Abenteuer Nachhaltigkeit
Beim Projekt Kurs21 lernen Schüler und Unternehmen voneinander.
Wo übt man vernetztes Denken? In der Schule bisher nicht. Bei einem neuen Projekt erarbeiten sich Schüler in Partnerschaft mit Unternehmen Wissen zum Thema Nachhaltigkeit - und gleichzeitig wertvolle Kernkompetenzen.
"Ich möchte auf jeden Fall hinter
die Kulissen der Unternehmen schauen", sagt Philip, 19,
Abiturient. "Und ich will nicht nur mit dem Geschäftsführer
sprechen, sondern auch mit dem Werker, der die Kabel fertigt",
ergänzt Ute, die ebenfalls demnächst ihr Abitur am Gymnasium
Bayreuther Straße in Wuppertal ablegen wird. Philip und Ute sind
zwei von 200 Schülern, die als erste an dem Projekt "KURS 21 -
Schulen unternehmen Zukunft" teilnehmen. Das von der Deutschen
Bundesstiftung Umwelt geförderte Vorhaben soll einen Dialog
zwischen Schulen und Unternehmen initiieren, der ganz neue
Impulse in den Unterricht bringt. Im Mittelpunkt steht das Thema
nachhaltige Entwicklung - ein viel zitierter, aber selten
wirklich verstandener Begriff, der nicht nur für den schonenden
Umgang mit der Natur steht, sondern auch für ökonomische und
soziale Fragen.
Gemeinsam mit ihren Lehrern versuchen die Jugendlichen der
Sekundarstufe I und II zum Beispiel herauszufinden, wie sich
nachhaltige Produkte und Dienstleistungen von herkömmlichen
unterscheiden. Aber auch, wie Unternehmer mit zukunftsfähigen
Konzepten helfen können, die Arbeitsmarktprobleme zu lösen. Oder
was Globalisierung in der Praxis bedeutet. Allein gelassen werden
sie dabei nicht: Das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt,
Energie hat Lernbausteine entwickelt, die in das Thema einführen
und neben Informationen auch viele Ideen für Projekte und
Gruppenarbeiten enthalten. Das Institut Unternehmen & Schule
GmbH mit Sitz in Bonn bringt in das Projekt seine jahrelangen
Erfarhungen zur Initiierung von Lernpartnerschaften ein und ist
für die Organisation des Transfers in die Bundesländer Sachsen,
Thüringen und Baden-Württemberg verantwortlich.
Stoffströme und Kreditvergabe.
Für die Jugendlichen bedeutet das
Projekt, dass Schule für sie eine Zeit lang richtig spannend
wird. Mit aktuellen Themen, die eine Menge mit der wirklichen
Welt zu tun haben. Mit Recherchen und Projektarbeiten, die sie
oft aus den Klassenzimmern herausführen. Graue Theorie?
Fehlanzeige. Mitarbeiter des Unternehmens kommen in den
Unterricht und halten einzelne Stunden, während die Schüler das
Unternehmen erkunden und herauszufinden versuchen, wie es
funktioniert und was es in der Praxis mit Nachhaltigkeit auf sich
hat. Denn was man selbst entdeckt und herausfindet, das bleibt
besonders gut im Gedächtnis. Das Berechnen des eigenen
ökologischen Fußabdrucks steht ebenso auf dem Programm wie
Diskussionen mit dem Personalleiter eines Konzerns über
Globalisierung und die Verantwortung von Unternehmen.
Partnerschulen produzierender Unternehmen haben es
besonders leicht. Neugierig erkunden die Jugendlichen Stoffströme
und Wertschöpfungsketten, recherchieren den Lebensweg einer Jeans
oder eines Tampons von der Baumwollernte bis zur Entsorgung. Im
Flussdiagramm wird schnell klar, wie alles mit allem
zusammenhängt. Und wo vielleicht sogar Einsparungspotenziale
wären. "Das Unternehmen stellt Zahlen zur Verfügung und gibt
Auskunft darüber, aus welchen Ländern die Rohstoffe stammen -
wenn die Schüler nachforschen, wie die Menschen dort leben und
arbeiten, kommt auch wieder der soziale Aspekt ins Spiel",
erklärt Carolin Baedeker, die beim Wuppertal Institut
schwerpunktmäßig für die Lernpartnerschaften in Wuppertal
verantwortlich ist.
Aber was ist mit den Partnerunternehmen, die Dienstleister
sind? Alles kein Problem. Der Mitarbeiter der Stadtsparkasse
steht im Unterricht Rede und Antwort: Nach welchen Kriterien
werden Kredite vergeben, und gibt es dabei ethische Richtlinien?
Wie funktioniert das mit der Geldanlage? Eine Stunde lang werden
in Mathe ausnahmsweise mal Kreditpläne durchgerechnet. Das ist
nicht nur Anschauungsunterricht darüber, wie die Wirtschaft
funktioniert, sondern gleich Lernen fürs Leben.
Lernen voneinander.
Eine Lernpartnerschaft aufzubauen
geht nicht von einem Tag auf den anderen. Die Schule und das
Unternehmen müssen zueinander passen, müssen auch geografisch
Nachbarn sein. Haben sich zwei Kandidaten gefunden, werden in
ausführlichen Vorgesprächen zwischen Management und Lehrern die
gegenseitigen Wünsche und Erwartungen angesprochen. Ein
Kooperationsvertrag, der die Ziele, Rahmenbedingungen und
Ansprechpartner genau festlegt, ist der erste Meilenstein in der
neuen Partnerschaft. Wobei Partnerschaft kein Sponsoring
bedeutet, sondern Vernetzung und gegenseitiger Austausch.
Das Interesse an dem Projekt war groß - von beiden Seiten
aus. "Zu den ersten Workshops bei uns kamen mehr als 50 Lehrer",
erinnert sich Dr. Maria Jolanta Welfens, eine der
Projektleiterinnen beim Wuppertal Institut. "Verständlich - die
Schulen bekommen mit KURS 21 die Möglichkeit eines praxisnahen
Unterrichts und können Dinge lehren, die sie normalerweise nur
theoretisch vermitteln." Nach geduldiger Akquise, vielen
Infoveranstaltungen und Vorgesprächen standen die ersten
teilnehmenden Schulen fest.
Auch von den Firmen, die das Wuppertal Institut ansprach,
ließen sich viele für das Programm gewinnen: Inzwischen sind
unter anderem das Werk eines internationalen Konzerns, eine
regionale Kabelfirma, eine Versicherung, eine Sparkasse, aber
auch Handwerksbetriebe mit im Boot. "Einfach nur Führungen durchs
Unternehmen zu machen bringt beiden Seiten wenig - eine
langfristige Zusammenarbeit ist viel sinnvoller. Dann kommt es zu
einem echten Dialog mit inhaltlich vorbereiteten Schülern, die
sich schon länger mit dem Unternehmen beschäftigen", erklärt sich
Melanie Herget, die am Wuppertal Institut schwerpunktmäßig an den
Lernbausteinen für KURS 21 mitarbeitet, das Interesse. Nicht nur,
dass die Firmen zeigen können, dass sie sich in der Region
engagieren, und potenzielle Auszubildenden kennen lernen. Sie
bekommen Kontakt mit aufgeweckten, kritischen Jugendlichen, die
auch mal bohrende Fragen stellen und die Betriebsabläufe
unbefangen unter die Lupe nehmen. "Die Unternehmen kommen in die
Schulen und stellen fest, dass sie auch etwas lernen können",
berichtet Dr. Maria Jolanta Welfens. "Oft haben die Schüler einen
viel schärferen Blick für Probleme und Lösungsmöglichkeiten als
die Beschäftigten, die schon lange im Unternehmen
arbeiten."
Herausforderung Lernbausteine.
Eine große Herausforderung war es
für das Wuppertal Institut, die Lernbausteine und Materialien für
das Projekt zu entwickeln. "Wir haben den Anspruch, neue Ansätze
zu finden", meint Melanie Herget. "Statt davon auszugehen,
�Es
gibt Unternehmen und wir müssen schauen, dass die nicht die
Umwelt kaputtmachen', setzen wir bei den Bedürfnissen an und
fragen: Welche Bedürfnisse haben wir, welche Produkte befriedigen
sie - und was folgt daraus?"
Inzwischen ist der erste Baustein fertig, an den anderen
drei wird unter Hochdruck gearbeitet. Im ersten Lernbaustein wird
Basiswissen über das Konzept Nachhaltigkeit vermittelt, dann
stehen drei andere Module zur Wahl, in denen es auch um das
Unternehmen als System - inklusive seiner Ressourcen und
Mitarbeiter - und das Unternehmen in der Region geht. "Die Lehrer
wissen erfahrungsgemäß schnell, wo der Stoff in die Lehrpläne
passt. Am Anfang sind sie meist kritisch, weil die Inhalte ja von
außen an sie herangetragen werden, aber auf die konkreten
Lernbausteine kommt ein sehr positives Feedback", berichtet
Carolin Baedeker von ihren Gesprächen mit den Schulen. "Vor
allem, weil sehr unterschiedliche Arbeitsformen dabei sind und
die Module flexibel zu handhaben sind."
Das Projekt bezieht eine Vielzahl von Fächern mit ein - es
ist bereits eine Lektion im vernetzten Denken, dass sich das
wirkliche Leben nicht säuberlich in Fächer einteilen lässt. Viele
Bausteine passen besonders gut in Erdkunde, Politik,
Sozialwissenschaften und das Fach Wirtschaft, aber das ist nur
der Anfang. In einem Vorhaben, das in der 10. Klasse zum Thema
Lärm geplant ist, beschäftigen sich die Schüler und Schülerinnen
zum Beispiel erst in Physik mit dem Thema Schall und führen dann
im Werk des Partnerunternehmens Schallmessungen durch.
Schließlich sprechen sie im Politik-Unterricht mit einem
Unternehmensvertreter über Arbeitsschutz, die Gesundheit der
Mitarbeiter und Berufsunfähigkeit. In Deutsch entwickeln die
Schüler Fragen zum Thema Lärm im Betrieb und führen Interviews,
in Kunst werkeln sie an ihren eigenen Plastiken und Comics zum
Thema Lärm - und freuen sich schon auf die Vernissage, in der sie
ihre Arbeiten vorstellen können.
Gestaltungskompetenz lernen.
Ziel des Ganzen ist nicht nur, die
Schüler für das Thema Nachhaltigkeit zu sensibilisieren. "Das
Projekt soll die Gestaltungskompetenz der Schüler fördern", sagt
Maria Welfens. "Die Fähigkeit zu aktiver und selbstbestimmter
Einflussnahme in der Gesellschaft." Aber natürlich werden dabei
auch die Schlüsselkompetenzen trainiert, nach denen die
Wirtschaft so nimmermüde ruft. Zum Beispiel Kommunikations- und
Teamfähigkeit - viele Aufgaben lösen die Jugendlichen in
Gruppenarbeit.
Über vier Jahre ist das Projekt angelegt, die Deutsche
Bundesstiftung Umwelt fördert es mit 2,6 Millionen Euro. Zunächst
wird das Projekt Schülerinnen und Schülern aus
Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Thüringen und Baden-Württemberg mit
Unternehmen zusammenbringen; in Wuppertal läuft bereits die
Pilotphase mit zwölf Schulen. Später sollen die
Lernpartnerschaften bundesweit vermittelt werden. Auch das
Wuppertal Institut hat viel Erfahrung, unter anderem mit dem
Thema Nachhaltigkeit in der Schule - Spiele und Theaterstücke hat
es schon dazu durchgeführt. Denn, so Maria Welfens: "Eigentlich
muss man mit dem Thema Nachhaltigkeit schon im Kindergarten
anfangen!"
Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.
© changeX Partnerforum [10.04.2003] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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