Die Brückenbauer
Wie sieht eine erfolgreiche Kooperation zwischen Schule und Wirtschaft konkret aus?
Neue Berufsbilder sprießen allerorten aus dem Boden. 380 Ausbildungsberufe gibt es derzeit in Deutschland. Viele aber sind Schulabgängern nicht bekannt. Denn die Schulen bereiten ihre Schüler nur unzureichend auf Berufswahl und Arbeitswelt vor. Die Folge: Nicht wenige Azubis sind unzufrieden mit ihrer Wahl. Jeder vierte Auszubildende bricht seine Ausbildung vorzeitig ab. Das soll sich ändern. Lehrerfortbildungen in den Betrieben sollen Abhilfe schaffen.
Martin Niemann ist Hauptschullehrer in München-Neuperlach. Kein leichter Job. Seit 1986 ist er bereits Lehrer, seit 1989 an der gleichen Schule. Arbeitslehre ist sein Schwerpunktthema. Die Schüler auf das Arbeitsleben vorzubereiten begreift er als wichtige Aufgabe seines Berufs. Acht Jahre lang hat er das in den Klassen 8 und 9 gemacht, seit zehn Jahren besucht er jedes Jahr eine Fortbildungsveranstaltung zu diesem Thema und ist froh, dass sein Direktor ihn dabei unterstützt. Denn diese Veranstaltungen sind "absolut freiwillig", wie er sagt - der Besuch bleibt der persönlichen Initiative der Lehrkräfte überlassen.
Verändertes Anforderungsprofil.
Soeben hat Martin Niemann eine
zweitägige Fortbildungsveranstaltung zum Wandel der Berufsbilder
im Kfz-Gewerbe besucht. Ein Tag Praxis in einem
Volkswagen-Autohaus der MAHAG-Gruppe gleich um die Ecke, ein Tag
Theorie im Schulungszentrum des Berufsbildungswerks der
Bayerischen Wirtschaft. Vor allem der Praxistag hat ihm gut
gefallen. Die Verkaufsräume des Autohauses waren für die
Veranstaltung leer geräumt, Betriebsleiter und Ausbildungsleiter
berichteten über ihre Erfahrungen mit Auszubildenden und den
Anforderungen an sie. Eine ausführliche Betriebserkundung schloss
sich an, bei der es auch Gelegenheit zum Gespräch mit den
Auszubildenden des Betriebes gab.
Für Niemann war das sehr aufschlussreich. Er lobt die
Offenheit, mit der Vertreter des Unternehmens Auskunft gaben.
Überrascht hat ihn eine Veränderung im Anforderungsprofil des
Unternehmens an die jungen Leute. "Vor Jahren standen noch
Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit im Vordergrund, jetzt sind es
eindeutig Faktoren wie Teamarbeit, Motivation und Interesse." Ein
Mitarbeiter müsse die Arbeit sehen und nicht mit den Händen in
den Hosentaschen warten, bis es 17 Uhr sei, so hätte der
Werkstattleiter seine Erwartungen formuliert, berichtet er. In
der Fortbildungsveranstaltung sieht er durchaus ein Modell für
die Zukunft. Schule und Wirtschaft müssten aufeinander zugehen.
Seine Aufgabe betrachtet er darin, das erworbene Wissen an die
Kollegen weiterzugeben.
Mechaniker mit Sozialkompetenz.
Für Gerhard Lux, Chef der Münchner
Lux Kultur Agentur, welche die Fortbildung organisiert hat, ist
damit ein wesentliches Ziel erreicht: Wissen über den Wandel der
Arbeitswelt in die Schulen zu vermitteln. Denn die Berufsbilder
wandeln sich rapide. Neue Berufe entstehen, wie zum Beispiel der
Kfz-Mechatroniker, der ab 1. August offizieller Ausbildungsberuf
ist. Nicht zuletzt verändern sich auch die Anforderungen an die
Bewerber. "Im Bewerbungsgespräch werden die jungen Leute heute
auch auf soziale Kompetenz hin abgeklopft. Mechaniker haben auch
Kundenkontakt und müssen sich im Gespräch mit dem Kunden
bewähren." Nicht zuletzt erfordern die modernen Diagnosegeräte
auch Computerkenntnisse. Zum White-Collar-Job wird der
Kfz-Mechaniker dennoch nicht. "Die Bereitschaft, sich die Hände
schmutzig zu machen, gehört nach wie vor dazu", betont Silke
Haubenreißer von der Lux Kultur Agentur, die auf der
Fortbildungsveranstaltung über den Wandel der Berufsbilder
referiert hat.
Die Agentur arbeitet seit mehreren Jahren in der
Lehrerfortbildung, veranstaltet Betriebspraktika und
Betriebserkundungen und erstellt Informationsmaterialien über
Ausbildungsberufe. So wurden in einem Modellprojekt Lehrer in
Projektmanagementtechniken geschult und führten anschließend mit
ihren Klassen eigene Projekte durch. Derzeit informiert die
Agentur in einer bundesweiten Aktion alle Realschulen über die
Berufsausbildung. Im Informationsangebot inbegriffen sind
Vorträge an den Schulen, Fortbildungsveranstaltungen für Lehrer
und Betriebsbesichtigungen. Das Interesse der Schulen sei groß,
zieht Haubenreißer ein erstes Resümee.
Orientierungsdefizit bei der Berufswahl.
Kein Wunder - denn in der
beruflichen Orientierung herrscht ein eklatantes Defizit.
Offensichtlich bereiten die Schulen ihre Schüler nur unzureichend
auf die Wahl ihres weiteren Ausbildungsweges vor. Die Zahlen
sprechen eine deutliche Sprache. Jeder vierte Auszubildende
bricht seine Ausbildung vorzeitig ab, bei den Studierenden liegt
die Abbrecherquote sogar noch höher; 27 Prozent aller
Studierenden kehren ihrem Erststudienfach den Rücken. Die Wahl
ist freilich schwierig. 380 Ausbildungsberufe und 3.900
Studiengänge stehen in Deutschland zur Wahl. Ein Schulfach, das
auf die Berufswahl vorbereiten würde, gibt es indes nicht.
Berufsorientierung ist kein eigenes Fach, sondern soll im Rahmen
der Arbeitslehre "fächerübergreifend" vermittelt werden. Die
wichtigste Weichenstellung im Leben junger Menschen wird so zum
Randthema in Deutsch, Wirtschaft oder Technik.
Das bestätigt eine Studie der OECD aus dem Jahr 2002. Die
schulische Arbeitslehre lege den Schwerpunkt auf die Vermittlung
von Wissen über die Arbeitswelt, vernachlässige aber die
Entwicklung von Kompetenzen in der Berufswahl, kritisieren die
Autoren: Die Arbeitslehre beschränke sich "weitgehend auf ein
Verständnis der Arbeitswelt und widmet der Entwicklung von
Fähigkeiten zur Selbsteinschätzung, Entscheidungsfindung und
Berufsplanung nur geringe Aufmerksamkeit".
Die Lehrer als Sündenbock?
Die Schuld dürfe man jedoch nicht
bei den Lehrern suchen, so die einhellige Meinung bei Lux. "Es
bedeutet einen hohen Aufwand, über den Wandel der Berufe und
Berufsbilder auf dem Laufenden zu bleiben", betont Silke
Haubenreißer. "Das Interesse bei den Lehrern ist groß", hat sie
festgestellt. Das Defizit wurzelt eher in einem zu eng gefassten
schulischen Bildungsauftrag. "Wenn ein Lehrer sich nicht privat
engagiert, kann er dieses Wissen überhaupt nicht haben", nimmt
Gerhard Lux die Pädagogen in Schutz. Er fordert, dass sich die
Schulen mehr für die Wirtschaft interessieren müssten, um die
Jugendlichen bei ihrer Entscheidung besser zu begleiten: "Wie
sehen die Anforderungsprofile an die Jugendlichen aus? Haben
meine Schüler hier überhaupt eine Chance? Und wie müssen sie sich
aufstellen, welches Rüstzeug müssen sie mitbringen und wie kann
man ihnen dieses Wissen vermitteln?" Für Lux die entscheidenden
Fragen, denen sich die Schule stellen müsse.
Gefordert sei die Kooperation zwischen Schulen und
Wirtschaft. "Wir brauchen ein gutes Bildungssystem, und das
können wir nur gemeinsam herstellen", meint der Agenturchef.
Initiativen wie die Fortbildungsveranstaltungen der Volkswagen AG
und der bayerischen Wirtschaft kratzten nur an der Spitze des
Eisbergs. Am Zug sieht er nun die Kultusbürokratie. "Es ist nicht
Aufgabe der Wirtschaft, Lehrerfortbildung im großen Stil zu
betreiben." Umgekehrt dürfe die Wirtschaft nicht erwarten, dass
sie - wie bei einem Investitionsgut - "fertige Menschen"
geliefert bekomme. "Das kann nur in der Partnerschaft zwischen
Wirtschaft und Schulen funktionieren", meint Lux.
Winfried Kretschmer, Journalist und Autor, arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.
© changeX Partnerforum [08.07.2003] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
changeX 08.07.2003. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
Artikeltags
Lux Kultur Agentur GmbH
Weitere Artikel dieses Partners
Gerhard Lux kritisiert den gedankenlosen Umgang mit dem Mobiltelefon. zum Report
Auszubildende legen Wert auf eine gute Ausstattung des Betriebes und eine gute Ausbildung. zum Report
Immer mehr Auszubildende brechen ihre Lehre ab. zum Report
Autor
Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.