Hirn kauft ein
Neuro ist in. Und Neuromarketing wurde schnell zum Trend. Den Verdacht, doch nur den Kaufknopf im Kopf zu suchen, wurde die Branche aber nie ganz los. Dabei geht es zunächst darum, zu verstehen, wie unser Gehirn einkauft. Wissen, das sich so oder so nutzen lässt. Für bessere Werbung. Und für bessere Kaufentscheidungen.
Nur fünf Prozent unserer Gehirntätigkeit laufen bewusst ab. Vom Rest der Beobachtungs- und Entscheidungsprozesse, derer wir uns als denkende Wesen so gern rühmen, kriegen wir nichts mit. Schlechte Nachrichten für Werbe- und Marketingleute, die Kaufentscheidungen beeinflussen wollen. Die appellieren mit ihren Kampagnen dann ja an eine Blackbox namens Gehirn, haben aber keine Ahnung, was diese Box mit den schönen Werbebotschaften am Ende anstellt.
Zumindest galt das bis vor wenigen Jahren. Ganz so unbekannt ist die Arbeitsweise unseres Gehirns mittlerweile nicht mehr. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts macht die Rede vom Neuromarketing die Runde. Basierend auf neuester Beobachtungstechnik können wir heute den grauen Zellen zuschauen, wie sie auf Werbebotschaften reagieren - und unsere Bemühungen, Dinge an Mann und Frau zu bringen, entsprechend verbessern. Das hat Begehrlichkeiten geweckt; den Kaufknopf im Hirn zu finden, schien dann doch zu verlockend. Manipulation lag in der Luft.
Wissen, wie unser Gehirn funktioniert
Dabei geht es doch zunächst mal darum, zu verstehen, wie unser Gehirn Entscheidungen trifft, wie es tickt. Roger Dooley drückt das so aus: "Neuromarketing handelt von dem Wissen darüber, wie unser Gehirn funktioniert (...) und davon, wie wir mit diesem Wissen unser Marketing und unsere Produkte verbessern können." Dabei komme es weniger darauf an, ob man ganz klassisch unwillkürliche Augenbewegungen analysiert, die Gehirnströme misst oder - neueste Wundertechnik - mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) unser Denkorgan beobachtet. Entscheidend ist nur, dass Werber und Marketer besser wissen, was sie tun. "Sobald Sie verstehen, wie das Gehirn Ihrer Kunden arbeitet, können Sie mit weniger Geld mehr erreichen."
Um Wissenschaft und Theorie geht es Dooley dabei nicht. Explizit legt er ein Buch vor, das kurz und knapp zeigt, wie wir uns die Erkenntnisse der "Brain-Science" denn nun bitte zunutze machen können. "Es ist ein Buch der praktischen Ratschläge für Marketingexperten, Manager und Unternehmer, aber nicht für Wissenschaftler und Neuroscience-Freaks."
Und dieses Versprechen löst Brainfluence wahrlich ein. Seite auf Seite folgen übersichtlich und pointiert 100 praktische Anwendungen aus über einem Dutzend Anwendungsbereichen. In der Regel liefert der Autor ein bis zwei praktische Beispiele, erklärt knapp die neurophysiologischen Grundlagen und formuliert dann einen praktischen Tipp.
Hinkende Vergleiche
Zum Beispiel folgenden: Wer etwas verkaufen will, von dem es viele Konkurrenzprodukte oder unterschiedlich teure Varianten gibt, deren Unterschiede sich nur durch eine Detailanalyse erschließen würden, sollte zusätzlich eine etwas unattraktivere Variante des Produktes anbieten. Zum Beispiel Zeitungs-Abos: Ein Online-Abo kostet vielleicht 59 Dollar, ein Kombi-Abo, Print- und Online-, 125 Dollar. Bietet man in einem Versuch nur diese beiden Optionen an, entscheidet sich die Mehrheit (klar, wir sind ja vernünftig!) für das günstigere Online-Abo. Steht aber noch ein reines Print-Abo für 125 Dollar daneben, greift die große Mehrheit zum gleich teuren Kombi-Abo - der Vertrieb freut sich, denn es werden nun viel mehr der teuren Abos verkauft.
Warum das so ist? Neurologisch lässt sich das so erklären: Wir haben es halt nicht so mit detaillierten Vergleichen absoluter Werte. Worin wir richtig gut sind, ist die schnelle, intuitive, relative Wertung eines (vermeintlichen?) Vorteils. Da gibt es etwas, das nur in einem Punkt besser ist, aber genauso teuer? Her damit, auch wenn wir vielleicht niemals vorhaben, die Print-Variante aus dem obigen Beispiel zu lesen.
Zudem: Müssen wir zwischen gleich attraktiven Optionen wählen, steigt die Aktivität in den Regionen des Gehirns, die für Irritation und Ärger zuständig sind. Steht zusätzlich eine weniger attraktive Option zur Auswahl, finden wir die Sache gleich viel einfacher. Und konzentrieren uns flugs und freudig auf das - relativ - tollere Angebot, auch wenn wir es nicht brauchen und es teurer ist.
Wissen für weniger schlechte Werbung
"Brainfluence der Bilder", Brainfluence der Werbetexte", "Brainfluence beim Einkaufen" - so lauten einige der Kapitel des Buches. Viele der Tipps, die sich darin finden, sind auf den ersten Blick nicht neu. Der erste Eindruck zählt - na klar! Babyfotos kurbeln den Verkauf an. Höflich sein gewinnt, Gerüche tragen zur Markenbindung bei, und ja, bestimmte Produkte lassen sich an Männer besser verkaufen, wenn man daneben Bilder von Frauen stellt. Das Neue ist, dass diese (bekannten) und viele andere (nicht so bekannte) Tipps fundiert neurowissenschaftlich begründet werden. Das liefert gute Argumente für die nächste Marketingkampagne. Und führt eben auch zu neuen Erkenntnissen.
Beispiel Männer und Frauenbilder. Ohne sich dem Vorwurf des Sexismus (gegenüber Männern und Frauen) aussetzen zu wollen - Männer verlieren anscheinend beim Anblick attraktiver Frauen tatsächlich einen Teil ihrer (allgemein menschlichen) Fähigkeit, in langfristigen Erfolgskategorien zu denken. Traurig, aber wahr. Aber auch gut zu wissen. Denn wenn man das weiß, braucht niemand mehr zu versuchen, Produkte mit einem langfristigen Nutzen über die Abbildung attraktiver Frauen zu verkaufen - Finanzprodukte etwa oder spritsparende Autos.
Fazit: Ein wunderbarer Fundus wissenschaftlich fundierter Marketingerkenntnisse, aufs Anschaulichste für die Praxis zugerichtet. So überzeugend, wie von Dooley präsentiert, könnte Neuromarketing sich anschicken, jene Sätze obsolet zu machen, die seit vielen Jahrzehnten Henry Ford zugeschrieben werden und sinngemäß lauten: "50 Prozent bei der Werbung sind immer rausgeworfen. Man weiß aber nicht, welche Hälfte das ist." Das können wir mit aller Bewusstheit sagen.
changeX 27.01.2014. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Roger Dooley: Brainfluence. 100 Arten, wie Sie mit Neuromarketing Konsumenten überzeugen können. GABAL Verlag, Offenbach 2013, 304 Seiten, 29.90 Euro, ISBN 978-3-86936-513-8
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Autor
Jost BurgerJost Burger ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Mitarbeiter für changeX.