Pionierarbeit für die Organisation von morgen
Projektarbeit ist in Unternehmen heute nicht nur en vogue. Unternehmen sind mittlerweile "projektifiziert". Praktisch aber hinkt diese Form der Arbeitsorganisation den hohen Erwartungen hinterher. Unser Beitrag zeigt, wie es anders, besser gehen könnte. Die These: Projekte leisten Pionierarbeit für die Organisation der Zukunft.
Projekte bestimmen immer mehr den Alltag in Unternehmen. Die Wirtschaft werde zunehmend "projektifiziert", konstatierte Deutsche Bank Research (Hofmann/Rollwagen/Schneider 2007). Wie sind wir dafür aufgestellt? Leider schlecht. Erfolgreiche Projekte sind in der Minderzahl. Die Erfolgsquote wird mit 15 bis 45 Prozent angegeben, je nach Studie und Strenge der Bewertung (zum Beispiel Gröger 2004, Becker/Huber 2008, Engel/Tamdjidi/Quadejacob 2008). Die Projekte sind zu groß, die Umsetzung bleibt in der technischen Komplexität stecken, wichtige Projekte werden durch Interessenkonflikte, Einflussnahmen und Entscheidungsstaus behindert. Und gerade Projekte mit langer Laufzeit verlieren ihren Sinn und Nutzen, wenn eine notwendige laufende Anpassung von Zielen nicht gelingt. Oder umgekehrt, wo immer wieder anders entschieden wird, wird das Projektteam demotiviert, weil ein Teil der Arbeit umsonst war.
So entsteht ein immenser Aufwand für Schadensbegrenzungen und Projektreparaturen, der so nicht immer absehbar und schon gar nicht eingeplant war. Und das geschieht in Unternehmen, die sich im ständigen Überforderungsstress befinden, dem Wandel in den Märkten sowieso schon hinterherhinken und mit ihrer Organisation, Restrukturierung und Veränderung nicht mehr fertig werden.
Die richtigen Ergebnisse zur richtigen Zeit
Die öffentlich diskutierten Großprojekte - die Elbphilharmonie in Hamburg, das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21, der Großflughafen in Berlin … - sind nur die Spitze des Eisbergs. Überall sind die Projektportfolios voll mit Projekten, die nicht gut funktionieren.
Und die Reaktion? Noch mehr Detailoptimierung, noch mehr Controlling-Daten, noch mehr Regulierung und Reporting, noch raffiniertere Methoden und Templates, noch komplexere IT-Tools. Aber Auditierung und Zertifizierung helfen nicht weiter, sie dienen eher der Absicherung und Verteilung von Verantwortung als dazu, das Projektschiff wieder flottzubekommen. Mutige Führungskultur sieht anders aus.
Längst hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Projekte an "weichen", das heißt psychosozialen Faktoren scheitern. Sie machen die Kommunikation und Transparenz so schwer, die Verantwortung und Verbindlichkeit, den Umgang mit Unsicherheiten und Spannungen. Die Erkenntnis ist also da, aber sie macht das Leben unter Termindruck und Ressourcenknappheit nicht leichter.
Was sagt der Insider: Ja, das wissen doch alle! Und weil wir es alle wissen, kennen wir auch kaum einen Projektleiter, der wegen Zielverfehlung entlassen wird. Wenn es Stress gibt, dann wegen Fehlverhaltens, zum Beispiel wenn Abweichungen vom Plan vertuscht werden. Und so bleibt alles in einem Zeit- und Kostenrahmen, der sich geschmeidig anpasst. Das mag so irgendwie gehen, aber mit dem Verfehlen des ursprünglichen Ziels bleibt auch die Motivation auf der Strecke. Wir sind nicht mehr stolz auf die Erreichung des Ziels, sondern heilfroh, das Notwendigste irgendwie geschafft zu haben. Dann klopfen wir uns auch auf die Schulter und sagen: "Super 60-Prozent-Lösung, das ist Management!!"
Aber warum machen wir uns eigentlich dauernd etwas vor? Warum nehmen wir Demotivation und damit einhergehend Produktivitätsverlust in Kauf? Unsere Experten können ziemlich genau sagen, wie viel Zeit ein Projekt wirklich braucht. Das Problem: Viele Politiker und Geschäftsleitungen wollen es nicht hören, weil es nicht in ihre Konzepte und Budgets passt - auch wenn es sich später genau so einstellt, wie von den Fachleuten eingeschätzt. Die forsche Best-Case-Schätzung passt halt zu der schnellen Taktung, die man von einem Manager erwartet. In überschaubaren Auftragsprojekten ist das übrigens etwas anders, weil es um Kundenbindung durch Zuverlässigkeit geht; da werden die Experten viel ernster genommen. In öffentlichen Großprojekten ist es wiederum anders: Hier müssen keine Kunden mehr gebunden werden, das haben sie durch ihre politische Verstrickung in die Vorhaben schon selbst besorgt.
Der Schaden weitet sich aus, wenn das Linienmanagement Aufgaben zu Projekten macht, die gar keine Projekte sind. Aus den Augen, aus dem Sinn - auch das ist Teil der "Projektifizierung".
Kürzlich wieder erlebt: Der Projektmanager klagt über mangelnde Handlungsmöglichkeiten in seinem Projekt. Das ist kein Wunder: Denn das Projekt ist gar keines. Vielmehr wollte sich das Linienmanagement vor ein paar unliebsamen Aufgaben drücken und sie dem Projektmanager als Bündel übertragen. Sozusagen die innerbetriebliche "Bad Bank", allerdings ohne Entscheidungskompetenzen für den Projektleiter, da die Aufgaben, ihre immanenten Logiken und Vorgehensanforderungen halt Liniencharakter haben und Linienentscheidungen erfordern. Im vorliegenden Fall hat ein Projektcoaching dem Projektleiter geholfen, Mut zu fassen und den Fall auf den Tisch zu bringen. Zur allseitigen Gesichtswahrung wurde der Projektleiter gebeten, die vorliegenden Aufgaben zu strukturieren und den verantwortlichen Linienstellen zur Umsetzung zu übergeben.
Und wie soll es besser werden? Was wir uns wünschen und brauchen: ein wirkungsvolles Projektmanagement, das strategisch und kundenorientiert agiert, aufmerksam und schnell, kommunikativ und beweglich. Es interagiert mit geschäftlichen Entwicklungen und Veränderungen, korrespondiert mit anderen Unternehmensprozessen, ist systemisch eingebunden und aktiv. Sein Maßstab ist nicht die ordnungsgemäße Abarbeitung formaler Projektmanagementrichtlinien, sondern das Engagement zur Lieferung der richtigen Ergebnisse zur richtigen Zeit.
Um dorthin zu kommen, wollen wir in drei Schritten vorgehen:
Dem klassischen Projektmanagement neue Dynamik geben: zeigen, woran es hapert, und wo die größten Hebel für eine deutliche Verbesserung liegen.
Die Muster des klassischen Projektmanagements durchbrechen: mit scheinbar neuen, aber doch ganz natürlichen Prinzipien eine viel effektivere Projektmanagementkultur erreichen.
Die Bedeutung der Projekte neu verstehen: als Vorreiter, Botschafter und Vorbild der neuen Organisation, die beweglich, direkt und interaktiv sein soll (Haselbach/Kühn 2013).
Schritt eins: Besser werden in Durchblick, Entscheidung und Konsequenz
Fangen wir "klein" an, bei dem "klassischen" Projektmanagement, das als besondere Methodik, als spezielles Toolset und bereichsübergreifende Sonderorganisation verstanden wird. Es wurde geschaffen, um Aufgaben zu lösen, für die das Linienmanagement nicht primär aufgestellt ist. Also ist theoretisch alles da und als Best Practices in internationalen Quasi-Standards in Form gegossen. Bekannt sind IPM (2011), IPMA (2010) und PRINCE2 (2011).
So weit, so gut. Oder auch nicht, denn das Projektmanagement hat sich trotz all des aufbereiteten Wissens kaum verbessert. Unter welchen praktischen Problemen die Projektarbeit leidet, hat der Thinktank Project Management (1) auf den Punkt gebracht: Durchblick, Entscheidung und Konsequenz (Gregor/Kühn/Wagenhals 2013). Dass das so ist, ist nicht neu. Es funktioniert trotz aller Einsicht trotzdem meistens nicht. Und darum geht es. Nicht etwas Neues wird gebraucht, auch kein hektischer Aktionismus oder heroisches Krisenmanagement. Oder fixe Innovateure und Troubleshooter, die sich profilieren wollen. Sondern mehr professionelle Anstrengung und anderes Denken, um Projekte unter den äußeren Einflüssen zum Ziel zu führen.
Was ist also mit den identifizierten Handlungsansätzen Durchblick, Entscheidung und Konsequenz gemeint?
Durchblick, um den Wert von Projekten und deren Risiken besser zu verstehen. Das geht kognitiv nur noch bedingt; bei zunehmender Komplexität müssen wir immer mehr Intuition mit ins Boot nehmen. Hier hilft - neben der Aufbereitung verfügbarer, aber niemals vollständiger Daten - auch die systematische Einbindung von qualitativen Einschätzungen und Erfahrungen: Wann ist das Projekt aus unserer Sicht erfolgreich? Welchen Einflüssen ist das Projekt ausgesetzt? Worauf kommt es an, damit das Projekt gelingt? Entsprechende Kommunikationskreise mit projekt- und unternehmenserfahrenen Kollegen liefern nicht nur am Anfang eines Projektes wertvolle Information, sie erlauben auch einen effektiven Zuschnitt des Projekts und erhöhen dessen Akzeptanz.
Entscheidungen, die schneller getaktet und gefällt werden müssen: Projekte priorisieren, verschlanken, aufteilen, verschieben oder stoppen. Das hört sich manchmal groß an, aber mitunter geht es "nur" darum, den Mut zu haben und den Vorschlag im Managementkreis zu machen. Es geht nicht ums Scheitern, sondern darum, eine wichtige Entscheidung zu treffen. Und dafür ist Management da.
Oft sind es aber auch die kleineren Entscheidungen, die binnen Tagesfrist getroffen werden müssen, damit das Projektteam zügig vorankommt. Dazu gehören dann allerdings zwei: die Person, die die Entscheidung braucht, und diejenige, die sie fällt. Projektleiter, die eine grundsätzliche Strategieentscheidung verlangen, weil "vorher alles keinen Sinn macht", werden in der Regel enttäuscht werden: Das Management lässt sich halt ungern nötigen, und die Organisation ist auch überfordert, wenn sie aufgrund einer einzelnen Projektanfrage eine unternehmerische Entscheidung schnell treffen soll. Erfolgreicher wird ein Projektteam sein, das zwei zusätzliche Wochen beantragt, um verschiedene Projektoptionen mit unterschiedlichen perspektivischen Konsequenzen zu skizzieren, und für eine Richtungsentscheidung vorlegt.
Achten Sie als Projektmanager also darauf, dass Sie nicht nur die Arbeit des Projektteams in handhabbare Happen zerlegen, sondern auch die Entscheidungen. Klären Sie das mit den Projektentscheidern, allen voran mit dem Auftraggeber und dem Steering Committee.
Konsequenz bei der Kommunikation und Umsetzung von Entscheidungen, sonst war alles vergebene Mühe. Ein Großteil von Entscheidungen wird heute gar nicht mehr umgesetzt. Einmal entschieden, hat der Entscheider seine Schuldigkeit getan. Jetzt sind die anderen dran. Mit denen hat aber keiner gesprochen.
Hier geht es darum, Umsetzungsprozesse gedanklich kurz zu durchlaufen, den "Film vor dem geistigen Auge" abzuspielen. Was wollen wir wie tun, wer soll es tun, und was genau passiert wann und in Zusammenarbeit mit wem? Konsequenz betrifft also nicht nur den Vollzug von Entscheidungen, sondern heißt von Anfang an, Prozesse bis zu Ende zu denken. Üben Sie das mit Ihren Projektverantwortlichen. Es verhilft ganz wesentlich zu einer managementzentrierteren und realistischeren Einschätzung des Projektverlaufs.
Schritt zwei: Eingespielte Muster überwinden
Das heute praktizierte Projektmanagement steht auf scheinbar soliden Säulen:
- Standards, Forschungsergebnisse und Veröffentlichungen zum Projektmanagement bergen viel Wissen - aber auch die Gefahr, dass man sich zu sehr darauf verlässt.
- Zertifizierungen und Awards im Projektmanagement sind ein gesuchtes Label für Personen und Unternehmen sowie für die Institute ein gutes Geschäft - aber je nach Voraussetzungen und Verfahren unterschiedlich aussagefähig.
- Forschungsergebnisse versorgen uns mit Erfolgsfaktoren der Projektarbeit - die aber ohne Kontextwissen leicht falsch verstanden werden können. Immer an oberer Stelle rangiert zum Beispiel die "Auftragsklarheit". Aber was steckt dahinter? Eine anfängliche Formulierung, auf die man sich verlassen kann, oder ein regelmäßiger Prozess der Vergewisserung und gegebenenfalls Anpassung zwischen Projekt und Auftraggeber?
- Die sogenannten "Vorgehensmodelle" sollen als Checkliste, Leitlinie oder Standard gelten - sie dürfen aber nicht als Allzweckwaffe verstanden werden. Sonst beugen wir den Inhalt der Form: "Dem Hammer ist alles ein Nagel."
Kritische Auseinandersetzung mit dem Gewohnten ist daher angesagt. So haben Stefan Kühl und seine Mitautoren schon im Jahr 2005 viel beachtete Regeln für komplexe Projekte aufgestellt, die den üblichen, eingespielten Rahmen sprengten. Solche komplexen Projekte sind kaum mehr seriös planbar. Auf der anderen Seite stellen agile, iterative und experimentelle Vorgehensweisen den Wunsch von Führungskräften und Mitarbeitern nach Stabilität und Struktur auf eine harte Probe. Aber es funktioniert nicht, ohne unklare Aufträge und Zielkorridore zu akzeptieren, Versuch und Irrtum zuzulassen, mit dem Auftraggeber im direkten Kontakt zu agieren und weitere Projektinstanzen nicht stabil, sondern bedarfsweise einzurichten, sowie nicht zuletzt auch Machtspiele im Projekt auszuleben und nicht auszusperren.
Diese Erfahrungen, die sich in zahlreichen Projekten bestätigten, werden hier noch einmal aktualisiert.
1. Überwinden Sie das übliche Prozedere des Projektmanagements
Als Promotor oder Verantwortlicher für ein effektives Projektmanagement akzeptieren Sie kein "Das macht man so!". Seien Sie alarmiert, wenn unerfahrene Projektleiter die Führung des Projekts an "praxiserprobte" Methoden und Modelle quasi delegieren. Hinterfragen Sie Sinn und Zweck von Methoden und Tools. Klären Sie mit gesundem Menschenverstand und mithilfe erfahrener und unbefangener Kollegen, welche methodische Unterstützung, welche Standards und Tools die Projekte und das Projektmanagement wirklich wofür brauchen. Entschlacken Sie. Denken Sie neu: Was hilft, was behindert?
2. Lassen Sie keine Projekte um des lieben Friedens willen zu
Setzen Sie im Führungskreis endlich Prioritäten, die Erfolge und Entlastungen für alle Beteiligten ermöglichen. Nicht alles muss sofort gemacht werden. Manches wird auch besser und klarer, wenn man es später beginnt. Dann weiß man mehr und behindert nicht andere, die es eiliger haben. Es geht nicht um einen Wettbewerb zwischen den Führungskräften, wer der innovationsstärkste und veränderungsfreudigste ist, sondern um umsetzbare Maßnahmen zur richtigen Zeit. Sorgen Sie für einen entspannten Dialog.
3. Fördern Sie das Engagement für das richtige Ergebnis
Was anfangs richtig schien, kann sich im Projektverlauf ändern, weil sich Geschäfts- und Kundenwelten, Anforderungen, Randbedingungen und Erkenntnisse kontinuierlich wandeln und erneuern. Das Ergebnis des Projekts muss zu dem Zeitpunkt richtig sein, zu dem es realisiert wird. Vermitteln Sie den Sinn des Projekts und von Veränderungen, geben Sie Richtungen an und sichern Sie den Weg durch verlässliche Kommunikation. Bauen Sie auf einen interaktiven Projektprozess, der die Balance zwischen Beweglichkeit und Sicherheit gewährleistet.
4. Beziehen Sie die Fachleute und Entscheider ein, die Sie brauchen
Wirkliche Interaktion und Integration sind gefragt, kein künstlicher Overhead, keine Stellvertreter, keine Abstimmschleifen mit Dritten, die das Ergebnis verwässern. Mitunter beschäftigen sich Projektorganisationen viel mit sich selbst, bauen einen eigenen "Silo" auf, sichern sich aufwendig an ihren Schnittstellen ab. Das sind Schönwetterkonstruktionen, die im "Ernstfall" sowieso nicht halten. Interagieren Sie lieber mit den Kompetenzen, Funktionen und Kräften, die es im Unternehmen gibt. Holen Sie sie ab, nehmen Sie sie mit, vertrauen Sie ihnen, nehmen Sie sie beim Wort.
5. Lassen Sie die Verantwortlichen ihre Verantwortung wahrnehmen
Befreien Sie die Projektmanager von einer Verantwortung, die sie gar nicht zu tragen haben. Wer sind die tatsächlichen "Owner" von Produkten, Prozessen, Systemen, Daten, Meetings? Warum also sollte ein Projektmanager ein Treffen mit dem Steering Committee moderieren - und nicht dessen Sprecher? Warum sollte ein Projektmanager die erzielten Verbesserungen im Produktionsbereich präsentieren - und nicht der Produktionsleiter, dem das Problem und die Ergebnisse letztendlich gehören?
Kennen Sie die Situation? Der Projektmanager präsentiert vor einem Gremium die Projektergebnisse. Provozierende Frage eines verantwortlichen Managers: "Woher haben Sie denn diese Daten?" Der Projektleiter: "Vom Controlling." Der Manager: "Aber die sind doch gar nicht aktuell." Anschließendes Feedback des Auftraggebers an den Projektleiter: "Da waren Sie aber nicht gut vorbereitet. Moderationstechnisch haben Sie auch nicht besonders geschickt agiert." Treffer, versenkt.
Wie viel Aufwand würde es bedeuten, solche Situationen abzusichern? Und um wie viel effektiver wäre es, diejenigen präsentieren zu lassen, um deren Themen es geht und die für die Themen verantwortlich sind?
6. Holen Sie die Konflikte ins Projekt
Kein Projekt ohne Meinungsverschiedenheiten im Team oder Projektumfeld. Bearbeiten Sie die Konflikte im Projekt; sie sollen bis zum Projektabschluss gelöst sein und nicht danach erst ans Tageslicht kommen. Wer kennt nicht die kritischen Rückmeldungen und mangelnde Akzeptanz von IT-Usern, Arbeitsvorbereitern und Betriebsverantwortlichen, die gerne frühzeitig einbezogen worden wären, damit umsetzbare und praktikable Lösungen entstehen? Projekte sind keine abgeschirmten Werkstätten. Das erfordert eine Führungskompetenz, die auch über die Leitung des Projektteams hinausgeht, die den ganzen vom Projekt betroffenen Teil der Organisation umfasst.
7. Schließen Sie den zentralen Datenfriedhof
Das einst so leichtfüßig gedachte Projektmanagement erstickt zunehmend in Kennzahlen, Templates, Reporting. Überprüfen Sie, ob die Projekt- und Projektportfolio-Verantwortlichen sich ihr Urteil auf der Grundlage von nackten Daten oder von wirklichem Wissen bilden. Sorgen Sie für einen lebendigen Informationsmarkt und kollegiales Lernen. Richten Sie möglichst interaktive Prozesse ein, die das Engagement aller Beteiligten unterstützen, ihre Projekte effektiv, zügig und ressourcenschonend zu planen und umzusetzen.
8. Bestehen Sie auf Erfolg
Brechen Sie Projekte rechtzeitig ab. Das ist besser als fortgesetzte Enttäuschungen, ständige Reparaturaufwände und unnötige Sanktionen. Voraussetzung sind der Dialog mit allen Projektverantwortlichen und die regelmäßige Verständigung über das, was geht oder nicht geht, was sinnvoll ist und was nicht. Es gibt nur noch erfolgreiche Projektabschlüsse: entweder weil die Projekte den erwarteten Nutzen realisieren oder weil der Schlussstrich an der richtigen Stelle gezogen wurde.
"Ein Projektscheitern kennen wir eigentlich nicht. Unsere Entscheidungen können heißen: Es ist gut, hier zu stoppen, weil es sich nicht rechnet. Es ist gut, einen anderen Weg einzuschlagen, weil wir jetzt mehr Erfahrung haben. Das ist kein Scheitern, das sind rechtzeitige Entscheidungen" (Gregor/Kühn/Wagenhals 2013).
Schritt drei: Integration mit der zukunftsfähigen Organisation
Neuere Projektkonzepte zeigen uns: Was wirksam und leichtgängig im Projekt ist, kann schwierig im Unternehmen sein. In der IT ist das Vorgehensmodell "Scrum" seit den 1990ern bekannt (zum Beispiel Schwaber 2007, Gloger 2011). Scrum nimmt die Realität ernst: Der Entwicklungsprozess ist nicht vorherzusehen, es kommt deshalb auf kontinuierliche Transparenz, Überprüfung und Anpassung an. Das braucht hochfrequente und disziplinierte Kommunikation. Dafür dienen klar definierte und klärende Meetings zwischen Product Owner und im Development Team. So stimmt sich das Entwicklungsteam in täglichen Stand-ups für die effiziente Arbeit ab. Auslieferbare Lösungen werden in Abständen von ein bis vier Wochen vorgestellt. Und da die Zeit knapp ist, wird unmittelbare Business-Funktionalität geliefert; PowerPoint-Präsentationen sind verboten. Damit das alles verlässlich funktioniert, muss jeder Beteiligte seine echte Rolle und bei ihm liegende Verantwortung wahrnehmen. Das heißt: Der Kunde oder Product Owner übernimmt die Verantwortung für das Ranking der von ihm gewünschten Funktionalitäten, und das Team entscheidet selbst, was es davon in einem vorbestimmten Zeitfenster schaffen kann, und übernimmt die Verantwortung für seine Lieferzusagen und seine Selbstorganisation.
Unsere Befragung in Firmen in verschiedenen europäischen Ländern brachte zwiespältige Rückmeldungen: Scrum funktioniert und macht Spaß. Die Prinzipien "stimmen". Allerdings: Teamarbeit und Gruppendynamik müssen funktionieren. Neue Mitarbeiter in Scrum-Projekten beherrschen oft die erforderliche methodische und zeitliche Disziplin nicht, haben sie in ihrer Linientätigkeit und in anderen Projekten verlernt. Sie kennen zudem oft aus ihrer bisherigen Praxis eher längerfristige Roadmaps als tägliche und wöchentliche Arbeits- und Lieferzyklen. Was dazu kommt: Die Organisationsumgebung stört mit Regeln und Gewohnheiten: Top-down-Entscheidungsvorbehalten, Silo-Denke, Position vor Expertise, Informationszurückhaltung, Überlastung. Aber die Scrum-Anhänger sind überzeugt: "Die neue Arbeitsweise wird kommen - in einer stillen Revolution."
Projekte sind Pioniere der Organisation der Zukunft
Wir haben bisher überlegt, wie wir Projekte und Projekterfolg sinnvoll planen, organisieren und managen. Damit sie die richtigen Ergebnisse zur richtigen Zeit liefern. Wie sie sich dafür durch das schwierige Projektsystem mit all seinen Stakeholdern, Ownern und Entscheidern, Kunden und Zulieferern "hindurchkämpfen" müssen. Wie sich eine neue Projektmanagementkultur, wie in zum Beispiel Scrum verankert, an den Gewohnheiten der Linienstruktur reibt. Nicht umsonst sind Buchtitel erfolgreich, die Tipps für das Überleben im Projekt geben (Tumuscheit 2001).
Wechseln wir jetzt aus der Sicht der Projekte, die als Sonderorganisation definiert worden sind und folglich von ihrem Umfeld auch als solche behandelt werden, in eine unternehmerische Sicht.
Da sind sie also, die Projekte: Pioniere, Motoren und Botschafter einer zukunftsfähigen Organisation, die loslassen soll von bisherigen Stabilitäten und Strukturgläubigkeit, die Mut und Experimentierfreude, aber auch Prozesskompetenz und systemische Achtsamkeit braucht.
Das Versicherungsunternehmen hat das Projektmanagement komplett neu eingeführt, um einen spürbaren Sprung in Dynamik und Veränderungsfähigkeit zu erreichen. Zahlreiche Führungskräfte und Projektmanager haben mit ihren Erfahrungen, Ideen und Vorstellungen aktiv mitgewirkt. Der Wandel wurde unbeabsichtigt schon auf halbem Wege erlebbar: Der CEO wollte ein Thema mit seinen Führungskräften gemeinsam erarbeiten, aber der verfügbare Sitzungsraum war zu klein. Also unterteilte er die Gruppe in zwei Sessions, wobei die zweite Session im Wesentlichen aus Beteiligten der Projektmanagemententwicklung bestand. Der Unterschied war frappierend: In der ersten Session viel Unsicherheit und Taktik. Wer traut sich, den Marker in die Hand zu nehmen und sich ans Flipchart zu stellen: "Vielleicht lieber Sie?" Und was jetzt? Priorisieren? Weiter konkretisieren? In der zweiten Session eine zügige und praktisch lautlose Klärung, dann ein substanzielles Mindmap am Flipchart. Darin schnell farblich umrissen die wesentlichen Ergebnisse. Voilà. Das Projektmanagement als Pionier für das Unternehmen der Zukunft: Hier üben engagierte Führungskräfte und Mitarbeiter, wie ungewohnte und komplexe Aufgaben erfolgreich angegangen werden. Die strategischen und geschäftlichen Herausforderungen sowie die Randbedingungen des Projekts (insbesondere die knappen Ressourcen) bestimmen, wie Organisation, Arbeitsweise und Miteinander sinnvoll, zweckmäßig und gemeinsam gestaltet werden, von Fall zu Fall. Daraus entstehen wirkliches Engagement, Effizienz und Erfolgserlebnis. Ergreifen Sie als Unternehmenslenker und Entscheider die Chance und profitieren mit der ganzen Organisation von der neuen Arbeitskultur, die hier keimt.
Organisation ist Veränderung, Veränderung ist Organisation
Für die zukunftsfähige Organisation wurden bereits drei Handlungsrichtungen skizziert (Haselbach/Kühn 2013). Es ging darum, erstens das Miteinander im Unternehmen und mit der Unternehmenswelt interaktiv zu gestalten, statt sich weiter in Strukturen und Hierarchien zu verschanzen; zweitens direkter und unmittelbarer zu kommunizieren und zu kooperieren, statt Kraft in Macht und Sprachspielen zu vergeuden - und drittens Anpassungsfähigkeit, Beweglichkeit, Veränderungsfreude in der Organisation zu entwickeln. Mit Menschen, die einen neuen Halt in einem starken Kern und einer verlässlichen Führungskultur finden.
Wir gehen mit den Projekten weiter. Projekte sind für die zukunftsfähigen Organisationen: Schlüssel, Botschafter, Testfelder, Brutstätten, Bewährungsproben, Erkundungstruppen.
Warum? In guten Projekten werden disziplinarfreie Führungskultur und punktgenaue Leistung geübt, werden bereichsübergreifende Kooperation und gemeinsamer Erfolg erlebt. In Projekten können wir neue Prinzipien vereinbaren und ausprobieren, ohne bestehende Strukturen gleich mit infrage zu stellen. Denn Projekte sind zeitlich begrenzt, und ihre Planung und Organisation sind darauf ausgerichtet, spezielle Aufgaben zu lösen, für die die Linienorganisation nicht geschaffen ist.
Wer aus der inspirierenden Mitarbeit in einem Projekt in eine vergleichsweise starre Abteilung der Linienstruktur zurückkehrt, verlässt schnell das Unternehmen, wenn er sich das Theater dort nicht mehr antun will, und wenn er für sich eine Alternative auf dem Arbeitsmarkt sieht. Als Talent oder Leistungsträger muss sie oder er sich keine Sorgen machen. (Wenn Sie als Unternehmenslenker und Führungskraft jetzt beunruhigt sind - gut so.)
Denken wir neu, weg von der scheinbaren Stabilität von Organisationen und den damit verbundenen, oft traumatischen Veränderungserlebnissen. Zukunftsfähige Organisationen sind ständig auf der Reise und in Expeditionen unterwegs. Die Veränderung ist allgegenwärtig, sie ist ein selbstverständlicher Teil der Organisation der Zukunft. Und jedes Projekt bedeutet schon Veränderung. Sonst wird es unglaubwürdig - das Projekt ebenso wie die Organisation und die Zukunft.
Es gibt keine nur technischen Projekte. Wo ein Projekt nur technisch umschrieben wird, ist das schon zu kurz gesprungen. Immer sind auch Menschen mit ihren individuellen und kulturellen Hintergründen und Erfahrungen, ihren Fähigkeiten und Interessen berührt. Das gilt nicht nur für aufwendige Fusionen, die größtenteils genau an dieser Stelle scheitern. Auch die Implementierung eines neuen SAP-Moduls im Unternehmen kann sich überraschend lange hinziehen, wenn die Menschen nicht überzeugt mitgehen.
Projekte sind mehr als nur Vollzugsorgan für besondere Aufgaben. Sie erzeugen immer auch eine weiter gehende Wirkung auf Organisation und Menschen. Das können wir verleugnen, oder wir können damit verantwortungsvoll umgehen. Das ist wie bei Konflikten: Wegschauen oder daran wachsen. Kopf in den Sand oder etwas draus machen, also managen.
Deshalb unterstützen wir in unserer Beratung nicht nur Projekte, sondern nehmen immer auch Einfluss auf die ganze Organisation, auf ihre Kultur und Struktur. Ob wir wollen oder nicht. Das wissen wir aus der Systemtheorie, und damit müssen wir verantwortungsvoll umgehen. Umgekehrt sehen wir in Projekten wie durch ein Vergrößerungsglas, was in den Organisationen passiert, auch als Reaktion auf die Vorstöße dieser Projekte und auch infolge des genaueren Hinsehens. Was geht in der Organisation? Was kommt wie an? Was wird gut aufgenommen, wo gibt es Widerstand? Organisation macht Projekte, und Projekte machen Organisation.
Wenn wir Projekte als die Pioniere der zukünftigen Organisation verstehen wollen, müssen die Prinzipien für Projektarbeit und die Organisation insgesamt kompatibel sein, oder zugespitzter: Sie müssen eins sein. Mit solchen "Prinzipien" sprechen wir hier grundsätzliche Regeln an, die konkreter sind als "Werte" und die das Gestalten und Verhalten in Organisationen leiten sollen (Kühn/Bodingbauer/Dolleschall 2011).
Einige solcher Prinzipien konnten wir in Organisationen beobachten, die mit ihren Projekten die Bewegung schaffen, die sie für sich brauchen (vergleiche Haselbach/Kühn 2013):
Sinn und Zweck vor präzisem Ziel - damit die Mitarbeiter und das Projektteam immer das Richtige tun. Das ist wichtiger und größer als formale Zielerfüllung.
Fragen Sie Ihren Project Sponsor nicht mit methodischer Unerbittlichkeit: "Was ist die konkrete Zielsetzung?" Sondern besser: "Wann wäre das Projekt aus Ihrer Sicht ein Erfolg?" - Antwort: "Wenn wir mit dem neuen Produkt rechtzeitig in großen Stückzahlen auf den Markt kommen und unseren Marktanteil vor unseren Mitbewerbern sichern können. Das ist für uns lebenswichtig, weil das Patent für das alte Produkt zum Ende des Jahres ausläuft." Fein. Ziehen Sie dafür als Projektleiter und Projektteam alle Register Ihrer Motivation und Kompetenz.
Beginnen vor Absichern - damit die Bewegung beginnt, wir neue Möglichkeiten für Erfahrungen schaffen, wir die Zukunft mitgestalten. Statt auf Absichern setzen Sie auf Achtsamkeit und Aufmerksamkeit, damit die gemeinsame Expedition gelingt.
Besprechen Sie mit erfahrenen und aufgeschlossenen Stakeholdern und im Projektteam: "Wo können wir schnell Schritte tun, Resultate schaffen, Erfahrungen sammeln? Wo wollen wir Neues ausprobieren, wie können wir das Terrain ausloten? Worauf wollen wir achten, damit wir den gesamten Weg gut schaffen? Wie bemerken wir schwache Signale? Wie wollen wir reflektieren und auswerten?" Schaffen Sie experimentelle Räume und Settings, in denen das Vertrauen für das Miteinander wächst, Ideen geäußert werden, vor- und quergedacht wird, Motivation, Bewegung und Mut entstehen und konkretes Handeln ausgelöst wird.
Kommunizieren vor Konzipieren - damit wir von Anfang an gemeinsam mit den Beteiligten für die Akzeptanz und Qualität des Ergebnisses arbeiten. Auch wenn wir es noch nicht kennen und wenn es vielleicht auch nicht unsere Lieblingslösung sein wird.
Fragen Sie Personen, die für das Gelingen wichtig sind: "Welche Ideen und Erfahrungen liegen zu dem Thema schon vor? Was sind Ihre persönlichen Erwartungen, Vorstellungen und Empfehlungen für das Vorgehen und Ergebnis des Projekts? Was muss aus Ihrer Sicht passieren, um das Thema erfolgreich zu entwickeln? Anders herum: Was müssten wir tun, um das Projekt scheitern zu lassen? Wie würden Sie Ihre Fragen und Vorstellungen gerne weiterhin einbringen? Was benötigen Sie für sich selbst? Mit wem sollten wir sonst noch sprechen?" Seien Sie zuversichtlich: Im Respekt für den anderen, für seine Erfahrungen, Ideen und Vorstellungen entsteht schrittweise ein tragfähiges und akzeptiertes Konzept. Ihre Leistung: der Dialogprozess und das Zusammenfügen der Eindrücke und Ergebnisse aus den Gesprächen. Dafür wird man Sie und das Projekt wertschätzen.
Verstehen vor Deuten - treten Sie einen Schritt zurück, um zuzuhören, nachzuspüren, zu verstehen: Motivationen und Ideen, Erfahrungen und Kompetenzen. Es ist so viel da! Wir müssen uns nur darauf einlassen, um es in der Organisation und unseren Projekten zu nutzen.
Wir lassen uns in unserer knappen Zeit leicht verführen, vorschnell zu deuten und Schlussfolgerungen zu ziehen: "Der Mitarbeiter ist total schwierig. … Na ja, er liefert halt nicht die passenden Konzepte. … Doch, doch, eine hohe Motivation hat er schon, ist ja sein Thema, kompetent ist er auch. … Ob der Auftrag auch wirklich klar war? … Warum er nicht nachgefragt hat? Vermutlich, weil ich so ungeduldig war. … Ist das vielleicht auch ein Problem für die anderen im Projekt? … Okay, das werde ich im Projektteam ansprechen. … und überhaupt die Wahrnehmungen der Kollegen zum Projekt einholen." Spüren Sie, wie die Leistung und Motivation im Projekt hier wachsen kann? Und achten Sie im Projektteam darauf: Was sind Fakten, was sind Deutungen? Hart formuliert: Interpretationen sind verboten! Gehen Sie den Dingen auf den Grund, um wirklich zu verstehen.
Zeit vor Inhalt - damit wir endlich lernen, mit unseren knappen Ressourcen angemessen umzugehen. Inhalt können wir unendlich viel erzeugen. Aber wie viel Zeit haben wir? Für vier zweitägige Workshops reicht es? Dann sollten wir diese Workshops so gestalten, dass wir die richtigen Ergebnisse zu den passenden Terminen erreichen.
Üblicherweise analysieren wir die Projektaufgaben und schätzen auf dieser Basis Aufwand und Dauer. Das führt häufig zum Konflikt, weil unsere Schätzungen selten den Erwartungen des Auftraggebers entsprechen: "So viel Zeit haben wir nicht." Versuchen Sie als Projektleiter, das bewusst nicht als Zweifel an Ihrer Schätzung zu verstehen, sondern wortwörtlich: So lange darf das Projekt nicht dauern! Sie können jetzt versuchen, mehr Mitarbeiter einzubinden, um die Arbeit in kürzerer Zeit zu schaffen, aber die Ressourcen sind halt begrenzt, und mehr Mitarbeiter verlangen außerdem zusätzlichen Führungsaufwand.
Die Alternative: Klären Sie im Projektteam die verfügbaren Kapazitäten und Zeitfenster (die sind nämlich Realität) und füllen Sie diese mit Aufgaben. Halten Sie sich dabei an die Prioritäten, die der Auftraggeber setzt. Schätzen Sie gemeinsam mit dem Projektteam ein, was machbar ist, einschließlich aller erforderlichen Abstimm- und Kommunikationsaufwände. Die qualifizierte Rückmeldung an den Auftraggeber heißt dann: "Wir haben folgende Kapazitäten für das Projekt, und wir haben durchkalkuliert, was wir damit schaffen können. Entspricht das Ihren Prioritäten?"
Situation vor Organisation - wir dürfen Veränderungsprojekte nicht nur nach Phasen und Meilensteinen gestalten, sondern müssen sie auch als eine Reihe von Erlebnissen verstehen und arrangieren. Wie bei jedem Prozess im Unternehmen. Ein Projekt lebt in Situationen, genauso wie die ganze Organisation. Aus jeder Situation wird ein Erlebnis und eine Erfahrung, eine gute oder eine schlechte.
Schon die Auswahl der Projektbeteiligten erfolgt effektiver anhand von erwarteten, herausfordernden Situationen als anhand abstrakter Kompetenzprofile. Worum wird es in dem Projekt gehen? Einen pragmatischen Projektplan in einem Team von Perfektionisten aufstellen. Widersprüche im Pflichtenheft ausdiskutieren. Einen Konsens zwischen Entwicklung und Vertrieb schaffen. Den Entscheidungsprozess im Vorstand unterstützen. Mit interkulturellen Differenzen im Team umgehen. Das Projekt im Kundenzirkel und in Belegschaftsversammlungen präsentieren. Das Projekt immer wieder neuen Anforderungen anpassen. Die für die Projektmitglieder richtige Balance zwischen Freiheit und Ordnung schaffen. Fehlleistungen von Projektmitarbeitern umgehend ansprechen. Sich bei Anfeindungen des Projekts vor das Team stellen.
Manche Situationen machen Angst. Zum Beispiel, wenn Konfrontation droht. Wie stelle ich das Projekt auf der Betriebsversammlung vor, ohne das Gesicht zu verlieren? Wie wird das Rationalisierungsprojekt den betroffenen Kollegen präsentiert?
Solche Situationen dürfen nicht einfach "passieren", sie müssen gut gestaltet werden und regelmäßig gelingen. Daraus bezieht der Projektleiter Autorität. Dafür folgt ihm das Team. Wie werden wir also das Prozedere im Projekt, die Projektstruktur und -organisation, den fachlichen und kommunikativen Projektablauf, die regelmäßigen Projektreviews so gestalten, dass sie die entscheidenden Situationen, Interaktionen und Erlebnisse unterstützen und inspirieren? Diese Übung ist fundamental für die Entwicklung einer zukunftsfähigen Organisation und ihrer Prozesse.
Die doppelte Expedition - als Projekt und als Organisation
"Das Change Management ist tot, es lebe das Change Management." Organisationsentwickler und Berater bauen professionelle Change-"Architekturen". Wichtig ist, dass solche Architekturen nicht nur systematisch, sondern auch systemisch und prozessual verstanden werden. Wie wollen wir mit der Organisation auf die Reise gehen? Wie wollen wir das in den Projekten ausprobieren und üben? Wer ist dabei, wer beobachtet uns, wem werden wir wie begegnen? Was können Etappenziele in unsicherem Gelände sein? Ein Endziel wird es für die Organisation nicht mehr geben. Deshalb müssen wir anders feiern lernen, nämlich jedes Etappenziel; sonst gibt es nichts mehr zu feiern. Das haben die meisten von uns schon gemerkt.
Dafür müssen wir uns gegenseitig in die Augen gucken, die Herausforderung verstehen und loslegen. Wir haben bereits das Gespräch mit dem Auftraggeber beschrieben: Es geht darum, den Sinn und Zweck des Projekts zu verstehen. Ähnlich schreibt Reinhard K. Sprenger in Radikal führen (2012): Wir müssen das Problem kennen (am besten das des Kunden), das wir mit unserem Unternehmen (hier: unserem Projekt) lösen wollen; dafür sind wir da, und das sollten wirklich alle Mitarbeiter wissen, damit wir in dieselbe Richtung denken und handeln. Ähnlich machte sich Adrian W. Fröhlich (2002) dafür stark, ein "Projekt" als eine "Projektion" der Lösung in die Zukunft zu verstehen. Das ist eine starke Motivation für die Beteiligten, auf die Reise zu gehen.
Die "Lösung" von Organisationsprojekten wird allerdings keine statische mehr sein. Zukunftsfähige Organisationen werden wir nicht auf unserer Reise. Zukunftsfähige Organisationen sind schon auf der Reise. Ab sofort und immer weiter. Wir müssen jetzt so denken und handeln, wie wir es auch künftig tun wollen. Das Ziel liegt auf dem Weg, der Weg ist das Ziel. Das ist hier kein "Spruch", es geht vielmehr um die Entwicklung einer fundamentalen Fähigkeit zukunftsfähiger Unternehmen und ihrer Projekte: das Reisen zu beherrschen. Natürlich wissen wir, dass wir hinter der nächsten Wegbiegung vielleicht eines Besseren belehrt werden. Dann passen wir uns an. Das gehört dazu.
Projekte leisten Pionierarbeit für die Organisation der Zukunft
Ein Blick über den Tellerrand auf komplexe Projekte der internationalen Entwicklungszusammenarbeit bestätigt, wie es gehen kann: wie Projektmanagement Pionierarbeit für eine spätere neue Organisation leisten kann. Entwicklungsprojekte bedeuten immer Wandel, bedeuten ein Zusammenwirken von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, deren Vertreter eine funktionierende Projektsteuerung und effiziente Entscheidungsprozesse gestalten müssen. Dort, wo es gut gelungen ist, greifen innovative Managementansätze. Die Projektstrukturen werden Lernfelder für die Beteiligten und Vorläufer der neuen Organisation, die nach Projektende die Arbeit und ihre Entwicklung als eine "normale" Institution weiterführt (Gregor 2012).
Wenn die Organisation und ihre Projekte ein und denselben Prinzipien folgen, weil sie eins sind (siehe oben), gilt dies umso mehr auch für die Organisationsentwicklung, oder genauer: die Entwicklung der reisenden Organisation. Das gilt für "Zeit vor Inhalt" genauso wie für "Kommunizieren vor Konzipieren" oder "Situation vor Gestaltung". Das heißt: Mit dem Timing der Organisation und ihrer Umwelt arbeiten, Konzepte gemeinsam entstehen lassen, zusammen auf die erfolgreichen Situationen achten, Erlebnisse reflektieren. Gute Erlebnisse zum Anlass nehmen: Wie werden sie zu Kultur gemacht? Was heißt das für Organisation, Projekte und praktisches Tun? Darüber entsteht ein wertvoller und lebendiger Dialog, den das Unternehmen braucht, damit seine Ambition und Strategie Realität werden. An dem Gelingen des Dialogs, in diesen prägenden Situationen und eindrucksvollen Erlebnissen, werden wir schnell feststellen, ob unsere Projekte und die Organisation der Zukunft insgesamt gelingen.
Anmerkung
(1) Der Thinktank Project Management ist eine gemeinsame Initiative der Integrated Consulting Group und Klaus Wagenhals/metisleadership. Das Ziel: Das Projektmanagement neu aufstellen, um zukünftigen Anforderungen gerecht zu werden. Systemisch und innovativ, treffsicher und wirkungsvoll.
Quellen
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Anwendung für das Projektportfoliomanagement Harte Daten und methodische Raffinesse reichen nicht aus, um ein Projektportfolio wirkungsvoll zu steuern. Es braucht auch Erfahrung, Gefühl und Intuition, um soziale und politische Spannungsfelder zu erkennen. Das wird schnell deutlich, wenn die Planung "steht" und die Frage lautet: Wie sicher sind wir denn, dass das Portfolio "funktionieren" wird, geschätzt auf einer Skala 1 bis 10? Oder: Welche Spannungsfelder werden sichtbar, wenn wir das Projektportfolio, die Projekte oder die Rollen im Projektmanagement systemisch im Raum aufstellen? Hier entstehen wirkliche Einsichten für die Organisation, Steuerung und Führung des Projektportfolios.
Prüfen Sie Ihr Projektportfoliomanagement hier
Wenn Sie hier zu unbefriedigenden, enttäuschenden oder unterschiedlichen Aussagen im Expertenkreis kommen, gehen Sie der Sache auf den Grund. Gemeinsam werden Sie einige Hebel zur Optimierung finden. Wenn Sie aber grundsätzlichere Bedenken hinsichtlich Ihres Projektmanagementansatzes haben, gehen Sie einen Schritt weiter.
changeX 08.06.2013. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Birgitta GregorBirgitta Gregor ist Senior Consultant bei der Integrated Consulting Group. Arbeitsschwerpunkte: Veränderungs-prozesse in Organisationen, Potenzialdiagnostik und Führungskräfteentwicklung, Entwicklung internationaler Projektmanagement-kompetenz, Führung und Zusammenarbeit "across cultures"
Autor
Frank KühnDr. Frank Kühn, Studium Maschinenbau mit Schwerpunkt Arbeitswissenschaft, Promotion im Bereich Ergonomie. Leitende Funktionen in Forschung und Industrie: Arbeitswirtschaft, Logistik, Organisation, Produktionsstrategien, Projektmanagement. Mitgründer Integrated Consulting Group Deutschland. Als Berater arbeitet Frank Kühn seit über 20 Jahren mit Führungskräften und Managementteams, die zukunftsfähige Organisations-, Führungs- und Kooperationskonzepte, schnellere Prozesse und wirksameres Projektmanagement realisieren wollen. Coaching umfangreicher Veränderungsprojekte und Effizienzprogramme in Handel, Industrie, Dienstleistung, Wissenschaft. Zahlreiche Publikationen, Lehrauftrag für Industrielles Projektmanagement. frank.kuehn@integratedconsulting.de
Autor
Christoph KuthChristoph Kuth ist seit 2010 Associate Partner der Integrated Consulting Group Deutschland. Studium Geophysik mit Schwerpunkt Informatik. Leitende Funktionen im Bereich IT, Personal, Qualität und KVP/Lean in mehreren internationalen Unternehmen aus den Branchen Energie/Rohstoffe, Telekommunikation und Automotive. Christoph Kuth hat neben seinen Linienfunktionen seit mehr als 10 Jahren als Senior Consultant in zahlreichen internationalen Projekten Führungskräfte und Teams in den Bereichen Change Management, Projekt- und Prozessmanagement sowie in der Personal-/Organisationsentwicklung begleitet.