Global Business
Warum wir internationaler denken und handeln müssen.
Schon seit Jahren wird die Globalisierung heftig diskutiert. Doch die wahren Auswirkungen beginnen sich erst jetzt nach und nach zu zeigen. Und nicht immer entsprechen sie den Erwartungen von Befürwortern und Kritikern.
Noch immer schreitet sie fort, die
berühmt-berüchtigte Globalisierung. Doch obwohl "globale
Wissensgesellschaft" ein viel benutzter Begriff ist, weiß kaum
einer genau, was darunter nun zu verstehen ist. Die
Notwendigkeit, lebenslang zu lernen? Eine neue Verbindung von
Produkten mit Wissen und damit Intelligenz? Oder bezieht sie sich
auf den Wandel von Unternehmen von - wie es zum Beispiel in der
Hightech-Industrie zunehmend der Fall ist - einem reinen
Hardware-Hersteller zu einem Anbieter von Komplettlösungen, also
Wissensprodukten?
Doch eines ist sicher - und vor allem unumkehrbar: Wissen
ist Knetmasse, aus der Produkte und Dienstleistungen in Zukunft
fabriziert werden. Wer in diese Wertschöpfungsnetze einbezogen
werden kann, wird auf der Gewinnerseite stehen. Der Rest wird im
nicht-profitablen Abseits verschwinden oder die oftmals als
dirty jobs bezeichneten Arbeiten erledigen, die keiner
speziellen Ausbildung und Erfahrung bedürfen. So scheinbar
einfach lautet die Erfolgsformel für die Arbeitswelt von
morgen.
Einziger Ausweg: Qualifizierung.
Doch der Zugang zur neuen
Wissensökonomie ist ein umstrittenes Thema. Stichwort: digitale
Spaltung. Sowohl innerhalb der westlichen Gesellschaften als auch
in den Entwicklungsländern. Gerade einmal zwei von 1.000 Personen
haben in Indien statistisch gesehen einen PC, in Nordamerika sind
es knapp 400. Und in Afrika haben gerade einmal 0,4 Prozent der
Bevölkerung einen Internetanschluss. Die Spiralbewegung, die sich
daraus ableitet: Nur Länder mit höheren Einkommen und besserer
Berufsqualifikation haben eine höhere PC-Dichte. Mehr
Wissensgesellschaft wird nur durch Wirtschaftswachstum, höhere
Einkommen und technologischen Zugang möglich. An der
Ungleichverteilung der technischen Infrastruktur wird sich in den
nächsten Jahren nichts ändern. Doch wir werden auch als
Unternehmen darüber nachdenken müssen. Wenn sich an der
ökonomischen Situation großer Teile der Weltbevölkerung nichts
ändert, wird auch das Wachstum unserer Märkte nicht mehr
anziehen. Die Märkte hier können wir bald als gesättigt
bezeichnen.
In Deutschland hatten Ende 2001 40 Prozent einen
Internetzugang, in Finnland sind es 65 Prozent. Die Gefahr einer
digitalen Spaltung wächst auch hierzulande. Auch bei uns sind es
in erster Linie Höherqualifizierte mit höheren Einkommen, die
Zugang haben. Fast drei Viertel aller Akademiker sind Nutzer,
während zwei Drittel aller Hauptschulabsolventen draußen bleiben.
Es gibt nur einen Ausweg: die digitale Spaltung national wie
global zu überwinden. Der Standort Deutschland hängt davon ab, ob
genügend Wissensarbeiter die technologische Leistungsfähigkeit
erhalten können. Sie werden dies nur erreichen, wenn sie
entsprechend ausgebildet sind und wenn möglichst viele von ihnen
in den Wissensarbeitsmarkt integriert werden können. Vorbei sind
die Zeiten, in denen man sich mit anspruchsloser Tätigkeit ein
Leben lang durchschlagen konnte. Vielleicht will das keiner
wahrhaben. Deshalb muss unser Bildungssystem für höchstmögliche
Qualifizierung sorgen.
Globalisierung - Regionalisierung.
Die Globalisierung verfolgt einen
einfachen Traum: der freie, ungehinderte Fluss von Waren und
Dienstleistungen rund um den Erdball. Neben dem drastischen
Anstieg des grenzüberschreitenden Waren- und
Dienstleistungsverkehrs ist die zunehmende internationale
Aufsplitterung des Produktionsprozesses ein Merkmal der modernen
Weltwirtschaft. Multinationale Unternehmen - die Global Player in
der Wirtschaft - produzieren nicht mehr nur bei den Konsumenten
vor Ort, um Transportkosten und Transaktionskosten zu sparen. Oft
wird die Produktion in Länder verlagert, die einen Vorteil
besitzen. Sie haben entweder weltweit konkurrenzfähige Preise und
Löhne oder sie verfügen über hoch innovative Arbeitskräfte.
Beispielsweise werden die arbeitsintensivsten Produktionsschritte
eines Fertigungsprozesses in Entwicklungsländer verlagert. Die
Forschung und Entwicklung von neuen Technologien und Produkten
wird dahingegen in hoch entwickelten Industrieländern
durchgeführt.
Doch die Globalisierung bedarf eines genaueren Blicks.
Erstaunlicherweise reisen die Waren und Gelder nicht sehr weit.
Das meiste bleibt in der jeweiligen Region. Westeuropa etwa
wickelt mehr als zwei Drittel seiner Exporte intraregional ab.
Der Grundsatz "Think global, act local" gilt viel stärker als in
der breiten Öffentlichkeit immer angenommen. Nur Asien und die
USA sind ökonomisch nennenswert verflochten. Und man erwartet
sogar eine noch stärkere Verdichtung und damit wirtschaftliche
Abdichtung in den nächsten Jahren. Die Globalisierung zeigt sich
offenbar in einer zunehmenden Regionalisierung! Doch das gilt nur
für industrielle Produkte. Die so genannten informations- und
wissensintensiven Dienstleistungen hingegen überspringen selbst
kontinentale Handelsgrenzen. Genau in diesem Segment hat die
deutsche Industrie erhebliche Schwächen.
Es gibt keine gute oder schlechte Globalisierung.
Erstens die klassische Dominanz der
Amerikaner und Engländer in der Mikroelektronik seit den 80ern,
zweitens das Beharren hierzulande auf der Industriegesellschaft
als Hort deutscher Stabilität und Wertarbeit sowie drittens die
Unfähigkeit, um die Produktkerne profitable Dienstleistungshüllen
aufzubauen. Denn dort findet morgen die höchste
Wertschöpfungsrate statt. Angebote von Produkten werden sich, wie
schon angedeutet, zu Angeboten von Systemlösungen wandeln.
Wo ist die "Fratze der Globalisierung" geblieben? Je mehr
man sich mit ihr beschäftigt, umso mehr verschwindet der Begriff.
Nicht zuletzt, weil es überhaupt keine statistischen Daten
darüber gibt, die aussagekräftig etwas beweisen könnten. Es gibt
keine gute oder schlechte Globalisierung. Das Problem liegt auf
einer anderen Ebene: Wir müssen möglichst viele Menschen von
heute und von morgen in die wirtschaftlichen Abläufe integrieren.
Die Zugänge müssen offen bleiben oder erst geöffnet werden.
Gering Qualifizierte benötigen bessere Bildungsstandards, damit
sie sich aktiv einklinken können.
Weltweiter Arbeitsmarkt.
Mittlerweile sind sich alle
Experten einig: Ab 2010 gehen Deutschland die Arbeitskräfte aus.
Wenn der Zuwanderungssaldo so bleibt, wie er ist, verringert sich
die deutsche Bevölkerung bis 2050 auf etwa 65 Millionen
Einwohner. Selbst 200.000 Ausländer im Jahr, die zuwandern,
reichen dann nicht mehr aus. Doch um wettbewerbsfähig zu bleiben,
brauchen wir Fach- und Führungskräfte von morgen, die "High
Potentials". Diese Menschen sind jung, begabt und hervorragend
ausgebildet, ehrgeizig und mobil. Sie kommen von überall. Und sie
können sich aussuchen, in welchem Land sie arbeiten wollen. Im
Zeitalter der Globalisierung ist der Arbeitsmarkt dieser
potenziellen Topmanager und künftigen Nobelpreisträger nicht mehr
auf ein Land beschränkt; ihr Arbeitsmarkt ist die Welt. Wie
moderne Nomaden lassen sie sich dort nieder, wo sie die besten
Lebens- und Arbeitsbedingungen vorfinden. Für die breite Masse
der Arbeitnehmer ist dieser globale Arbeitsmarkt noch kein Thema.
Zu hoch sind für sie die sprachlichen, kulturellen und auch
bürokratischen Hürden. Doch die Globalisierung erfasst zunehmend
auch die Arbeitsmärkte. Der internationale Wettbewerb ist nicht
mehr nur ein Wettbewerb um den Faktor Kapital. Er ist in viel
größerem Ausmaß ein Kampf um den Faktor Arbeit und um
Humankapital.
Einen Vorgeschmack darauf, wie es auf dem globalen
Arbeitsmarkt zugehen wird, zeigte das Werben um die Fachkräfte
für Informationstechnologie (IT). Doch wie das
Green-Card-Programm zeigte, ist Deutschland kein begehrtes
Arbeitsland. Deutschland muss von den USA lernen, wenn es im
internationalen Wettbewerb um die klugen Köpfe nicht länger
zweite Wahl sein will. Deutschland muss weltoffener werden. Das
fängt schon an den Hochschulen an. Warum werden hier jahrelang
ausländische Experten ausgebildet, um sie dann nach bestandenem
Examen wieder nach Hause zu schicken, obwohl sie in Deutschland
gebraucht werden?
Doch wir müssen uns auch auf unsere eigenen Ressourcen
besinnen, gerade während der Krise. Der durchschnittliche
Bildungsgrad bei Frauen in Deutschland ist höher als bei ihren
männlichen Kollegen. Dennoch gibt es das berühmte gläserne Dach,
das Frauen heute noch von vielen Positionen nicht nur im obersten
Management fern hält. Bei der Frauenerwerbsquote liegen wir
abgeschlagen im hinteren Drittel. Nur Frankreich und Italien sind
unter den großen OECD-Ländern noch hinter uns, Länder wie
Dänemark haben fast zehn Prozent mehr Frauenarbeitsplätze. Können
wir uns diese Verschwendung leisten?
Ein neues mentales Modell.
Diese Voraussetzungen zeigen, dass
das mentale Modell sich verändern muss. Wir leben noch in dem
Denkmodell der Industriegesellschaft. Lokal, regional und
national orientiert, an einer optimalen Ausrichtung und
Organisation von Produktionsprozessen ausgerichtet. In Zukunft
müssen unsere Arbeitswelten und -zeiten, die Produkte, die
Marktstrategien gemeinsam aus einem internationalen Vergleich
abgeleitet werden. Sie müssen in eine internationale
Unternehmenspolitik umgesetzt werden. Wir müssen uns in allen
Bereichen auf globale Standards ausrichten. Was heißt das genau?
Es heißt, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter weltweit
rekrutieren werden. Als Folge ihres eigenen
Globalisierungsprozesses und aufgrund des Druckes von
Wettbewerbern werden sie ihr Management zunehmend
internationalisieren. Auch gegenseitiges Lernen von anderen
Unternehmen, eine Art Benchmarking, wird dann keine Frage mehr
sein. Was spricht dagegen, dass wir von unseren japanischen
Nachbarn lernen oder dass unsere japanischen Nachbarn sich zu
Allianzen mit uns Europäern oder mit amerikanischen Kollegen
zusammenfinden.
Warum kann es nicht sein, dass Unternehmen aus Singapur,
aus Frankreich oder aus Australien so bahnbrechende
organisatorische Neuerungen einführen, dass sie dadurch die
Unternehmenswelt beeinflussen? Das setzt aber voraus, dass unsere
Fähigkeit dramatisch wächst, offen zu sein für internationale
Beispiele einer besseren Praxis von Unternehmen. Die
Wertschöpfungsstrategien eines Unternehmens, aber eben auch eines
Staates, bestehen darin, dass wir schneller Chancen und Risiken
erkennen und umsetzen.
Ein neues Verständnis der modernen Gesellschaft.
Nur wenn wir uns qualifiziert und schnell auf den Prozess der Globalisierung einstellen, gewinnen wir Zeit, das Dilemma zwischen den kulturellen und langfristig strukturierten und historisch gewachsenen Denkmustern und einer Wirtschaft und einer Technologie, die eine eigene, beschleunigte Innovationsgeschwindigkeit hat, zu lösen. Wir stehen also vor einem Konflikt zwischen der hohen Geschwindigkeit der Globalisierung und deren Reichweite bis in die Arbeitsmärkte, die staatlichen Gesellschaften und die Unternehmen hinein. Einem Zusammenprall der Technologien mit ihren weitreichenden Konsequenzen auf der einen Seite und den bestehenden Denkmustern andererseits. Wir können diesen Konflikt nur dann lösen, wenn wir unser Verständnis der modernen Gesellschaft durch sehr gute, sich den Veränderungen anpassende Ausbildungen, durch mehr Teamorientierung und Internationalität verbessern. Dann können wir es schaffen, diese Anpassungsprozesse ohne Brüche umzusetzen.
Susanne Eyrich ist Senior Manager Public Affairs bei der Infineon Technologies AG.
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