Ohne Hierarchie geht’s besser
Ein Unternehmen ohne Chef, das soll funktionieren? Es funktioniert, und sogar besser als das alte, auf Hierarchie, Anweisung und Kontrolle basierende Modell, das noch unsere Unternehmenswirklichkeit bestimmt. Ein Bericht aus der Praxis.
Schon der Buchtitel ist eine Provokation. Erfolg ohne Chef steht da in dicken Lettern, wobei das Wort „Chef“ in einen stilisierten Papierkorb entsorgt wurde. Schräg hängt es da wie eine weggeworfene Pizzaschachtel. Ein Unternehmen ohne Chef, das soll funktionieren? Es funktioniert, und sogar besser als das alte, auf Hierarchie, Anweisung und Kontrolle basierende Modell, das noch unsere Unternehmenswirklichkeit bestimmt. Das ist die These von Gernot Pflüger, der seit 19 Jahren ein Unternehmen leitet, das gänzlich anders organisiert ist: ohne Chef und ohne Hierarchie, mit einer demokratischen Beteiligung der Mitarbeiter an den Entscheidungen, totaler Transparenz aller Vorgänge und einem Einheitsgehalt für alle, egal ob sie in Produktion, Vertrieb oder Administration arbeiten. Doch spätestens hier wird bei vielen das rote Warnlicht „Sozialismusverdacht“ aufleuchten. Und in der Tat ist dies einer von zwei Vorbehalten, an denen sich der Autor am intensivsten abarbeitet. Er kontert ihn mit einem klaren Bekenntnis zu Gewinn, Unternehmertum und Kapitalismus insgesamt. „Wir sind so ‚kapitalistisch‘, wie es überhaupt nur irgend geht“, schreibt er.
Freiheitliche Entfaltung der Arbeitnehmer.
Da wiegt der zweite Vorbehalt schon schwerer: Ein solch paradiesvogelhaftes Unternehmensmodell funktioniere vielleicht in der kreativen Nische, in der Pflügers 30 Mitarbeiter starke Firma CPP agiert, aber eben nicht in der „normalen“ Wirtschaft. Hier herrschten ganz andere Spielregeln, die nach einer anderen Organisation verlangten – eben der „klassischen“ Aufbauorganisation, wie sie sich seit der Erfindung des modernen Managements vor gut 100 Jahren herausgebildet hat. So leicht ist dieses Argument nicht von der Hand zu weisen, gerade wenn man eine Firma hat, in der Mitarbeiter auf Rollern durch die loftartigen Räume flitzen.
Also doch nur ein Hirngespinst aus der ideenreichen digitalen Boheme? In der Tat ist die Übertragbarkeit des Modells – man könnte auch sagen: seine „Wirtschaftsrelevanz“– der Knackpunkt. Pflügers Gegenargumente freilich verwenden eine Sprache, die in Wirtschaftskreisen verstanden wird: Flexibilität, Effizienz und Produktivität. Und die seien in einem flachen, hierarchiefreien Unternehmen mit einem hohen Grad an Autonomie der Mitarbeiter einfach höher als in der klassischen Linienorganisation: „Eine freiheitliche Entfaltung der Arbeitnehmer, die Wahrnehmung in den Unterschieden ihrer Persönlichkeiten, die Mitbestimmung und Mitgestaltung der Menschen eines Unternehmens, Zeitautonomie, eine gerechte und zu rechtfertigende Verteilung erwirtschafteter Gelder, Kassentransparenz, die Teilhaberschaft der Arbeitnehmer an den Kausalitäten des Unternehmens – und das alles bei einem Minimum an Abstimmungsaufwand und Regulierungen – sind nicht nur möglich, sondern setzen eine enorme Produktivität, Flexibilität und Effizienz frei.“
Kein Boheme-Konstrukt für Geringverdiener.
Das sind, kurz zusammengefasst, die Prinzipien, nach denen Pflügers Firma, deren Geschichte er beredt (und mitunter etwas zu detailverliebt) erzählt, organisiert ist. Sein Buch ist ein Praxisbericht, kein theoretisches oder gar ideologisches Pamphlet. Dazu ist Pflüger zu sehr Unternehmer, der zudem in einem hochdynamischen Marktumfeld bestehen muss. Deshalb tut man auch gut daran, sein Buch nicht vorschnell als Boheme-Konstrukt für Geringverdiener abzutun. Denn die Marktbedingungen, die in der Kreativwirtschaft bereits gang und gäbe sind, werden zunehmend auch für andere Wirtschaftsbereiche zur Realität: hohe Dynamik, rapide technologische Veränderungen, harter Wettbewerb. Und diesen Bedingungen sind flexible, schnelle Unternehmen weitaus besser gewachsen als starre Linienorganisationen, wie sie sich in der Ära der Massenproduktion bewährt haben. Nicht zuletzt gelingt es Unternehmen, die ihre Mitarbeiter nicht nur als Funktionsträger wahrzunehmen vermögen, auch wesentlich besser, deren Potenziale für das Unternehmen zu erschließen. Hier greift Pflügers „kategorischer Imperativ“, den er wärmstens zur Nachahmung empfiehlt: „Mache das Unternehmen zu einem Ort, an dem du selbst gerne als Angestellter arbeiten würdest.“
changeX 17.12.2009. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch auf der Verlagsseitehttp://www.ullsteinbuchverlage.de/econ/...
Zum Buch
Gernot Pflüger: Erfolg ohne Chef. Wie Arbeit aussieht, die sich Mitarbeiter wünschen. Econ Verlag, Berlin 2009, 268 Seiten, ISBN 978-3-430-20086-8
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Autor
Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.