Weiterbildung selbst gemacht
Weiterbildung mal anders: Lernen an der Ullstein Uni.
Von Annegret Nill
Ist teuer, bringt aber wenig. Diese Erfahrung machen viele Unternehmen in Sachen Weiterbildung ihrer Mitarbeiter. Bei den Ullstein Buchverlagen fand man einen anderen, neuen Weg: Man gründete die "Ullstein Uni" und organisierte mit Unterstützung von Autoren des Hauses eine zweitägige interne Fortbildungsveranstaltung - mit Erfolg: Es profitierte nicht nur das Wissen in den Köpfen, sondern auch das Klima der Zusammenarbeit. / 02.06.09
Die Eröffnung der "Ullstein Uni".  
Die Eröffnung der "Ullstein Uni".
 
Ein Zweibeiner hockt auf einem Dreibeiner, vor ihm liegt ein Einbeiner. Da kommt ein Vierbeiner, holt sich den Einbeiner. Der Zweibeiner nimmt den Dreibeiner und wirft ihn nach dem Vierbeiner. "Können Sie die Geschichte wiederholen?", fragt Peter Kürsteiner die Teilnehmer seines Kurses "Mehr merken mit Mnemotechnik". Andauernde Stille, einige lachen. Die Verwirrung ist mit Händen greifbar. Dann fordert sie der Gedächtnistrainer auf, die Begriffe durch Bilder zu ersetzen: Mensch für Zweibeiner, Hocker für Dreibeiner, Eisbein für Einbeiner und Hund für Vierbeiner. Einen Moment lang herrscht Schweigen. Dann fangen die Ersten an, die Geschichte mit den Bildbegriffen laut nachzuerzählen. Andere folgen. Und siehe da - kein Problem mehr. "Wir denken zu 80 Prozent in Bildern", erklärt Kürsteiner. Und das ist der Trick hinter allen Techniken, die er in diesem Kurs einführt und üben lässt: bildhaft denken, sich einen Raum vorstellen und die Bilder zu einer kleinen Geschichte verbinden, die sich schnell memorieren lässt.
Willkommen bei der Ullstein Uni, einer Inhouse-Fortbildungsveranstaltung der Ullstein Buchverlage für ihre Mitarbeiter. Dies ist ein Experiment. Ein Versuch, neue Wege zu gehen bei der Fortbildung. Wege, die dazu führen, dass das Gelernte auch hängen bleibt. Und nicht im Alltag schnell verpufft, wie dies so häufig passiert. Wenn das Seminar keinen praktischen Bezug hat, zum Beispiel. Oder wenn die Teilnehmer keine Lust haben. Am ersten Tag geht es um die Themen Verhandlungsführung und Pitching. "Pitching" heißt in der Buchbranche die Kunst, das Alleinstellungsmerkmal eines Titels in kürzester Zeit zu präsentieren. Das ist heute sehr wichtig geworden. Denn, so Michael Wieser, Geschäftsführer der Mayerschen Buchhandlung, in seiner Keynote Speech am Abend des zweiten Tages: Es kommt auf die Performance an. Die Mayersche kaufe 5.000 Titel pro Halbjahr. Und die Entscheidungen für diese Titel fallen innerhalb von dreieinhalb Wochen. "Ich lese kein Buch, auch keinen Vorspann", sagt er. Die Entscheidung falle aus dem Bauch heraus. Das Cover sei dabei wichtig und der Name des Autors.

Vorbild Kinderstunde.


Der Gedächtnistrainer Peter Kürsteiner im Gespräch mit Verlegerin Siv Bublitz.  
Der Gedächtnistrainer Peter Kürsteiner im Gespräch mit Verlegerin Siv Bublitz (links im Bild) und Rebecca Roscher.
 
Am zweiten Fortbildungstag können die Mitarbeiter zwischen vier mal vier Seminaren wählen. "Die Idee hat sich aus den Inhouse-Seminaren entwickelt, die Ullstein für seine Volontäre anbietet", sagt Rebecca Roscher, Assistentin der Geschäftsführung, die die zwei Tage gemeinsam mit Jürgen Diessl, dem Verlagsleiter bei Econ, organisiert hat. "Als Vorbild diente die 'Kinderstunde'", ergänzt Verlegerin Siv Bublitz. "Kinderstunde" - so wird Ullstein-intern eine Stunde genannt, in der die Volontäre und Praktikanten des Verlags alle sechs Wochen in wechselnden Abteilungen lernen. In dieser Stunde vermitteln die Abteilungsleiter beispielsweise des Vertriebs oder die Geschäftsführer das wichtigste Wissen über ihren Bereich. Bei der Ullstein Uni geht es aber um mehr als Wissen. Hier geht es auch um Teambuilding und eine hohe Identifikation der Mitarbeiter mit dem Verlag: "In diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten brauchen wir mehr als alles andere unsere kompetenten und motivierten Mitarbeiter", sagt Bublitz.
Motiviert sind die Teilnehmer von Michael Rossiés Seminar "Sprechen und Präsentieren in den Medien" ganz sicher. Um nicht zu sagen: gebannt. Denn Rossié, der einmal Schauspieler war, benutzt den Raum als Bühne. Er geht in die Situationen und Charaktere hinein, von denen er spricht. So wird er groß, wenn er König ist, oder windet sich, wenn er die Rolle des Überforderten spielt. Souveränität im Unplanbaren, so seine Botschaft, ist der Königsweg bei einem Fernsehinterview. Ein Beispiel gefällig? Rossié wirft einer Freiwilligen das Stichwort "Tunesien" hin. Was fällt ihr dazu ein? "Tunesien ist ein Land in Nordafrika", beginnt sie nach kurzem Zögern. "Das wissen wir alle", meint Rossié. "Was würden Sie auf einer Party sagen?" "Tunesien ist mir zu warm", sagt eine andere, "aber ich war neulich in Skandinavien �" Rossié ist begeistert: Ganz genau so geht es. Und hier sind seine Regeln: Persönlichen Bezug herstellen, Nichtwissen zugeben, laut Nachdenken, wenn man Zeit braucht. Wenn man über ein Thema nicht reden möchte, redet man nicht darüber. Oder, zusammengefasst und in Rossiés eigenen Worten: "Geben Sie sich um Gottes willen keine Mühe!"

Bauch, Beine, Po.


Zur Sache geht es im Computerkurs "Effektiv arbeiten mit dem Computer". Jeder Teilnehmer sitzt vor einem Laptop, vorne steht ein Riesenbildschirm, auf dem Computerspezialist Ray Wiseman seine Folien präsentiert. Thema ist vor allem, wie man Vorgänge durch Tastaturkombinationen steuern und abkürzen kann. Bei den Fragen aus dem Teilnehmerkreis dreht es sich um konkrete Probleme. So hat eine Teilnehmerin immer Schwierigkeiten mit ihrem Outlook-Programm: "Meine Inbox ist immer so voll, dass ich keine Mails mehr verschicken kann", klagt sie, sie könne die Mails aber auch nicht löschen. Auslagern in "Eigene Dateien", lautet der Tipp des Trainers, denn der Speicherplatz auf dem Server sei sicher begrenzt.
Im Stimmtrainingskurs "Was wir vom Gorilla lernen können" von Eva Loschky wird gerade viel gelacht. Sie zeigt den stabilen "Gorilla-Stand": Gewicht nach vorne verlagern, Knie leicht beugen, Po und Bauch entspannen. Ein Teilnehmer steht in seiner üblichen Haltung im offenen Kreis. Loschky drückt gegen seine linke Hüfte. Er kippt nach rechts. Auf, Gorilla-Stand üben! Er beugt die Knie ein wenig. Sie drückt. Er kippt. "Bauch und Po entspannen!", rät sie. Wieder drückt sie gegen seine linke Hüfte. Diesmal bleibt er fest stehen. Prima! Und los, Partnerübung! Die Teilnehmer streuen sich in Pärchen über den Raum. "Das fühlt sich so schlaff an", kichert eine. "Also das nächste Treffen hältst du dann im Gorilla-Stand ab", scherzt einen andere mit ihrer Kollegin.
Ganz anders arbeiten da die Führungskräftetrainer. Ihr Werkzeug: PowerPoint-Folien und mündlicher Vortrag. Brigitte Witzer erzählt in ihrem Seminar "Die Zeit der Helden ist vorbei. Postheroisches Management" die Geschichte vom 18. Kamel: Kommt ein Mullah bei drei traurig aussehenden Männern mit einer Horde Kamele vorbei. Was ist passiert?, fragt er. Ach, sagt einer der drei, unser Vater ist gestorben und hat uns 18 Kamele hinterlassen. Der Älteste soll die Hälfte bekommen, der Zweite ein Drittel und der Jüngste ein Neuntel. Aber das geht nicht auf. Ganz einfach, lacht der Mullah und teilt dem Ältesten neun, dem Zweiten sechs und dem Jüngsten zwei Kamele zu. Auf dem Überschüssigen aber reitet er davon. "Das ist ein Beispiel für eine postheroische Haltung", sagt Witzer. Denn der Mullah habe einfach gehandelt.

Gut für Wissen und Klima.


Die Referenten im Gruppenbild.  
Die Referenten im Gruppenbild.
 
In Boris Grundls Seminar "Steh auf! Kompetent führen" könnte man eine Nadel hören, die auf den Boden fällt - so still ist es. Wer gut führen können möchte, müsse die anderen Menschen als Lösungen für seine Probleme sehen, nicht als Ursachen, vermittelt er. Und erzählt, wie schwer es ihm nach seiner Querschnittslähmung zunächst fiel, Hilfe annehmen zu können. Und wie wichtig, genau das zu lernen. Wer gut führen möchte, darf Konflikten nicht ausweichen und muss auch Schmerz auslösen können, meint er. Denn dies führe zu einem Wachstumsprozess. Auch negative Gefühle gehörten zum Alltag: "Die Sucht, gut drauf sein zu wollen, gebiert die Depression."
Und was bleibt nun von diesen beiden Tagen, nach deren Abschluss die Menschen noch bis spät abends bleiben und Kontakte vertiefen? Nun, zunächst einmal folgt eine Auswertung, was die Fortbildungen gebracht haben, gibt Organisatorin Rebecca Roscher Auskunft. Ihr Gesamteindruck aber lässt vermuten, dass die Ullstein Uni Zukunft hat. Eine rundum gelungene Veranstaltung sei es gewesen, schwärmt sie. "Die Mitarbeiter waren begeistert, da hat sich wirklich etwas bewegt!" Mit positiven Auswirkungen nicht nur auf das Wissen in den Köpfen, sondern auch auf das Klima der Zusammenarbeit im Verlag. Jürgen Diessl indes bekam die Wirkung der Veranstaltung ganz unmittelbar zu spüren. Tags drauf kamen Mitarbeiter in sein Büro und baten um Bücher der Referenten, um darin weiterlesen zu können. Schnell waren seine Bestände vergeben. "Wir bestellen jetzt nach", sagt er schmunzelnd.

Annegret Nill ist Journalistin in Berlin und schreibt als freie Autorin für changeX.

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Annegret Nill arbeitet als freie Journalistin, Autorin und Moderatorin in Berlin. Sie schreibt als freie Autorin für changeX.

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