Wandel als Chance
Flexibel, vernetzt, vielfältig: So sieht eine Expertenkommission der Bertelsmann Stiftung die Arbeitswelt der näheren Zukunft. Ob die sich abzeichnenden Trends eine Chance für innovative, inspirierende Arbeits- und Lebensformen bieten oder das Risiko sozialer Spaltung und einer überforderten Gesellschaft in sich bergen, hängt von den Weichenstellungen ab, die heute gesetzt werden. Welche das sein sollten, dazu hat die Expertenkommission ein Paket von Ideen entwickelt.
Quo vadis, Arbeitswelt? Wohin entwickeln sich unsere Wirtschaft, die Formen von Unternehmensorganisation und Arbeit? Welche Auswirkungen hat das auf die Gesellschaft und auf die Lebensqualität jedes Einzelnen? Und vor allem: Welche Entwicklungen sind wünschenswert und wie können sie gefördert werden?
Diesen Fragen ging eine Expertenkommission im Auftrag der Bertelsmann Stiftung in den letzten drei Jahren nach. Ihr Abschlussbericht ist im September 2015 erschienen. Zur Kommission gehörten 19 Mitglieder aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Sozialverbänden, sodass das Thema von verschiedenen Seiten aus beleuchtet werden konnte. Natürlich ist die "Zukunft der Arbeitswelt" ein unermesslich breites Thema.
Daher konzentrierte sich die Kommission auf drei Themenschwerpunkte:
- Wie flexibel darf unsere Arbeitswelt sein und welche Folgen hat das für unsere Gesellschaft?
- Wie muss zukunftsfähige Führung in den Unternehmen und der Gesellschaft gestaltet sein?
- Wie muss Bildung in Zukunft gestaltet sein, um Teilhabe und soziale Gerechtigkeit zu fördern?
Zu zwei dieser Themenschwerpunkte entstand ein eigener Bericht - die Berichte Zukunftsfähige Führung und Flexible Arbeitswelten haben wir bei changeX bereits vorgestellt. Die Ergebnisse aller drei Schwerpunkte sind in den Abschlussbericht mit eingeflossen.
Sechs Megatrends
Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie sich auf die Zukunft beziehen. Dieses Karl Valentin zugeschriebene Bonmot trifft einen wunden Punkt: Im Grunde genommen ist es selbst der cleversten und kenntnisreichsten Expertenkommission nicht möglich, die Zukunft vorherzusagen. Aber es ist möglich, gegenwärtige Entwicklungen zu beobachten und zu überlegen, welche Auswirkungen sie in näherer Zukunft haben können. Auf die Zukunft der Arbeitswelt haben nach Überzeugung der Bertelsmann-Kommission vor allem sechs Megatrends entscheidenden Einfluss: Globalisierung, Digitalisierung, demografischer Wandel, Individualisierung, soziale Disparitäten und Wandel der Geschlechterrollen.
Die Globalisierung führt zu einer Fragmentierung der Wertschöpfungsketten: Unternehmen verlagern einzelne Teile ihrer Wertschöpfungskette jeweils in diejenigen Länder, in denen ein bestimmter Produktionsschritt oder eine bestimmte Dienstleistung besonders günstig ist oder wo ein Kompetenzcluster dafür vorhanden ist. Volkswirtschaften spezialisieren sich auf bestimmte Branchen. Doch wirtschaftliche Machtzentren und Branchenschwerpunkte können sich relativ rasch verlagern. Der Weltmarkt wird volatiler und zwingt Unternehmen und Volkswirtschaften, ihre Strategien ständig zu überdenken.
Die Digitalisierung fördert die Entstehung von Netzwerkstrukturen. Starre Unternehmensstrukturen werden durch lockere, jeweils projektbezogene Netzwerke aus internen und externen Mitarbeitern ersetzt (horizontale Vernetzung). Zugleich können sämtliche Informationen aus einem Unternehmen in automatisierten Verfahren zentral gesammelt und ausgewertet werden (vertikale Vernetzung). So werden auch Entscheidungen über Kredite, Kundenselektion oder Börsenaktivitäten zunehmend von Maschinen getroffen. Dadurch gehen bestimmte Arbeitsstellen verloren, dafür werden neue Geschäftsmodelle möglich. Eine weitere Auswirkung der Digitalisierung: Ein viel direkterer und offenerer Kontakt mit den Kunden ist möglich und wird auch erwartet. Die Hauptwertschöpfung verlagert sich daher hin zu den Kundenschnittstellen und zu individuellen statt standardisierten Serviceleistungen.
Die Bevölkerungsentwicklung lässt sich mit zwei Schlagworten kennzeichnen: Alterung und Urbanisierung. Der sinkende Bevölkerungsanteil im erwerbsfähigen Alter ist eine Herausforderung für die Sozialsysteme. Zudem führt er zu einem Fachkräftemangel, der einerseits die Position der noch vorhandenen Fachkräfte stärkt, andererseits eine stärkere Integration bisheriger Randgruppen in den Arbeitsmarkt nötig macht. Der steigende Anteil älterer Personen wird zudem die Nachfrage und das Angebot an seniorengerechten Gütern und Dienstleistungen steigern. Die Urbanisierung konzentriert Bevölkerung und damit Arbeitskräfte und Unternehmen in den städtischen Zentren, während sich ländliche Räume zusehends leeren. Das erfordert einerseits einen starken Ausbau städtischer Infrastruktur und Wohnmöglichkeiten; andererseits ist zu erwarten, dass sich eine Gegenbewegung verstärkt, die gezielt den ländlichen Raum und dezentrale, vernetzte Arbeitsstrukturen fördert.
Individualisierung: Individualisten legen Wert auf eine Aufgabe, die für sie persönlich sinnvoll ist. Sie bieten einen eigenverantwortlichen Arbeitsstil und verlangen Selbstbestimmung in flachen, flexiblen Organisationsstrukturen. Das betrifft Entscheidungsmechanismen und Teamkonstellationen ebenso wie den Bedarf nach flexiblen Arbeitszeit- und Arbeitsortmodellen. Zugleich sind immer mehr Menschen bereit, einen viele Jahre lang ausgeübten Beruf aufzugeben und etwas Neues anzufangen. Lineare Erwerbsbiografien werden seltener. Durch die höhere Mobilität werden Belegschaften insgesamt bunter und inhomogener, was einerseits für kreative Zusammenarbeit befruchtend wirkt, andererseits auch Konfliktpotenziale in sich trägt.
Soziale Disparitäten: Die Ungleichverteilung der Einkommen ist in Deutschland seit Ende der 1980er-Jahre gestiegen; insbesondere im Dienstleistungssektor auf geringem Qualifikationsniveau sind viele prekäre Arbeitsverhältnisse - Minijobs, schlecht entlohnte Vollzeitstellen, Leiharbeit, Einzelselbständigkeit mit geringem Einkommen et cetera - entstanden. Immer noch hat die soziale Herkunft einen erheblichen Einfluss auf die Bildungs- und Erwerbschancen. In Kombination mit der Alterung der Gesellschaft führen die prekären Beschäftigungen und gebrochenen Erwerbsbiografien dazu, dass das Risiko von Altersarmut steigt.
Wandel der Geschlechterrollen: Zwar ist der Einkommensunterschied von Männern und Frauen in Deutschland noch sehr deutlich und der Anteil an Frauen in Spitzenpositionen weit unterproportional. Dennoch lässt sich ein steigender Frauenanteil auf traditionellen Männerstellen feststellen; umgekehrt auch ein geringer, aber wachsender Anteil von Männern in traditionellen Frauenaufgaben. Insbesondere steigt der Anteil der Männer, die für die Kindererziehung eine Berufspause einlegen oder in Teilzeit gehen. Es entstehen vielfältige Familien- und Lebensformen, für die passende Arbeitsmodelle benötigt werden.
Die Zukunft gestalten
Natürlich stehen all diese Trends miteinander in komplexer Wechselwirkung, was gelegentlich unvorhersehbare neue Entwicklungen hervorruft. Unternehmen wie Arbeitnehmer müssen daher hochgradig flexibel sein. Langfristige Planung und Kontrolle werden schwieriger und weniger erfolgversprechend. Vom "Ende der Berechenbarkeitsillusion" spricht der Bericht in diesem Zusammenhang.
Dennoch: Nur weil die Zukunft nicht klar planbar ist, heißt das noch lange nicht, dass sie sich nicht beeinflussen lässt. Unternehmen, Einzelpersonen und die politischen Lenker können jetzt schon Weichenstellungen setzen und Strukturen aufbauen, die geeignet sind, mit den Herausforderungen der Zukunft zurechtzukommen. Die Bertelsmann-Expertenkommission hat hierzu einen Katalog von Ideen erarbeitet. Thematisch orientieren sich die Vorschläge im Wesentlichen an den Arbeitsschwerpunkten der Kommission, ohne sie eins zu eins zu übernehmen. Die Vorschläge gruppieren sich in die Bereiche "Für ein neues Verständnis von Arbeit", "Für eine konsequente Weiterentwicklung der solidarischen Gesellschaft" und "Für eine Entwicklung der Bildung zur Befähigung". Drei Pfade der Veränderung beschreiben den Weg für eine zukünftige Entwicklung der Arbeits- und Lebenswelt.
Für ein neues Verständnis von Arbeit
In dem Bericht wird eine Spaltung des Arbeitsmarktes vorausgesehen: Auf der einen Seite stehen hoch qualifizierte, flexible, kreative Wissensarbeiter, die gegenüber Arbeit- beziehungsweise Auftraggebern eine gute Verhandlungsposition haben. Auf der anderen Seite im Dienstleistungssektor Tätige, denen von ihren Arbeitgebern ebenfalls hohe Flexibilität abverlangt wird, ohne jedoch den entsprechenden finanziellen Ausgleich und echte Selbstbestimmung zu bieten. Dazwischen gibt es einen Mittelblock gut abgesicherter Stellen in etablierten Unternehmen und im öffentlichen Dienst. Die Gesellschaft droht sich in Gewinner und Verlierer zu spalten.
Ein Merkmal dieser Entwicklung ist eine veränderte Vorstellung davon, was überhaupt ein Unternehmen ist. Zu den klassischen Formen hinzu kommen Freelancer, Micropreneure sowie Kooperations- und Netzwerkstrukturen. Sie zählen eher zu den Gewinnern der Veränderung, denn durch ihre Flexibilität können sie auf überraschende Veränderungen schnell reagieren. Der Anteil an Erwerbsarbeit, die in Arbeitsort und -zeit flexibel und eigenverantwortlich gestaltet ist, wird und sollte zunehmen. "Weiter beschleunigt wird diese Entwicklung durch den Trend zur projektorientierten Arbeitsorganisation und den Wandel von starren Hierarchien zu flachen, partizipationsorientierten Führungsstilen."
Damit Unternehmen flexibler werden, ist eine neue Führungskultur und Unternehmensorganisation nötig: Führungskräfte wirken als Moderatoren und Vernetzer, als Impulsgeber und Coaches. In vielen Organisationen verschwinden hierarchische Strukturen weitgehend, Modelle situativer und temporärer Führung etablieren sich.
Inhaltlich werden die kreativen Aufgaben und diejenigen mit unmittelbarem Kundenbezug zunehmen: "Werden Routine- und Analyseaufgaben automatisiert, verschiebt sich der wertschöpfende Aspekt menschlicher Arbeitskraft stärker in Richtung steuernder, kreativer und personennaher Tätigkeiten. Der Dienstleistungssektor gewinnt weiter an Bedeutung."
Damit die Wirtschaft ein mäßiges Wachstum aufrechterhalten kann, braucht es aus Sicht der Expertenkommission mehr unternehmerisch denkende Persönlichkeiten und mehr Innovationen. Dies sollte durch ein verändertes Bildungssystem gefördert werden.
Zur Lösung des Facharbeitermangels kann eine gezielte Förderung der Einwanderung qualifizierter Personen beitragen. Hier stellt sich akut auch die Frage des Qualifikationspotenzials der Flüchtlinge, die derzeit nach Deutschland kommen. Außerdem sollte eine höhere Erwerbsquote bei Frauen mit Kindern und bei älteren Personen angestrebt werden. Dazu sind entsprechende Teilzeitmodelle nötig sowie eine Anpassung des Rentensystems.
Flexibilität ist überhaupt ein Schlüsselwort. Sie sollte in jeder Hinsicht gefördert werden: durch neue Arbeitsmodelle wie Teilzeit und Jobsharing, durch leichtere Integration von Berufsrückkehrern, durch Fortbildungen während der Babypause et cetera sowie durch eine Umstellung des Rentensystems, das in seiner gegenwärtigen Form mit Brüchen in der Erwerbsbiografie kaum zurechtkommt. Da eine zeitlich und örtlich hochflexible Berufstätigkeit sich nur schwer mit den stabileren Bereichen des Lebens wie Familie, Kindererziehung oder Freundeskreis vereinbaren lässt, werden im Bericht zwei Lösungsansätze vorgeschlagen: Einerseits eine Professionalisierung dieser Tätigkeiten (etwa den Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten), andererseits eine gesellschaftliche Anerkennung von solchen Tätigkeiten unabhängig davon, ob sie in Erwerbsarbeit geschehen oder nicht. Ein Vorschlag zur Lösung ist die Einführung eines Lebensarbeitszeitkontos, das auch gesellschaftliches Engagement berücksichtigt: "Wir benötigen eine auf einzelne Lebensphasen orientierte Betrachtung, die jede Form von Arbeit und Engagement mit einbezieht - unabhängig von der individuellen Erwerbsperspektive."
Für eine konsequente Weiterentwicklung der solidarischen Gesellschaft
Die gegenwärtigen Sozialversicherungssysteme reichen nicht aus, um auch in Zukunft allen Bürgern ein Leben in Würde zu ermöglichen. So viel ist klar. Der Generationenvertrag funktioniert nicht, wenn es bald genauso viele Rentner wie Erwerbstätige gibt; ein Nebeneinander von privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen führt zu Ungerechtigkeiten; die Arbeitslosenversicherung ist auf die zunehmend fraktionierten Erwerbsbiografien nicht eingestellt. Kleinere Korrekturen und Reformen werden nicht ausreichen - es braucht grundsätzlich "neue Formen der Daseinsvorsorge".
Diese Lösungen sollten nach Ansicht der Expertenkommission auf zwei Beinen stehen: Zum einen ist das die verstärkte Eigenverantwortung der Zivilgesellschaft. Im Sinn individueller Vorsorge, aber vor allem im Sinn von genossenschaftlicher Solidarität. "Selbstorganisierte Unterstützungsnetzwerke, wie zum Beispiel Seniorengenossenschaften, können beispielsweise durch nicht-monetäre, kreative Lösungen einen Teil der zu erwartenden Versorgungslücke im Alter auffangen." Solche Initiativen sollten vom Staat stärker gefördert werden. Beispielsweise durch steuerliche Vorteile und den Abbau bürokratischer Hürden. Durch die digitale Vernetzung sind derartige Solidargemeinschaften auch überregional möglich. Auch von Unternehmen und Unternehmern fordert die Expertenkommission verstärktes soziales Engagement, hält sich mit konkreten Modellvorschlägen aber zurück.
Andererseits können Eigenvorsorge und genossenschaftliche Solidarität nicht sämtliche Lücken füllen, die die zunehmende Einkommensungleichheit aufreißt. Die Einführung des Mindestlohns ist hier ein lindernder Schritt, aber nicht ausreichend, daher sollte auch über radikalere Lösungsansätze ernsthaft diskutiert werden. "Es ist aber sicherlich angezeigt, sich auch mit dem Prinzip des Grundeinkommens oder Bürgergeldes umfassender zu beschäftigen und hier Modellvariationen zu überlegen, die deutliche Anreize für volkswirtschaftliches und gesellschaftliches Engagement setzen." Ein weiterer interessanter Vorschlag ist die Einführung von an die gesetzlichen Versicherungen angeglichenen Systemen für Freiberufler, wie es sie jetzt schon für Künstler gibt.
Ein weiteres wichtiges Anliegen der Expertenkommission ist die Entwicklung einer offenen, vielfältigen Gesellschaft, die Zuwanderer und alternative Lebensentwürfe willkommen heißt. All das zusammen benötigt mündige, engagierte, eigenverantwortliche und zugleich solidarisch handelnde Bürger. Diese Einstellung lässt sich nicht politisch vorschreiben, sie ist Sache jedes Einzelnen. Sie lässt sich aber durch entsprechende Bildungsschwerpunkte fördern - und dadurch, dass dem mündigen Bürger auch mehr Mitbestimmungsrechte zugestanden werden, auch jenseits der etablierten Formen von Wahlen und der Arbeit von Interessenverbänden. Hierzu wird im Bericht als eine Möglichkeit die Einführung von Bürgerpanels vorgeschlagen, bei denen eine repräsentative Stichprobe zu aktuellen politischen Aspekten befragt wird. Die Frage, wie verbindlich die Ergebnisse einer solchen Befragung sein sollten, wird im Bericht der Kommission allerdings nicht berührt.
Für eine Entwicklung der Bildung zur Befähigung
"Der Arbeitsmarkt der Zukunft ist geprägt durch einen immer schnelleren Wechsel von Tätigkeitsfeldern. Berufsbilder verschwinden und entstehen schneller, als Ausbildung die Menschen dafür qualifizieren kann", stellt die Expertenkommission fest. Als Konsequenz daraus fordert sie: "Menschen müssen viel stärker befähigt werden, Wissen außerhalb von Bildungsinstitutionen eigenständig zu erwerben, es zu reflektieren und natürlich auch anzuwenden."
Diese Befähigung zum eigenständigen Wissens- und Fähigkeitserwerb sollte ein Grundziel schulischer und späterer Bildung sein; Theorie und Praxis sollten sich im Unterricht stärker miteinander verbinden. Persönlichkeitsbildung, Eigenverantwortung, unternehmerisches Denken und Innovationskraft sollten durch die Bildungseinrichtungen gefördert werden. Positiv hebt die Expertenkommission das traditionelle duale Berufsausbildungssystem in Deutschland hervor, da es eine hervorragende Grundlage für die Verbindung von Theorie und Praxis legt. Die Kommission hält es für sinnvoll, dieses System weiterzuentwickeln.
Bildung ist nicht ausschließlich an bestimmte Orte und Institutionen gebunden. In den Familien, in Vereinen et cetera werden zentrale Alltagskompetenzen erworben wie Sozialkompetenz und Verantwortungsbewusstsein. Lernen im Familienkontext sei daher ein wichtiges Element für Bildung. Aber wo Familien keinen geeigneten Lernkontext bieten, müssten gesellschaftliche Angebote, sprich Kindergärten, das möglichst frühzeitig und niederschwellig ausgleichen. Kindergartenbesuch sollte daher gefördert werden.
Zudem schlägt der Bericht ein einheitliches Bildungssystem in Deutschland vor, da die gegenwärtigen unterschiedlichen Systeme und Lehrpläne der Bundesländer ein unnötiges Hindernis für die berufliche Mobilität von Fachkräften mit schulpflichtigen Kindern darstellen.
Gleichzeitig sollten Angebote und Anreize zur Fortbildung über den gesamten Lebenslauf hinweg verstärkt werden. Bisher nutzen überwiegend Hochqualifizierte Möglichkeiten beruflicher Weiterbildung. Daher "sollte dieser Sektor durch die Politik so weiterentwickelt werden, dass allen Erwachsenen ein niedrigschwelliger Zugang möglich ist". Bildungspolitik müsse darauf abzielen, Chancengleichheit herzustellen - und das über den gesamten Lebenslauf.
Fazit
Wenn Politik und Gesellschaft die geschilderten Herausforderungen sinnvoll angehen, dann kann in zehn Jahren eine lebenswerte Gesellschaft entstehen. Das ist die Überzeugung der Expertenkommission. Sie entwirft zwei Zukunftsszenarien einer deutschen Gesellschaft um 2025. Das Positivszenario tritt ein, wenn Politik und Gesellschaft den Wandel gezielt gestalten. In diesem Szenario entsteht eine flexible, innovative Wirtschaft, die ein zwar geringes, aber verlässliches Wachstum vorzuweisen hat. Die Mehrheit der Erwachsenen arbeitet selbstbestimmt in sinnstiftenden Aufgaben - nicht notwendigerweise in Erwerbsarbeit. Die Staatsverschuldung wird dadurch im Rahmen gehalten, dass die Politik sich auf die Förderung zukunftsrelevanter Aufgabenfelder wie Bildung und Infrastruktur konzentriert und an anderen Stellen konsequent spart. Soziale Ungleichheiten werden durch eine Grundsicherung und durch vielfältige Formen von eigenverantwortlicher Absicherung und genossenschaftlicher Solidarität abgefedert. Eine offene, plurale Gesellschaft heißt die unterschiedlichsten Lebensentwürfe und Zuwanderer aus anderen Kulturen willkommen. Zwar wird es dennoch Verlierer der Entwicklung geben, aber deutlich weniger als Gewinner - und sehr viel weniger als im Negativszenario. Dieses ist so ziemlich in allen Punkten das Gegenteil des Positivszenarios und wird dann eintreten, wenn die Akteure in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Zukunftsangst erstarren und nur versuchen, den Status quo zu wahren.
Die Studie endet mit dem Appell, den Wandel als Chance zu begreifen. Denn unsere Einstellung bestimme unsere Handlungen und entscheide so darüber, welches Szenario eintrete. Sprich: Wenn wir ängstlich an die Zukunft herangehen, haben wir Grund zur Angst; wenn wir zuversichtlich herangehen, haben wir Grund zur Zuversicht.
Zitate
"Werden Routine- und Analyseaufgaben automatisiert, verschiebt sich der wertschöpfende Aspekt menschlicher Arbeitskraft stärker in Richtung steuernder, kreativer und personennaher Tätigkeiten." Expertenkommission Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland: Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland. Pfade der Veränderung
"Weiter beschleunigt wird diese Entwicklung durch den Trend zur projektorientierten Arbeitsorganisation und den Wandel von starren Hierarchien zu flachen, partizipationsorientierten Führungsstilen." Expertenkommission Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland: Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland. Pfade der Veränderung
"Wir benötigen eine auf einzelne Lebensphasen orientierte Betrachtung, die jede Form von Arbeit und Engagement mit einbezieht - unabhängig von der individuellen Erwerbsperspektive." Expertenkommission Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland: Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland. Pfade der Veränderung
"Es ist aber sicherlich angezeigt, sich auch mit dem Prinzip des Grundeinkommens oder Bürgergeldes umfassender zu beschäftigen und hier Modellvariationen zu überlegen, die deutliche Anreize für volkswirtschaftliches und gesellschaftliches Engagement setzen." Expertenkommission Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland: Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland. Pfade der Veränderung
"Menschen müssen viel stärker befähigt werden, Wissen außerhalb von Bildungsinstitutionen eigenständig zu erwerben, es zu reflektieren und natürlich auch anzuwenden." Expertenkommission Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland: Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland. Pfade der Veränderung
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Autorin
Ute WielandtUte Wielandt ist freie Texterin in Ingolstadt. Sie schreibt als freie Autorin für changeX.