| Folge 2: Gianluigi Ortu, ein Sarde in Berlin. |
Gianluigi Ortu lässt sich in seinen Drehstuhl sinken und atmet tief durch. Leise Musik tanzt durch den Raum. Vor Kurzem hat er ein großes Projekt abgeschlossen. Jetzt kommt eine etwas ruhigere Phase. Der Lohn nach viel Plackerei, fast ein Jahr Konzepte feilen, Partner suchen, Veranstaltungen planen, TV-Spots und Großflächenplakatierung anschieben, eine Bustour in Szene setzen. Nun ist die PR-Kampagne im Auftrag des Bundesfamilienministeriums: "Hinsehen. Handeln. Helfen! Schützt Kinder vor sexueller Gewalt", fast vorbei. Der Kunde ist höchst zufrieden, die Medienresonanz beeindruckend und Gianluigi Ortu befördert. Jetzt ist er nicht mehr Junior, sondern Consultant. Er fährt sich durch seine dichten braunen Haare und lacht: "Schön, nicht?"
Lust an der Herausforderung.
Pleon Kohtes Klewes, Berlin-Mitte.
Am Hausvogteiplatz hinter dem Gendarmenmarkt graben sich die
Bagger in das Berliner Land. Eine Joggerin hat sich am Brunnen in
der Platzmitte niedergelassen, atemlos trinkt sie ihre Cola aus.
Der Wind zupft die ersten gelben Blätter von den Bäumen, am
Horizont schimmern Dom und Fernsehturm vor dem Berliner
Himmelsblau, unwirklich wie ein Abziehbild. Seit gut drei Jahren
arbeitet Gianluigi Ortu bei der Agentur, und in diesen drei
Jahren hat es der gebürtige Italiener vom Praktikanten zum
Consultant gebracht. Vielleicht, weil er sich so schnell auf neue
Situationen einstellen kann, weil er flexibel und kreativ
arbeiten und schnell Entscheidungen treffen kann. Vielleicht,
weil er es einfach versteht, zu kommunizieren: aufmerksam und
offen, doch wenig aufdringlich; angenehm zurückhaltend, doch
bestimmt, wenn es darum geht, wichtige Dinge durchzusetzen.
Vielleicht auch, weil es ihn reizt, immer wieder neue
Herausforderungen zu bestehen. Wie einmal, als ein Kunde 24
Stunden vor Veranstaltungsbeginn seine Budgetplanung umstürzte
und plötzlich alles billiger werden musste. Unmögliches möglich
machen, "für den Kunden brennen" - und sei es bis tief in die
Nacht. "Eine Agentur ist wie ein Kondensat der Wirtschaft", sagt
Ortu. "Hier spiegelt sich die Konjunktur wider und alle Bereiche
des Wirtschaftens. Es geht um Wettbewerb und Positionieren, um
sich beweisen, weiterkommen." Jetzt, wo ECC Kohtes Klewes sich
mit dem IT-Berater Brodeur zu Pleon zusammengeschlossen und ein
internationales Netzwerk auf die Beine gestellt hat, kommt die
europäische Dimension dazu. Wie wird die europäische PR aussehen?
Wie werden die ersten internationalen Projekte konkret laufen?
Für Ortu ist das eine doppelte Herausforderung. Schließlich ist
er, der Sohn italienischer Eltern, verheiratet mit einer
Französin, aufgewachsen in Deutschland, vielleicht so etwas wie
der "Mr. Europa des Standortes Berlin", wie er sagt.
Reisender zwischen den Kulturen.
Eine klassische
Einwanderungsgeschichte der frühen 70er Jahre: Als Gianluigi Ortu
vier Jahre alt ist, folgen seine Eltern dem Onkel ins rheinische
Lohmar. Längere Zeit ist der Vater krank gewesen, seine Stelle in
Sardinien steht auf wackeligen Beinen. Das prosperierende
Rheinland bietet einfachen Arbeitern reichlich Gelegenheit, einen
Job zu finden. Der Entschluss kommt spontan, die Familie packt
Koffer und Sohn und zieht nach Lohmar bei Bonn. Noch heute hat
der Mittdreißiger diese Veränderung als "ganz massiv" in
Erinnerung. Der Abschied von den Cousins und Cousinen, Onkeln,
Tanten und Großeltern in Sardinien, der Sprung in ein fremdes
Land mit fremden Menschen und einer fremden Sprache. Was nur für
ein paar Jahre geplant ist, wird zur neuen Heimat: Die Eltern
bleiben in Deutschland. Erst in diesem Jahr, nach der Rente, sind
sie in den Süden zurückgegangen.
Obwohl Ortu schnell perfekt Deutsch lernt, obwohl er gut in
der Schule und "hundertprozentig integriert" war, bleibt er lange
Zeit ein Reisender zwischen den Kulturen. "Ich saß zwischen den
Stühlen. Das Deutsche ist stark in mir ausgeprägt, die
Geradlinigkeit, die Konsequenz, die Sachorientierung. Dennoch war
Italien immer das Ideal: die Sonne, die Leichtigkeit, die
Familie." Jahrelang hat er nur in Sardinien das Gefühl, wirklich
zu Hause zu sein, träumt davon, runterzuziehen. Heute ist das vom
Tisch. "Meine Frau und mein einjähriger Sohn haben mich geerdet."
Ortu hört auf, sich die Frage zu stellen, wo denn seine Heimat
sei. "Ich weiß jetzt, dass ich diese Art von Verwurzelung nicht
brauche. Ich habe gemerkt, dass ich etwas anderes bin: Europäer."
Mittags, wenn der Magen knurrt, zieht es Gianluigi Ortu zum
Italiener. Lässig wirft er sich seinen schimmernden, blauen
Kurzmantel über den feinen, grauen Wollpullover und klackert mit
seinen schwarzen Trendstiefeletten über das Trottoir die
Friedrichstraße herunter. Eigentlich, gesteht er mit einem
kleinen Lächeln, hat es ihm besser gefallen, als die Agentur noch
in der Oranienburger Straße, im Herzen von Berlin-Mitte saß.
Sicher, hier am Gendarmenmarkt ist alles vornehmer und
businessorientierter, die Umgebung schicker. Anwälte und
Politiker, Medienleute und Agenturprofis laufen umeinander. Es
könnte auch die Kö in Düsseldorf sein. "Die Oranienburger Straße
ist eher das authentische Berlin, auf dem Laufsteg Oranienburger
Straße ist man mittendrin. Hier bleibt man ein wenig gefangen in
der Beraterwelt."
Sardinien, Insel der Träume.
Bei Piacenza eilen die Kellner mit
Pasta, Suppen und Brotkörben von der Küche zu den Tischen und
zurück. Ortu ordert, wie sonst, auf Italienisch. Ein paar Minuten
später dampfen Fusilli mit Cocktailtomaten und Schinken auf dem
Teller. Gerne gerät er in solchen Momenten ins Schwärmen. Von
Sardinien zum Beispiel und seiner saftig grünen Landschaft. Von
der Sage um die Säulen des Herakles und das versunkene Atlantis.
Von seiner Hochzeit mit Gesang und Tanz, ganz italienisch, ganz
traditionell und doch international mit seiner französischen
Frau. Damals war er gerade ein Jahr in Berlin und stand am Anfang
seines Beraterlebens. Sein Ausbildungs- und Berufsweg führte Ortu
keineswegs geradlinig zu Kohtes Klewes.
Nach dem Abitur hatte Ortu Jura studiert. Das Fach klang
sinnvoll, viele Mitschüler wechselten mit an das Bonner
Juridikum. Doch kurz vor dem Examen, nach eineinhalb Stunden beim
Repetitor, wurde ihm klar: Das will ich überhaupt nicht. Ich mag
weder Jura noch die Ellbogenmentalität der Kommilitonen. Ortu
traf die Entscheidung: Er brach ab, wechselte an die
Fachhochschule (FH) Köln, studierte Übersetzer Englisch,
Französisch und Italienisch in Rekordgeschwindigkeit. Das Klima
an der FH war toll, die Kollegen sehr hilfsbereit. Ortu merkte:
Hier bin ich richtig. Kein Wunder, dass er an diesem Ort seine
heutige Frau kennen lernte und der engagierte Übersetzer schon
drei Tage nach dem Diplom gleich einen Job fand: Übersetzer beim
Bundestag.
Im Jahr darauf wechselte er zum Sprachendienst der
Bundeswehr. Statt politischer Texte ging es nun um Technik und
Strategie. Eine Arbeit im Hochsicherheitstrakt, abgeschirmt in
Einzelbüros ohne Internetzugang und Telefon. Drei Jahre lang
hielt er das durch. Ortu: "Aber dann musste ich raus, ich brauche
Kontakt zu Menschen, Austausch, Kommunikation. Und mir wurde
klar, dass ich mit Übersetzung nur eine Facette meines
kommunikativen Potentials auslote." Wieder traf Ortu eine
konsequente Entscheidung: Er kündigte. Jobbte ein paar Monate bei
einer Agentur für Online-Marketing, lernte recherchieren,
analysieren, zuarbeiten. Eine gute Vorbereitung auf die Arbeit in
einer Kommunikationsagentur.
Übersetzen = Botschaften transportieren.
Im zweiten Stock Hausvogteiplatz
ist es ruhig. Die Mittagszeit klingt aus. Gianluigi Ortu hängt
seinen Kurzmantel an den Haken und lässt sich in den
Schreibtischstuhl fallen. Das Telefon klingelt. "Hallo, ja, die
Auslieferung geht nach München. Details müssen wir morgen noch
einmal besprechen. Danke, Wiederhören." Der Umgang mit Kunden
macht ihm Freude. Nach drei Jahren Arbeit beim Marktführer ist
sie ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Sicher, geholfen haben
ihm auch seine Erfahrungen als Übersetzer, sagt Ortu. Denn was
ist übersetzen anderes als Botschaften transportieren? Genau das
macht auch ein Berater.
Seine Frau ging dann 2000 beruflich nach Berlin, Ortu
bewarb sich für ein Praktikum bei Kohtes Klewes. Im April 2001
ging es los. Mit Haut und Haaren tauchte er ein, holte nach, was
ihm für das Rüstzeug als Berater noch fehlte. Zum Beispiel bei
der Vorbereitung für das deutsch-arabische Wirtschaftsforum. Er
kniete sich in die Sponsorensuche, recherchierte Locations,
machte sich vertraut mit Abläufen. Die Zuarbeit für den Berater
funktionierte. Nach den zwei Monaten als Praktikant stieg er mit
33 Jahren ins Traineeprogramm ein. Ein Jahr später wurde Ortu als
Junior übernommen.
Mittlerweile hat er für viele Projekte gearbeitet. Vor
allem für Immobilienkunden wie der ehemaligen Bahntochter Vivico,
der die Agentur ein neues Gesicht gab. Er hat sich in das
Einmaleins der Eventplanung eingearbeitet und für Firmen wie
Microsoft oder die Tank & Rast Veranstaltungen organisiert.
Für eine Diskussionsrunde mit Matthias Horx und Bischof Huber im
Berliner Museum für Kommunikation bauten er und seine
Teamkollegen einen Bibliothekssaal nach. Für eine Eventreihe im
Auftrag von Tank & Rast luden sie zum Wettbewerb:
Deutschlands Drei-Sterne-Köche kochen ein Dinner für ihre Kunden.
Ein bombiger Erfolg.
Die eigenen Vorstellungen umsetzen.
Doch Ortu wollte weiter, suchte
neue Herausforderungen. Er fand sie mit der Kampagne: "Hinsehen.
Handeln. Helfen! Schützt Kinder vor sexueller Gewalt" im Auftrag
des Familienministeriums. Das hat ihn begeistert, das Thema lag
ihm am Herzen, die Aufgabe nicht weniger: Wie bringen wir so ein
heikles Thema unter die Leute? Ortus Team buchte eine
Theatertruppe und entwarf Bäume mit den wichtigsten Fragen zum
Thema, die bei der Kampagne auf den Marktplätzen der Städte
aufgestellt werden konnten. Sie kooperierten mit örtlichen
Beratungseinrichtungen und organisierten prominente
Diskussionsrunden. Wochenlang begleitete Ortu den Tourbus auf
seinen 18 Etappen durch die Republik. Dass er dabei seinen
kleinen Sohn kaum gesehen hat, war es ihm wert. "Gerade weil ich
ein kleines Kind habe, ist mir das Thema selbst sehr wichtig."
Und als nach der Auftaktveranstaltung zur Kampagne am Potsdamer
Platz tatsächlich die Bilder in den Medien bis ins Detail so
aussahen, wie das Team es sich bei der Planung vorgestellt hatte,
war Ortu überglücklich. "Ein tolles Gefühl, dass es möglich ist,
seine Vorstellungen in dieser Präzision umzusetzen."
Gianluigi Ortu fährt seinen Computer hoch und schenkt ein
Glas Wasser ein. Für Ende des Jahres ist noch eine
Abschlussveranstaltung zur Kampagne der Familienministerin
angedacht. Vielleicht kommt demnächst ein weiteres Projekt des
Ministeriums auf das Team zu. Und danach? Gianluigi Ortu nimmt
einen Schluck Wasser. Natürlich, er kann es kaum abwarten, beim
ersten internationalen Projekt dabei zu sein. Den italienischen
Medienmarkt hat er schon mal für einen deutschen Immobilienkunden
in Kooperation mit einer Mailänder Agentur sondiert. Die Arbeit
zwischen den Kulturen - das reizt den Sarden ungeheuer. "Trotz
aller Globalisierung gibt es in Europa immer noch große
kulturelle Unterschiede. Da könnte ich auch meine
interkulturellen Fähigkeiten endlich einbringen." Denn welchem
Deutschen zum Beispiel ist schon klar, dass er mit Italienern nie
ohne eine ausgiebige Vorrunde Small Talk zum Geschäftlichen
kommen darf. Zum Beispiel über das schöne, grüne
Sardinien.
English version (PDF) >>
Gianluigi Ortu ist Berater von Pleon, eines in Europa führenden PR-Beratungsunternehmens und einer Tochter von BBDO Europe. Er lebt und arbeitet in Berlin.
Anja Dilk ist Redakteurin von changeX in Berlin.
© changeX Partnerforum [12.10.2004] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
changeX 12.10.2004. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
Artikeltags
Pleon
Weitere Artikel dieses Partners
Europäer beraten Europäer. | Folge 26 und Ende: Adrienne Terdik von Pleon Budapest. | zum Report
Europäer beraten Europäer. | Folge 25: Pietro Barrile von Pleon Rom. | zum Report
Europäer beraten Europäer. | Folge 24: Jörg Hackeschmidt von Pleon Berlin. | zum Report
Autorin
Anja DilkAnja Dilk ist Berliner Korrespondentin, Autorin und Redakteurin bei changeX.