Die Andersmacher

Die changeX-Serie über Unternehmen, die neue Wege gehen

Es gibt sie: Unternehmen, die sich nicht daran orientieren, wie Organisationen traditionell gebaut und geführt werden. Sondern neue Wege gehen. Und Grundlegendes anders machen: Hierarchien abschaffen, den Mitarbeitern Vertrauen schenken, ihnen Verantwortung geben und sie die Entscheidungen selbst treffen lassen. Und das funktioniert.

Die Serie im Überblick. Links zu den Artikeln siehe rechte Spalte.


Entscheiden im Team


Entscheidungswerkzeuge für Teamentscheidungen – unser Interview mit Kim Nena Duggen bietet eine Einführung  

Gemeinsam im Team zu entscheiden ist nicht immer einfach und gelingt meist nicht auf Anhieb. Es muss geübt werden. Und verlangt neue Werkzeuge. Denn es gilt, alle mitzunehmen. Dazu braucht es neue partizipative Entscheidungsverfahren, die einen neuen Weg eröffnen zwischen Konsens- und Mehrheitsentscheidung. Unser Interview unternimmt einen Streifzug durch Methoden und Werkzeuge für gemeinsames Entscheiden im Team. Eine kleine Einführung in die Innovation des Entscheidens.  

Interview: Winfried Kretschmer  

Noch einmal oose. Mit einer spezielleren Perspektive. Im zweiten Teil des Interviews mit Kim Nena Duggen geht es um Methoden und Werkzeuge. Werkzeuge nicht im technisch-instrumentellen Sinn. Gemeint sind Verfahren, die sicherstellen, dass Teams effizient zu gemeinsamen Entscheidungen kommen, ohne dass Einzelne im Entscheidungsverfahren herausfallen. Weil sie übergangen werden, sich übergangen fühlen oder eine Entscheidung nicht mittragen wollen. Das ist entscheidend, denn bei oose gilt das Prinzip, alle mitzunehmen. Dazu bedarf es innovativer Entscheidungswerkzeuge, die die Schwächen von Konsens (ausufernde Diskussion) und Mehrheitsentscheid (nicht alle sind dabei) überwinden. Allgemeingültige Empfehlungen gibt es aber auch hier nicht. Was an Werkzeugen eingesetzt wird, hängt von der jeweiligen Organisation ab. Und den Menschen dort. Das Interview unternimmt einen Streifzug durch Methoden und Werkzeuge. Unter anderen: Konsent, Dot Voting, Thumb Voting, Fist of Five, Timebox, Delegation Board und Delegation Level.  


Alle mitnehmen


Kim Nena Duggen über Arbeit an der Organisation, in der Organisation, für die Organisation bei oose  

Was bedeutet selbstorganisiertes Arbeiten? Darauf gibt es keine generelle, allgemeingültige Antwort. Das muss jeder Einzelne, jede Organisation selbst herausfinden. Wie die Firma oose, die seit acht Jahren im selbstorganisierten Modus arbeitet. Nicht nach einem Modell, sondern in einem Prozess: in der kontinuierlichen gemeinsamen Arbeit an der Organisation, in der Organisation, für die Organisation.  

Interview: Winfried Kretschmer  

Kreise bilden, das war die Antwort auf die Frage, wie man ein Unternehmen organisiert, in dem es keine klassischen, hierarchischen Entscheidungsstrukturen mehr gibt. Das Unternehmen: die oose Innovative Informatik GmbH (später eG). Die Firma setzte konsequent auf das Prinzip der Soziokratie, wie Firmengründer Bernd Oestereich in einem der ersten unserer Serien-Interviews erläuterte (Folge 3). Und er trieb die Transformation des Unternehmens weiter. „Jetzt übernehmt den Laden!“, war die Ansage des Gründers an die Mitarbeiter. Das Unternehmen wurde eine Genossenschaft, und die Mitarbeitenden tüftelten weiter an der Form der Selbstorganisation. Mit dabei im Selbstorganisationskreis, der sich mit der Entwicklung der Struktur beschäftigte, war Kim Nena Duggen, die dann bald in die Rolle des Vorstands wechselte. Fünf Jahre war sie Mitglied im dreiköpfigen Vorstand, bis sie oose verließ, um in einem anderen Unternehmen (einem Spin-off von oose) noch intensiver am Thema Selbstorganisation zu arbeiten. In unserem Interview berichtet sie rückblickend über die Entwicklung der Firma oose, deren Organisationsform sie als Struktur mit vier Säulen beschreibt: erstens soziokratisches Kreismodell statt Abteilungshierarchie, zweitens autarke Teams mit Entscheidungskompetenz statt Entscheidungen von oben, drittens gewählte Vorstände und Aufsichtsräte sowie viertens keine Trennung von Denken und Handeln. Einem festen Modell folgt die Selbstorganisation des Unternehmens dennoch nicht. Die Form der Firma ist, so Duggen, „einfach das, was sich über sechs, sieben Jahre Arbeit an der Organisation, in der Organisation, für die Organisation entwickelt hat“. Das Grundprinzip dabei: „Wir wollen alle mitnehmen.“ 


Fast jeder Zweite führt


„Führung ist eine Funktion, keine Position“ – ein Gespräch mit Ulrich Loth  

Flache Hierarchien. Gelten heute als Erfolgsbedingung für zeitgemäße Unternehmen. Als hip. Da lohnt es, sich ein Unternehmen genauer anzusehen, das seit jeher andere Wege geht: Gore. Dort begreift man Führung als Funktion, nicht als Position. Führung kristallisiert sich heraus, wird nicht vergeben. Sie ist geteilt und verteilt. So hält man es seit der Gründung vor gut einem halben Jahrhundert. Zu einer Zeit, da die meisten Unternehmen noch hierarchisch durchgestufte Pyramiden mit militärisch-direktivem Führungsmodus waren. Ein zweiter Blick auf ein Unternehmen, in dem fast jeder Zweite sich als Führungskraft begreift.  

Interview: Winfried Kretschmer  

Noch einmal Gore: Das Unternehmen, das mit flachen Hierarchien und seinem besonderen Unternehmensmodell seit mehr als 50 Jahren erfolgreich ist. Bei Gore gibt es nicht nur flache Hierarchien, sondern ein ausgeklügeltes Führungskonzept, das auf geteilter und verteilter Führung beruht: Geteilt ist Führung, indem zwischen der Führung einer Organisationseinheit und der Führung von Mitarbeitenden unterschieden wird. Jeder Mitarbeitende hat somit zwei Führungskräfte: einen Leiter der Business-Einheit, der er zugehört, und einen Sponsor, der ihn in seinem persönlichen Wachstum unterstützt. „Der Sponsor ist eine Führungskraft, die den Mitarbeiter betreut, ihn berät, ihm Hilfestellung sowie Feedback gibt und beteiligt ist an seinem persönlichen Wachstumsprozess.“ So umschreibt Ulrich Loth, ehemaliges Geschäftsführungsmitglied von Gore, das Führungsverständnis des Unternehmens. Verteilt ist Führung wiederum, weil jede(r) im Unternehmen Sponsor werden kann. So sehen sich 45 Prozent der Beschäftigten als Führungskraft: Fast jeder Zweite führt. Nicht zuletzt gilt das Prinzip kleiner Einheiten: Bevor ein Werk zu groß wird, wird es geteilt. Wie die flachen Hierarchien ermöglicht das direkte Kommunikation, kurze Wege, schnelle Entscheidungen. Und noch etwas: Bei Gore stehen die Mitarbeitenden im Firmennamen: Sie sind die Associates in „W. L. Gore & Associates“. Und sind damit nicht nur Mitarbeiter, sondern Teilhaber. 


Wie ein Kunstwerk


„Eine Organisation ist wie ein Kunstwerk: etwas, das sich nicht kopieren lässt“ – ein Gespräch mit André Weber-Liel 

Im Industriezeitalter war die Form des Unternehmens klar. Es gab einen Bauplan für alle Organisationen. Viele glauben, das müsse noch immer so sein. Und suchen nach dem optimalen Modell für die Organisation des 21. Jahrhunderts. Um es zu kopieren. Doch das funktioniert nicht. Es gibt keine Blaupause, kein Standardmodell. Das zeigt auch die Transformation bei DB Systel, dem Digitalunternehmen der Deutschen Bahn. Ein Interview über die Erfahrungen dort.  

Interview: Winfried Kretschmer  

Wie gelingt Unternehmenstransformation? Diese Frage beschäftigt viele Unternehmen derzeit. Doch vor dem Wie steht eine andere, grundsätzlichere Frage: die nach dem Warum. Nach dem Beweggrund für die Transformation. Der Wandel braucht einen starken Grund, der im Zweck des Unternehmens wurzelt. Bei DB Systel waren es zwei Gründe. Zum einen wurde das Unternehmen im Konzern als Dienstleister wahrgenommen, nicht als Innovator und Digitalisierungsgestalter. Es musste eine neue Rolle finden. Zweitens machte die Verlegung des Rechenzentrums in die Cloud andere Arbeitsweisen erforderlich: schneller, in kürzeren Abstimmungszyklen. Was das Wie anbelangt, war die Führungsmannschaft zunächst selbst ziemlich ratlos. So entstand der Gedanke, das Wissen des Unternehmens anzuzapfen. „Warum nicht die Mannschaft fragen? Das sind so viele Menschen, da wird schon jemand Ideen haben, die neuen Sinn stiften und die es lohnt, weiterzuentwickeln.“ Das war der Kerngedanke: Die neue Organisationsform gemeinsam mit den Mitarbeitenden zu entwickeln. Ein Gedanke, der durchaus anderen Unternehmen als Vorbild dienen kann. Das gilt aber nicht für die neue Form der Organisation. Die taugt nicht als Standardmodell. Hier decken sich die Erfahrungen bei Systel mit denen anderer Unternehmen in Transformation: Es gibt keine Blaupause. Was es gibt: Erfahrungen, von denen andere lernen können. André Weber-Liel berichtet von den Erfahrungen bei Systel. Sein Rat: selbst entwickeln. Schritt für Schritt, den agilen Prinzipien folgend, experimentell-iterativ, in kurzen Anpassungszyklen, bottom-up. Jedes Unternehmen muss seinen eigenen Weg finden. 


Steuerung durch Erfolg


„Im Unternehmensalltag spielen Kennzahlen keine Rolle“ – ein Gespräch mit Markus Bleher und Marco Niebling vom Maschinenbauunternehmen HEMA  

Wie führt man ein Unternehmen, das in erster Linie auf Selbstverantwortung der Mitarbeitenden und Selbststeuerung der Teams setzt? Was darf die Belegschaft wissen und was entscheiden? Und was weiß und entscheidet der Chef? Fragen, die differenzierte Antworten erfordern. Eine eindeutige Antwort gibt es nur auf die nach den Kennzahlen: Die bringen gar nichts für die Geschäftsführung oder die Weiterentwicklung des Unternehmens. Denn Kennzahlen sind bloße Vergangenheitswerte. 

Interview: Winfried Kretschmer  

Seit Jahrzehnten entwickelt das schwäbische Familienunternehmen HEMA Bandsägen für eine Vielzahl von Werkstoffen und Anwendungsbereichen. Das klingt nach Tradition und Kontinuität. Doch der Eindruck täuscht. Das Geschäftsfeld verändert sich, und um diese Herausforderungen zu meistern, musste das Unternehmen sich verändern. Hin zur Selbstorganisation der Mitarbeitenden auf der Grundlagen von Eigenverantwortung und Selbstbestimmung. Im Jahr 2013 setzten die beiden Geschäftsführer Markus Bleher und Christoph Heermann eine Organisationsveränderung in Gang, die von der Belegschaft mitgetragen wurde. Maßgeblich gestaltet wurde die Transformation von Marco Niebling, der als Projektleiter eines Schlüsselprojekts ins Unternehmen kam und heute im erweiterten Geschäftsleitungskreis für Projektmanagement und Human Resources verantwortlich ist. Mit ihm haben wir bereits vor drei Jahren über die Transformation bei HEMA gesprochen. Wie ist es seither weitergegangen? Und: Wie führt man ein Unternehmen, das in erster Linie auf Selbstverantwortung der Mitarbeiter und Selbststeuerung der Teams setzt? Das waren die beiden Leitfragen eines zweiten Gesprächs mit Markus Bleher und wiederum Marco Niebling. 


Kein Masterplan


Ein Gespräch mit Josef Willkommer, Geschäftsführer von TechDivision im bayerischen Kolbermoor  

Klassisches Projektmanagement, das hieß minutiöse Planung nach dem Wasserfallprinzip. Klassische Unternehmensorganisation, das bedeutete ausgeprägte Hierarchie, Entscheidung top-down, Anweisung und Kontrolle. Warum heute klassisch nicht mehr funktioniert, erklärt ein bayerischer IT-Unternehmer im Interview. Er erläutert, wie er zusammen mit seinem Bruder das von ihnen gegründete Unternehmen ganz anders aufgestellt hat als (immer noch) üblich. Und er erklärt, warum sie prinzipiell keine Wasserfallprojekte mehr machen. Für niemanden. 

Interview: Winfried Kretschmer 

In den letzten Jahren hat die Komplexität massiv zugenommen. Durch ständig neue Technologien und einen beschleunigten Wandel. Gerade im Umfeld von IT und Digitalisierung herrschen enormer Druck und eine immens hohe Geschwindigkeit. Unternehmen müssen sich auf diese Komplexität und diese Geschwindigkeit einstellen, sagt Josef Willkommer, Mitgründer und Geschäftsführer der IT-Firma TechDivision. Doch gehen seiner Erfahrung nach viele Unternehmen mit der tradierten Haltung an Projekte heran: Lasten-Pflichten-Heft, Wasserfallprinzip, klassisches Projektmanagement. Im Interview erzählt er, wie ein großes Projekt deshalb beinahe gescheitert wäre – und nur durch die Umstellung auf ein agiles Vorgehen erfolgreich gemeistert werden konnte. Ansprechend erzählt, zeigt diese Geschichte, warum unter komplexen und sich schnell wandelnden Umweltbedingungen Agilität das Gebot der Stunde ist. Im zweiten Teil unseres langen Interviews berichtet Willkommer, wie das Unternehmen, das er und sein Bruder gewissermaßen als Garagengründung ins Leben gerufen haben, aufgestellt ist: mit Teams, die ihren Arbeitsalltag weitestgehend selbst organisieren, mit weitgehender Transparenz und demokratischer Mitentscheidung in definierten Fragen und mit strukturierten Meetings, vom Daily Stand-up bis zum monatlichen Teammeeting für alle. Nicht zu vergessen die Teamevents alle Vierteljahre – zum Feiern. 


Führung im Team


Wie wir uns von Hierarchien und Organigrammen verabschiedet haben – ein Gespräch mit Sirka Laudon (Deutsche Bahn) 

Starr war die alte Struktur, unflexibel und behäbig. Klassisch aufgebaut, mit Organigramm und Hierarchien. Wie in den meisten Konzernorganisationen, so auch im HR-Bereich im Vertrieb der Deutschen Bahn. Bis die Führung zusammen mit den Mitarbeitern ein neues Modell entwarf: eine kreisförmige Netzwerkstruktur als Organisationsform. Ohne Abteilungsleiter. Mit einem Minimum an Führungskräften. Das geht, weil alle einen Anteil an Führungsaufgaben übernehmen. Kollegial im Team.  

Interview: Winfried Kretschmer  

Wenn das Geschäft sich verändert, wenn mit dem digitalen Wandel neue Tätigkeitsfelder hinzukommen, wenn Funktionsbereiche verschwimmen, dann kommt irgendwann die alte Organisationsstruktur nicht mehr mit. Erweist sich als zu starr, unflexibel und behäbig. So auch im HR-Bereich von DB Vertrieb, der Vertriebsorganisation der Deutschen Bahn. Gemeinsam mit den Mitarbeitern entwickelte die Bereichsführung eine neue Organisationsform: Kreis statt Pyramide. Netz statt Hierarchie. Plus eine Form verteilter Führung, in der die Mitarbeiter gemeinsam einen Großteil der klassischen Führungsaufgaben übernehmen. Die neue Struktur war aber nur der erste Schritt. Das Modell musste auch zum Laufen kommen. Dazu brauchte es neue Prozesse. Die fand man in einer an Scrum angelehnten Vorgehensweise: einer Prozessarchitektur, die steuernd wirkt und zugleich Transparenz schafft. „Ohne diese Prozesse würde es nicht funktionieren“, sagt Sirka Laudon, als Geschäftsführerin eine von zwei verbliebenen Führungskräften im Team. Im Interview beschreibt sie die neue Organisationsform und den Weg dahin.  


Selbstorganisiert nach Fahrplan


Selbstorganisation ist auch in hochgradig geregelten Jobs möglich – ein Gespräch mit Cornelius Fischer von der Deutschen Bahn  

Selbstorganisiertes Arbeiten funktioniert, wo die Entscheidungsspielräume im Job groß und die Risiken gering sind? Aber nicht, wo es auf Zuverlässigkeit und Sicherheit ankommt? Im Flugzeug zum Beispiel. Oder bei der Bahn, wo genaue Taktung und strenge Pläne die freie Wahl von Arbeitszeit und Arbeitsort von vornherein ausschließen. Selbstorganisation ist dennoch möglich, auch in hochgradig geregelten Jobs. Auch für Blue-Collar-Worker. Denn selbstorganisiert zu arbeiten bedeutet, möglichst viele Facetten seiner Arbeit selbst gestalten zu können. Nicht nur das Wo und Wann. Und nicht zuletzt heißt Selbstorganisation verteilte Führung. 

Interview: Winfried Kretschmer  

Selbstorganisation im Flugzeug? Oder bei der Bahn? Viele sagen: Wo es um Sicherheit geht, hat Selbstorganisation nichts verloren. Dann besser top-down. Klare Ansage und klare Hierarchie. Und überhaupt: Wo exakte Taktung und präzise Pläne die Arbeit prägen, scheint wenig Raum für Selbstorganisation zu sein. Aber: Wenn es nur darum ginge, das Wann und Wo der Arbeit zu bestimmen, wäre Selbstorganisation ein armes Konzept. Sagt Cornelius Fischer, Sprecher des Teams für hierarchiefreies Arbeiten bei der Deutschen Bahn. Und Sicherheit gedeiht am besten, wenn möglichst viele Beteiligte die Augen offen halten. Statt eines hierarchisch Zuständigen. Und nicht zuletzt heißt Selbstorganisation verteilte Führung. So ist es kein Widerspruch, dass auch die Deutsche Bahn selbstorganisiertes, hierarchiefreies Arbeiten erprobt. Aktuell in drei größeren Projekten: im Personalmanagement von DB Vertrieb, bei dem internen IT-Dienstleister DB Systel, wo rund 3500 Mitarbeiter auf dem Weg in Richtung Selbstorganisation sind, und bei der Südostbayernbahn mit ihrem agilen Geschäftsleiter Christoph Kraller, wo selbstorganisiertes Arbeiten in unterschiedlichen Unternehmensbereichen vorangetrieben wird: von zentralen Unternehmensfunktionen wie Personal und Marketing über den Vertrieb bis hin zum Blue-Collar-Bereich (siehe Folge 21: Power bis ans Gleis). 


Unterstützung hin zur Selbststeuerung


„Die Entscheidung treffen immer die Mitarbeiter“ – ein Gespräch mit Stephan Heiler und Gebhard Borck, Geschäftsführer und Berater bei der Alois Heiler GmbH  

Eine Blaupause für die neue Organisation gibt es nicht. Nur Muster, Formen, die jedes Unternehmen anders kombiniert. So auch bei der Alois Heiler GmbH, einem mittelständischen Glasbauunternehmen mit rund 60 Mitarbeitern. Heute setzt die ehemals klassisch hierarchisch geführte Organisation auf die Selbststeuerung durch die Mitarbeiter. Statt Abteilungen gibt es Organe. Wissen ist verteilt. Führungskräfte gibt es keine mehr. Entscheidungen treffen die Mitarbeiter selbst. Und reportet wird andersherum als üblich: zu den Mitarbeitern hin. Und noch etwas ist anders bei der Heiler GmbH: Ein Berater arbeitet als Quasi-Mitarbeiter ständig im Unternehmen.  

Interview: Winfried Kretschmer 

In 30 Jahren vom Einmannbetrieb zu mittelständischen Glasbauunternehmen mit 60 Mitarbeitern. Eine Erfolgsgeschichte. Als Stephan Heiler die Geschäftsführung von seinem Vater übernahm, schien die auf Glasduschabtrennungen spezialisierte Firma auf solidem Fundament zu stehen. Gute Voraussetzungen für den Wandel hin zu einem nicht mehr hierarchischen Führungsverständnis, den der Sohn einleitete. So schien es. Doch dann ging die produzierende Schwesterfirma in Insolvenz. Das Geschäftsmodell im Sanitärmarkt drehte sich. Und auch der Wandel des Unternehmens führte zu Turbulenzen. Beinahe alle Führungskräfte verließen das Unternehmen, gingen zum Wettbewerb oder gründeten ein Konkurrenzunternehmen gleich nebenan. Ein Multikrisenszenario, das die Firma nur überstand, weil sie konsequent auf die Selbststeuerung durch die Mitarbeiter setzte. Sagt Stephan Heiler. Wie sie das tut, steht wiederum für ein grundlegendes Muster, das den Unternehmenswandel heute charakterisiert: Es gibt keine Blaupause, kein einheitliches Modell für das neue/agile/selbstorganisierte Unternehmen. Auch bei Heiler gab es kein vorgedachtes Konzept, das man nur zu übernehmen brauchte. „Entscheidend ist, zu erkennen, welcher Teil eines Konzepts in der eigenen Firma funktioniert“, sagt Unternehmensberater Gebhard Borck, der die Transformation bei Heiler begleitet. Motto: Schauen, was passt. Und diesen Teil mit anderen Bausteinen kombinieren. Ein gemeinsames Kennzeichen dieser Bausteine gibt es aber schon: Sie rücken die Mitarbeiter und ihr Wissen in den Mittelpunkt. Die Mitarbeiter zu fragen, brachte auch die entscheidende Wende im Transformationsprozess bei Heiler. „Wer macht mit?“, diese Frage an die Belegschaft hebelte die Blockadehaltung der alten Führungskräfte aus.  


Eine andere Form der Zusammenarbeit


„Wir stehen vor einem großen Sprung in eine neue organisatorische Gestaltung unserer großen Organisationen“ – ein Gespräch mit Uwe Raschke  

Es sind nicht mehr nur ein paar kleine Unternehmen, in denen neue Formen der Organisation erprobt werden. Der organisationale Wandel ist in den großen Unternehmen angekommen. Zum Beispiel bei Bosch Power Tools, weltweit agierender Anbieter von Elektrowerkzeugen, Messtechnik und Gartengeräten. Die funktional gegliederte Großorganisation wurde in zehn kleinere Einheiten zerlegt, Design Thinking hielt Einzug, ebenso ein neues Verständnis von Motivation. Und es startete ein Experiment mit einer neuen Form der Organisation – eine Geschäftseinheit wurde komplett umgebaut: weniger Hierarchie, crossfunktionale Teams, eine neue Arbeitsumgebung. Das Ziel: eine neue Form der Zusammenarbeit. Die innovative Ideen sprudeln lässt. Und den Nutzer in den Mittelpunkt der Entwicklungsarbeit rückt. 

Interview: Winfried Kretschmer 

Früher war alles einfach, überschaubar, planbar. Die Märkte geordnet, die Kunden zielgruppengenau ansprechbar. Wie bei Bosch mit den grünen Geräten für Heimwerker und den blauen für Handwerkerprofis. Doch mit der Digitalisierung geriet das durcheinander. Im Web stand plötzlich Blau neben Grün. Das erforderte eine Anpassung von Strategie und Kundenansprache. Nicht nur das. Veränderte Wertschöpfungsbedingungen in einem volatilen Umfeld zwangen dazu, besser, innovativer und schneller zu werden. Bosch Power Tools, weithin bekannter Anbieter von Elektrowerkzeugen, Messtechnik und Gartengeräten, reagierte mit einem konsequenten Umbau des Unternehmensbereichs mit weltweit 20.000 Mitarbeitern. Erstens Fragmentierung: zehn Kunden-Markt-Einheiten statt der klassischen funktionalen Großorganisation. Zweitens Design Thinking: konsequente Ausrichtung der Produktentwicklung am Nutzer und seinen Bedürfnissen. Drittens ein neues Verständnis dessen, was Menschen motiviert: Sinn, Meisterschaft, Selbstbestimmung. Plus ein Experiment mit einer vollkommen neuen Form der Organisation: Eine Unternehmenseinheit mit 2.000 Beschäftigten wurde binnen weniger Monate komplett neu gestaltet – zusammen mit den Mitarbeitern: weniger Hierarchie, crossfunktionale Teams statt der früheren funktionalen Gliederung und eine neue Arbeitsumgebung, die Zusammenarbeit fördert. Denn das ist für Uwe Raschke, Geschäftsführer der Robert Bosch GmbH und Chef bei Power Tools, der entscheidende Punkt: eine neue Form der Zusammenarbeit zu entwickeln, für die der Nutzer mit seinen Problemen und Bedürfnissen zentraler Bezugspunkt ist.  


Power bis ans Gleis


„Wir sind verschwenderisch in der Förderung unserer Mitarbeiter“ – ein Gespräch mit Christoph Kraller, Chef der Südostbayernbahn in Mühldorf  

Kundenorientierung geht jeden an. Führungskultur geht jeden an. Verschwenderisch sein in der Förderung der eigenen Leute. Drei Führungsgrundsätze, die die Südostbayernbahn veränderten. Heute stellt das Unternehmen die Kunden und die Mitarbeiter gleichermaßen ins Zentrum. Und baut auf eine gut ausgebildete Belegschaft, die selbst entscheiden kann, was zu tun ist. So aufs Gleis gesetzt steuert das Unternehmen fast geradlinig auf ein neues Ziel zu: Selbstorganisation. Mittlerweile arbeiten einige Teams selbstorganisiert. Folgen soll die Rottalbahn, die Strecke zwischen Mühldorf und Passau. Ein Experiment mit offenem Ausgang. 

Interview: Winfried Kretschmer 

Nach der Gründung im Jahr 2002 stand für die Südostbayernbahn (SOB), die das Bahnnetz zwischen München und Passau betreibt, erst einmal das Kerngeschäft auf dem Plan: Gleise, Weichen, Bahnhöfe, der Ausbau der Infrastruktur, ein besseres Angebot für die Kunden. Mehr Züge also und eine kürzere Taktung. Dann die Krise: Eine neue Lok versagt ihren Dienst, reihenweise fallen Züge aus, empörte Fahrgäste kapern einen Zug, die kennzahlenoptimierte, aber personell ausgedünnte Werkstatt bekommt das Problem nicht in den Griff. Die Krise wirkt als Augenöffner. Erste Einsicht: konsequente Kundenorientierung. Rausgehen, mit den Fahrgästen reden, ihre Bedürfnisse und Wünsche kennenlernen. Zweite Einsicht: konsequente Mitarbeiterorientierung. Denn alle gestalten die Organisation mit. Dritte Einsicht: in die Leute investieren. „Wir sind verschwenderisch in der Förderung unserer Mitarbeiter“, sagt SOB-Geschäftsführer Christoph Kraller. Er baut auf eine gut ausgebildete Belegschaft, die selbst entscheiden kann, was zu tun ist. So aufs Gleis gesetzt steuerte die Südostbayernbahn fast geradlinig auf ein neues Ziel zu: Selbstorganisation. Die Teams organisieren sich selbst. Vor Ort. Dort, wo das Geschäft ist. Denn: „Die Leute vor Ort wissen einfach viel besser, worauf zu achten ist“, so Kraller. Angefangen hat es mit dem Serviceteam, es folgen die Bahnübergangsinstandhaltung, die Personal- und die Marketingabteilung. Der nächste große Schritt: die Rottalbahn. „Wir wollen die Verantwortung für die Strecke von Mühldorf nach Passau in die Hände der dort tätigen Mitarbeiter legen“, sagt Kraller. Und gesteht selbst ein: Das ist ein Experiment mit offenem Ausgang.  


Formerly known as Geschäftsführung


„Wir stellen den Mitarbeiter ganz nach vorne in unserem Unternehmen“ – ein Gespräch mit Markus Stelzmann und Andreas Ahamer  

Einen Geschäftsführer gibt es beim Wiener Technologieunternehmen TELE Haase nicht mehr. Oder nur der Form nach: nach außen, für die, die einen Geschäftsführer brauchen. Intern spricht man von „Regie“, vom „Regisseur“: Einer, der den Blick aufs Ganze wahrt, auf die Organisation. Die funktioniert als eine Art intelligenter Organismus: Entscheidungen treffen alle Mitarbeiter gemeinsam, alle arbeiten selbstverantwortlich, und alle Informationen stehen allen offen. Absolute Transparenz ist die Grundlage von Vertrauen. 

Interview: Winfried Kretschmer 

„Wir sind das notwendige Übel im Schaltschrank“, sagt Markus Stelzmann. Zeit- und Überwachungsrelais produziert die Firma TELE Haase mit rund 90 Mitarbeitern am Standort Wien: Automatisierungstechnik, etwas für das Funktionieren im Hintergrund. Besonders hingegen ist die Organisation: Vor vier Jahren schon hat das Unternehmen die alten Hierarchien abgeschafft. Abteilungen gibt es keine mehr, ebenso wenig Funktionen wie Meister, Abteilungsleiter oder Geschäftsführer. Geschäftsführer ist Markus Stelzmann nur der Form nach, nach außen. Intern nennt er sich „Regisseur“ und ist zuständig für den Blick aufs Ganze, auf die Organisation. Die funktioniert als eine Art intelligenter Organismus. Entscheidungen treffen die Mitarbeiter gemeinsam in Gremien. Jede und jeder kann dabei mitwirken, Vorschläge einbringen und mitentscheiden. Die Arbeit basiert auf Selbstverantwortung und ist organisiert in Prozessen, die miteinander kooperieren. Interdisziplinäre Zusammenarbeit wird gefördert. Und alle Unternehmensinformationen sind in einem eigens entwickelten Infonet allen Mitarbeitern zugänglich. Die absolute Transparenz beugt Misstrauen vor, sie ist die Basis von Vertrauen. Zwei Elemente vereint das Organisationsmodell von TELE Haase: Es ist essenziell demokratisch, indem jeder Mitarbeiter Themen einbringen und mitentscheiden kann. Zugleich ermöglicht das breit verteilte Wissen eine schnelle Reaktion auf Veränderungen. Was auffällt: „Agil“ nennt das hier niemand.  


Kreise aus Rollen


"Kiron ist ein Organismus, der sich selbst organisiert und weiterentwickelt" - ein Gespräch mit Markus Kreßler  

Kiron ist schillernd. Das Start-up hat verschiedene Facetten: Es ist ein Modell, Geflüchteten unbürokratisch ein Studium zu ermöglichen. Zudem ein Ansatz, die Universität digital zu transformieren. Und eine Organisation, die sich von Anfang an anders aufstellt. Und nach dem holakratischen Kreismodell die Entscheidungsmacht in der Organisation verteilt und mehr Verantwortung schafft. Ein Gespräch über die ersten Erfahrungen. Folge 19 unserer Serie über Unternehmen, die Grundlegendes anders machen. 

Interview: Winfried Kretschmer  

Ein Start-up lebt vom Charme des Beginnens. Alles kann, muss neu geschaffen werden. Auch die Organisationsstrukturen. Bei Kiron Open Higher Education, einem jungen Unternehmen, das Geflüchteten einen Zugang zu Hochschulbildung ermöglicht und damit zugleich einen Ansatz entwickelt, Massive-Open-Online-Kurse mit klassischer Hochschulbildung zu verschränken, hat man die Organisation von Anfang an von Grund auf anders aufgestellt: nach dem Modell der Holakratie. „Dabei wird die Autorität und Verantwortung, die sonst bei Führungspersonen oder Managern liegt, auf Kreise verteilt, die aus Rollen zusammengesetzt sind“, erklärt Markus Kreßler, Mitgründer und Mitgeschäftsführer von Kiron. Das heißt: Es gibt keine Abteilungen oder Departments, sondern das Unternehmen organisiert sich in Kreisen, die jeweils eine spezifische Aufgabe haben. Ein Kreis ist eine Gruppe von Rollen, die wiederum durch bestimmte Aufgaben und Verantwortlichkeiten definiert sind. Elf solcher Kreise gibt es, denen zwischen zwei und 17 Mitarbeiter angehören. Eine Kernrolle ist die des „Coordination Link“, der darauf zu achten hat, dass der Zweck des Kreises erfüllt wird. Alle Coordination Links zusammen bilden einen zentralen Koordinationskreis, das „Tactical Meeting“. In allen Kreisen gilt bei Entscheidungen das Konsensverfahren. Das heißt, es wird an der Entscheidung gearbeitet, bis alle Neins ausgeräumt sind. „Das holakratische Modell hat uns geholfen, Entscheidungsmacht in der Organisation zu verteilen und mehr Verantwortung zu schaffen“, sagt Kreßler. Auch die verteilte Intelligenz aller nutzen zu können, ist für ihn ein Vorzug dieses Modells, wie er betont. Und er sagt: In der Praxis fühlt sich das nicht so trocken an wie in der Theorie.  


Erfolgsfaktor Sinn schaffen


„Entscheidend in der postmodernen Organisation ist der Sinn einer Tätigkeit“ – ein Gespräch mit Bodo Janssen von Upstalsboom 

Früher waren die Mitarbeiter Mittel zum Zweck: Gewinne zu machen. Heute ist es genau andersherum: Mittel zum Zweck ist das Unternehmen. Die Hotelkette Upstalsboom sieht ihre Bestimmung darin, dass die Mitarbeiter finden, was sie als Menschen glücklich macht. Den Sinn in dem, was sie tun. Erfahren müssen sie das selbst, aber das Unternehmen kann ihnen dabei helfen. Das ist der Sinn des Unternehmens. Wirtschaftlicher Erfolg ist dann die Folge. Folge 18 der Serie über Unternehmen, die Grundlegendes anders machen.  

Interview: Anja Dilk  

Nach den Zahlen war alles bestens bei Upstalsboom. Und Zahlen waren das Einzige, was Firmenchef Bodo Janssen interessierte. Er führte das Unternehmen nach einem detaillierten Kennzahlensystem. Was er nicht messen konnte, war für ihn nicht relevant. Bis plötzlich die Fassade fiel. Eine Mitarbeiterbefragung offenbarte, dass die Belegschaft das Unternehmen ganz anders sah als der Chef. Die Unzufriedenheit war groß; die Mitarbeiter richteten ihr Handeln nur noch an den Kennzahlen aus, nicht mehr an der Zufriedenheit der Kunden. Bodo Janssen geriet in eine Krise. Ging ins Kloster. Und änderte seine Führungshaltung radikal. Heute stehen bei Upstalsboom die Menschen und ihre Suche nach Sinn im Mittelpunkt. „Entscheidend in der postmodernen Organisation ist der Sinn einer Tätigkeit“, sagt Janssen. „Die Mitarbeiter wissen selbst, was sie tun müssen, um ihr Ziel zu erreichen. Wie sie es tun, ist ihnen vollkommen selbst überlassen.“ Das Unternehmen setzt auf Mitgestaltung und demokratische Beteiligung. Man hat damit begonnen, Führungskräfte wählen zu lassen und klassische Führungsinstrumente wie Stellenbeschreibungen und Budgets abzuschaffen. „Unser Erfolgsfaktor ist Sinn schaffen“, sagt Janssen heute.  


Mit gegenseitiger Hilfe


„Wir denken nicht in Aufgaben und Prozessen, sondern in Rollen“ – ein Gespräch mit Marco Niebling über die Einführung agiler Organisation bei HEMA  

Agile Organisation, das scheint auf den ersten Blick eher etwas für IT-Unternehmen zu sein. Oder für Hersteller innovativer Funktionsfasern. Aber ein mittelständisches Maschinenbauunternehmen im Familienbesitz mit fast hundertjähriger Geschichte und Standort im Schwäbischen? Eher nicht, oder? Doch! Binnen eines halben Jahres gelang dem Bandsägenhersteller HEMA die Neuerfindung als agiles Unternehmen. Heute herrscht dort Selbstorganisation jenseits von Hierarchie und Organigramm. Und gegenseitige Hilfe ist zentraler Unternehmenswert. Folge 17 der Serie über Unternehmen, die Grundlegendes anders machen. 

Interview: Winfried Kretschmer  

Immer weniger Großserienproduktion, stattdessen zunehmend komplexe Einzelanfertigungen – mit dieser Veränderung der Produktionsbedingungen sah sich der Bandsägenhersteller HEMA konfrontiert. Projektleiter Marco Niebling stellte fest: Die bisherige Firmenstruktur mit festgelegten Aufgabenbereichen und Prozessen taugt dafür nicht. Er sah sich nach neuen Möglichkeiten um und entdeckte bei einem anderen Unternehmen das Prinzip der agilen Organisation. „Ich dachte: Genau so müssen wir es machen. Entscheidend war dann zu hinterfragen, warum wir das machen.“ Denn nicht auf die Methoden kommt es an, findet Niebling. Was zählt, ist die Haltung, die dahintersteht: gegenseitige Achtung, Eigenverantwortung, Orientierung an den Kundenbedürfnissen und am Sinn der Aufgabe. Methoden wie „Delegation Poker“ oder das „Kanban Board“ werden von den Teams eingesetzt, wenn diese sie für hilfreich befinden – sonst eben nicht. Die Hauptsache ist: „Heute darf jeder, der etwas zu einer sinnvollen Aufgabe beitragen kann, anderen dabei helfen.“ Gegenseitige Hilfe ist zentraler Unternehmenswert. 


Totale Verantwortung


„Wir entwickeln unsere Firma konsequent von den Mitarbeitern her“ – ein Gespräch mit Torsten Osthus  

Eine Organisation wie ein Organismus: Abteilungen gibt es keine mehr, die verschiedenen Aufgabenbereiche heißen Räume, die Entwicklung des Unternehmens geschieht von den Mitarbeitern her, und im Zentrum der Firma stehen Werte: Vertrauen, Verantwortung, Ergebnisse für den Kunden sowie Lernen durch allseitiges Feedback. Gibt’s nicht? Doch gibt es. Der Geschäftsführer der Osthus GmbH berichtet. Folge 16 der Serie über Unternehmen, die Grundlegendes anders machen.  

Interview: Winfried Kretschmer 

Es lief nicht mehr rund in der 1996 gegründeten Firma. Die Abteilungsstruktur verursachte Probleme. Oft gab es ein unterschiedliches Verständnis von Aufgaben und Prozessen, es gab Dissonanzen und Schwierigkeiten. Das war der Anstoß zu einem grundlegenden Veränderungsprozess, der von der Formulierung grundlegender Geschäftsprinzipien und zentraler Unternehmenswerte ausging: Vertrauen, Verantwortung, Ergebnisse und Lernen. Klar wurde: „Wenn wir unser Unternehmen von den Mitarbeitern her entwickeln wollen, wenn wir Vertrauen und Verantwortung stärker verankern wollen, dann dürfen wir nicht in Abteilungsstrukturen denken“, erinnert sich Geschäftsführer Torsten Osthus. In der Konsequenz wurden in der Osthus GmbH die Abteilungen abgeschafft und durch „Räume“ ersetzt, denen sich die Mitarbeiter selbst zuordnen können. Sie führen auch ihre Personalakte, die „persönliche Entwicklungsakte“ heißt, selbst und entscheiden im Team über Aufgaben und Termine. Feedback zu geben und vor allem auch anzunehmen ist ein zentraler Grundsatz in dem Unternehmen, das sich als lernende Organisation begreift. 


Wechselseitig Chef


"Voraussetzung für Partizipation ist, die eigenen Mitarbeiter wie Erwachsene zu behandeln" - ein Interview mit Henning Wolf von it-agile 

Gehört die Firma den Mitarbeitern, ist Augenhöhe gleichsam ins System eingebaut. Der Geschäftsführer ist Chef der Mitarbeiter, da diese aber Gesellschafter sind, sind sie auch Chef des Geschäftsführers. Man könnte sich wechselseitig feuern, theoretisch. Praktisch geht es aber darum, den Laden gemeinsam zu führen. Deshalb gilt bei der it-agile GmbH Partizipation bei allen Entscheidungen. Denn Mitarbeiter sind erwachsene Menschen, die mitreden wollen und können. Folge 15 der Serie über Unternehmen, die Grundlegendes anders machen. 

Interview: Winfried Kretschmer 

Möglichst gerecht solle es in der neuen Firma zugehen, das war das Ziel, als sich 2005 die it-agile GmbH als Beratungsfirma für agile Methoden gründete. Dazu gehörte auch, dass alle Mitarbeiter am Unternehmen beteiligt sind. Seither gibt es eine Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft, die treuhänderisch für die Mitarbeiter die Unternehmensanteile hält. Dabei geht es nicht um Kapitalbildung oder Rendite. Ziel ist es, mitzubestimmen und am Gewinn teilzuhaben, solange man dabei ist. Deshalb gilt bei dem Unternehmen Partizipation bei allen Entscheidungen. Möglichst viele Entscheidungen werden auf so niedriger Ebene wie möglich getroffen, um dem Einzelnen und den Teams so viele Freiheiten wie möglich zu geben. Dadurch muss wenig zentral oder von allen entschieden werden. Die Rolle der beiden Geschäftsführer ist bewusst klein gehalten und klar konturiert. Ihre Hauptaufgabe ist es, "den Rahmen herzustellen, damit Mitarbeiter Führung übernehmen können", erläutert Co-Geschäftsführer Henning Wolf. Das tun sie in allen Unternehmensfragen, von der Festlegung der Gehälter über die Einstellung neuer Mitarbeiter bis hin zur Definition der Regeln der Zusammenarbeit. Die Arbeit erledigen selbstorganisierte Business-Teams, die zugleich für den Vertrieb zuständig sind. Das Marketing wiederum ist als zentrale Zelle organisiert. Soziokratie und Betakodex standen Pate bei der Unternehmensorganisation. 


Wer was wert ist


"Wenn Menschen Verantwortung bekommen, machen sie etwas daraus" - ein Gespräch mit Julian Vester 

Selbstbestimmung wird in der Hamburger Agentur Elbdudler großgeschrieben. Die Mitarbeiter bestimmen nicht nur selbst, wie, wann und wo sie arbeiten. Sondern auch, wie viel sie verdienen. In einem "Peer Review" diskutieren sie im Team Gehaltsvorstellungen und Leistungserwartungen und legen die Gehälter gemeinsam fest. Scheint zu funktionieren. Folge 14 der Serie über Unternehmen, die Grundlegendes anders machen.  

Interview: Anja Dilk  

Am Anfang gab es bei der 2009 gegründeten Hamburger Digitalagentur Elbdudler ein Einheitsgehalt. 2.500 Euro für alle. "Doch mit der Zeit haben wir gemerkt, dass gleich nicht automatisch gerecht bedeutet", erinnert sich der Co-Gründer und Geschäftsführer Julian Vester. Die Frage war nur: Was ist fair? Und welches Gehalt ist für welche Arbeit bei welcher Ausbildung und welchen Lebensverhältnissen angemessen? Vester entschied sich, die Angestellten selbst zu fragen. Ein naheliegender Weg, denn in der Kreativagentur arbeitet man hierarchiefrei und selbstorganisiert zusammen. Die rund 40 Mitarbeiter bestimmen selbst, wie, wo und wann sie arbeiten. Heute bestimmen sie auch ihr Gehalt selbst. Um das Verfahren fair und systematisch zu gestalten, hat die Agentur ein Peer Review eingeführt. Zwei bis fünf Mitarbeiter diskutieren gemeinsam ihre Gehaltsvorstellungen und bewerten ihre Arbeit. Gemeinsam legen sie Gehälter und Leistungserwartungen fest. Der Geschäftsführer hat damit eine zentrale Geschäftsführeraufgabe an die Teams abgegeben.  


Egal wo, egal wann


"Wir wollen Mitarbeiter, die selbst denken und selbst tun" - ein Gespräch mit Klaus von Rottkay über die Arbeitskultur bei Microsoft 

Als wohl erstes Großunternehmen hat Microsoft die Vertrauensarbeitszeit und den Vertrauensarbeitsort in die Betriebsvereinbarung aufgenommen. Heißt: Die Mitarbeiter können nicht nur selbst bestimmen, wann sie arbeiten, sondern auch, wo: daheim, im Café, in der Firmenzentrale mit ihren unterschiedlichen Workspaces. Das zeigt: Eine andere Arbeitskultur ist nicht nur was für kleine Klitschen. Sondern geht auch im Großen. Folge 13 unserer Serie über Unternehmen, die Grundlegendes anders machen. 

Interview: Winfried Kretschmer 

Das Schlüsselwort bei Microsoft heißt Vertrauen: Jeder Mitarbeiter arbeitet so, wie er glaubt, seine Aufgaben am besten erfüllen zu können, jedes virtuelle Team organisiert sich selbst. Das Unternehmen stellt ihnen die nötigen Rahmenbedingungen zur Verfügung. Laut einer Umfrage schätzen das die Mitarbeiter sehr, denn es bedeutet: "Ich bin eigenverantwortlich, man vertraut mir." Für Klaus von Rottkay, Mitglied der Microsoft-Geschäftsführung Deutschland, ist Selbstbestimmung eine Grundvoraussetzung dafür, dass die wertvollste Ressource des Unternehmens, die Mitarbeiter, ihre volle Wirkung entfalten können. Und zufrieden sind. Chefs sind bei Microsoft in erster Linie Schiedsrichter und Mentoren. Rottkay sagt: "Früher haben wir Mitarbeiter gesucht, die tun, was wir sagen, heute suchen wir Mitarbeiter, die tun, was wir nicht sagen." Um das zu erreichen, fördert Microsoft informellen Austausch, denn Rottkay ist überzeugt: Das Gesamtkollektiv kann bessere Antworten finden, als sich jemand aus der Chefetage ausdenken könnte.


So flach wie möglich


"Wir sind überzeugt, dass sich flache Hierarchien und große Freiräume auszahlen" - ein Gespräch mit Oskar Berger von W. L. Gore Deutschland 

Das Unternehmen ist der Klassiker, wenn es um eine andere Arbeits- und Führungskultur geht: W. L. Gore. Richtig: "No ranks, no titles". Extrem flache Hierarchie. Der Grundsatz gilt nach wie vor. Und eine Unternehmensphilosophie, die darauf basiert, dass Menschen gerne arbeiten und sich einbringen. Ein gutes halbes Jahrhundert gibt es das Unternehmen schon, mehr als 10.000 Mitarbeiter beschäftigt es weltweit, gut 1.400 in Deutschland. Und wie läufts? Ein Interview. Folge zwölf unserer Serie über Unternehmen, die Grundlegendes anders machen. 

Interview: Dominik Fehrmann 

"No ranks, no titles" - mit diesem Slogan sorgten W. L. Gore & Associates schon in den 1980er-Jahren für Aufsehen. Kein global tätiges Unternehmen dürfte mehr Erfahrung mit flachen Hierarchien haben als die vor allem für ihre Funktionstextilien bekannte US-Firma, die an den Prinzipien ihres Gründers Bill Gore eisern festgehalten hat. Nach wie vor versucht man, Hierarchien so flach wie möglich zu halten. Jeder kann mit jedem direkt sprechen, ohne Vorzimmer und formale Barrieren. Mitarbeiter heißen Associates, also Teilhaber. Eine Karriereleiter gibt es nicht. Über Neueinstellungen entscheiden die Associates. Führungsfunktionen werden nicht vergeben, sondern kristallisieren sich in einem Prozess von Leader und Followership heraus. "Natural Leadership" nennt man das bei Gore, wo man auch sehr darauf achtgibt, nicht zu groß zu werden. Damit Unternehmenseinheiten und damit die Kommunikationsprozesse nicht unüberschaubar werden, gilt das Prinzip der Zellteilung: Wächst eine Einheit über eine Größe von 250 Mitarbeitern, wird sie geteilt. Damit dennoch die Effizienz gewahrt wird, ordnet Gore mehrere Unternehmenseinheiten zu Clustern an, die sich bestimmte Funktionen teilen. Shared Services.


Arbeiten, wann, wo, wie sie wollen


"Bei uns arbeiten alle, wo sie wollen, wann sie wollen, und sehen dabei aus, wie sie wollen" - ein Gespräch mit Uwe Lübbermann 

Keine Produktion, kein Büro, kein Marketing, kein Vertrieb. Premium Cola ist ein komplett virtuelles Unternehmen. Der Inhaber nennt sich "zentraler Koordinator", die Entscheidungen trifft das Kollektiv nach dem Prinzip der Konsensdemokratie. Premium Cola ist ein Unternehmen, das so ziemlich alles anders macht. Und zeigen will, dass Unternehmen auch ohne Profitmaximierung und Hierarchien funktionieren können. Folge elf unserer Serie über Unternehmen, die Grundlegendes anders machen. 

Interview: Tatjana Krieger 

Angefangen hat alles mit Afri Cola. Genauer deren Angleichung an den Massengeschmack nach der Übernahme durch einen anderen Getränkehersteller. Uwe Lübbermann wollte das nicht hinnehmen, schrieb Briefe, organisierte Proteste - und stieß dabei durch Zufall auf das Originalrezept der braunen Brause. Kurzerhand wurde er selbst zum Cola-Hersteller. Allerdings ohne Fabrik und Büro und Fuhrpark. Seine Firma Premium Cola ist ein rein virtuelles Unternehmen, und "seine" Firma ist es schon gar nicht. Premium Cola ist ein Kollektiv. Ohne Büro, feste Strukturen und altbackene Hierarchien. Ein Unternehmen im Gemeinbesitz, das jenseits kapitalistischer Eigentumsverhältnisse und Wachstumsvorstellungen agiert. Ein Unternehmen, in dem alle gemeinsam entscheiden und jeder einzelne Mitarbeiter selbst bestimmt, wo, wann und wie er arbeitet. "Bei uns arbeiten alle, wo sie wollen, wann sie wollen, und sehen dabei aus, wie sie wollen", sagt Uwe Lübbermann. Und fügt hinzu: "Ich will beweisen, dass man Wirtschaft und Mensch verbinden kann."


Das Unternehmen neu denken


"Der Durchbruch war, die Mitarbeiter selbst bestimmen zu lassen" - ein Gespräch mit Jürgen Erbeldinger  

Als der Chef aus der Elternzeit zurückkam, war nichts wie zuvor. Seine Überzeugung war weg; seine Leidenschaft; die Mission, die Idee, wozu das Unternehmen gut ist. Es blieb: Das Unternehmen neu denken, von Grund auf. Und, entscheidend, von den Mitarbeitern her. Das bedeutete, jeden Einzelnen selbst bestimmen zu lassen, alles: Was er arbeitet, mit wem er arbeitet und wo er arbeitet. Das Ergebnis: eine Kultur der Teilhabe und ein Wachstum der Produktivität. Folge 10 unserer Serie über Unternehmen, die Grundlegendes anders machen. 

Interview: Winfried Kretschmer 

Ein Unternehmen bezieht seine Überlebensfähigkeit aus Innovation, davon ist Jürgen Erbeldinger überzeugt. Deswegen krempelte er nach seiner Elternzeit erst einmal seine eigene Unternehmensberatung um. Sie sei bisher zu sehr in Dogmen verhaftet, zu starr auf Effizienz und Hierarchie ausgerichtet, fand er. In Design-Thinking-Sessions entwickelten Mitarbeiter und Führungskräfte ein neues Portfolio und eine neue Marke: partake, teilhaben, heißt das Unternehmen jetzt. Und ist ganz auf Teilhabe aufgebaut: Jeder Mitarbeiter entscheidet selbst, was er arbeitet, mit wem und wo. Formelle Hierarchien gibt es nicht mehr. Wer eine Idee hat und dafür Mitstreiter findet, leitet das Projektteam. Ob Projekte weitergehen, entscheiden die Mitarbeiter gemeinsam - Selbstkontrolle statt Chefkontrolle. Für 180 Arbeitstage im Jahr muss jeder nachweisen, an welchen Projekten er oder sie arbeitet, die restlichen 40 Tage sind Freiraum. Dadurch sind Engagement, Produktivität und Kreativität im Unternehmen gewachsen. Ungewöhnliche Geschäftsideen wurden umgesetzt - wie die, neben dem Beratungsgeschäft auch Möbel zu bauen oder Wein nach China zu exportieren. Und zugleich schiebt das Unternehmen den Kulturwandel hin zum New Management an.


Nachgefragt: No Managers?


"Ich bin über diese Entscheidung sehr glücklich" - ein Gespräch mit Ryan Carson 

Eine junge amerikanische Firma hat ihre Manager abgeschafft. Komplett. Es gibt keine Leitungsfunktionen mehr, keine Titel, keine Stellungen. Und die Teams suchen sich neue Mitarbeiter selbst aus. Und? Niemand vermisst etwas. Jeder tut seine Arbeit, und alles läuft bestens. Erzählte der CEO in unserem Interview vor einem halben Jahr. Und wie sieht’s heute aus? Wir haben nachgefragt. Folge 9 unserer Serie über Unternehmen, die Grundlegendes anders machen. 

Interview: Dominik Fehrmann 

Beim amerikanischen E-Learning-Anbieter treehouse gibt es keine Leitungsfunktionen mehr, keine Titel, keine Stellungen. Die Teams suchen sich neue Kollegen selbst aus. Und die Mitarbeiter sind sehr zufrieden, dass sie das Heft selbst in der Hand haben. Auch Carson, der die Firma mit gegründet hat, ist immer noch glücklich über die Entscheidung, alles Management abzuschaffen. Nur selten gibt es Momente der Frustration - wenn Mitarbeiter unkoordiniert handeln. Meistens stimmen sie sich aber gut ab. Die Arbeitszufriedenheit ist gestiegen. Die Firma läuft. Und wächst - obwohl die Produktivität leicht gesunken ist, weil Zeit für Diskussionen gebraucht wird. Entscheidend für diesen Erfolg sind Klarheit über die gemeinsame Unternehmensvision und ein gutes Kollaborations-Tool. Die Firmengründer haben gelernt, die Unternehmensvision klar zu kommunizieren, damit die Mitarbeiter das große Ganze im Blick haben. Dann finden sie den Weg zum Ziel selbst. Wichtig dabei ist auch eine gute technische Infrastruktur: Ein gutes digitales Kollaborationstool, mit dem die Mitarbeiter alle Informationen offen tauschen und sich koordinieren können. Das eigene Kollaborationstool verbessert treehouse gerade und will es dann als Open-Source-Software verfügbar machen. Für alle Unternehmen, die es auch mal ohne Manager probieren wollen.


Read the fucking wiki


"Wir haben intern so gut wie keine Betriebsgeheimnisse mehr" - ein Gespräch mit Frank Roebers  

Was man fürs Arbeiten wissen muss, steht im firmeneigenen Wiki. Jeder Mitarbeiter verändert, bearbeitet und ergänzt dort nach Gutdünken, ohne Freigabeschleife. Ein Okay von oben braucht auch nicht, wer im Internet für seine Firma kommuniziert. Er tut das als Botschafter seines Unternehmens. Und wer in der Firma etwas ändern will, kann über eine LiquidFeedback-Plattform anonym diskutieren und Vorschläge zur Abstimmung bringen. Beim IT-Unternehmen Synaxon funktioniert das, erzählt der Vorstandschef. Folge 8 unserer Serie über Unternehmen, die Grundlegendes anders machen. 

Interview: Tatjana Krieger 

LiquidFeedback funktioniert, und die Mitarbeiter organisieren sich über ein Wiki komplett selbst? Das ist Wirklichkeit beim IT-Unternehmen Synaxon. Schon seit 2006 gibt es dort ein jedem Mitarbeiter zugängliches Wiki, in dem alles steht, was es für die tägliche Arbeit zu wissen gibt. Regeln, Prozesse, das Firmenleitbild sind dort abgelegt und werden verändert, bearbeitet und ergänzt - von allen. Der Vorstand behält sich ein Vetorecht vor, hat das aber noch nie angewendet, wie Vorstandschef Frank Roebers im Interview erzählt. Auch nicht, wenn es um Abstimmungen geht, die die Mitarbeiter anonym in einer zweiten Plattform anstoßen können. Denn Piratenpartei-Mitglied Roebers setzt auf deren LiquidFeedback-Mechanismus: die Möglichkeit, anonym Themen zur Sprache zu bringen und per einfacher Mehrheit Unternehmensentscheidungen herbeizuführen. Roebers akzeptiert solche Entscheidungen und profitiert von der Effizienz der Firmenstruktur, die ihn von Detailarbeit befreit und Mitarbeitern echte Verantwortung ermöglicht - und von ihnen wohl auch deshalb verantwortungsbewusst genutzt wird. Außerdem muss niemand mehr den Kollegen die Zeit stehlen, wenn er was wissen will. Dann gilt "rtfw" - "read the fucking wiki".


Expertise statt Hierarchie


"Wir haben Hierarchien, aber nur temporär, solange das Projekt läuft" - ein Gespräch mit Detlef Lohmann  

Niemand schafft an, was zu tun ist. Mitarbeiter organisieren sich selbst in Teams. Und jeder darf alles wissen, was in der Firma vorgeht. Realität in einem schwäbischen Unternehmen. Hierarchien gibt es dort nur auf Zeit. Was zählt, ist Expertise. Führung übernehmen jene, die sich in einer Sache am besten auskennen. Und der Chef versteht sich in erster Linie als Organisationsentwickler. In unserem Interview erzählt er von seiner Art, ein Unternehmen zu führen. Folge 7 unserer Reihe über Firmen, die Grundlegendes anders machen. 

Interview: Tatjana Krieger  

Mitarbeiter, die sich selbst in Teams organisieren und die Arbeit auch ohne Chef gestemmt kriegen? Kein schöner Traum, sondern Realität in Unternehmen wie dem von Detlef Lohmann. Der Mittelständler hat in seiner Firma die Pyramidenstruktur geschleift. Was zählt, ist Expertise. Gewichtige Jobtitel gibt es nicht mehr. Hierarchien gibt es nur temporär: solange das Projekt läuft. Führung übernehmen darin jene, die sich in einer Sache am besten auskennen - und sind im nächsten Projekt wieder Mitarbeiter und Kollegen. Das klappt, weil Lohmann auf Teilhabe setzt. Damit ist gemeint: Wer in seinem Handeln am Arbeitsplatz einen Sinn sieht, wird sich auch für das Unternehmen engagieren. Weil jeder sieht, was er zum großen Ganzen beiträgt. Weil Transparenz herrscht. Weil der Chef die Leute machen lässt - und sich vor allem als Organisationsentwickler sieht. Denken kann er dann auch beim Spazierengehen. Dass es in der Firma läuft, darauf kann er sich verlassen.


Unternehmensziel glücklich arbeiten


"Feelgood-Management muss gelebt werden" - ein Gespräch mit Monika Kraus-Wildegger  

Feelgood-Management: wie nett. Und klischeetauglich wie der Bürokicker zu New-Economy-Zeiten. Kein Wunder, dass Feelgood-Management schnell zum Medienthema wurde. Als Mitarbeiterbespaßung. Wohlverstanden ist der Feelgood-Manager mehr: Hüter und Entwickler der Unternehmenskultur, Kümmerer um die alltäglichen Sorgen der Mitarbeiter, Vertrauensperson und Schnittstelle zur Führung. Das funktioniert aber nur, wenn die Unternehmensführung nicht nur dahintersteht, sondern Feelgood selbst lebt: das Ziel, glücklich zu arbeiten. Folge 6 unserer Serie über Unternehmen, die Grundlegendes anders machen - dieses Mal nicht als Gespräch mit dem CEO, sondern als externer Blick auf Unternehmen. 

Interview: Winfried Kretschmer  

Neue Berufe finden sich immer wieder. So auch der des Feelgood-Managers. Was er in einem Unternehmen soll, davon berichtet Monika Kraus-Wildegger, Gründerin einer Plattform zum Thema: GOODplace. Sie sagt: Die Aufgabe eines Feelgood-Managers ist es letztendlich, für Glück bei der Arbeit zu sorgen. Glück, verstanden als das Erleben von Sinnhaftigkeit, von Wertschätzung und einem respektvollen Umgang miteinander. Damit wird er zu nichts weniger als zum Hüter und Entwickler der Unternehmenskultur. So kümmert sich der Feelgood-Manager in der Praxis auch um die alltäglichen Sorgen der Mitarbeiter und agiert als Vertrauensperson und Schnittstelle zur Führung. Allein kann er das allerdings nicht leisten. Glück am Arbeitsplatz entsteht nur im täglichen Miteinander. Weswegen zum Beispiel eine zentrale Forderung der Feelgood-Schule ist, alle Mitarbeiter darin zu schulen, wie man respektvoll Feedback gibt. Letztendlich funktioniert die Sache mit dem Feelgood-Management jedoch nur, wenn die Unternehmensführung erstens wirklich dahintersteht und zweitens die Feelgood-Werte selbst lebt. Zu den Unternehmenszielen also tatsächlich auch zählt, glücklich zu arbeiten.


Mehr jeder Chef als keiner Chef


"Wir sind selbst ein Experimentierfeld" - ein Gespräch mit Ideenproduzenten von Dark Horse Innovation  

33 Menschen, 33 Partner: eine Firma, ganz anders organisiert. Das Prinzip: Alle Meinungen zählen gleich. Statt Chefs gibt es Ansprechpartner für Kunden. Intern einen Jour fixe als Plenum plus Harmonieteam, das sich um die gute Stimmung kümmert. Damit alle glücklich arbeiten können. Das ist Gemeinschaft pur und Demokratie radikal - Folge 5 unserer Serie über Unternehmen, die Grundlegendes anders machen. 

Interview: Anja Dilk  

Rund drei Dutzend junge Menschen tun sich in einer Partnerschaft zusammen, um gemeinsam anderen beim Denken zu helfen. Gemeinsam heißt: Alle sind gleich, gemeinsame Basis für die Zusammenarbeit ist Sympathie, jeder ist Spezialist für etwas, aber keiner ist der Chef, höchstens mal Projektleiter, und alle entscheiden gemeinsam. Davon erzählen fünf Mitglieder der "Dark Horse" genannten Firma, stellvertretend für alle: Lisa Zoth, Manuel Ott, Diemut Bartl, Ioana Petrescu und Jasper Hugo Grote. Funktioniert so viel Harmonie? Wenn es ums Geld und andere wichtige Entscheidungen geht, sind Querelen doch vorprogrammiert. Bestreiten wir gar nicht, sagen die fünf. Aber wir sind eine Innovationsagentur, und deshalb probieren wir neue Wege einfach aus. Viel Erfolg haben sie mit einem Entscheidungsmodell, das auf Konsens beruht. Nicht auf faulen Kompromissen. Sondern auf dem Recht jedes Einzelnen, seine Einwände zu äußern. Dann wird gemeinsam nach einer Lösung gesucht, mit der jeder leben kann. Das setzt viel Selbstreflexion und Dialogfähigkeit voraus. Vielleicht zeichnen sich hier schon genau die Fähigkeiten ab, die wir im Arbeitsleben des 21. Jahrhunderts entwickeln werden.


Logik der maximalen Selbstbestimmung


"Unsere Gesellschaft kann es sich nicht mehr leisten, nach den alten tayloristischen Modellen zu arbeiten" - ein Gespräch mit Lars Vollmer  

Was passiert, wenn Mitarbeiter ihr Gehalt und ihren Urlaub selbst festlegen? Highlife - bis zur Firmenpleite? Mitnichten. Die durchschnittliche Gehaltssteigerung entspricht der Inflationsrate, Urlaube werden in sozialer Verantwortung miteinander geplant. Und das Mehr an Selbstbestimmung führt zu einem spürbaren Mehr an Engagement in der Firma. Berichtet Geschäftsführer Lars Vollmer im Interview. Folge 4 unserer Serie über Unternehmen, die Grundlegendes anders machen. 

Interview: Tatjana Krieger  

Die Welt ist komplex. Mit starren Regeln und tayloristischen Denkmodellen ist ihr nicht beizukommen. Das Beratungsunternehmen von Lars Vollmer hat daraus die Konsequenzen gezogen und die Art, Gehalt und Urlaub zu "regeln", radikal geändert. Die Mitarbeiter legen das nämlich selbst fest. Ins Chaos führt das nicht. Weil alles auf eine wohlüberlegte und strukturierte Art passiert. Bevor jemand zum Beispiel beim Chef den Zettel mit dem gewünschten Monatssalär abgibt, muss er mehrere Kollegen konsultieren. Dabei wird über die persönliche Leistung, den wirtschaftlichen Zustand des Unternehmens und die Gepflogenheiten am Markt diskutiert. Ähnlich eng wird der Urlaub mit den Kollegen abgestimmt. Der Vorgang gleicht eher einem Expertenkonzil. Das hat vorteilhafte Effekte. Zum einen rücken die alles entscheidenden Gruppen in den Fokus: Markt, Unternehmen und Mitarbeiter. Zum anderen schärft es das Bewusstsein fürs Unternehmen und seinen Erfolgsfaktor - die gemeinsame Leistung aller. Verabschiedet hat man sich auch von der Vorstellung, dass Boni zu mehr Leistung antreiben. Das Menschenbild dahinter geht davon aus, dass jeder von sich aus motiviert ist, zu arbeiten - und das umso lieber tut, je mehr er das Gefühl hat, eigenverantwortlich handeln zu können.


Führung auf Augenhöhe


"Wir haben Führungskräfte ganz abgeschafft. Um Führung zu verbessern" - ein Gespräch mit Bernd Oestereich  

Experimentierfreudig, mutig, ungewöhnlich: Der Geschäftsführer eines Unternehmens schafft seine eigene Rolle ab. Und alle anderen Führungsfunktionen dazu. Bis auf einen formal notwendigen Rest. Seither treffen alle 32 Mitarbeiter alle Entscheidungen gemeinsam. Folge 3 unserer Serie über Unternehmen, die Grundlegendes anders machen. 

Interview: Anja Dilk  

Sind die Führungskräfte abgeschafft, beginnen die eigentlichen Herausforderungen erst. Berichtet Bernd Oestereich, Gründer der oose Informative Informatik GmbH. Die stand vor der Frage, wie man die Arbeit in einer Firma hinbekommt, wenn es keine klassischen Entscheider mehr gibt. Wer kümmert sich um was? Wie legt man Dinge fest - zum Beispiel die Gehaltsstruktur? Wie verhindert man, dass Kosten aus dem Ruder laufen, weil die Mitarbeiter zum Beispiel über Kundenschulungen selbst entscheiden, und es kein festgelegtes Budget dafür gibt? Die Antwort: Verschiedene "Kreise" bilden - also Gruppen, die sich um bestimmte Themen kümmern, innerhalb derer aber niemand der "Chef" ist. Und fundamental auf das Prinzip der Soziokratie setzen. Nicht Einzelne oder bestimmte Machtgruppen haben das Sagen, sondern: Jeder hat ein Vetorecht. Und jeder muss mit einer Lösung leben können. Das bedeutet auch, dass Lösungen nicht nach dem Prinzip gesucht werden, dass es immer die eine, beste geben muss. Sondern eine, die erst mal besser ist als die vorherige. Das klappt nur, betont Oestereich, wenn das Management - und damit alle Mitarbeiter - Mut zum Experiment und zum Ausprobieren haben.


Gewählt führen


"Wir glauben, dass in Wahrheit Mitarbeiter Unternehmen führen" - ein Gespräch mit Marc Stoffel  

Den Chef wählen? Den CEO gar? Eine AG aus der Schweiz hat es ausprobiert. Hat den CEO gewählt. Dann alle Führungskräfte. Und lässt über alle wichtigen Fragen die Mitarbeiter entscheiden. Das Ergebnis? Mehr Akzeptanz für die Führung. Bessere und schnellere Entscheidungen. Und eine agilere Organisation. Berichtet der CEO des Unternehmens im Interview. Folge 2 unserer Serie über Unternehmen, die Grundlegendes anders machen. 

Interview: Tatjana Krieger  

Kann man Führungskräfte wählen, den CEO gar? Die Schweizer Haufe-umantis AG macht das tatsächlich. Mitte 2013 wurde Marc Stoffel von den Mitarbeitern des Unternehmens zum CEO erkoren. Wie alle Bewerber für eine Führungsposition musste auch er sich der kompletten Belegschaft mit einer Präsentation vorstellen und danach Rede und Antwort stehen zu Fragen über Stärken, Schwächen und Vorhaben. Anschließend wurde geheim abgestimmt. Das System funktioniert auch, weil die Belegschaft schon daran gewohnt ist, in viele strategische Entscheidungen miteinbezogen zu werden. Dahinter steckt die Überzeugung, dass ein Unternehmen in Wirklichkeit von den Mitarbeitern geführt wird, nicht von den Managern. Weil die Mitarbeiter oft viel näher am Geschäft sind. Ja wenn dann einer nicht gewählt wird, ist das bitter. Andererseits beschwert sich niemand über einen Chef, den er selbst gewählt hat. Und nur wer - qua Wahlberechtigung - echte Entscheidungsgewalt erlebt, kann auch Verantwortung übernehmen.


No Managers!


"Ich glaube, dass Menschen nicht gemanagt werden wollen" - ein Gespräch mit Ryan Carson  

Eine junge amerikanische Firma schafft ihre Manager ab. Komplett. Es gibt keine Leitungsfunktionen mehr, keine Titel, keine Stellen. Und die Teams suchen sich neue Mitarbeiter selbst aus. Und? Niemand vermisst etwas. Jeder tut seine Arbeit und alles läuft bestens. Berichtet der CEO des Unternehmens im Interview. Folge 1 unserer Serie über Unternehmen, die Grundlegendes anders machen. 

Interview: Dominik Fehrmann  

Ein Unternehmen ohne Management? Für die meisten unvorstellbar. Selbst Firmen mit einer flachen Hierarchie haben immerhin noch eine, und sie verzichten nicht auf Manager. Doch glaubt man Ryan Carson, Mitbegründer und CEO von Treehouse, einem amerikanischen E-Learning-Anbieter mit rund 60 Beschäftigten, können Mitarbeiter genauso gut klassische Managementaufgaben übernehmen. Sie tun es eben nur fallweise und sind dann - etwa bei Projektarbeit - eher in der Rolle desjenigen Kollegen, der den anderen mit Erfahrung und Unterstützung zur Seite steht. Selbst die Einstellung neuer Mitarbeiter erledigt die Belegschaft selbst. Und was machen die Gründer? Sie geben nur noch strategische Ziele vor, sie führen im besten Sinne, und halten sich ansonsten so ziemlich raus. Damit das Ganze klappt, braucht es allerdings eine intensive Kultur des Austausches und der Kommunikation. Und die Bereitschaft der Angestellten, auf Titel und Stellen zu verzichten. Und stattdessen einfach nur ihre Arbeit so gut wie möglich erledigen zu wollen.


changeX 03.02.2020. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Autor

changeX Redaktion
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Ein Beitrag der changeX-Redaktion.

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