Hinsehen. Handeln. Helfen.
Europäer beraten Europäer.
| Folge 2: Gianluigi Ortu, ein Sarde in Berlin. |
Von Anja Dilk
Pleon ist ein neues europäisches Beratungsunternehmen. Seine Vision ist ungewöhnlich: Die Intelligenz der einzelnen Länder und Regionen für eine gemeinsame Netzökonomie nutzen. In den nächsten Monaten begleiten wir diese einmalige Mission mit Reportagen und Essays. Aus einem Europa, in dem zusammenwächst, was zusammengehört. Heute: Gianluigi Ortu, Sohn italienischer Gastarbeiter, der als Berater in Berlin tätig ist. Im Auftrag des Familienministeriums organisierte er jüngst eine höchst medienwirksame Aktion zum Schutz von Kindern vor sexueller Gewalt.
Gianluigi OrtuGianluigi Ortu ist bester Stimmung an diesem sonnigen Montagmorgen. Beherzten Schrittes geht er auf das orange Sofa am Empfang zu, streckt die Hand aus, lächelt. "Herzlich willkommen. Jetzt zeige ich Ihnen erst mal, wo ich arbeite, in Ordnung?" Der Weg führt hinauf in den zweiten Stock. Die stählernen Aufzugtüren gleiten beiseite, leichtfüßig eilt Ortu über den grauen Velours und öffnet die Glastür zu seinem Büro. Im Flachbildschirm des Rechners bricht sich das Sonnenlicht, an der Schreibtischlampe pappen Namensschilder von Dutzenden Konferenzen. Ein Plakat mahnt an die "Qualitätsregeln" des Unternehmens: "aktiv statt relativ", "Respekt gegenüber Kunden und Kollegen", "Ehrlichkeit gegen sich selbst und andere". Daneben ein Schwarz-Weiß-Foto von Marilyn Monroe, die lächelnd kleine Gewichte stemmt.
Gianluigi Ortu lässt sich in seinen Drehstuhl sinken und atmet tief durch. Leise Musik tanzt durch den Raum. Vor Kurzem hat er ein großes Projekt abgeschlossen. Jetzt kommt eine etwas ruhigere Phase. Der Lohn nach viel Plackerei, fast ein Jahr Konzepte feilen, Partner suchen, Veranstaltungen planen, TV-Spots und Großflächenplakatierung anschieben, eine Bustour in Szene setzen. Nun ist die PR-Kampagne im Auftrag des Bundesfamilienministeriums: "Hinsehen. Handeln. Helfen! Schützt Kinder vor sexueller Gewalt", fast vorbei. Der Kunde ist höchst zufrieden, die Medienresonanz beeindruckend und Gianluigi Ortu befördert. Jetzt ist er nicht mehr Junior, sondern Consultant. Er fährt sich durch seine dichten braunen Haare und lacht: "Schön, nicht?"

Lust an der Herausforderung.


Pleon Kohtes Klewes, Berlin-Mitte. Am Hausvogteiplatz hinter dem Gendarmenmarkt graben sich die Bagger in das Berliner Land. Eine Joggerin hat sich am Brunnen in der Platzmitte niedergelassen, atemlos trinkt sie ihre Cola aus. Der Wind zupft die ersten gelben Blätter von den Bäumen, am Horizont schimmern Dom und Fernsehturm vor dem Berliner Himmelsblau, unwirklich wie ein Abziehbild. Seit gut drei Jahren arbeitet Gianluigi Ortu bei der Agentur, und in diesen drei Jahren hat es der gebürtige Italiener vom Praktikanten zum Consultant gebracht. Vielleicht, weil er sich so schnell auf neue Situationen einstellen kann, weil er flexibel und kreativ arbeiten und schnell Entscheidungen treffen kann. Vielleicht, weil er es einfach versteht, zu kommunizieren: aufmerksam und offen, doch wenig aufdringlich; angenehm zurückhaltend, doch bestimmt, wenn es darum geht, wichtige Dinge durchzusetzen.
Vielleicht auch, weil es ihn reizt, immer wieder neue Herausforderungen zu bestehen. Wie einmal, als ein Kunde 24 Stunden vor Veranstaltungsbeginn seine Budgetplanung umstürzte und plötzlich alles billiger werden musste. Unmögliches möglich machen, "für den Kunden brennen" - und sei es bis tief in die Nacht. "Eine Agentur ist wie ein Kondensat der Wirtschaft", sagt Ortu. "Hier spiegelt sich die Konjunktur wider und alle Bereiche des Wirtschaftens. Es geht um Wettbewerb und Positionieren, um sich beweisen, weiterkommen." Jetzt, wo ECC Kohtes Klewes sich mit dem IT-Berater Brodeur zu Pleon zusammengeschlossen und ein internationales Netzwerk auf die Beine gestellt hat, kommt die europäische Dimension dazu. Wie wird die europäische PR aussehen? Wie werden die ersten internationalen Projekte konkret laufen? Für Ortu ist das eine doppelte Herausforderung. Schließlich ist er, der Sohn italienischer Eltern, verheiratet mit einer Französin, aufgewachsen in Deutschland, vielleicht so etwas wie der "Mr. Europa des Standortes Berlin", wie er sagt.

Reisender zwischen den Kulturen.


Eine klassische Einwanderungsgeschichte der frühen 70er Jahre: Als Gianluigi Ortu vier Jahre alt ist, folgen seine Eltern dem Onkel ins rheinische Lohmar. Längere Zeit ist der Vater krank gewesen, seine Stelle in Sardinien steht auf wackeligen Beinen. Das prosperierende Rheinland bietet einfachen Arbeitern reichlich Gelegenheit, einen Job zu finden. Der Entschluss kommt spontan, die Familie packt Koffer und Sohn und zieht nach Lohmar bei Bonn. Noch heute hat der Mittdreißiger diese Veränderung als "ganz massiv" in Erinnerung. Der Abschied von den Cousins und Cousinen, Onkeln, Tanten und Großeltern in Sardinien, der Sprung in ein fremdes Land mit fremden Menschen und einer fremden Sprache. Was nur für ein paar Jahre geplant ist, wird zur neuen Heimat: Die Eltern bleiben in Deutschland. Erst in diesem Jahr, nach der Rente, sind sie in den Süden zurückgegangen.
Obwohl Ortu schnell perfekt Deutsch lernt, obwohl er gut in der Schule und "hundertprozentig integriert" war, bleibt er lange Zeit ein Reisender zwischen den Kulturen. "Ich saß zwischen den Stühlen. Das Deutsche ist stark in mir ausgeprägt, die Geradlinigkeit, die Konsequenz, die Sachorientierung. Dennoch war Italien immer das Ideal: die Sonne, die Leichtigkeit, die Familie." Jahrelang hat er nur in Sardinien das Gefühl, wirklich zu Hause zu sein, träumt davon, runterzuziehen. Heute ist das vom Tisch. "Meine Frau und mein einjähriger Sohn haben mich geerdet." Ortu hört auf, sich die Frage zu stellen, wo denn seine Heimat sei. "Ich weiß jetzt, dass ich diese Art von Verwurzelung nicht brauche. Ich habe gemerkt, dass ich etwas anderes bin: Europäer."
Mittags, wenn der Magen knurrt, zieht es Gianluigi Ortu zum Italiener. Lässig wirft er sich seinen schimmernden, blauen Kurzmantel über den feinen, grauen Wollpullover und klackert mit seinen schwarzen Trendstiefeletten über das Trottoir die Friedrichstraße herunter. Eigentlich, gesteht er mit einem kleinen Lächeln, hat es ihm besser gefallen, als die Agentur noch in der Oranienburger Straße, im Herzen von Berlin-Mitte saß. Sicher, hier am Gendarmenmarkt ist alles vornehmer und businessorientierter, die Umgebung schicker. Anwälte und Politiker, Medienleute und Agenturprofis laufen umeinander. Es könnte auch die Kö in Düsseldorf sein. "Die Oranienburger Straße ist eher das authentische Berlin, auf dem Laufsteg Oranienburger Straße ist man mittendrin. Hier bleibt man ein wenig gefangen in der Beraterwelt."

Sardinien, Insel der Träume.


Bei Piacenza eilen die Kellner mit Pasta, Suppen und Brotkörben von der Küche zu den Tischen und zurück. Ortu ordert, wie sonst, auf Italienisch. Ein paar Minuten später dampfen Fusilli mit Cocktailtomaten und Schinken auf dem Teller. Gerne gerät er in solchen Momenten ins Schwärmen. Von Sardinien zum Beispiel und seiner saftig grünen Landschaft. Von der Sage um die Säulen des Herakles und das versunkene Atlantis. Von seiner Hochzeit mit Gesang und Tanz, ganz italienisch, ganz traditionell und doch international mit seiner französischen Frau. Damals war er gerade ein Jahr in Berlin und stand am Anfang seines Beraterlebens. Sein Ausbildungs- und Berufsweg führte Ortu keineswegs geradlinig zu Kohtes Klewes.
Nach dem Abitur hatte Ortu Jura studiert. Das Fach klang sinnvoll, viele Mitschüler wechselten mit an das Bonner Juridikum. Doch kurz vor dem Examen, nach eineinhalb Stunden beim Repetitor, wurde ihm klar: Das will ich überhaupt nicht. Ich mag weder Jura noch die Ellbogenmentalität der Kommilitonen. Ortu traf die Entscheidung: Er brach ab, wechselte an die Fachhochschule (FH) Köln, studierte Übersetzer Englisch, Französisch und Italienisch in Rekordgeschwindigkeit. Das Klima an der FH war toll, die Kollegen sehr hilfsbereit. Ortu merkte: Hier bin ich richtig. Kein Wunder, dass er an diesem Ort seine heutige Frau kennen lernte und der engagierte Übersetzer schon drei Tage nach dem Diplom gleich einen Job fand: Übersetzer beim Bundestag.
Im Jahr darauf wechselte er zum Sprachendienst der Bundeswehr. Statt politischer Texte ging es nun um Technik und Strategie. Eine Arbeit im Hochsicherheitstrakt, abgeschirmt in Einzelbüros ohne Internetzugang und Telefon. Drei Jahre lang hielt er das durch. Ortu: "Aber dann musste ich raus, ich brauche Kontakt zu Menschen, Austausch, Kommunikation. Und mir wurde klar, dass ich mit Übersetzung nur eine Facette meines kommunikativen Potentials auslote." Wieder traf Ortu eine konsequente Entscheidung: Er kündigte. Jobbte ein paar Monate bei einer Agentur für Online-Marketing, lernte recherchieren, analysieren, zuarbeiten. Eine gute Vorbereitung auf die Arbeit in einer Kommunikationsagentur.

Übersetzen = Botschaften transportieren.


Im zweiten Stock Hausvogteiplatz ist es ruhig. Die Mittagszeit klingt aus. Gianluigi Ortu hängt seinen Kurzmantel an den Haken und lässt sich in den Schreibtischstuhl fallen. Das Telefon klingelt. "Hallo, ja, die Auslieferung geht nach München. Details müssen wir morgen noch einmal besprechen. Danke, Wiederhören." Der Umgang mit Kunden macht ihm Freude. Nach drei Jahren Arbeit beim Marktführer ist sie ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Sicher, geholfen haben ihm auch seine Erfahrungen als Übersetzer, sagt Ortu. Denn was ist übersetzen anderes als Botschaften transportieren? Genau das macht auch ein Berater.
Seine Frau ging dann 2000 beruflich nach Berlin, Ortu bewarb sich für ein Praktikum bei Kohtes Klewes. Im April 2001 ging es los. Mit Haut und Haaren tauchte er ein, holte nach, was ihm für das Rüstzeug als Berater noch fehlte. Zum Beispiel bei der Vorbereitung für das deutsch-arabische Wirtschaftsforum. Er kniete sich in die Sponsorensuche, recherchierte Locations, machte sich vertraut mit Abläufen. Die Zuarbeit für den Berater funktionierte. Nach den zwei Monaten als Praktikant stieg er mit 33 Jahren ins Traineeprogramm ein. Ein Jahr später wurde Ortu als Junior übernommen.
Mittlerweile hat er für viele Projekte gearbeitet. Vor allem für Immobilienkunden wie der ehemaligen Bahntochter Vivico, der die Agentur ein neues Gesicht gab. Er hat sich in das Einmaleins der Eventplanung eingearbeitet und für Firmen wie Microsoft oder die Tank & Rast Veranstaltungen organisiert. Für eine Diskussionsrunde mit Matthias Horx und Bischof Huber im Berliner Museum für Kommunikation bauten er und seine Teamkollegen einen Bibliothekssaal nach. Für eine Eventreihe im Auftrag von Tank & Rast luden sie zum Wettbewerb: Deutschlands Drei-Sterne-Köche kochen ein Dinner für ihre Kunden. Ein bombiger Erfolg.

Die eigenen Vorstellungen umsetzen.


Doch Ortu wollte weiter, suchte neue Herausforderungen. Er fand sie mit der Kampagne: "Hinsehen. Handeln. Helfen! Schützt Kinder vor sexueller Gewalt" im Auftrag des Familienministeriums. Das hat ihn begeistert, das Thema lag ihm am Herzen, die Aufgabe nicht weniger: Wie bringen wir so ein heikles Thema unter die Leute? Ortus Team buchte eine Theatertruppe und entwarf Bäume mit den wichtigsten Fragen zum Thema, die bei der Kampagne auf den Marktplätzen der Städte aufgestellt werden konnten. Sie kooperierten mit örtlichen Beratungseinrichtungen und organisierten prominente Diskussionsrunden. Wochenlang begleitete Ortu den Tourbus auf seinen 18 Etappen durch die Republik. Dass er dabei seinen kleinen Sohn kaum gesehen hat, war es ihm wert. "Gerade weil ich ein kleines Kind habe, ist mir das Thema selbst sehr wichtig." Und als nach der Auftaktveranstaltung zur Kampagne am Potsdamer Platz tatsächlich die Bilder in den Medien bis ins Detail so aussahen, wie das Team es sich bei der Planung vorgestellt hatte, war Ortu überglücklich. "Ein tolles Gefühl, dass es möglich ist, seine Vorstellungen in dieser Präzision umzusetzen."
Gianluigi Ortu fährt seinen Computer hoch und schenkt ein Glas Wasser ein. Für Ende des Jahres ist noch eine Abschlussveranstaltung zur Kampagne der Familienministerin angedacht. Vielleicht kommt demnächst ein weiteres Projekt des Ministeriums auf das Team zu. Und danach? Gianluigi Ortu nimmt einen Schluck Wasser. Natürlich, er kann es kaum abwarten, beim ersten internationalen Projekt dabei zu sein. Den italienischen Medienmarkt hat er schon mal für einen deutschen Immobilienkunden in Kooperation mit einer Mailänder Agentur sondiert. Die Arbeit zwischen den Kulturen - das reizt den Sarden ungeheuer. "Trotz aller Globalisierung gibt es in Europa immer noch große kulturelle Unterschiede. Da könnte ich auch meine interkulturellen Fähigkeiten endlich einbringen." Denn welchem Deutschen zum Beispiel ist schon klar, dass er mit Italienern nie ohne eine ausgiebige Vorrunde Small Talk zum Geschäftlichen kommen darf. Zum Beispiel über das schöne, grüne Sardinien.

English version (PDF) >>

Gianluigi Ortu ist Berater von Pleon, eines in Europa führenden PR-Beratungsunternehmens und einer Tochter von BBDO Europe. Er lebt und arbeitet in Berlin.

Anja Dilk ist Redakteurin von changeX in Berlin.

www.pleon.com

© changeX Partnerforum [12.10.2004] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

changeX 12.10.2004. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

Artikeltools

PDF öffnen

Pleon

Weitere Artikel dieses Partners

Instinkt für Kommunikation

Europäer beraten Europäer. | Folge 26 und Ende: Adrienne Terdik von Pleon Budapest. | zum Report

Ein Sizilianer in Rom

Europäer beraten Europäer. | Folge 25: Pietro Barrile von Pleon Rom. | zum Report

Presse-Coop

Europäer beraten Europäer. | Folge 24: Jörg Hackeschmidt von Pleon Berlin. | zum Report

Autorin

Anja Dilk
Dilk

Anja Dilk ist Berliner Korrespondentin, Autorin und Redakteurin bei changeX.

nach oben