Im Sog des globalen Wandels

Gestaltungsräume im Zeitalter der Komplexität, Folge 1
Von Cornelius Patscha, Holger Glockner und Klaus Burmeister

Wie werden wir in Zukunft arbeiten und leben? Thema der Expertenkommission "Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland". Ein Positionspapier steckt das Feld ab: eine Kurzfassung in fünf Folgen. Folge 1 skizziert künftige Herausforderungen und Chancen für Deutschland. Im Mittelpunkt: vier Felder des Wandels, die in der Serie im Einzelnen behandelt werden.

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Den Zusammenhang von Arbeit und Leben in der Zukunft zu beleuchten und Handlungsempfehlungen zu formulieren, ist das Ziel der Expertenkommission "Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland", die sich im November 2012 konstituiert hat. Die Kommission vermisst die Konturen des Neuen, analysiert und ordnet die Herausforderungen, stellt Fragen und sucht nach den sozialen Kohäsionskräften, die für Arbeit und Leben zukünftig Sinn stiften könnten. Inhaltlich wird das Projekt von Z_punkt The Foresight Company begleitet. In einer ersten inhaltlichen Annäherung an zentrale Fragestellungen und Herausforderungen der Kommissionsarbeit hat Z_punkt in einem Positionspapier die Wechselwirkungen langfristiger Veränderungsprozesse in vier Themenkomplexen untersucht und in Thesen zusammengefasst. Eine Kurzfassung dieses Positionspapiers erscheint in fünf Folgen im Partnerforum von changeX. Hier Folge 1. 

Ende der Normalarbeitsverhältnisse, Brasilianisierung der Arbeit, Zunahme prekärer Lebenslagen, Flexibilisierung und Mobilisierung von Arbeit, kreative Ökonomie, Wissensgesellschaft - das sind nur einige der Zuschreibungen, die in den öffentlichen Diskursen über die Zukunft der Arbeit in den Vordergrund gerückt sind. Was früher Kontinuität, Stabilität und Stolz auf die eigene Arbeit ausdrückte und den Wert des Einzelnen in der Gesellschaft erst definierte - der langfristig sichere und feste Vollzeitjob -, scheint heute zum Auslaufmodell zu werden. Gleichwohl zeigen uns aktuelle Statistiken, dass es in Deutschland nie mehr Arbeitsplätze gab als heute - wenn auch unter veränderten Vorzeichen.  

Die Anforderungen der globalen Arbeitswelt durch gesteigerte Flexibilität und Mobilität haben zu einer starken Ausdifferenzierung an Beschäftigungs- und Lebensformen, Arbeitsoptionen und -einstellungen geführt. Auf der einen Seite eröffnen diese vielen neuen Lebens- und Arbeitsformen neue Chancen: bei Unternehmen für unternehmerischen Erfolg und bei Individuen für Selbstverwirklichung. Auf der anderen Seite kann dieser Wandel aber auch in der Gesellschaft zu einem Mangel an Teilhabe und in Unternehmen zu Ansprüchen führen, die durch Führung und Unternehmenskultur nicht befriedigt werden können. Steigende Qualifikationsanforderungen, die Aufgabe des lebenslangen Lernens und verstärktes interdisziplinäres und interkulturelles Arbeiten - mit diesen Herausforderungen sehen sich Arbeitnehmer zunehmend konfrontiert. Gleichzeitig wird die Wahl des Arbeitsplatzes immer öfter durch die Bedürfnisse nach Verwirklichung der Work-Life-Balance, nach abwechslungsreichen Tätigkeiten und einer flexiblen Arbeitsorganisation bestimmt. Die neuen Arbeitswelten bieten also vielen Menschen neue Möglichkeiten und Gestaltungsspielräume, während andere eine Einschränkung ihrer Handlungsoptionen erleben.


Veränderung der Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland


Wie sich die Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland verändern werden, lässt sich gut und anschaulich anhand stabiler langfristiger Veränderungsprozesse beschreiben. In der Vergangenheit wurden diese sogenannten Megatrends für sich betrachtet: Automatisierung und Digitalisierung, wirtschaftliche Globalisierung, Ressourcenknappheit, demografischer Wandel, Wandel der Geschlechterrollen, soziale Disparitäten, Wandel der Arbeitswelt und der Business-Ökosysteme.  

Heute weiß man: Die großen Trends beeinflussen sich gegenseitig, schwächen sich ab oder verstärken sich - ja aus dem Zusammenspiel können sich sogar völlig neue, unerwartete Entwicklungen ergeben. Wir kommen also nicht umhin, die Wechselwirkungen und Schnittstellen der relevanten langfristigen Veränderungsprozesse zu analysieren. Um so der Komplexität der vernetzten Prozesse in den Arbeits- und Lebenswelten in Deutschland Rechnung zu tragen.  

Von besonderer Bedeutung für die Entwicklung Deutschlands sind die wirtschaftliche Globalisierung und der demografische Wandel. Die exportorientierte Wachstumsstrategie der deutschen Unternehmen, die verstärkte europäische Integration sowie das Streben nach Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit haben im vergangenen Jahrzehnt die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland geprägt. Die weitere Entwicklung der Globalisierung wird auch in den kommenden Jahren ein zentraler Einflussfaktor für die deutsche Wirtschaft bilden. Seit mehr als 30 Jahren wird in Deutschland über den demografischen Wandel diskutiert. Mittlerweile ist er weit fortgeschritten. In den kommenden Jahren und Jahrzehnten wird sich die deutsche Gesellschaft daran messen müssen, wie sie mit der Diskussion um die Verteilung des Einkommens zwischen jüngeren und älteren Generationen umgeht; mit welcher Fürsorge sie sich der zunehmenden Zahl pflegebedürftiger älterer Menschen annimmt und mit welcher Integrationsbereitschaft sie den Einwanderern gegenübertritt, auf die sie für ihre wirtschaftliche Entwicklung mehr und mehr angewiesen ist. Die hochgradig technisch vernetzte globale Arbeitsteilung und lokale, personennahe Dienstleistungen bilden scheinbar zwei getrennte Sphären gesellschaftlicher Wirklichkeit.


Vier zentrale Themenkomplexe


Auf Basis dieser zwei Veränderungsprozesse lassen sich in Kombination mit weiteren Megatrends vier zentrale Themenkomplexe identifizieren:  

1. Volatile Ökonomie: Denkt man Globalisierung, demografischen Wandel und Ressourcenknappheit zusammen, so erhält man ein Bild der deutschen Wirtschaft, deren Wachstum mit großen Herausforderungen und Risiken behaftet ist. In der internen Sicht hemmt die alternde und schrumpfende Gesellschaft die Wirtschaft. Nach außen hin sind die Unternehmen in krisenanfällige internationale Systeme und Zyklen eingebunden und abhängig von Rohstoffimporten, deren Verfügbarkeit und Preise mit starken Unsicherheiten behaftet sind. Dadurch wird die Wirtschaftsentwicklung insgesamt volatiler.  

2. Fortschreitende Technologierevolution: Digitalisierung und Automatisierung verändern weiterhin traditionelle Berufe, ersetzen Arbeitsplätze, schaffen aber gleichzeitig neue Perspektiven und Berufsbilder. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird dieser Prozess weiter an Dynamik gewinnen und sich auch vermehrt auf wissensbasierte Tätigkeitsfelder ausweiten. Auf der Grundlage der Informationstechnologie erleben die Querschnittstechnologien in den Material- und Biowissenschaften eine rasante Entwicklung und eröffnen neue Wachstumsmärkte. Die Digitalisierung dringt außerdem in die Güterproduktion vor und bietet hier das Potenzial für grundlegende Veränderungen.  

3. Soziale Mobilität und Teilhabe: Die Kombination aus demografischem Wandel, Globalisierung und sozialen Disparitäten eröffnet den Blick auf eine deutsche Gesellschaft, in der die sozialen Unterschiede weiter wachsen, zunehmend von der sozialen Herkunft determiniert werden und die gesellschaftliche Teilhabe aller nicht mehr selbstverständlich ist. Die Verteilungsfrage zwischen Alt und Jung, Beschäftigten und Arbeitgebern, Globalisierungsgewinnern und Globalisierungsverlierern rückt in den Vordergrund.  

4. Neue Formen der Arbeit: Der demografische Wandel macht sich auch in der Arbeitswelt bemerkbar. Da das Arbeitskräftepotenzial mittelfristig zu sinken beginnt, kommt der Aktivierung des noch nicht voll erwerbstätigen Teils der weiblichen Bevölkerung ein besonderes Augenmerk zu. Ein steigender Anteil weiblicher Beschäftigter wird auch den Wandel der Geschlechterrollen beschleunigen. Die jüngeren Generationen befördern zudem den Wandel der Arbeitswelt hin zu zeitlich und räumlich entgrenzten Arbeitsverhältnissen, flacheren Hierarchien und stärkerer Partizipationsorientierung. In Kombination mit der Herausbildung von neuen Business-Ökosystemen nimmt diese Entwicklung weiter an Fahrt auf.  

Betrachtet man die beschriebenen Veränderungen in den vier skizzierten Themenkomplexen als Ganzes, zeigen sich auf den ersten Blick eine ganze Reihe an Herausforderungen. Die Chancen mögen hingegen erst auf den zweiten oder dritten Blick deutlich werden. Es gilt, in der Gesellschaft eine zukunftsorientierte Einstellung zu fördern, um neue Lösungsansätze zu entwickeln und die sich abzeichnenden Umbrüche erfolgreich zu gestalten.  

Folge 2 erscheint in der kommenden Woche. 


changeX 02.10.2013. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Klaus Burmeister
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Klaus Burmeister ist Gründer und Managing Partner von Z_punkt The Foresight Company.

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Holger Glockner
Glockner

Holger Glockner ist Director Foresight Consulting / Member of the Management von Z_punkt.

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Cornelius Patscha
Patscha

Cornelius Patscha ist Foresight Analyst bei Z_punkt. Er studierte Volkswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Internationale Wirtschafts-beziehungen und Wirtschafts- und Sozialpolitik an der Christian-Albrechts-Universität Kiel und der Universidad de Logroño in Spanien. Dabei sammelte er Forschungserfahrung in der Entwicklungsökonomie und praktische Erfahrung im Bereich Corporate Foresight.

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