwortlich.
Eine Karriere als Kommunikationsberaterin - das hatte Britta Neisen nicht etwa von Beginn an im Kopf, als sie sich nach dem Studium auf dem Jobmarkt umschaute. Zwei Dinge aber wusste sie genau: Sie wollte auf jeden Fall im Online-Bereich arbeiten. Sie wollte auf jeden Fall weg aus Westfalen. Geboren in Gütersloh hatte Neisen schon als Studentin beim Mediengiganten Bertelsmann Erfahrungen gesammelt. Sie jobbt im Buchclub und bei Bertelsmann Miles and More, vor allem aber ist sie neugierig auf alles, was mit EDV zu tun hat. Eine Ausbildung zur Industriekauffrau hat sie bereits hinter sich, bei Miele, dem anderen Konzern der Region. Dort hat sie viel über Marketing gelernt. Aber mit den neuen Informationstechnologien kennt sie sich noch nicht aus. Bei Bertelsmann kniet sie sich in alle Themen rund um EDV hinein. Als sich das Medienunternehmen AOL in die Erprobungsphase schickt, klinkt sie sich begeistert ein, macht mit bei der Feldforschung. Neisen: "Wir waren nur ein paar hundert AOLer, die in Deutschland chatteten, die Seiten waren grau und trist und nicht animiert. Aber die Aufbruchstimmung habe ich genossen." Ihr ist klar: Hier entsteht eine gewaltige Zukunftstechnologie, die zum wichtigsten Medium neben TV und Print werden wird. Hier entstehen gewaltige Gestaltungsspielräume - inhaltlich und konzeptionell -, die sie später einmal nutzen will.
Es ist kein Zufall, dass sich die BWL-Studentin auf Wirtschaftsinformatik spezialisiert und ihre Diplomarbeit an der Universität Paderborn über das Thema "Die Akzeptanz von Online-Shopping im Internet" schreibt. Vielleicht hat ihr nicht zuletzt diese empirische Studie zum Job bei ECC verholfen. Als die Düsseldorfer 1997 eine Online-Unit aufbauen wollten, suchen sie junge Internetfreaks. Neisen bewirbt sich. Ein paar Monate später ist sie Trainee bei ECC Düsseldorf, Online-Abteilung.

Runterkriechen und umstöpseln.


Damals ist die Kommunikation via Web Neuland. Bei ECC haben nicht einmal alle Mitarbeiter Internetzugang. Wer ihn hat, muss oft erst unter den Tisch kriechen und umstöpseln. Dann pfeift das Modem durch den Raum. Online-Unit, das heißt 1997: zweieinhalb Leute. Neisen ist eine von ihnen. Gemeinsam macht sich das Miniteam Gedanken über die Fragen: Wie können wir Kunden Websites verkaufen? Wie können Kunden vom Internet profitieren? "Damals haben wir alles gemacht. Von Konzepten für die Kunden bis zum Programmieren einzelner Seiten." Noch sind viele Unternehmen skeptisch, oft umfasst ein Webauftritt gerade mal 30 bis 40 Seiten. Heute sind es bei großen Unternehmen oft 1.000. Doch der Boom des Internets ist nicht aufzuhalten. 2000 kommt der Durchbruch.
Die Aufträge boomen, die Abteilung explodiert, als GmbH wird die Online-Unit ausgegründet. Aufbruchstimmung. In Bonn, Frankfurt, Berlin entstehen ebenfalls Online-Teams. Es sind jene Zeiten, in denen es cool ist, lange zu arbeiten, in denen die Firma zur Family wird. Die Onliner werden zu einem Miniunternehmen mit einem "speziellen Spirit". Dazu gehören Menschen wie Britta Neisen: schwarzer Rolli, schwarzgeränderte Brille, schwarzer Businessanzug. Jung, hübsch, kreativ, sympathisch. Neisen: "Der kreative Touch und immer neue Ideen wurden von uns erwartet." 2001 wird Neisen Partnerin und übernimmt die Leitung des Online-Bereichs. Sie ist für Zahlen und Konzepte, Beratung und Projektmanagement zuständig. Ihr Kollege Thomas Reichert ist der technische Kopf. Eine Zweierkonstellation, die sich sehr gut ergänzt. Die Schreibtischseite zu wechseln war "schon komisch". Plötzlich bekommt man nicht mehr alles mit, ist ein wenig außen vor. Gerade in Krisensituationen wie vor zwei Jahren, als umstrukturiert, entlassen und die selbstständigen GmbHs wieder in das Unternehmen integriert wurden, keine leichte Position. Mittlerweile hat sich Neisen eingefuchst. Mitarbeitergespräche, Personalführung und Motivation für ihr Team gehören zum Alltag.

Neue Herausforderungen.


Neisen nimmt einen letzten Schluck Apfelsaftschorle und ruft die Kellnerin herbei. Jetzt, wo Pleon Kothes Klewes Düsseldorf wieder im Aufwind ist, wo "wir ein grandioses Jahr hatten" und mit Pleon die Internationalisierung Realität wurde, macht die Arbeit mehr Spaß denn je. Ihre Abteilung bearbeitet ein breites Spektrum der Corporate Communication Online. Von klassischen Corporate Websites bis zu CD-ROM-Spielen für Kunden. Die Kunden kommen aus vielen Bereichen, vom Handel über die Finanzen bis zu Ministerien. Natürlich hat sich die Arbeit im Laufe der Zeit geändert. Sie ist komplexer geworden, hat schon lange nichts mehr mit einer virtuellen Marsriegelanzeige zu tun. Neisen: "In Zukunft müssen wir uns auch mehr mit mobiler Nutzung über PDAs und Handy und mit den Perspektiven eines digitalen Zuhauses beschäftigen. Das wird bald kommen. Für alle Anwendungsgebiete müssen wir Nutzerszenarien entwickeln - und müssen dabei als Benchmark die nachwachsende Generation im Auge haben, die anders mit Digitalisierung umgeht." Skalierbarer Content wird wichtiger, der über verschiedene Online- und mobile Kanäle zum Nutzer gelangt. Im Hintergrund sind dafür immer komplexere Content Management-Systeme notwendig, die Redaktionsprozesse beim Kunden steuern. Darüber hinaus erfährt die Fachkommunikation durch das Internet eine enorme Beschleunigung. Meinungsbildung findet immer mehr im Internet statt. Man muss sie beobachten und man muss Antworten geben können.
Nicht zu vergessen die Internationalisierung. Mit Pleon, meint Neisen, werden die Ansprüche an Projektarbeit steigen, Abstimmungen werden komplexer, kulturelle Unterschiede müssen berücksichtigt werden. Die grenzüberschreitende Arbeit hat bereits begonnen. Vor ein paar Wochen haben sich die Onliner aus Düsseldorf mit dem holländischen Team getroffen. Fazit: Es gibt so etwas wie einen gemeinsamen Geist der Internetberater. "Wir ticken ähnlich." Derzeit bauen die Teams ein Extranet auf, um den Erfahrungsaustausch online fortzusetzen. "Die Pleon-Niederlassungen in den anderen Ländern haben nicht wie wir einen eigenen Online-Bereich. Sie arbeiten mit externen Kooperationspartnern zusammen. Deshalb haben wir da viel zu bieten." Zumal das vernetzte Arbeiten für die Online-Units in Deutschland Usus ist. Weil Design und Programmierung in Düsseldorf laufen, arbeiten die Online-Spezialisten an den anderen deutschen Standorten mit den Düsseldorfern für Projekte schon lange intensiv zusammen.
Draußen ist es dunkel geworden. Weihnachtsmusik säuselt aus den Geschäften herüber. Britta Neisen kuschelt sich in ihren Mantel und schaut Richtung Büro. Die Zeit drängt. Der Tag ist schon alt, es gibt noch einiges zu tun. Sie freut sich auf die neuen Herausforderungen, die mit der Gründung von Pleon auf das Team zukommen. Dem Online-Bereich will sie auf jeden Fall treu bleiben. Wo sonst gibt es so eine Schnelligkeit gepaart mit Kreativität und Beratungsanspruch? Und das jetzt auch auf europäischer Ebene. Doch Neisen denkt schon weiter - an die globale Entwicklung: "Ich denke, online geht der Trend weg vom globalen Anspruch. Schon jetzt sind nur noch 35 Prozent der Internetnutzer englischsprachig, Tendenz weiter fallend. Unternehmen müssen sich künftig überlegen, wie sie mit kulturspezifischen Websites die Leute vor Ort erreichen und dabei ihre Markenidentität aufrechterhalten können. Websites auf Englisch reichen nicht mehr." Neisen packt ihre Aktentasche unter den Arm und grinst. "Das ist doch ein unheimlich spannendes Feld", sagt sie und eilt mit langen Schritten zurück in ihre Online-Welt einen Stock über der Kö.

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Britta Neisen ist Leiterin Online Relations von Pleon Kohtes Klewes.

Anja Dilk ist Redakteurin von changeX in Berlin.

www.pleon.com

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Anja Dilk
Dilk

Anja Dilk ist Berliner Korrespondentin, Autorin und Redakteurin bei changeX.

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