Kostenreduzierung, die teuer kommt
Der Abbau von Arbeitsplätzen ist nicht der Weisheit letzter Schluss.
Der September war einer der schwärzesten Monate der jüngsten Rezessionsgeschichte. Zu Tausenden setzen die krisengeschüttelten Unternehmen ihre Mitarbeiter vor die Tür. Stellenabbau gilt als das Nonplusultra der Kostenreduzierung. Die Kehrseite: Jeder entlassene Mitarbeiter bedeutet einen Verlust an Know-how für das Unternehmen. Nicht zuletzt kostet die vermeintliche Kostenreduzierung erst mal Geld: Sechs bis acht Monatsgehälter kostet der Abbau eines Arbeitsplatzes.
Sun. Nach erneuten Millionen-Verlusten gab der Computerkonzern Sun Microsystems Ende vergangener Woche eine neue Entlassungswelle bekannt. Weltweit werden 4.400 Arbeitsplätze gestrichen; die Belegschaft soll um elf Prozent auf 35.000 Mitarbeiter schrumpfen. "Harte Zeiten erfordern harte Entscheidungen", begründete Konzernchef Scott McNealy diesen Schritt. Es war nicht der erste dieser Art. Bereits im Vorjahr hatte Sun 3.900 Stellen gestrichen. Und es war auch nicht die einzige Massenentlassung, die am Wochenende in den Zeitungen stand. Auch der schwedische Telekommunikationskonzern Ericsson setzt auf Stellenabbau - und 4.500 Mitarbeiter vor die Tür. 105.000 Mitarbeiter hatte Ericsson zu Boomzeiten im Januar 2000 beschäftigt, 71.700 sind es heute, 60.000 werden es Ende des Jahres sein.
Schwarzer September.
Der September war einer der schwärzesten Monate der jüngsten Rezessionsgeschichte. Vor allem am Monatsende - zugleich das Ende des Quartals - erschienen beinahe täglich neue Meldungen über Massenentlassungen: Die Deutsche Telekom baut 29.500 Stellen ab. MobilCom halbiert die Belegschaft und streicht 1.850 Arbeitsplätze. Der US-Telekomanbieter SBC kürzt weitere 11.000 Arbeitsplätze, Hewlett-Packard 16.800, der französische Telekommunikationsausrüster Alcatel 23.000, Lucent 10.000. Zahlen, die die Dramatik deutlich machen - und das waren nur einige Beispiele. Mit der Sense an die Belegschaft gingen auch die US-Fluggesellschaft Delta, der britische Telekomkonzern Colt, die Bankengruppe J. P. Morgan, der kanadische Bahn- und Flugzeugbauer Bombardier, der Hamburger Schreibwarenhersteller Rotring und der Siemens-Konzern, der seine Netzwerk-Sparte umbaut und seit Beginn der Krise jede vierte Stelle gestrichen hat.
Kein Ende in Sicht.
Ein Ende der Talfahrt ist nicht in
Sicht, im Gegenteil. Die schlechten Nachrichten vom September
zerstreuten die vagen Hoffnungen auf ein Abflachen des
Stellenabbaus. Nach der monatlichen Stellenabbau-Statistik der
Investmentbank Credit Suisse First Boston in London fielen im
September in Westeuropa 48.000 Stellen den Streichungen zum
Opfer, beinahe 20.000 mehr als im Vormonat. "Wir müssen davon
ausgehen, dass die Arbeitslosenzahlen in Europa in absehbarer
Zukunft weiter steigen werden", sagte Julian Callow, Leiter der
Research-Abteilung der Bank, dem
Handelsblatt. Bruno Wagner, Autor des Buches
Die Jobvernichter, prophezeite im Gespräch mit changeX
gar, gemessen an den kommenden Jobkürzungen würden die bisherigen
als harmlos erscheinen. Lausige Zeiten also, die auf die
Arbeitgeber und Arbeitnehmer warten.
Manches weist darauf hin, dass die Entlassungswelle nach
den großen Industrieunternehmen nun auch auf den Mittelstand
übergreift und erst die Wirtschaft in voller Breite erfasst. So
rechnet der Zentralverband des Deutschen Handwerks mit einem
Verlust von 200.000 Arbeitsplätzen in diesem Jahr. 5.000
Handwerksbetriebe stünden "auf der Kippe". "Es ist zu befürchten,
dass sich die große Entlassungswelle im Industriebereich nun
verstärkt im Mittelstand fortsetzen wird", warnt auch Gerhard
Lux, Geschäftsführer der Münchner Lux Kultur Agentur, die in
ihrer Beratungstätigkeit in Ausbildungsfragen in enger
Tuchfühlung mit mittelständischen Unternehmen steht.
Stellenabbau als Nonplusultra.
"Augen zu und durch", das scheint
allseits akzeptierte Krisenstrategie zu sein. Stellenabbau gilt
als Nonplusultra; die Unternehmen stellen zuallererst die
Personalkosten auf den Prüfstand. Dies hat die Studie
Human Resource Management in Zeiten wirtschaftlicher Krise
von Kienbaum Consultants bestätigt. Fast alle befragten
Personalmanager halten demnach die Reduzierung der
Mitarbeiterzahl für das geeignetste Instrument, um die Kosten zu
senken. Der Nachteil: Das kostet eine Menge Geld.
Durchschnittlich sechs bis acht Monatsgehälter koste der Abbau
eines Arbeitsplatzes, rechnet Anke Hunzinger, Projektleiterin der
Studie, vor.
Von Stellenabbau als Standardinstrument rät auch Gerhard
Lux ab. Er warnt vor allem vor dem Verlust an Know-how, der mit
jeder Entlassung verbunden ist. Know-how, das nicht ohne Weiteres
ersetzt werden kann. "Denn es kostet Zeit und Geld, bis ein neu
eingestellter Mitarbeiter so weit ist wie der zuvor entlassene",
betont Lux. Denn Arbeitslosigkeit ist mit Verlust an sozialen
Fähigkeiten und Know-how verbunden. Gerade in technischen Berufen
ist die Halbwertszeit des Wissens recht kurz, ohne ständiges
Training im Job verliert man schnell den Anschluss. Hinzu kommt,
dass grundlegende soziale Kompetenzen wie Pünktlichkeit und
Zuverlässigkeit in der Arbeitslosigkeit Schaden nehmen, wie
Studien mit Langzeitarbeitslosen ergeben haben. Der
Wiedereinstieg ins Berufsleben fällt dann schwer.
Zudem ist es fraglich, ob der Arbeitsmarkt bei anziehender
Konjunktur die benötigten Fachleute bereithält.
"Entlassungsszenarien gehen davon aus, dass immer ausreichendes
Potential vorhanden sein wird", warnt Lux, das aber sei
keineswegs sicher. "Wer jetzt entlässt, muss sich bewusst sein,
dass er sein Potential später nicht mehr mit jungen Leuten
auffüllen kann." Das Problem ist die demographische Entwicklung.
"Mittelfristig tickt da eine Zeitbombe", warnt Lux. Im Süden der
Republik, in den Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg
werden heute bereits die Lehrlinge knapp, in anderen
Bundesländern - vor allem im Osten Deutschlands - gibt es
hingegen viel zu wenig Ausbildungsplätze, so kommen in
Brandenburg zehn Bewerber auf einen Ausbildungsplatz. Generell
jedoch zeigt der Trend am Ausbildungsmarkt nach unten, sagt
Gerhard Lux seinen Kunden. In Zukunft wird es eng auf dem
Arbeitsmarkt. Wer qualifizierte Arbeitskräfte sucht, kann nicht
mehr sicher sein, dass er auch welche findet. Das sollte
bedenken, wer heute ausstellt.
Innovation statt Arbeitsplatzvernichtung.
Anke Hunzinger, Projektleiterin der
zitierten Kienbaum-Studie, rät zu anderen Lösungen: "Flexiblere
Verträge, Arbeitszeiten und Gehaltsmodelle vergrößern erheblich
den Handlungsspielraum der Personalmanager", meint die Expertin.
Gerhard Lux schlägt in dieselbe Kerbe. Er rät seinen
Kunden, nach kreativen und intelligenten Lösungen zu suchen:
Teilzeitmodelle, Weiterbildung, Innovation und Erschließung neuer
Märkte. Dass das funktionieren kann, zeigen zwei Big Player:
Porsche und Apple. Obwohl auch der Zuffenhausener
Luxuswagenhersteller rückläufige Verkaufszahlen hinnehmen muss,
setzt Porsche-Manager Wiedeking auf Expansion statt
Kostenreduktion, erweitert seine Produktionskapazitäten und
platziert mit dem neuen Geländewagen ein neues Modell in einem
neuen Marktsegment. Das neue Werk in Leipzig steigert - in der
Krise wohlgemerkt - die Kapazitäten um 50 Prozent. Auch
Apple-Chef Steve Jobs peilt neue Märkte an. "Das ist unsere
Strategie, um durch diese Depression zu kommen", verriet er den
Interviewern von
Wirtschaftswoche und
Bilanz. "Wir bauen nicht Stellen ab, sondern wir
entwickeln Neuheiten. Wenn die Nachfrage dann wieder anzieht,
sind wir mit den richtigen Produkten auf dem Markt." Allerdings:
Apple kann es sich leisten. Das Unternehmen hat 4,3 Milliarden
Dollar auf der hohen Kante.
Winfried Kretschmer, Journalist und Autor, arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.
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Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.