Global Business

Warum wir internationaler denken und handeln müssen.

Von Susanne Eyrich

Schon seit Jahren wird die Globalisierung heftig diskutiert. Doch die wahren Auswirkungen beginnen sich erst jetzt nach und nach zu zeigen. Und nicht immer entsprechen sie den Erwartungen von Befürwortern und Kritikern.

Noch immer schreitet sie fort, die berühmt-berüchtigte Globalisierung. Doch obwohl "globale Wissensgesellschaft" ein viel benutzter Begriff ist, weiß kaum einer genau, was darunter nun zu verstehen ist. Die Notwendigkeit, lebenslang zu lernen? Eine neue Verbindung von Produkten mit Wissen und damit Intelligenz? Oder bezieht sie sich auf den Wandel von Unternehmen von - wie es zum Beispiel in der Hightech-Industrie zunehmend der Fall ist - einem reinen Hardware-Hersteller zu einem Anbieter von Komplettlösungen, also Wissensprodukten?
Doch eines ist sicher - und vor allem unumkehrbar: Wissen ist Knetmasse, aus der Produkte und Dienstleistungen in Zukunft fabriziert werden. Wer in diese Wertschöpfungsnetze einbezogen werden kann, wird auf der Gewinnerseite stehen. Der Rest wird im nicht-profitablen Abseits verschwinden oder die oftmals als dirty jobs bezeichneten Arbeiten erledigen, die keiner speziellen Ausbildung und Erfahrung bedürfen. So scheinbar einfach lautet die Erfolgsformel für die Arbeitswelt von morgen.

Einziger Ausweg: Qualifizierung.


Doch der Zugang zur neuen Wissensökonomie ist ein umstrittenes Thema. Stichwort: digitale Spaltung. Sowohl innerhalb der westlichen Gesellschaften als auch in den Entwicklungsländern. Gerade einmal zwei von 1.000 Personen haben in Indien statistisch gesehen einen PC, in Nordamerika sind es knapp 400. Und in Afrika haben gerade einmal 0,4 Prozent der Bevölkerung einen Internetanschluss. Die Spiralbewegung, die sich daraus ableitet: Nur Länder mit höheren Einkommen und besserer Berufsqualifikation haben eine höhere PC-Dichte. Mehr Wissensgesellschaft wird nur durch Wirtschaftswachstum, höhere Einkommen und technologischen Zugang möglich. An der Ungleichverteilung der technischen Infrastruktur wird sich in den nächsten Jahren nichts ändern. Doch wir werden auch als Unternehmen darüber nachdenken müssen. Wenn sich an der ökonomischen Situation großer Teile der Weltbevölkerung nichts ändert, wird auch das Wachstum unserer Märkte nicht mehr anziehen. Die Märkte hier können wir bald als gesättigt bezeichnen.
In Deutschland hatten Ende 2001 40 Prozent einen Internetzugang, in Finnland sind es 65 Prozent. Die Gefahr einer digitalen Spaltung wächst auch hierzulande. Auch bei uns sind es in erster Linie Höherqualifizierte mit höheren Einkommen, die Zugang haben. Fast drei Viertel aller Akademiker sind Nutzer, während zwei Drittel aller Hauptschulabsolventen draußen bleiben. Es gibt nur einen Ausweg: die digitale Spaltung national wie global zu überwinden. Der Standort Deutschland hängt davon ab, ob genügend Wissensarbeiter die technologische Leistungsfähigkeit erhalten können. Sie werden dies nur erreichen, wenn sie entsprechend ausgebildet sind und wenn möglichst viele von ihnen in den Wissensarbeitsmarkt integriert werden können. Vorbei sind die Zeiten, in denen man sich mit anspruchsloser Tätigkeit ein Leben lang durchschlagen konnte. Vielleicht will das keiner wahrhaben. Deshalb muss unser Bildungssystem für höchstmögliche Qualifizierung sorgen.

Globalisierung - Regionalisierung.


Die Globalisierung verfolgt einen einfachen Traum: der freie, ungehinderte Fluss von Waren und Dienstleistungen rund um den Erdball. Neben dem drastischen Anstieg des grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehrs ist die zunehmende internationale Aufsplitterung des Produktionsprozesses ein Merkmal der modernen Weltwirtschaft. Multinationale Unternehmen - die Global Player in der Wirtschaft - produzieren nicht mehr nur bei den Konsumenten vor Ort, um Transportkosten und Transaktionskosten zu sparen. Oft wird die Produktion in Länder verlagert, die einen Vorteil besitzen. Sie haben entweder weltweit konkurrenzfähige Preise und Löhne oder sie verfügen über hoch innovative Arbeitskräfte. Beispielsweise werden die arbeitsintensivsten Produktionsschritte eines Fertigungsprozesses in Entwicklungsländer verlagert. Die Forschung und Entwicklung von neuen Technologien und Produkten wird dahingegen in hoch entwickelten Industrieländern durchgeführt.
Doch die Globalisierung bedarf eines genaueren Blicks. Erstaunlicherweise reisen die Waren und Gelder nicht sehr weit. Das meiste bleibt in der jeweiligen Region. Westeuropa etwa wickelt mehr als zwei Drittel seiner Exporte intraregional ab. Der Grundsatz "Think global, act local" gilt viel stärker als in der breiten Öffentlichkeit immer angenommen. Nur Asien und die USA sind ökonomisch nennenswert verflochten. Und man erwartet sogar eine noch stärkere Verdichtung und damit wirtschaftliche Abdichtung in den nächsten Jahren. Die Globalisierung zeigt sich offenbar in einer zunehmenden Regionalisierung! Doch das gilt nur für industrielle Produkte. Die so genannten informations- und wissensintensiven Dienstleistungen hingegen überspringen selbst kontinentale Handelsgrenzen. Genau in diesem Segment hat die deutsche Industrie erhebliche Schwächen.

Es gibt keine gute oder schlechte Globalisierung.


Erstens die klassische Dominanz der Amerikaner und Engländer in der Mikroelektronik seit den 80ern, zweitens das Beharren hierzulande auf der Industriegesellschaft als Hort deutscher Stabilität und Wertarbeit sowie drittens die Unfähigkeit, um die Produktkerne profitable Dienstleistungshüllen aufzubauen. Denn dort findet morgen die höchste Wertschöpfungsrate statt. Angebote von Produkten werden sich, wie schon angedeutet, zu Angeboten von Systemlösungen wandeln.
Wo ist die "Fratze der Globalisierung" geblieben? Je mehr man sich mit ihr beschäftigt, umso mehr verschwindet der Begriff. Nicht zuletzt, weil es überhaupt keine statistischen Daten darüber gibt, die aussagekräftig etwas beweisen könnten. Es gibt keine gute oder schlechte Globalisierung. Das Problem liegt auf einer anderen Ebene: Wir müssen möglichst viele Menschen von heute und von morgen in die wirtschaftlichen Abläufe integrieren. Die Zugänge müssen offen bleiben oder erst geöffnet werden. Gering Qualifizierte benötigen bessere Bildungsstandards, damit sie sich aktiv einklinken können.

Weltweiter Arbeitsmarkt.


Mittlerweile sind sich alle Experten einig: Ab 2010 gehen Deutschland die Arbeitskräfte aus. Wenn der Zuwanderungssaldo so bleibt, wie er ist, verringert sich die deutsche Bevölkerung bis 2050 auf etwa 65 Millionen Einwohner. Selbst 200.000 Ausländer im Jahr, die zuwandern, reichen dann nicht mehr aus. Doch um wettbewerbsfähig zu bleiben, brauchen wir Fach- und Führungskräfte von morgen, die "High Potentials". Diese Menschen sind jung, begabt und hervorragend ausgebildet, ehrgeizig und mobil. Sie kommen von überall. Und sie können sich aussuchen, in welchem Land sie arbeiten wollen. Im Zeitalter der Globalisierung ist der Arbeitsmarkt dieser potenziellen Topmanager und künftigen Nobelpreisträger nicht mehr auf ein Land beschränkt; ihr Arbeitsmarkt ist die Welt. Wie moderne Nomaden lassen sie sich dort nieder, wo sie die besten Lebens- und Arbeitsbedingungen vorfinden. Für die breite Masse der Arbeitnehmer ist dieser globale Arbeitsmarkt noch kein Thema. Zu hoch sind für sie die sprachlichen, kulturellen und auch bürokratischen Hürden. Doch die Globalisierung erfasst zunehmend auch die Arbeitsmärkte. Der internationale Wettbewerb ist nicht mehr nur ein Wettbewerb um den Faktor Kapital. Er ist in viel größerem Ausmaß ein Kampf um den Faktor Arbeit und um Humankapital.
Einen Vorgeschmack darauf, wie es auf dem globalen Arbeitsmarkt zugehen wird, zeigte das Werben um die Fachkräfte für Informationstechnologie (IT). Doch wie das Green-Card-Programm zeigte, ist Deutschland kein begehrtes Arbeitsland. Deutschland muss von den USA lernen, wenn es im internationalen Wettbewerb um die klugen Köpfe nicht länger zweite Wahl sein will. Deutschland muss weltoffener werden. Das fängt schon an den Hochschulen an. Warum werden hier jahrelang ausländische Experten ausgebildet, um sie dann nach bestandenem Examen wieder nach Hause zu schicken, obwohl sie in Deutschland gebraucht werden?
Doch wir müssen uns auch auf unsere eigenen Ressourcen besinnen, gerade während der Krise. Der durchschnittliche Bildungsgrad bei Frauen in Deutschland ist höher als bei ihren männlichen Kollegen. Dennoch gibt es das berühmte gläserne Dach, das Frauen heute noch von vielen Positionen nicht nur im obersten Management fern hält. Bei der Frauenerwerbsquote liegen wir abgeschlagen im hinteren Drittel. Nur Frankreich und Italien sind unter den großen OECD-Ländern noch hinter uns, Länder wie Dänemark haben fast zehn Prozent mehr Frauenarbeitsplätze. Können wir uns diese Verschwendung leisten?

Ein neues mentales Modell.


Diese Voraussetzungen zeigen, dass das mentale Modell sich verändern muss. Wir leben noch in dem Denkmodell der Industriegesellschaft. Lokal, regional und national orientiert, an einer optimalen Ausrichtung und Organisation von Produktionsprozessen ausgerichtet. In Zukunft müssen unsere Arbeitswelten und -zeiten, die Produkte, die Marktstrategien gemeinsam aus einem internationalen Vergleich abgeleitet werden. Sie müssen in eine internationale Unternehmenspolitik umgesetzt werden. Wir müssen uns in allen Bereichen auf globale Standards ausrichten. Was heißt das genau?
Es heißt, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter weltweit rekrutieren werden. Als Folge ihres eigenen Globalisierungsprozesses und aufgrund des Druckes von Wettbewerbern werden sie ihr Management zunehmend internationalisieren. Auch gegenseitiges Lernen von anderen Unternehmen, eine Art Benchmarking, wird dann keine Frage mehr sein. Was spricht dagegen, dass wir von unseren japanischen Nachbarn lernen oder dass unsere japanischen Nachbarn sich zu Allianzen mit uns Europäern oder mit amerikanischen Kollegen zusammenfinden.
Warum kann es nicht sein, dass Unternehmen aus Singapur, aus Frankreich oder aus Australien so bahnbrechende organisatorische Neuerungen einführen, dass sie dadurch die Unternehmenswelt beeinflussen? Das setzt aber voraus, dass unsere Fähigkeit dramatisch wächst, offen zu sein für internationale Beispiele einer besseren Praxis von Unternehmen. Die Wertschöpfungsstrategien eines Unternehmens, aber eben auch eines Staates, bestehen darin, dass wir schneller Chancen und Risiken erkennen und umsetzen.

Ein neues Verständnis der modernen Gesellschaft.


Nur wenn wir uns qualifiziert und schnell auf den Prozess der Globalisierung einstellen, gewinnen wir Zeit, das Dilemma zwischen den kulturellen und langfristig strukturierten und historisch gewachsenen Denkmustern und einer Wirtschaft und einer Technologie, die eine eigene, beschleunigte Innovationsgeschwindigkeit hat, zu lösen. Wir stehen also vor einem Konflikt zwischen der hohen Geschwindigkeit der Globalisierung und deren Reichweite bis in die Arbeitsmärkte, die staatlichen Gesellschaften und die Unternehmen hinein. Einem Zusammenprall der Technologien mit ihren weitreichenden Konsequenzen auf der einen Seite und den bestehenden Denkmustern andererseits. Wir können diesen Konflikt nur dann lösen, wenn wir unser Verständnis der modernen Gesellschaft durch sehr gute, sich den Veränderungen anpassende Ausbildungen, durch mehr Teamorientierung und Internationalität verbessern. Dann können wir es schaffen, diese Anpassungsprozesse ohne Brüche umzusetzen.

Susanne Eyrich ist Senior Manager Public Affairs bei der Infineon Technologies AG.

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