Entscheiden im Team
Gemeinsam im Team zu entscheiden ist nicht immer einfach und gelingt meist nicht auf Anhieb. Es muss geübt werden. Und verlangt neue Werkzeuge: Moderationsmethoden, Abstimmungsverfahren, Entscheidungswerkzeuge. Denn es gilt, alle mitzunehmen. Vor allem braucht es neue partizipative Entscheidungsverfahren, die einen Weg eröffnen zwischen Konsens- und Mehrheitsentscheidung. Unser Interview unternimmt einen Streifzug durch Methoden und Werkzeuge für die Zusammenarbeit im Team. Zugleich eine kleine Einführung in die Innovation des Entscheidens.
Um im Team Entscheidungen zu treffen, braucht es ein gewisses Werkzeugwissen, sagt Kim Nena Duggen: Entscheidungswerkzeuge, Abstimmungsverfahren und Moderationsmethoden. Und die Fähigkeit zum gemeinsamen Entscheiden muss geübt werden. Welche Werkzeuge sinnvoll sind, unterscheidet sich wiederum von Organisation zu Organisation. "Es ist nach meiner Erfahrung sehr unterschiedlich, was eine Organisation beziehungsweise der oder die Einzelne tatsächlich braucht."
Im vorangegangenen Interview war das Thema Werkzeuge nur kurz angerissen. In unserem Gespräch aber hatten wir darüber ausführlich gesprochen. Dabei ging es auch um Methoden und Werkzeuge, die oft nicht weiter erklärt werden, weil sie in vielen Firmen bereits zum Alltag gehören. Dadurch entsteht jedoch eine Spezialterminologie, die häufig nur Achselzucken hervorruft. Deshalb werden im folgenden, vertiefenden Teil des Gesprächs die Werkzeuge Schritt für Schritt erläutert. Ein Glossar fasst am Ende das Wichtigste kurz zusammen.
Kim Nena Duggen war von 2011 bis 2019 Mitarbeiterin der Firma oose Innovative Informatik eG, davon fünf Jahre in der Rolle des Vorstands, und hat dabei den Weg zu einem selbstorganisierten Unternehmen maßgeblich mitgestaltet. Im vergangenen Jahr wechselte sie zur embarc Software Consulting GmbH, wo sie als Beraterin, Coach und Trainerin arbeitet und als CBDO (Chief Business Development Officer) die Organisationsarchitektur verantwortet.
Welche Werkzeuge habt ihr bei oose eingeführt?
Wie viel Zeit hast du? (Lacht) Wenn man nach den erfolgreichsten schaut, sind da die Fachlichen Freitage, Konsent als Entscheidungsprinzip und vor allem die Retros.
Retrospektiven haben wir bei oose von Anfang an verwendet, um regelmäßig zu schauen, was gerade gut funktioniert und was nicht so gut. Die Fachlichen Freitage sind ein weiteres Werkzeug, eigentlich eher ein Meetingformat, das bei oose sehr geholfen hat. Fachlicher Freitag heißt: Jeden zweiten Freitag versuchen alle Mitarbeitenden möglichst im Büro zu sein. Also keinen Urlaub zu nehmen, keinen Freizeitausgleich und, wenn das irgendwie machbar ist, auch nicht beim Kunden zu sein, sondern gemeinsam in der Organisation. Vormittags steht dabei der fachliche Austausch mit den Kreiskollegen im Mittelpunkt, nachmittags dann die Teilnahme am firmenweiten Diskussionsmarktplatz. Das sind zwei Stunden, gestaltet nach dem Lean-Coffee-Format. Physisch miteinander Zeit zu verbringen, gerade wenn man sich fast nie sieht, ist sehr, sehr hilfreich.
Das Dritte war Konsent …
Ja, die Entscheidungswerkzeuge. Bei oose wurde viel nach Konsent entschieden. Konsent bedeutet grundsätzlich: Es wird nicht danach gefragt, welcher Vorschlag die meiste Zustimmung findet, sondern ob es große Bedenken dagegen gibt. Und dann wird so lange an dem Lösungsvorschlag weiter gefeilt (konsentiert), bis keine größeren Bedenken mehr im Raum stehen.
Ich persönlich bin eher Fan von Delegation Leveln und dem Delegation Board von Jurgen Appelo. Heute stelle ich bei der Arbeit mit Organisationseinheiten diese Werkzeuge schon recht früh vor und übe mit den Beteiligten deren Anwendung. Gerade wenn es um Fragen geht wie: Wie viel Freiraum soll die Abteilung oder das Team bekommen? Was will die Führungskraft mitentscheiden? Was kann jeder allein entscheiden? Was muss das Team entscheiden? Für solche Fragen sind Delegation Level und Delegation Board sehr hilfreiche Werkzeuge.
Es gibt noch tausend mehr, aber die Fachlichen Freitage, die Retros und Konsent sind die Kerndinge, denke ich.
Gerade die Auswahl ist spannend: Zu sehen, was im konkreten Fall gut war und sich bewährt hat. Die Frage ist nur, was wir bei den Lesern voraussetzen können. Vielleicht sollten wir die verschiedenen Werkzeuge mal von Grund auf jeweils in ein paar Sätzen erklären.
Okay. Fangen wir mit den Retros an. Retros sind essenziell, um die Dinge nicht einfach laufen zu lassen, sondern zurückzuschauen, zu reflektieren, zu lernen, zu verbessern. Retrospektiven haben wir bei oose von Anfang an verwendet, auch wenn wir nicht klassisch nach Scrum gearbeitet haben. Aber wir haben uns viel aus dem agilen Werkzeugkoffer ausgeliehen. Retros haben wir im Unternehmen insgesamt und in den Kreisen eingesetzt, um regelmäßig zu schauen, was gerade gut funktioniert und was nicht so gut. Und das nicht nur auf technischer oder Prozessebene, sondern auch auf zwischenmenschlicher Ebene. Und nicht, um bloß zu schauen, sondern um konkrete Maßnahmen abzuleiten und umzusetzen.
Für die Fachlichen Freitage haben wir Lean Coffee genutzt, ein strukturiertes Format für unstrukturierte Meetings. Die Idee ist, dass man erst mal die Gruppe fragt: "Was habt ihr für Themen, die besprochen werden sollten?" Dabei kann jeder in der Gruppe Themen einbringen. Also alles, was gerade eine Entscheidung braucht, wo es wichtig ist, die anderen zu informieren, oder vielleicht auch, wo jemand Hilfe braucht oder sich einfach nur mal auskotzen möchte. Was auch immer. Diese Themen werden dann gemeinsam von der Gruppe priorisiert. Das heißt, gesprochen wird zunächst mit Prio eins über das, was die meisten Leute bewegt oder interessiert, und dann geht es der Reihe nach weiter. Was in dem zweistündigen Termin nicht geschafft wird, war wohl für viele in der Gruppe nicht ausreichend relevant und wird dann entweder fallen gelassen oder im kleinen Kreis außerhalb des Termins besprochen.
Bei oose haben wir das noch erweitert, indem man Themen überspringen kann, etwa wenn etwas zeitkritisch ist und noch am selben Tag entschieden werden muss. Oder wenn jemand meint, etwas müsse unbedingt besprochen werden, egal, wie viele Leute das wichtig finden. Grundsätzlich aber ist die Idee: Jeder kann einbringen, was wichtig ist, und wir priorisieren gemeinsam, zum Beispiel mit Dot Voting oder Thumb Voting, und besprechen dann in absteigender Priorisierung die Themen. Und zwar jedes mit Timebox.
Wir haben für jedes Thema eine 8 + 2-Timebox angesetzt. Das heißt, acht Minuten präsentiert derjenige, der das Thema eingebracht hat, seine Informationen oder diskutiert acht Minuten mit der Gruppe; dann gibt es noch mal zwei Minuten Verlängerung für Verständnisfragen und für den Abschluss. Dabei wird immer die Gruppe gefragt: Ist das noch relevant? Wollt ihr noch weiter darüber sprechen? Wenn ja, macht man schnell ein Thumb Voting, und es gibt eine Verlängerung um weitere zwei Minuten. Verlauf und Ausgang sind beim Lean Coffee völlig offen. Es kann sein, dass schon mal zwei Stunden über ein einziges Thema gesprochen wird, weil es dringlich ist. Es kann aber auch sein, dass man 15 Themen hintereinander wegarbeitet. Es kommt sehr stark auf die Gruppenentscheidung an.
Was sind für dich die Vorzüge von Lean Coffee?
Lean Coffee zeigt sehr schön, wie eine Gruppe selbstorganisiert arbeitet, und trainiert das auch sehr gut. Denn es gibt nicht den einen, der die Themen einbringt, und es wird auch nicht einfach das abgearbeitet, was im letzten Jour fixe übrig geblieben ist. Man muss auch lernen, damit zu leben, dass sich für das eigene, megawichtige Thema vielleicht nur wenige Leute melden, und es die anderen gerade gar nicht interessiert. Das hat dann auch nichts damit zu tun, dass sie mich nicht mögen oder das Thema blöd finden, sondern es ist einfach gerade nicht dran. Schließlich ist nach Timebox zu sprechen auch eine sehr gute Übung. Insgesamt finde ich es ein sehr kraftvolles Meetingformat. Um einfach anzufangen, in einer Gruppe gemeinsam zu arbeiten. Und jeden zu hören und jedem die Chance zu geben, sich einzubringen.
Jetzt kam gerade noch die Jour fixe zur Sprache - in welchem Turnus und für welche Themen wurde dieses Format verwendet?
Das hat jeder Kreis für sich selbst definiert. Die meisten Kreise haben sich am Vormittag des Fachlichen Freitags getroffen und sich teamintern abgestimmt.
Würdest du bitte noch etwas ausführlicher auf die Entscheidungswerkzeuge eingehen?
Konsent heißt wie gesagt: Wir fragen nicht danach, für welchen Vorschlag es die meiste Zustimmung gibt oder wie die Zustimmung bei mehreren Alternativen verteilt ist, sondern wir fragen: Gibt es große Bedenken? Wenn ja, was sind diese Bedenken? Und dann versuchen wir, diese Bedenken zu integrieren. Das bedeutet, wir arbeiten so lange an dem Lösungsvorschlag weiter, bis keine großen Bedenken mehr im Raum stehen. Gibt es ein Veto, wird der entsprechende Vorschlag nicht weiterverfolgt.
Als wir bei oose zum ersten Mal gefragt haben, ob die Gehälter offengelegt werden sollen, gab es mehrere Vetos. Gibt es ein Veto, ist der Vorschlag ohnehin vom Tisch, da wird auch nicht viel diskutiert. Aber man kann fragen, wo dieser Widerstand herrührt. Im Falle der Gehaltstransparenz war das Argument: Wir sind noch nicht reif dafür, das auszuhalten. Dann kann man sich mit der Gruppe darüber unterhalten, wie man diese Reife erlangen würde. Was brauchen wir, um da hinzukommen? Oder ist es generell nicht erstrebenswert, Gehälter offenzulegen? Und gegebenenfalls warum? Hätten wir eine Mehrheitsentscheidung gemacht, hätten wir wahrscheinlich offengelegt, aber wir hätten diese Riesenbedenken überhaupt nicht auf dem Tisch gehabt. Deswegen finde ich das ein sehr kraftvolles Konstrukt. Wir kombinieren die Entscheidung nach dem Konsentprinzip immer mit dem "Fist of Five", um eine Abstufung zu erreichen.
Fist of Five heißt?
Fist of Five heißt: Seid ihr voll dafür? Fünf Finger! Bis runter zur Faust: komplettes Veto! Und Veto heißt: Wenn ihr das so umsetzt, würde ich das Unternehmen verlassen, weil ich das überhaupt nicht tragbar finde. Dazwischen liegen sehr viele Abstufungen. Genau, was hatten wir noch?
… Delegation Level …
Delegation Level gehen in eine ähnliche Richtung. Bei Delegation Level gibt es eine Abstufung von Level sieben bis Level eins, aber dabei geht es nicht um den Grad der Zustimmung oder Ablehnung, sondern darum, auf welche Weise die Entscheidung getroffen werden soll. Ich habe das mal mit einer kleinen Firma gemacht, eine Organisation mit zwölf Leuten und drei Geschäftsführern, die eine neue Homepage entwickeln wollten. Damit verbunden war eine strategische Änderung der Ausrichtung der Firma. Deshalb wurde in die Gruppe gefragt, wie die Leute zu diesem Vorhaben stehen. Mittels Delegation Level sollte die Abstufung deutlich gemacht werden.
Level eins heißt: Das könnt ihr komplett ohne mich entscheiden; macht einfach, aber ich will auch nicht viel damit zu tun haben. Das geht dann über mehrere Zwischenstufen - ohne jetzt alle zu nennen: Ich würde zumindest gerne konsultiert werden, aber ich möchte nicht an der Umsetzung beteiligt sein. Das wäre Stufe drei. Vier wäre: Wir sollten das alle gemeinsam entscheiden, die Entscheidung sollten wir nicht Einzelnen überlassen. Fünf wäre: Ich würde das gerne entscheiden, aber ich möchte euch konsultieren, weil mir euer Feedback helfen würde. Und sieben wäre: Ich würde das gerne alleine entscheiden und informiere euch darüber, was ich entschieden habe. Dazwischen liegen noch feinere Abstufungen.
Das Schöne an dem Verfahren ist: Es gibt keine Enthaltungen. Ich kann nicht nicht eine Meinung zu dem Thema haben. So bekommt man schnell ein gutes Stimmungsbild, wie die Leute zu diesem Thema stehen, und kann dann noch mal aushandeln.
Und wie haben sich in dem Beispiel die Mitarbeiter auf die Level verteilt?
Bei der strategischen Entscheidung zu dieser Homepage war es so, dass einer alleine entscheiden wollte, vier hingegen als Gruppe. Dann funktioniert es eben nicht und man muss diskutieren, wie das aufzulösen ist. Zwei der zwölf Leute hatten sich ganz rausgenommen und gesagt: "Das könnt ihr ganz ohne uns machen." Das würde ich aber auch infrage stellen: Ist es okay, wenn bei einer weitreichenden unternehmerischen Entscheidung sich zwei Leute komplett abmelden und sagen: Macht mal einfach. Darüber sollte dann noch einmal gesprochen werden. Im Prinzip schafft die Methode also eine Diskussionsgrundlage, aber sie visualisiert sehr gut, wie die Gruppe zu einem Thema steht.
Delegation Level lässt sich dann verknüpfen mit dem Delegation Board. Mit einem Team oder einer Organisation ein Delegation Board zu entwickeln, bedeutet, sich klarzumachen, wie über bestimmte Themen entschieden werden soll. Dies beginnt damit, dass man auflistet, welche Themen immer wieder entschieden werden müssen - Urlaub, Arbeitszeit und -ort, Infrastrukturfragen, Personalentscheidungen zum Beispiel. Im Delegation Board wird dann festgelegt, wie in Zukunft über diese Fragen entschieden wird. Bei oose zum Beispiel waren Urlaub und die Anzahl Stunden, die man arbeiten will, Delegation Level eins, das heißt: Ich kann das alleine entscheiden. Ich sage vielleicht noch Bescheid, dass ich dann und dann nicht da bin, aber im Prinzip muss ich keinen fragen, ob das in Ordnung ist. Das Gleiche gilt für Infrastruktur: Bis 2.000 Euro konnte bei oose jeder entscheiden. Generell kann in Budgetfragen jeder selber entscheiden, solange die Renditeampel und die Liquiditätsampel grün sind.
Und was kann nicht alleine entschieden werden?
Sobald eine Entscheidung andere Menschen betrifft, wäre es gut, wenn man die anderen Mitarbeitenden konsultiert. Bei oose haben wir für die gesamte Organisation und je Team überlegt und uns darüber ausgetauscht, wie wir in Zukunft Entscheidungen treffen wollen. Ist das mal passiert, ist es sehr viel einfacher für das Team, Handlungsorientierung zu finden. Und es ist viel einfacher zu bestimmen, welchen Entscheidungsspielraum ein Team hat. Das ist in Selbstorganisation nicht ganz einfach. In Organisationen, wo es noch klassische Führung gibt, ist es sehr viel leichter, den Entscheidungsspielraum von Teams zu bestimmen: "Das ist der Freiraum, den ihr als Team habt. In dem Rahmen könnt ihr selber entscheiden."
Zugleich legt das Werkzeug auch verdeckte Spannungen und Probleme im Team offen. Wenn ein Team im Delegation Board alles auf vier setzt, also alle Entscheidungen in der Gruppe getroffen werden müssen, dann kann das auf Defizite hinweisen. Gibt es vielleicht einen Mangel an Vertrauen? Oder haben die Teammitglieder nicht alle Informationen, die sie brauchen? Dann ist eine Intervention sinnvoll. Zum Beispiel man sagt: "Das ist super-ineffizient, wenn ihr in Zukunft so entscheiden wollt. Lasst uns mal darüber sprechen, wo das herkommt."
Wenn du sagst, das Werkzeug lege verdeckte Spannungen im Team offen - heißt das, es gibt eine zusätzliche Ebene jenseits der instrumentellen Anwendung des Werkzeugs? Eine Ebene der Reflexion? Ähnliches ist oben auch zweimal angeklungen: bei der Frage, wo Widerstand herrührt, und bei der Bemerkung, die Methode schaffe nichts weiter als eine Diskussionsgrundlage. Sind Werkzeuge somit mehr als Werkzeuge?
Vor allem sind es keine Werkzeuge im Sinne technischen Werkzeugs. Sondern Formen, miteinander zu arbeiten - in Diskussionen, an Entscheidungen und an Konflikten. Das erfordert, ständig zu reflektieren, was man tut und wozu es führt. Also ständig zu lernen und Dinge anzupassen. Dafür sind Retros, das kann ich gar nicht genug betonen, ein extrem wichtiges Werkzeug, systematisches Feedback ebenso.
Das Interview haben wir via Zoom geführt. Es handelt sich um eine thematische Auskopplung aus einem längeren Gespräch und beschäftigt sich mit einem spezielleren Thema: den Abstimmungs- und Entscheidungswerkzeugen, die bei der Firma oose eingeführt wurden. Ein Beitrag über die Transformation des Unternehmens insgesamt ist bereits erschienen. Der Text orientiert sich am Verlauf des Originalgesprächs; die beiden Eingangsfragen und -antworten wiederholen sich, um den Anschluss herzustellen. Die reflektierende Abschlussfrage hat die Interviewpartnerin schriftlich beantwortet.
Glossar: die Werkzeuge
Eine kurze Erklärung der im Interview erwähnten Instrumente.
Konsent ist die Grundlage der Entscheidungsfindung in der Soziokratie. Konsent bedeutet: Es wird nicht danach gefragt, welcher Vorschlag die meiste Zustimmung findet, sondern ob es schwerwiegende Bedenken gegen den zu entscheidenden Vorschlag gibt. Das eröffnet die Chance zur Verbesserung des Vorschlags. Ziel ist, dass das nicht die Mehrheit entscheidet, sondern das beste verfügbare Argument.
Fachliche Freitage: Meetingformat bei oose. Jeden zweiten Freitag versuchen alle Mitarbeitenden der Firma nach Möglichkeit im Büro zu sein. Vormittags steht der fachliche Austausch in den Kreisen im Mittelpunkt, nachmittags findet ein Diskussionsmarktplatz für die ganze Firma statt. Abgehalten wird dieser im Lean-Coffee-Format.
Lean Coffee ist ein strukturiertes Format für unstrukturierte Meetings, also Treffen ohne vorher festgelegte Agenda, ohne Teilnahmeverpflichtung und ohne vorab definierte Zielsetzung. Dabei kann jede(r) in der Gruppe Themen einbringen. Diese Themen werden dann gemeinsam priorisiert. Die Gruppe legt zudem eine Timebox fest, also wie lange pro Thema maximal diskutiert werden soll. Dann werden die Themen in der festgelegten Reihenfolge abgearbeitet.
Timeboxing ist eine Methode des Zeitmanagements beziehungsweise der Projektorganisation, bei der ein fester Zeitblock (Timebox) für eine Aufgabe reserviert wird. Sie kann für Aufgaben unterschiedlicher Größe oder Dauer sowie zur Beschränkung der Redezeit in Meetings eingesetzt werden. Die Timebox ist eines der grundlegenden Konzepte in Scrum.
Dot Voting ist eine einfache und schnelle Methode zur Entscheidungsfindung und Priorisierung in einer Gruppe mittels Klebepunkten oder selbst aufgemalten Punkten. Jedes Gruppenmitglied kann eine bestimmte Anzahl von Stimmen in Form von Punkten vergeben. Ausgewählt ist die Option, die die meisten Punkte erhält (beziehungsweise bei einer Mehrfachauswahl die Optionen mit den meisten Punkten).
Thumb Voting ist ein Abstimmungsverfahren mittels Daumenzeichen. Daumen nach oben bedeutet dabei: Ich stehe voll und ganz hinter dem Vorschlag. Daumen zur Seite heißt: Der Vorschlag ist nicht meine Präferenz, aber ich bin bereit, ihn mitzutragen. Daumen nach unten schließlich signalisiert ein Veto: Ich trage den Vorschlag nicht mit.
Fist of/to Five ist eine schnelle Methode, um das Meinungsbild einer Gruppe zu einer Lösung oder einem Entscheidungsvorschlag zu erfragen. Die Teilnehmenden stimmen dabei per Handzeichen über die zuvor vorgestellten Optionen ab. Die Handzeichen reichen von der Faust (Veto) bis zu fünf Fingern (volle Zustimmung). Es sind beide Formen in Verwendung: Fist of bzw. to Five
Delegation Level und Delegation Board sind Bestandteil von Delegation Poker. Delegation Poker ist eine von Jurgen Appelo entwickelte Methode, um Transparenz in Entscheidungsprozesse zu bringen und Teams zur selbstorganisierten Arbeit zu ermächtigen. Dabei gibt es sieben Level der Delegation, die den Grad der Einbeziehung des Teams, der Führungskraft oder des Teammitglieds in die Entscheidung beschreiben: (1) Ich entscheide und teile euch die Entscheidung mit. (2) Ich überzeuge euch von meiner Entscheidung. (3) Ich hole euren Rat ein, bevor ich entscheide. (4) Wir finden einen Konsens. (5) Ich berate euch, aber ihr entscheidet selbst. (6) Ich erkundige mich nach eurer Entscheidung. (7) Ich delegiere die Entscheidung komplett an euch. Als Ergebnis gibt das Delegation Board einen Überblick über unterschiedliche Delegation Level in den unterschiedlichen Entscheidungsfragen.
Eine Retrospektive ist ein spezielles Meeting, zu dem das Team zusammenkommt, nachdem es einen Arbeitsschritt abgeschlossen hat, um seine Methoden und die Zusammenarbeit zu prüfen und anzupassen. Retrospektiven fördern das Lernen im gesamten Team, dienen als Beschleuniger für Veränderungen und erzeugen Aktivitäten. Im Gegensatz zu Projektreviews fokussiert die Retrospektive nicht nur auf den Entwicklungsprozess, sondern auch auf das Team und dessen Probleme (nach Esther Derby, Diana Larsen: Agile Retrospektiven).
Zitate
"Retros sind essenziell, um die Dinge nicht einfach laufen zu lassen, sondern zurückzuschauen, zu reflektieren, zu lernen, zu verbessern." Kim Nena Duggen: Entscheiden im Team
"Konsent bedeutet grundsätzlich: Es wird nicht danach gefragt, welcher Vorschlag die meiste Zustimmung findet, sondern ob es große Bedenken dagegen gibt." Kim Nena Duggen: Entscheiden im Team
"Wir haben uns viel aus dem agilen Werkzeugkoffer ausgeliehen." Kim Nena Duggen: Entscheiden im Team
"Nach Timebox zu sprechen, ist eine sehr gute Übung." Kim Nena Duggen: Entscheiden im Team
"Welchen Entscheidungsspielraum ein Team hat, ist in Selbstorganisation nicht ganz einfach zu bestimmen." Kim Nena Duggen: Entscheiden im Team
"Retros, das kann ich gar nicht genug betonen, sind ein extrem wichtiges Werkzeug, systematisches Feedback ebenso." Kim Nena Duggen: Entscheiden im Team
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Literaturempfehlungen von Kim Duggen: Zur weiteren Lektüre empfiehlt unsere Interviewpartnerin die beiden Bücher von oose-Gründer Bernd Oestereich (zusammen mit Claudia Schröder), Management 3.0 von Jurgen Appelo sowie die Website von Liberating Structures (auch als Buch sowie als App erhältlich). Links und Titel siehe weiter unten in dieser Spalte.
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Zu Liberating Structures gibt es eine Website (Deutsch und Englisch), eine App für iOS und Android sowie eine Buchpublikation. Zur deutschen Website von Liberating Structuresliberatingstructures.de
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Die Entscheidungsverfahren Fist to Five und Thumb Voting sind auch auf dem Blog von oose erläutert. In den von 2011 stammenden Blogbeiträgen ist indes von "Konsens" die Rede; die Unterscheidung zwischen Konsens (alle dafür) und Konsent (keiner dagegen) ist dort nicht berücksichtigt. Nach dem heute etablierten Verständnis sind Fist to Five und Thumb Voting Verfahren der Konsententscheidung (Konsent mit "t").Fist to Five
- Thumb Voting / Fist to Five
Zu den Büchern
Bernd Oestereich, Claudia Schröder: Agile Organisationsentwicklung. Handbuch zum Aufbau anpassungsfähiger Organisationen. Verlag Franz Vahlen, München 2019, 264 Seiten, 35 Euro (D), ISBN 978-3-800660766
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Bernd Oestereich, Claudia Schröder: Das kollegial geführte Unternehmen. Ideen und Praktiken für die agile Organisationsform von morgen. Verlag Franz Vahlen, München 2016, 320 Seiten, 34.90 Euro, ISBN 9783800652297
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Jurgen Appelo: Management 3.0. Leading Agile Developers, Developing Agile Leaders. Addison-Wesley Signature Series, Boston, MA 2010, 454 Seiten, 28.89 Euro (D), ISBN 978-0321712479
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Henri Lipmanowicz, Keith McCandless: The Surprising Power of Liberating Structures. Simple Rules to Unleash A Culture of Innovation. Liberating Structures Press, 2013 2013, 366 Seiten, 16.79 Euro (D), ISBN 978-0615975306
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Autor
Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.