Drei Paradigmenwechsel
Ein Essay von Infineon-CEO Dr. Ulrich Schumacher.
Deutschland wird sich anstrengen müssen, um zukunftsfähig zu bleiben. Drei unauffällige, aber wirksame Veränderungen könnten helfen, den Wirtschaftsstandort zu sichern: ein neues Bildungsideal, in dem naturwissenschaftliche Grundkenntnisse Pflicht sind, mehr Kundenorientierung in der Produktion und ein Denken in übergreifenden Kooperationen und Allianzen.
Noch immer durchlaufen wir massive gesellschaftliche Umwälzungen, erleben täglich Paradigmenwechsel - in meiner Industrie, der der Halbleiterei, wesentlich härter und unmittelbarer als dies in anderen Industrien oder in der Politik sichtbar wird. Es wird Zeit, sich auf die Rahmenbedingungen zu konzentrieren, in denen Deutschland zukünftig agieren sollte. Denn wir brauchen noch einige unauffällige, aber sehr wirkungsvolle Paradigmenwechsel, wenn wir der Hightech-Standort Nummer eins werden wollen, wenn unsere Produkte mit dem Qualitätsmerkmal "Erforscht und entwickelt in Deutschland" - "Researched und Developed in Germany" geadelt werden sollen. Nur dann können wir wieder ein wettbewerbsfähiger und vor allem auch ernst zu nehmender zukunftsfähiger Wirtschaftsstandort werden. Drei Paradigmenwechsel kommen jetzt:
- Die Gleichstellung von Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften sowie Technik,
- die Ablösung der Produktion von Investitionsgütern durch die Produktion von Konsumgütern - mit dem damit verbundenen Denken aus dem Blickwinkel dessen, was der Kunde will und braucht, nicht, was in der Produktion möglich ist,
- und weiterhin die Ablösung von, ich nenne es Säulendenken innerhalb von Unternehmen oder sogar Abteilungen durch Denken in abteilungs-, unternehmens- oder sogar institutionsübergreifenden Kooperationen und Allianzen.
Bildung anders definieren.
Erster Paradigmenwechsel: Im
geistigen Bereich hatten wir im letzten Jahrhundert eine hohe
Wertung der Geisteswissenschaften. Als gebildet galt, wer
Literaturkenntnisse hatte - möglichst von Walther von der
Vogelweide bis zu Schillers
Glocke. Ausnahmsweise durfte es auch noch das Werk von
Günter Grass sein. Ich sage das bewusst überspitzt, um Ihnen den
Wechsel zu verdeutlichen. Wer sich für E-Books oder für Steven
Kings Buchprojekt im Internet interessierte, wurde kritisch
beäugt und bewertet. In der bildenden Kunst sollte man vielleicht
Dürer und Caspar David Friedrich kennen. Wer sich für die
Transmediale - die Biennale der neuen Medien-Kunst -
interessierte, galt noch vor zwei bis drei Jahren als ein
intellektueller Spinner.
Grundkenntnisse in Physik, in Chemie, in Technik - generell
in Naturwissenschaften - zu haben galt nicht als Merkmal von
Bildung. Und wer seinen Mitmenschen erklären konnte, wie ein
Radio funktioniert, warum ein Computer ein Computer ist und warum
das Handy die Elektronik eines Autos außer Kraft setzen kann,
galt zwar als handwerklich begabt und geschickt. Aber eigentlich
waren solche Leute verdächtige Typen. Gebildet? Nicht wirklich.
Heute müssen Sie, wir - jeder von uns, der Bandarbeiter,
der die Roboter in der industriellen Produktion kontrolliert, wir
als Vorstände eines Unternehmens ebenso wie ein Mediziner, ein
Journalist oder ein Kunstgeschichtler - neben der klassischen
Bildung, wie ich es angedeutet habe, genauso ein technisches und
naturwissenschaftliches Grundverständnis und sogar
Grundkenntnisse haben, Grundlage dafür, dass wir Lösungskompetenz
aufzeigen und entwickeln können.
Also: Aus Deutschland muss neben dem - jedenfalls
historischen - Land der Denker und Dichter heute auch das Land
der Forscher und Entwickler werden. Neben der universitären
Grundlagenforschung ist eine marktorientierte Forschung
notwendig, wenn wir Hightech-Standort Nummer eins werden wollen.
Denn erst, wenn eine Innovation aus dem Lager der Wissenschaft in
das Lager der Wirtschaft wechselt - somit ein marktfähiges
Produkt wird - ist sie Innovation. Erst dann leistet sie den
notwendigen Beitrag zur Wirtschaftskraft.
Immer kürzere Produktlebenszyklen.
In den drei deutschsprachigen
Ländern wird ein Viertel des Umsatzes mit Marktinnovationen
gemacht, mit Produkten also, die jünger als zwei Jahre sind. So
meldete es die
Neue Züricher Zeitung. In Deutschland liegt nach dieser
Angabe der Anteil knapp unter 25 Prozent. Wir haben nach
Schweden, den Niederlanden und Finnland die qualifiziertesten
akademischen Arbeitskräfte. Als Land sind wir immer noch
Weltmarktführer beim Export hochwertiger Technik. Wir haben also
ein gutes Fundament. Aber wir leben als Land in der Gefahr, uns
auf diesen Lorbeeren auszuruhen.
Und ich sage Ihnen ganz ehrlich: Als Unternehmen kann ich
mir ein Ausruhen nicht leisten. Wir, die wir in der IT-Industrie
arbeiten, müssen unsere Zeit sozusagen in Hundejahren messen. Die
Entwicklungen von früher sieben Jahren müssen heute in einem Jahr
realisiert werden. Wir können uns sonst aus dem Markt
verabschieden.
Die Produktlebenszyklen - die Phase von der Produktidee
über die Produktentwicklung, die serielle und damit industrielle
Fertigung bis zum Verschwinden des Produktes vom Markt - haben
sich von zehn auf sieben bis fünf Jahre, bei manchen Produkten,
wie etwa der Graphikkarte, auf nur sechs Monate reduziert. Wir
haben also eine sehr, sehr schnelle Abfolgen von Produktzyklen.
Das heißt: Sie können nicht über Jahre entwickeln, bis Sie ein
neues Produkt auf den Markt werfen und dann weitere Jahre gut
davon leben. Die Zeitfenster werden immer enger.
Ständiger Wettlauf um Innovationen.
Unserer Industrie muss bei der
Entwicklung von Produkten bis zur Marktreife mit der Einführung
auf dem Markt eine Punktlandung machen. Die Herstellung mehrerer
Prototypen und kleiner Serien mit kontinuierlicher
Fehlerreduktion - wie früher Praxis - ist schon aus zeitlichen
Gründen nicht mehr möglich. Um es überspitzt auszudrücken: Sie
können nicht mit Prototypen und jahrelangen Testläufen Ihre
Neuentwicklungen erproben und absichern.
Welche Folge haben diese schnellen Produktzyklen? Sie
befinden sich in einem permanenten Wettlauf um technische
Innovationen. Das hat den Vorteil, sehr schnell aufholen zu
können - und den Nachteil, genauso schnell wieder Schlusslicht
der Entwicklung zu sein. Die Industrie steht unter einem enormen
Innovations- und Zeitdruck. Mit dem zunehmenden Einzug von
Elektronik in nahezu alle Produkte steigt der Innovations- und
Zeitdruck auf alle Branchen.
Der typische Innovationszyklus beträgt heute bei
mechanischen Produkten und neuen Werkstoffen sieben bis zehn
Jahre, bei Elektromechanik oder Bus-Systemen vier bis sechs
Jahre, bei Software und Elektronik unter einem bis zu drei
Jahren. Das wissen Sie. Doch das müssen Sie in Verbindung mit dem
Forschungs- und Entwicklungsanteil betrachten. Je länger der
Innovationszyklus, desto geringer die F&E-Anteile.
Mechanische Produkte und neue Werkstoffe haben einen Anteil von
zehn Prozent, Elektromechanik oder Bus-Systeme 30 Prozent,
Software und Elektronik 60 Prozent. Das heißt aber auch aus
unternehmerischem Gesichtspunkt, dass die Produkte, die die
kürzesten Innovationszyklen haben, die höchsten Entwicklungs- und
Einführungskosten verlangen.
Wir können diesen skizzierten Anforderungen aber nur
gerecht werden, wenn wir auf entsprechend ausgebildete
Mitarbeiter zugreifen können.
Lernen, mit den Endkunden zu sprechen.
Zweiter Paradigmenwechsel: Die
Zeiten, in denen wir noch in national abgetrennten Märkten
dachten, aufgeteilt nach Branchen, aufgereiht in
Wertschöpfungsketten - Glied nach Glied -, als noch Produkte für
die Industrie hergestellt wurden, Investitionsgüter für die
Schwerindustrie oder das Militär, sind vorbei. Heute produzieren
wir Konsumgüter. Wir arbeiten in Wertschöpfungsnetzen. Sie kennen
diese Aussagen. Aber was konkret sagt das?
Wir produzieren heute für den Kunden, für den einzelnen
Konsumenten. Selbst wir, als so genannte
Business-to-Business-Company, lernen zur Zeit, mit dem Endkunden,
dem Kunden unserer Kunden zu sprechen, seine Wünsche und
Bedürfnisse kennen zu lernen, vorauszusehen, welche Produkte und
Lösungen er morgen benötigen wird oder wünschen könnte. Die
Märkte wandern von der Herstellung reiner Hardware zur
Entwicklung von Anwendungen.
Ohne sich genau in den benötigten Applikationen
auszukennen, können Sie heute keine guten, auf die Bedürfnisse
Ihres Kunden zugeschnittenen Halbleiter herstellen. Das
verdeutlicht einen weiteren Gesichtspunkt, der wohl eher im
Bereich der Soft Skills angesiedelt ist. Der Kunde wird nervös,
weil Sie vielleicht anfangen, seine Geschäfte zu machen. Auch das
ist eines der Felder, in denen geltende Gesetze und Regeln außer
Kraft gesetzt sind, ein Paradigmenwechsel eingeleitet wurde. In
denen wir ein Denken außerhalb vorgegebener Strukturen benötigen
- Denken "out of the box", wie es neudeutsch heißt.
Und wieder: Dafür brauchen wir befähigte
Mitarbeiter.
Geschwindigkeit ist Trumpf.
Und dritter Paradigmenwechsel:
Neulich fiel mir ein Aufsatz über die Wellenbewegungen der
Unternehmenspolitiken und -umstrukturierungen in die Hände. 60er
Jahre: Lean Production nach japanischem Vorbild. 70er Jahre:
Datenverarbeitung, Diversifizierung, Bildung von Konglomeraten.
80er Jahre: Fusionitis. Das waren nicht Unternehmensfusionen im
Rahmen von Marktkonsolidierung, wie wir sie heute etwa in der
Auto- oder der Pharmaindustrie erleben. Es waren Fusionen unter
dem Aspekt: je größer, desto wettbewerbsfähiger. Und heute? Heute
müssen wir sofort schnell, flexibel und intelligent auf die
Veränderungen reagieren können.
Die Unternehmen, die früher wie Kongressdampfer durch das
Wirtschaftsgeschehen tuckerten, sind nicht mehr steuerbar.
Deshalb gilt nach wie vor - unabhängig von dem angeblichen
Untergang der so genannten New Economy, der alte Gesetze und
Regeln wieder in Kraft gesetzt haben soll: Die schnellen
Unternehmen werden die langsamen vom Markt drücken. Es gibt eine
Grundregel: Die höhere Geschwindigkeit löst die niedrigere ab -
niemals umgekehrt. Bei der Entwicklung der Reisemittel starteten
wir mit Pferdekutschen mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von
acht Stundenkilometern. Heute fliegen wir mit der Concorde mit
über zweifacher Schallgeschwindigkeit.
Ohne Kooperationen geht es nicht.
Die Technologie ändert die Art und
Weise, wie Unternehmen funktionieren. Das galt für die
industrielle Produktion. Es gilt im gleichen Maß für die
Informationstechnologie. Die Industrie ist komplexer geworden. Es
geht hier nicht mehr nur um das einfache mechanistische
Organisieren von Arbeitsvorgängen. Diese neuen Technologien
wirken auf die Unternehmensstruktur ein - und am Ende auch auf
die Unternehmenskultur.
Veränderungsmanagement ist heute mehr als notwendig - als
Antwort auf den Markt, auf die neuen, in immer kürzeren Abständen
erscheinenden Technologien, Produkte und Lösungen. Je größer eine
Gruppe ist, desto behäbiger ist sie - und damit resistenter gegen
Veränderungen. Das Beharrungsvermögen in einem großen Unternehmen
ist erstaunlich.
Strategische Allianzen prägen das Bild der modernen
Wirtschaft. Wir erleben es selber. Solche Allianzen entstehen aus
Firmen, die sich auf die Kernbereiche ihrer Fähigkeiten reduziert
haben und die sich durch Outsourcing oder andere Maßnahmen des
Business Process Reengineerings verkleinert und verschlankt
haben.
Unternehmensübergreifende Kooperationen auch in der
industriellen Forschung und Entwicklung sind für uns heute
unternehmerischer Alltag. Das verlangt eine hoch differenzierte
Betrachtung unseres jeweiligen Partners durch die jeweiligen
Mitarbeiter: Wann darf ich keine relevanten Informationen
weitergeben, weil der Partner in genau dem Segment mein
erbittertster Wettbewerber ist? Wo öffne ich meine Datenbanken
und teile mein Wissen mit ihm, weil wir schnellstmöglich
gemeinsam die "Killerinnovation" entwickeln müssen? Und in
welchem Bereich übe ich nur eine Kontrollfunktion aus, weil er
hier Zulieferer oder Kunde ist?
Bildung ist der Schlüssel.
Auch dafür brauchen wir die
entsprechenden Mitarbeiter. Das bedeutet erstens: Wir brauchen
gut und zeitgemäß ausgebildete Arbeitskräfte. Zweitens: Wir
brauchen ein neues Verständnis von gemeinsamer Arbeit. Und
drittens: Wir brauchen ein neues mentales Modell.
Erstens: Eine, wenn nicht die Grundlage für den
Hightech-Standort Nummer eins und für ein Qualitätsmerkmal
"Erforscht und entwickelt in Deutschland" ist das Bildungssystem.
Die PISA-Studie hat uns erschreckt. Das brauche ich nicht mehr zu
kommentieren. Andererseits sind einige unserer Kinder in der
Umfrage auch in der Spitzengruppe vertreten: Diese Kinder kommen
aus leistungsorientierten, meistens aus Akademikerhaushalten. Sie
werden von ihren Eltern gefordert. Unter diesem Aspekt frage ich
Sie: Wie sieht denn wirklich das Ende der deutschen
Leistungsskala aus? Deutschland hat in der Bildung ein
Klassensystem etabliert, das den Kindern aus unteren Schichten
kaum einen Aufstieg ermöglicht. Bitte bedenken Sie, dass nach
meinem Wissen die Mehrheit der Nobelpreisträger weltweit nicht
aus den gesellschaftlichen Oberschichten kommt. Beraubt sich
damit nicht auch unser Staat enormer Chancen?
Nach Angaben der OECD gibt Deutschland 4,4 Prozent des BIP
für Bildung aus, der Durchschnitt der OECD-Länder liegt bei 5,0
Prozent, Schweden gibt 6,6 Prozent seines BIP aus. Wollte
Deutschland diesen Schnitt erreichen, müssten wir pro Jahr 20
Milliarden Euro mehr für Bildung und Ausbildung investieren. Wo
soll das Geld herkommen?
Bildung - und das betonen alle immer wieder - ist ein
Schlüssel zum Arbeitsmarkt und eine Grundlage für die
wirtschaftliche Entwicklung einer Volkswirtschaft. Aber haben Sie
in letzter Zeit die Werbespots im Fernsehen angeschaut? Haben Sie
nicht erschüttert die Spots angeschaut, die Menschen auffordern,
lesen zu lernen? Die zeigen, wie leicht Menschen durch das
Prüfungsnetz der Schulen fallen können. Wir haben in Deutschland
über vier Millionen Analphabeten - Menschen, die der deutschen
Sprache mächtig sind, sie aber weder lesen noch schreiben können.
Und bitte fragen Sie sich jetzt, wie viele Ihrer Mitarbeiter wie
viel Prozent ihres Arbeitstages mit Lesen verbringen. Ich rede
nicht von den Wissensarbeitern. Ich rede von Arbeitern.
Ausbildung muss sich verändern, weil die Welt sich verändert.
Die Menschen, die nicht des Lesens
und Schreibens mächtig sind, haben wenig Chancen auf dem heutigen
Arbeitsmarkt, der von lebenslangem Lernen, von kontinuierlicher
Weiterbildung gekennzeichnet ist. Und auch dadurch, dass viele
der Arbeitnehmer nicht mehr wissen, wie der Job, den sie in zwei
oder drei Jahren machen werden, aussehen wird, welche neuen
Fähigkeiten sie sich dafür aneignen müssen.
Und ich möchte noch ein Beispiel nennen, das ein
fragwürdiges Licht auf die Positionierung Deutschlands in der
globalen Wissensgesellschaft wirft: Solange Studierende auch
höherer Semester nicht in der Lage sind, Seminararbeiten zu
erstellen, weil sie weder den Aufbau einer solchen Arbeit kennen,
noch die Fähigkeit zur Recherche beherrschen, noch in der Lage
sind, orthographisch und grammatikalisch einwandfreie Arbeiten
abzuliefern, ist unsere Wettbewerbsposition in der globalen
Wissensgesellschaft schwierig. Und das ist ein Nachteil auch für
die Positionierung von Unternehmen.
Der Psychoanalytiker Erik H. Erikson mahnte 1952 - in dem
Jahr, in dem die industrielle Halbleiterproduktion in Deutschland
gerade angelaufen war, also vor einem halben Jahrhundert: "Heute,
wo die raschen technischen Veränderungen das Tempo diktieren,
wird eine mit den Mitteln der Wissenschaft zu erstellende und in
elastischer Form zu erhaltende
�im Mittel zu erwartende'
Kontinuität in der Kindererziehung und Ausbildung geradezu eine
Lebensfrage der Menschheit." Er sagt also - 1952 wohlgemerkt -,
dass die Welt sich so rasch verändert, dass Erziehung und
Ausbildung sich elastisch mitverändern müssen. Meine Kinder
lernen Biologie, Geschichte, Mathematik oder Latein so, wie ich
es gelernt habe - Aufbau des Ochsenauges, Zeitalter des
Imperialismus, Physik der Monsunwinde, Caesars Bellum Gallicum.
Themen wie die Architektur des Internets, die zunehmende
Technisierung des Alltags - von der wir alle hier auch leben -
oder die neuen Mechanismen im Wirtschaftsleben spielen eine sehr
untergeordnete Rolle. Würden Sie als Schüler nicht auch innerlich
abschalten, wenn die Ausbildung nicht mehr mit Ihrer Umwelt
kompatibel erscheint?
Die neuen Technologien sind noch nicht Teil einer
schulischen Ausbildung. Die Kinder eignen sich dieses Wissen auf
anderen Wegen an - und damit könnten die spätere Anwendung und
der spätere Nutzen dann nicht immer sicher bestimmbar sein.
Sollten wir den Kindern in der Ausbildung nicht doch eine gewisse
Richtung geben?
Problemlösung als Kernkompetenz.
Zweitens: Ich habe schon
dargestellt, dass strategische Allianzen und
unternehmensübergreifende Kooperationen eine bedeutende Rolle
spielen. Das heißt auch, dass wir in unserem Selbstverständnis
vom Einzelkämpfertum Abschied nehmen müssen. Kollegialität,
Kompromissfähigkeit und Kooperation einerseits und Fachwissen
andererseits sind mehr gefragt als innenpolitische Kenntnisse des
Unternehmens und die Fähigkeit zur Selbstdarstellung und zur
Einleitung gruppendynamischer Prozesse aus der Erwägung der
scheinbaren Machtsicherung heraus.
Doch wie bringen Sie dies den Kindern und Jugendlichen bei,
wenn die Problemlösung in Gruppen noch immer etwas Sekundäres in
der Ausbildung ist? Wenn die eindimensionale, auf ein Fachgebiet
bezogene Betrachtung eines Problems Vorrang vor einer Betrachtung
des Problems aus verschiedenen fachlichen Blickwinkeln hat?
Drittens: Wir leben noch in dem Denkmodell der
Industriegesellschaft. Lokal, regional und national, an einer
Economy of Scale und einer optimalen Ausrichtung und Organisation
von Produktionsprozessen orientiert. Doch die Zukunft ist von
kontinuierlichem Lernen, von Organisationslernen, von der
Entwicklung zu einer Lerngemeinschaft definiert, damit von dem
Zwang zu einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess.
Unsere Arbeitswelten und -zeiten, die Produkte, die
Marktstrategien müssen gemeinsam aus einem internationalen
Vergleich abgeleitet werden. Sie müssen in eine internationale
Unternehmenspolitik und ein internationales
Unternehmensmanagement umgesetzt werden. Wir müssen uns also in
allen Bereichen auf internationale Standards ausrichten. Das gilt
für die Unternehmen. Das heißt aber auch, dass zum Beispiel der
Staat sich genau wie ein Unternehmen auf seine Kernkompetenzen
reduzieren muss und sich den Märkten, wie etwa im
Gesundheitssystem oder im Bildungswesen, öffnen muss.
Gegenseitiges Lernen von anderen Unternehmen.
Das heißt andererseits, dass
Unternehmen ihre Mitarbeiter weltweit rekrutieren werden. Sie
werden auch ihr Management zunehmend internationalisieren - als
Folge ihres eigenen Globalisierungsprozesses und aufgrund des
Druckes von Wettbewerbern.
Gegenseitiges Lernen auch von anderen Unternehmen, eine Art
Benchmarking, wird dann kein Frage mehr sein. Was spricht
dagegen, dass wir von unseren japanischen Nachbarn lernen oder
dass unsere japanischen Nachbarn sich zu Allianzen mit uns
Europäern oder mit amerikanischen Kollegen zusammenfinden. Warum
kann es nicht sein, dass Unternehmen aus Singapur, aus Frankreich
oder aus Australien so bahnbrechende organisatorische Neuerungen
einführen, dass sie dadurch die Unternehmenswelt beeinflussen?
Das setzt aber voraus, dass unsere Fähigkeit dramatisch wächst,
offen zu sein für internationale Beispiele einer besseren Praxis
von Unternehmen. Die Wertschöpfungsstrategien eines Unternehmens,
aber eben auch eines Staates, bestehen darin, dass wir schneller
Chancen und Risiken erkennen und umsetzen.
Nur wenn wir uns qualifiziert und schnell auf den Prozess
der Globalisierung einstellen, gewinnen wir Zeit, das Dilemma
zwischen den kulturellen und langfristig strukturierten und
historisch gewachsenen Denkmustern und einer Wirtschaft und einer
Technologie, die eine eigene, beschleunigte
Innovationsgeschwindigkeit hat, zu lösen. Wir können den
Konflikt
- zwischen der hohen Geschwindigkeit der Globalisierung und deren Reichweite bis in die Arbeitsmärkte, die staatlichen Gesellschaften und die Unternehmen hinein,
- von den Technologien mit ihren weitreichenden Konsequenzen auf der einen Seite und den bestehenden Denkmustern andererseits
nur dann lösen, wenn wir unser
Verständnis der modernen Gesellschaft durch sehr gute, sich den
Veränderungen anpassende Ausbildung und Ausbildungsformen, durch
Teamorientierung - ein in Deutschland noch unterentwickeltes
Verhalten - und Internationalität verbessern. Und wenn wir es
schaffen, diese Anpassungsprozesse ohne Brüche umzusetzen.
Wir verlassen das Nationale und öffnen uns den weltweit
gültigen Maßstäben. Dann werden wir es auch schaffen, als
Hightech-Standort Nummer eins Produkte auf den Markt zu bringen,
deren Qualität sich dadurch auszeichnet, dass sie in Deutschland
erfunden und entwickelt wurden.
Dr. Ulrich Schumacher ist Präsident und Vorsitzender des Vorstandes der Infineon Technologies AG.
www.infineon.com
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