Es lebt!

Infineon hat einen bahnbrechenden Bio-Neuro-Chip entwickelt.

Von Nina Hesse

Seit neustem gibt es einen Chip, der mit lebendem Zellgewebe kommunizieren kann. Dadurch werden zum ersten Mal elektronische Analysen lebender Nervenzellen möglich - ein Quantensprung für Gehirnforschung und Medikamentenentwicklung.

Nervenzellen werden auf dem Sensorfeld des "Neuro-Chip" in der Nährlösung platziert.
Unser Körper ist eine Schaltzentrale. Elektrische Impulse sausen die Nervenbahnen entlang und werden im Gehirn, das ebenfalls elektrisch "verdrahtet" ist, ausgewertet. Doch so sehr sich die Vergleiche mit einem Computer, mit Datenleitungen aufdrängen - eine Nervenzelle ist eben doch ein lebendes Etwas. Eine einfache Zelle nur, aber dennoch ein Wunderding, das in Gemeinschaft mit vielen anderen seiner Art Logik, Kreativität, Gefühle hervorbringt. Leider auch eins, das bisher den direkten Dialog mit von Menschen geschaffener Technik, mit Computerchips und Rechnern, nur ungern aufnehmen wollte. Obwohl Forscher aus der neuen Disziplin Biophysik - einer Kombination von Biologie und Ingenieurwissenschaften - alles daransetzten, den Kontakt herzustellen. Menschliches Gewebe und Silizium, das vertrug sich nicht sonderlich gut.
Bis jetzt. Forscher von Infineon Technologies haben in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut durch einen neu entwickelten Bio-Sensorchip direkten Kontakt zu lebenden Nervenzellen hergestellt. Nun können Chip und Zelle kommunizieren: Der "Neuro-Chip" nimmt elektrische Signale von Zellverbänden auf, verarbeitet sie und gibt sie an ein Computersystem weiter. Für die Forscher eine Sensation; ihre Entwicklung ist eine Welt-Neuheit. Professor Dr. Peter Fromherz, Direktor am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried, schwärmt: "Hier geht der Traum in Erfüllung, dass unsere langjährige Grundlagenforschung über hybride Neuron-Halbleiter-Systeme nun in einen Hightech-Chip einmündet. Die Entwicklung des Infineon-Teams auf der Basis modernster Mikroelektronik eröffnet Möglichkeiten für bislang ungeahnte Anwendungen in Biomedizin, Biotechnologie und Hirnforschung."

Die Geheimnisse des Gehirns entschlüsseln.


"Mit dem Neuro-Chip bietet Infineon ein Instrumentarium für die wissenschaftliche Forschung, mit dem heutiges Wissen und Verständnis der Abläufe im Hirn beträchtlich vertieft werden könnten", ist auch Infineon-Pressesprecherin Monika Sonntag überzeugt. Denn nun ist es möglich, die empfindlichen Nervenzellen zu beobachten, ohne sie zu verletzten oder zu töten. Damit können die Forscher neue Einblicke in ihre Funktion nehmen und biologische neuronale Netze und Hirngewebe besser erforschen. Bisher musste man sich mit Elektroden, Hirnstrommessungen und mikroskopischen Untersuchungen behelfen.
Auch ganz praktische Anwendungen hat die neue Technologie: In der Entwicklung von neuen Arzneien kann man nun effizient testen, was für eine Wirkung Medikamente auf lebende Zellen haben. Die ersten praktischen Messungen mit dem Neuro-Chip wurden erfolgreich am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München durchgeführt.

Hoch empfindliche Sensoren und Schaltungen.


Das Geheimnis des Neuro-Chips sind seine 16.400 Sensoren, die auf der Fläche von nur einem Quadratmillimeter Platz finden. Unter jedem Sensor sind hoch empfindliche elektronische Schaltungen integriert, mit denen die extrem schwachen elektrischen Signale der Nervenzellen verstärkt und aufbereitet werden. Dieses Kunststück ist den Forschern erst mit dem neuen Chip geglückt - bisher waren die elektrischen Signale zu schwach, um sie in einer Schaltung zu verarbeiten.

Der "Neuro-Chip" stellt direkten Kontakt
zu einer lebenden Nervenzelle her.
Die zu untersuchenden Nervenzellen werden direkt auf dem Sensorfeld am Leben gehalten und können dort ungestört wieder zu neuronalen Netzen zusammenwachsen. Die störungsfreie Beobachtung von Nervengewebe über einen Zeitraum von mehreren Wochen bietet Neurobiologen kontinuierlichen Einblick in die Funktionsweise von Lernvorgängen und Abläufen im Gedächtnis.
Der Durchmesser von Nervenzellen liegt zwischen zehn und 50 Tausendstel Millimeter. Da der Abstand zwischen den einzelnen Messpunkten auf dem Neuro-Chip nur acht Mikrometer beträgt, kann auf dem neuen Chip jede Nervenzelle von mindestens einem Sensor kontaktiert werden. Anstatt wie bislang einzelne Zellen zu untersuchen, vermisst Infineons Neuro-Chip auf seinem Sensorfeld mehrere Zellen gleichzeitig. Zusätzlich kann der Chip den Ablauf elektrischer Aktivität in neuronalem Gewebe festhalten. Pro Sekunde nimmt er mehr als 2.000 Einzelwerte für jeden der rund 16.400 Sensoren auf, die in ihrem zeitlichen Verlauf als farbiges Gesamtbild dargestellt werden. Die Forscher können damit erkennen, wie ganze Zellverbände über einen festgelegten Zeitraum auf elektrische Stimulation oder bestimmte Substanzen reagieren.

An den Grenzen der Technik.


"Infineon nutzt in der Forschungsarbeit das Wissen um Siliziumtechnik eines halben Jahrhunderts. Was zum Beispiel das Verhältnis von Signal- und Rauschgrößen betrifft, arbeiten wir beim Neuro-Chip eng an der Grenze dessen, was theoretisch überhaupt möglich ist", sagte Dr. Roland Thewes, der bei Infineon in der Grundlagenforschung die Aktivitäten zu elektronischen Biochips leitet. Der neue Chip ist auch das Ergebnis einer geglückten interdisziplinären Zusammenarbeit: Bei der Entwicklung kooperiert Infineon seit zweieinhalb Jahren mit dem Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried. Während Infineon in dieser Kooperation neue Lösungen in Halbleiter-Technologie und Schaltungstechnik entwickelt, bringt das Max-Planck-Institut sein weltweit anerkanntes Know-how auf dem Gebiet der Zell-Halbleiter-Schnittstelle ein.

Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.

Lesen Sie dazu auch "Neuronen in Aktion" - Neurochips sind eine spannende neue Technologie.

Bilder: Infineon Technologies AG, Max-Planck-Institut.

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Nina Hesse

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