Nackte Tatsachen
Recht so! - Geschichten, Rechtsfälle und Urteile aus der neuen Arbeitswelt. | Folge 2 |
Wer zu privaten Zwecken aus dem Internet Dateien auf seinen Arbeitsplatzrechner lädt, erlebt unter Umständen ein böses Erwachen. Nicht alles fällt unter die freie Ausübung des Persönlichkeitsrechts, vor allem wenn es sich um pornografische Dokumente handelt. Dann zählt mehr die Moral.
Es soll nicht wenige Arbeitgeber
geben, denen der Kamm vor Zorn schwillt, wenn ein Mitarbeiter
während der Arbeitszeit privat telefoniert, E-Mails schreibt oder
im Internet surft. Dabei ist die Verlockung groß, denn die Kosten
für den Arbeitgeber sind gering und die Beurteilung der
arbeitsrechtlichen Zulässigkeit umstritten: Was gehört letztlich
zum Business-Alltag und wo beginnt das Private? Egal. Der
Kontrolleur liegt immer auf der Lauer, ganz nach dem Motto: "Wehret
den Anfängen." Statt Internet-Surf ist im Intranet oft nur der
Blick in den Unternehmens-Knigge erlaubt. Wer seine Nase zu privat
ins World Wide Web steckt, holt sich schnell eine blutige. Wie der
folgende, etwas pikante Fall zeigt.
Der Marketingexperte Dr. P. begann nach umfassender Schulung
seine neue Tätigkeit im Juni 2001. Um die Geheimnisse seiner bald
erfolgreichen Arbeit vor den neidvollen Blicken der Kollegen zu
schützen, sorgten drei verschiedene Passwörter für eine nahezu
unüberwindliche Hürde auf seinem Computer-Arbeitsplatz. Denkste!
Der arme Dr. P. wurde nämlich eines Tages krank und verschwand für
einige Wochen im Krankenhaus. Da aber seine Arbeit nicht liegen
bleiben konnte, gestattete sich sein Arbeitgeber einen Einblick in
P.s Rechner. Und siehe da! Dr. P. schien ein weitläufig
interessierter Mann zu sein.
Entsetzt musste die - moralisch sicherlich untadelige -
Mitarbeiterin Frau S. feststellen, dass Dr. P. regelmäßig seit
Dienstantritt insgesamt über 1.000 pornografische Dokumente,
darunter 24 zum Teil einstündige Pornofilme auf seiner Festplatte
gespeichert hatte. Alles unter dem unzweideutigen Dokumentenordner
"Sonstiges". Blöderweise erinnerte man sich auch daran, dass Dr. P.
bereits die Wochen zuvor mehrfach über die ungewöhnliche
Langsamkeit seines Computers geklagt hatte. Damit hatte er
unfreiwillig in sein eigenes Wespennest gestochen.
Der sittsame Personalchef witterte alsbald Unzüchtiges und
kündigte das Arbeitsverhältnis ohne jede Abmahnung fristlos. Dabei
hatte Dr. P. laut eigener Aussage von nichts gewusst! Die Dokumente
seien vielmehr von einer fremden Person auf seinen Computer
gespeichert worden. Überdies habe der Arbeitgeber seine
Privatsphäre als Ausfluss seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts
verletzt. Doch die "nackten Tatsachen", die der beklagte
Arbeitgeber in seiner Klageerwiderung offenbarte, ließen andere
Rückschlüsse zu. So stellte auch das Arbeitsgericht fest, dass hier
eher die sexuellen Vorlieben in der Firma ausgelebt worden seien.
Habe ein Arbeitnehmer dienstlich das Internet zu nutzen,
könne eine geringfügige, private Nutzung zwar nicht untersagt
werden, führte das Arbeitsgericht weiter aus. Die private
Speicherung von Internetdateien sei allerdings insbesondere wegen
der Virengefahr streng zu beurteilen und nur in geringem Umfang zu
dulden. Dieser war vorliegend weit überschritten. Die
Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers bis zum Ablauf der
ordentlichen Kündigungsfrist war dem Arbeitgeber nach Ansicht des
Gerichts aber zumutbar. Der Arbeitgeber hatte nicht ausreichend
darlegen können, dass die Pornogalerie während der Arbeitszeit
gepflegt worden war. Deshalb hätte es für eine fristlose Kündigung
in Anbetracht der bloßen Widerholungsgefahr des Abspeicherns
zunächst einer Abmahnung bedurft.
Wie es nach der Kündigung nun um die Moral der übrigen
Beschäftigten des Unternehmens steht, ist nicht überliefert. Doch
merke - frei nach Georg Büchner: Moralisch ist, wenn man moralisch
ist.
Rolf C. Hemke ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Osborne Clarke, Köln.
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Autor
Peter FelixbergerPeter Felixberger ist Publizist, Buchautor und Medienentwickler.