"Eine Schande für den Betrieb"
Auszubildende legen Wert auf eine gute Ausstattung des Betriebes und eine gute Ausbildung.
Jeder vierte Auszubildende bricht seine Ausbildung ab, die meisten tun dies aus Gründen, die mit der "betrieblichen Sphäre" zusammenhängen. Kurz: sie fühlen sich nicht wohl im Betrieb. Was sich dahinter verbirgt, darüber gibt eine Trendstudie der Lux Kultur Agentur Aufschluss.
Ein unscheinbares Foto: Auf einem Werkstatthof, vor einer kahlen Mauer, neben einem Unfallauto steht ein alter Pritschenwagen. Irgendwie wirkt das Motiv ein wenig trostlos, und so ist es auch gemeint. Gemacht hat das Foto ein Auszubildender der Firma. Sein Kommentar: "Pritschenwagen ist Schrott und eine Schande für den Betrieb." Der anonyme Auszubildende war Teilnehmer einer Trendstudie, die die Lux Kultur Agentur in Zusammenarbeit mit der Fernuniversität Hagen durchgeführt hat. Das Ziel: festzustellen, was jungen Auszubildenden in ihrem Betrieb gefällt oder missfällt, um so Anhaltspunkte für eine Verbesserung der Ausbildungsqualität zu gewinnen.
Gefragt ist nicht die Hängematte im Brotzeitraum.
Neben einer schriftlichen Befragung und ausführlichen Einzelinterviews mit Auszubildenden arbeiteten die Interviewer auch mit einem innovativen methodischen Instrument. Sie drückten den Probanden eine Digitalkamera in die Hand und baten sie, zu fotografieren, was sie in ihrem Betrieb als positiv und was sie als negativ empfanden. Obwohl die statistische Auswertung der Trendstudie noch nicht abgeschlossen ist, sind die qualitativen Ergebnisse höchst aufschlussreich. Und brennend aktuell. Denn nach einer Untersuchung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BiBB), die im aktuellen Berufsbildungsbericht 2002 veröffentlicht wird, bricht ein Viertel der Auszubildenden die Ausbildung ab, weil sie sich im Betrieb nicht wohlfühlen, mit ihrer Ausbildung unzufrieden sind oder mit Chef oder Ausbilder nicht zurechtkommen (siehe den vorangegangenen Artikel der Lux Kultur Agentur: Wenn Auszubildende das Handtuch werfen). Und darauf, was den jungen Leuten stinkt, geben die Bilder aufschlussreiche Hinweise. Zum Vorschein kommen keineswegs nur eigennützige Motive. Die Jugendlichen vermissen nicht die Hängematte im Brotzeitraum, sondern sie wollen Qualität: Eine gute Ausstattung des Betriebes und eine gute Ausbildung. Und sie suchen die Identifikation mit ihrem Betrieb.
Wohlfühlfaktoren im Bild.
So hat ein Auszubildender einfach
das chromglänzende Logo der Automarke vor dem Betrieb abgelichtet
und angemerkt, die Firma an sich und die Marke seien "echt
stark". Ein anderer fotografierte die moderne computergestützte
Auswertungselektronik, ein dritter die neue Maschine für die
Reifenmontage. Der alte Pritschenwagen auf dem Hof passt dagegen
nicht in das Bild, wie Auszubildende ihre Firma gerne sehen
würden. Was der Chef gerne bis zum Ende abschreiben möchte, gilt
seinem Azubi schlichtweg als "Schande".
Mehr als 1.000 Fotoaufnahmen wurden im Rahmen der Studie
ausgewertet. Wohlfühlfaktor Nummer eins war demnach die
technische Ausstattung des Betriebes (29 Prozent), an zweiter
Stelle folgten die Kollegen (26 Prozent). Mit jeweils 19 Prozent
folgten die Corporate Identity der Marke und des Betriebes und
die Einrichtungen für die Mitarbeiter. Die Identifikation mit der
Tätigkeit rangierte bei den "positiven Aufnahmen" mit sieben
Prozent vergleichsweise weit hinten.
"Die Leute räumen ihren Dreck nicht weg."
Bei den "Negativbildern" hingegen landete dieser Faktor ganz vorne auf Platz zwei - sprich: Wenn es an Identifikation mit der Tätigkeit mangelt, wird diese schmerzlich vermisst. 38 Prozent der Fotos beschäftigten sich mit diesem Thema, übertroffen nur von mangelnder technischer Ausstattung und Unordnung (42 Prozent). Die entsprechenden Bilder zeigen veraltetes technisches Gerät und unsichere Arbeitsbedingungen. Die Kritik der Auszubildenden war teils recht differenziert. So fotografierte einer eine Barriere aus Reifenstapeln und bemängelte: "Durch eingelagerte Reifen sind Spezialwerkzeuge verbaut - kein Zugang möglich." Ein anderer lichtete Müll auf dem Werkstattboden ab und kritisierte: "Die Leute räumen ihren eignen Dreck nicht weg - keine Teamarbeit." Die Arbeitsbedingungen sind den Auszubildenden jedenfalls wichtiger als die Brotzeitbedingungen. Mit neun Prozent rangiert der Zustand der Gemeinschaftseinrichtungen recht weit hinten im Ranking.
Ausbildungsqualität verbessern!
Insgesamt zeichnet die Trendstudie
ein positives Bild: 72 Prozent der befragten Jugendlichen sind
leistungsorientiert und streben nach beruflichem Erfolg, 78
Prozent arbeiten gerne in ihrem Beruf. "Jugendliche wollen eine
gute Ausbildung vom ersten Tag an. Sie sind leistungsorientiert
und wollen gefordert werden", resümiert Agenturchef Gerhard Lux
das Ergebnis der Trendstudie. Für ihn ist die Verbesserung der
Ausbildungsqualität in den Betrieben ein Muss, selbst wenn er
diesen nicht die alleinige Schuld an der Ausbildungsmisere geben
will. Die Jugend sei zwar leistungsbereit, aber die Fähigkeit,
sich durchzubeißen, sei geringer geworden, meint er. "Und wenn
die Jugendlichen aus dem geschützten Raum von Elternhaus und
Schule in den Betrieb kommen, dann prallen zwei Welten
aufeinander."
Kurzum, wer Ausbildungsqualität verbessern will, muss in
den Schulen damit anfangen. "Die Betriebe müssen in die Schulen
gehen", fordert Lux. Gefragt sei eine offene und ehrliche
Aufklärung darüber, wie die Berufswelt aussieht. So kann ein
Betriebspraktikum oder ein Probearbeiten vor der eigentlichen
Bewerbung spätere Enttäuschungen vermeiden. Eine
Professionalisierung des Auswahlverfahrens in den
Ausbildungsbetrieben soll gewährleisten, dass der Betrieb die
Auszubildenden findet, die zu ihm passen. Ein Leitfaden für den
Umgang mit den Auszubildenden kann Konflikte vermeiden. Und:
"Regelmäßige Gespräche sind ein Muss!", empfiehlt die Agentur den
Unternehmen, die sie in Ausbildungsfragen berät.
Wer zieht den schwarzen Peter?
Letztlich bleibt der schwarze Peter
aber doch bei den Betrieben. Die sollten ihn nicht an Eltern,
Schule oder den Verband weiterreichen, sondern ihre Verantwortung
annehmen, fordert Lux. "Jeder Unternehmer ist dafür
verantwortlich, wie es in seinem Betrieb zugeht. Das ist einer
der ganz wenigen Bereiche, wo ein Unternehmer noch frei agieren
kann."
Es sieht jedoch nicht so aus, als ob die ihre Verantwortung
annehmen würden. Das zeigt eine weitere Umfrage, die die Agentur
unlängst gestartet hat. An insgesamt 400 Unternehmen wurde ein
kurzer Fragebogen zur betrieblichen Ausbildung verschickt. Zurück
kamen 31, und die ausschließlich von großen Unternehmen. Die
erklärten sich nicht nur bereit, etwas für die Verbesserung der
Qualität der Ausbildung zu tun, sondern sind zum Teil schon in
dieser Richtung aktiv geworden. Die kleinen und mittelständischen
Betriebe hingegen, wo die Probleme am größten sind, scheinen sich
der Lage gar nicht bewusst zu sein. "Wacht endlich auf!",
appelliert Lux gerade an die Mittelständler und kleinen
Unternehmen. Denn die Gefahr ist groß, dass sich in der
beruflichen Ausbildung eine Zweiklassengesellschaft etabliert:
Top-Qualität gibt es in den Großbetrieben; wer hingegen in
kleineren und mittelständischen Unternehmen anheuert, der zieht
mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit den schwarzen Peter.
Winfried Kretschmer, Journalist und Autor, arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.
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Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.