Miteinander nebeneinander
Europäer beraten Europäer.
| Folge 8: Gianni Catalfamo und Myriam Koppel von Pleon Italien. |
Von Gundula Englisch
Pleon ist ein neues europäisches Beratungsunternehmen. Seine Vision ist ungewöhnlich: Die Intelligenz der einzelnen Länder und Regionen für eine gemeinsame Netzökonomie nutzen. In den nächsten Monaten begleiten wir diese einmalige Mission mit Reportagen und Essays. Aus einem Europa, in dem zusammenwächst, was zusammengehört. Heute: In der Pleon-Niederlassung in Mailand wird Unternehmensethik groß geschrieben.
Gianni Catalfamo
Gianni Catalfamo,
Geschäftsführer von
Pleon in Mailand.
Hupend und wild gestikulierend schlängelt sich der Taxifahrer durch den Mailänder Innenstadtverkehr und kommentiert das Chaos mit endlosen Schimpftiraden, die der Fahrgast - leider oder gottlob - nur bruchstückhaft übersetzen kann. Langweilig jedenfalls ist die Stop-and-go-Fahrt zu Pleon Italy nicht, auch weil sie eine Art motorisierter Schaufensterbummel entlang der trendigsten Shoppingmeilen Europas ist: Vorbei geht's an sündhaft teurem Schuhwerk, noblen Designerroben und flippigen Disco-Klamotten, an kaufwütigen und kaufkräftigen Menschenmassen, an den lautstarken Temperamentsausbrüchen der Verkehrsteilnehmer, an Mopedknattern und Handyklingeln. Sobald aber in der Via Vincenzo Vela Nummer 7 das schwere Holztor ins Schloss fällt, ist alles ganz anders: Durch einen Hinterhof und eine Glastür mit dem roten Pleon-Logo betritt der Besucher eine Piazza wie aus dem Italien-Bilderbuch: Das Kopfsteinpflaster ist echt - der Brunnen, die Kirche, die Palmen und die Häuserfassaden in kräftigen Farben an die Wand gemalt.
"Für uns Italiener ist die Piazza ein zentraler Ort", sagt Gianni Catalfamo. "Hier trifft man sich und redet miteinander - sonntags nach der Kirche zum Beispiel, in der Mittagspause oder abends. Unser Fresko hier in der Eingangshalle ist eine kreative Kreuzung der Piazzas von Bergamo, Bologna und Vigevano - gewissermaßen die ultimative Piazza. Und sie ist unser Symbol für Kommunikation."
Gianni Catalfamo ist Geschäftsführer von Pleon Italy - ein charmanter Endvierziger mit leicht ergrautem Backenbart und gewinnendem Lächeln, dem der Humor aus den Augen blitzt und der ein Faible für feinsinnige Metaphorik hat. Seine Definition der Unternehmenskultur von Pleon? Einen Moment denkt er nach, dann sagt er: "Sie ist wie Minestrone - unsere italienische Gemüsesuppe. Da kommen unterschiedliche Gemüsesorten hinein - aber die werden nicht zu Brei verkocht, sondern behalten ihre Gestalt und ihre Eigenart, um sich harmonisch zu diesem ganz typischen Geschmack zu vereinen. Und so ähnlich ist es auch mit der europäischen Zusammenarbeit im Pleon-Netzwerk."

Mit Unternehmergeist.


Kaum zu glauben, dass hier jemand spricht, der eigentlich in der kühlen Welt der Technik zu Hause ist. Nach dem Studium der Atomtechnik - eine Jugendsünde, wie er augenzwinkernd kommentiert - beginnt Catalfamo seine Laufbahn als Ingenieur bei IBM und wechselt rasch in die Verkaufs- und Marketingabteilung von Olivetti, wo er sich auf den Bereich Finanz- und Bankenindustrie spezialisiert. Dann kommt der Ruf aus dem Ausland: Für Lotus geht er in die europäische Firmenzentrale nach Windsor, um die Italiengeschäfte aufzubauen. Zurück in seiner Heimatstadt Mailand führt er die erste italienische Niederlassung von Lotus. Unter seiner Ägide wächst das Unternehmen in wenigen Jahren auf 35 Mitarbeiter und auf einen Jahresumsatz von zehn Millionen US-Dollar.
In dieser heißen Wachstumsphase ist seine Firma Kunde der nicht minder erfolgreichen Mailänder PR-Agentur ImageTime, die sich auf IT-Unternehmen spezialisiert hat. Ausgerechnet von dort kommt 1993 ein verlockendes Angebot. Myriam Koppel, die Gründerin der Agentur, scheut sich nicht, den Italienchef ihres besten Kunden zu fragen, ob er die internationalen Geschäfte ihrer Firma führen möchte. Ein riskantes Manöver - aber es gelingt. Lotus stimmt zu und Gianni Catalfamo tritt bei ImageTime als Partner ein. "Das war ein Quantensprung für mich", sagt er. "Endlich konnte ich meinen Unternehmergeist, meine Risikobereitschaft, meine Innovationslust voll ausleben." Bei der Agentur, die später unter dem Dach der Omnicom-Gruppe arbeitet, managt er die Kommunikations- und Marketingberatung der internationalen Großkunden. Für IBM realisiert er etwa einen bahnbrechenden Webcast-Event: die Online-Übertragung von Aida - live aus der Arena von Verona. Ein echtes Highlight für Catalfamo, dem passionierten Musikliebhaber, der jeden Montag in einem Chor singt und der auf seinem i-Pod nicht weniger als 300.000 CDs abgelegt hat - von A wie Aida bis Z wie Zappa.

Mit Menschen reden.


Myriam Koppel
Myriam Koppel,
Geschäftsführerin von
Pleon in Mailand.
"Gianni ist ein Vulkan, der ganze Lavaströme von Ideen ausbrechen lässt", sagt Myriam Koppel, die Zweite im Bunde von Pleon Italy. Sie kümmert sich vor allem darum, den Pleon-Gedanken bei den knapp 40 Mitarbeitern in Mailand, Rom und Genua zu implementieren. "Gianni ist so etwas wie der Vater der Firma und ich spiele die Mutterrolle." Wie eine italienische Mama wirkt sie nicht gerade in ihrem eleganten Strickkleid, der kantigen Designerbrille und dem fransigen Kurzhaarschnitt. Eher wie eine Frau von Welt - und das ist sie in der Tat.
Als Kind jüdischer Emigranten geboren und aufgewachsen in Uruguay, führt sie ihr Weg über Brasilien, Argentinien und Israel schließlich nach New York. Dort studiert sie Mathematik und wird in den 70er Jahren Programmiererin bei einem führenden Datenverarbeitungskonzern. Dann wechselt sie in die Verkaufsabteilung - "weil ich einfach lieber mit Menschen spreche als mit Maschinen", steigt mit 26 Jahren zur Niederlassungsleiterin in Los Angeles auf und zieht Anfang der 80er Jahre als Marketingchefin ihrer Firma nach Mailand um.
Warum ausgerechnet Mailand? Myriam Koppel schmunzelt. Schon als Studentin habe sie einen Sommer in Italien verbracht, sich in das Land verliebt - und natürlich auch in einen jungen Italiener - ihrem heutigen Ehemann und Vater der 20-jährigen Tochter. Nur drei Monate nach deren Geburt gründet sie ImageTime und stößt mit ihrer Idee, PR und Marketing speziell für Technologiefirmen anzubieten, in eine echte Marktlücke. Die Firma erzielt rasch zweistellige Wachstumsraten, gewinnt internationale Großkunden und realisiert aufsehenerregende PR-Projekte: zum Beispiel eine Großkampagne gegen die damals im italienischen Business weit verbreitete Software-Piraterie. "Wenn man bedenkt, wie tief das Erbmerkmal, am Gesetz vorbeizuhandeln, in der soziologischen DNA der Italiener verwurzelt ist, eine wahrhaftige Herausforderung", sagt Koppel. "Nach der Kampagne sank die Quote der Software-Piraterie von fast 100 auf knapp 60 Prozent."
Nach all den aufregenden und hektischen Jahren als Agenturchefin hat sie sich heute ein Stückchen aus dem Agenturgeschäft zurückgezogen und einen alten Traum verwirklicht: die Eröffnung eines Shops für exklusive Küchenutensilien. Morgens PR-Strategien und mittags Pfannen verkaufen, das sei schon ungewöhnlich, sagt sie und lacht. Aber die Energie und Motivation, die sie aus dem Küchenshop gewinnt, fließe direkt zu ihren Mitarbeitern in der Agentur zurück. Ihr Erfolgsrezept: "Im richtigen Moment am richtigen Ort sein. Den Kunden mehr geben, als sie erwarten, und den Mitarbeitern spannende Aufgaben."

Die kulturelle Minestrone.


Sich in die Kunden hineinversetzen und deren Geschäft förmlich zu atmen, das ist seit vielen Jahren die Philosophie der Agentur. Ebenso vorrangig ist dort auch die vertrauensvolle Zusammenarbeit der Mitarbeiter - jener spezielle "Teamspirit", der das Herz der Firma schlagen lässt. "Das ist vielleicht auch unsere italienische Spezialzutat für die europäische Firmenkultur bei Pleon", sagt Gianni Catalfamo. "Die Herzlichkeit, der Familiensinn, die menschliche Wärme" sind seine obersten Prinzipien bei der Arbeit: Offenheit, Achtsamkeit und Fairness - und zwar, so betont er, jene höhere Art von Fairness, die mit Ethik, Moral und Spiritualität zu tun hat. "In diesem Sinne im Job das Rechte zu tun ist manchmal schwierig, weil es nicht immer mit dem zusammenpasst, was für das Business richtig ist."
Ein klein wenig problematisch findet der Vater dreier Kinder manchmal auch, dass er in seiner Rolle als Mitglied des Managementteams von Pleon und als europäischer Koordinator für den Pleon-Kunden IBM im Moment sehr viel auf Reisen ist. Aber die Sache sei es ihm wert. Schließlich habe nun eine ganz neue Epoche für ihn und seine Mitarbeiter begonnen. "Es ist etwas Einzigartiges, im Pleon-Netzwerk zu arbeiten. Wir bauen gewissermaßen den Weg, während wir ihn gehen. Das ist ungewöhnlich, aber sehr spannend und inspirierend." Schließlich geht es dabei ja auch um die Kreation seines persönlichen Leibgerichts - die kulturelle Minestrone - jene Vision von Europa als harmonisches Zusammenspiel der Vielfalt.
Seltsam, aber auf dem Rückweg durch das Verkehrsgewühl von Mailand scheint der Lärm plötzlich ganz anders zu klingen - irgendwie vertrauter, wohliger, melodiöser.

English version (PDF) >>

Gianni Catalfamo und Myriam Koppel sind Geschäftsführer von Pleon in Mailand.

Gundula Englisch arbeitet als freie Redakteurin für changeX.

Weitere Informationen:
www.pleon.it
www.pleon.com

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Gundula Englisch, Journalistin, Autorin und Filmemacherin, arbeitet als freie Autorin und Redakteurin für changeX.

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